Die größte Demo seit 15 Jahren liegt hinter uns – die sozialen Angriffe gehen weiter. Wir müssen am Drücker bleiben.
Download für Online-AbonnentInnen (PDF):
Unmittelbar nach der Massendemonstration verkündete die Regierung, die Gültigkeit des Gesetzes auf den 1. September vorzuziehen – eine Demo allein machte ihr keine Angst. Und der 12-Stunden Tag/60 Stunden Woche ist nur der Anfang. Es folgen die Angriffe auf das Sozialversicherungswesen, wo die Regierung daran festhält, die Kontrolle über die Gebietskrankenkassen den Unternehmern zu geben. Ein weiteres zentrales Projekt der Bürgerlichen ist die Abschaffung der Notstandshilfe und eine „Arbeitslosenversicherung neu“. Die Idee ist es hier, Arbeitslose und Arme zu zwingen jede Form von Arbeit anzunehmen, indem man die Höhe der Bezüge reduziert und Zumutbarkeiten verschärft. Eine vollständige Enteignung von in Armut Geratenen wird angestrebt, da die Notstandhilfe abgeschafft werden soll. In Zukunft soll man nur die Höhe der eigenen Begräbniskosten (8.700 €) behalten können. Bereits durch sind Einsparungen von 430 Mio. in der Unfallversicherung AUVA (Seite 2). Bereits in Umsetzung sind auch die sogenannten „Deutschklassen“, 700 derartige Separationsklassen für Migrantenkinder werden eröffnet werden. Klassenschülerhöchstzahlen und Teilungsziffern von Klassen fallen weg und Schulschwänzen wird behördlich verfolgt. Eine Mietrechtsreform wird die Rechtsposition der Zinshausbesitzer stärken und die Mieten erhöhen. Gleichzeitig wird der Sicherungs- und Repressionsapparat des Staates ausgebaut. Ein Sonderbudget von 400 Mio. € für den Kauf von 15 Heereshubschraubern ist beschlossen, Sturmgewehre für die Polizei in Anschaffung, weiters berittene Polizei (allein der Polizeistall ist noch nicht voll) und die elektronische Überwachung.
Abgemildert wird die brutale Politik des Kabinettes Kurz zeitweise nur durch die derzeit flotte Konjunktur und sprudelnde Steuer- und Abgabeneinnahmen. Allein die Lohnsteuern stiegen im Jahresvergleich um 6,4 % an, insgesamt flossen im ersten Halbjahr 3,5 Mrd. Euro mehr in die Staatskassa als im Vorjahreszeitraum. Dies erlaubt es der Regierung Kurz, die Kürzungen scheibchenweise vorzutragen und auch populäre Maßnahmen zu setzen, um ihr politisches Kapital für die großen Angriffe zu bewahren. So werden heuer die Niedrig-Pensionen um 2,6 % erhöht, also deutlich über dem Wert der letzten Jahre.
Die politische Stoßrichtung der Regierung ist aber klar: alle solidarischen und sozialstaatlichen Systeme sollen zurückgedrängt werden: Schutz vor Armut, Krankheit, überbetriebliche Regulierung von Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen sollen „eigenverantwortlich“ übernommen werden. In der Praxis bedeutet dies, dass Vorrecht des Stärkeren auf Kosten der Lebensinteressen der Allgemeinheit ausgebaut wird. Dementsprechend werden auch die Institutionen der Republik umgefärbt. Die Postenneubesetzungen, zuletzt in der Nationalbank zeigen, dass stramm rechtes Personal in Amt und Würden gehievt wird.
Auch die neoliberalen NEOS stimmten für den 12- Stunden Tag und bieten sich als Mehrheitsbeschafferin für eine Blau-Schwarze Wiener Stadtregierung an. Die katholische Bischofskonferenz predigt das Null-Defizit und gibt der unmenschlichen Migrationspolitik ihren Segen. Wir haben es nicht nur mit einer schwarz-blauen Bundesregierung zu tun, sondern einem Bürgerblock, der zudem auch auf eine willfährige Boulevardpresse und die Industriellenvereinigung zählen kann.
Dagegen brauchen wir eine starke Abwehrfront der Arbeiterbewegung. Ideologisch muss eine solche Abwehrfront mutig die rassistische Demagogie, die wichtigste Stütze der Regierung, als das entlarven was es ist: eine Lüge. Und dann muss mutig jede soziale Verschlechterung praktisch mit allen notwendigen Mitteln bekämpft werden – inklusive durch Streiks.
Keinen Grund also, die Trillerpfeifen und Demokapperl wieder einzupacken. Tausende, die sich am 30. Juni aktivierten, fühlten ein befreiendes Gefühl der Stärke und Initiative weiter zu machen, einen entscheidenden Kampf gegen die Regierungspolitik zu führen. Doch nicht der Sommer an sich, sondern insbesondere die Unentschlossenheit der Gewerkschaftsführungen ließ in den vergangen Wochen den Kampfeswillen kurzzeitig abkühlen. ÖGB Präsident Katzian und AK-Präsidentin Anderl gaben sich dafür her, sich Ende August bei einer einstündigen Propagandaveranstaltung der Bundesregierung vorführen zu lassen. Der ÖGB kommentierte das „Sozialpartnerschaftsgespräch“ zur Gesundheitsreform so: „Unsere Proteste und Mobilisierung zeigen Wirkung. Regierung setzt sich erstmals mit allen Sozialpartnern an einen Tisch.“
Demgegenüber zitiert die Nachrichtenagentur den Bundeskanzler: „Die Umsetzung (aller eingangs genannter Kürzungsprojekte, Anm. d. Red.) kann und soll jetzt Realität werden. Bundeskanzler Sebastian Kurz will die Sozialpartner zwar einbinden, sich von ihnen aber nicht bremsen lassen.“ Und wir haben nicht vergessen, dass FPÖ Rechtsaußen Johann Gudenus, seines Zeichens Klubobmann der FPÖ, frank und frei erklärte, dass ein wesentlicher Teil der Arbeitszeitflexibilisierung die Entmachtung der Betriebsräte sei.
Die Desorganisierung des Abwehrkampfes durch die Spitzen der Arbeiterbewegung – wider besseres Wissen – entspringt der Sozialpartnerschaftsorientierung der Gewerkschaftsspitzen. Der 12-Stundentag ist von ihnen de facto akzeptiert, jetzt soll in der kommenden Herbstlohnrunde der „Gegenverkehr“ auf den Weg gebracht werden. Mit hohen Lohnforderungen soll der Kampfeswille der KollegInnen entfacht werden und das Recht auf selbstbestimmte Freizeitblöcke durchgesetzt werden. Die brachenübergreifende Konferenz der Kollektivvertrags-Verhandler vom 18.9. und das zeitliche Zusammenlegen von Metaller- und Eisenbahner-KV-Verhandlungen haben das Potential, die Abwehrfront neu zu schließen und die Unternehmer und ihre Regierung gehörig ins Schwitzen zu bringen. Denn die wirtschaftlichen Vorraussetzungen sind gut für betriebliche Kämpfe – wenn die Wirtschaft brummt, tut es besonders weh wenn die Maschinen stillstehen!
Daher ist ein heißer Herbst in den Betrieben angelegt. Doch so ein Kampf muss mit offenem Visier geführt werden. Das tabuisierte S-Wort (nicht jenes mit den Blumen und Bienen, sondern jenes mit den stillstehenden Maschinen und Rädern) muss nicht nur ausgesprochen, sondern praktisch organisiert werden. Auf den Betriebsrätekonferenzen und Betriebsversammlungen muss eine offene Debatte über die Methoden und Ziele unseres Kampfs geführt werden. ArbeiterInnen sind keine Verschubmasse für Sozialpartnerverhandlungen mit Unternehmern und Regierung. Diese eingelebte Praxis der vergangen Jahre und Jahrzehnte führte zu Passivität, Zynismus und großer Skepsis gegenüber der Kraft der Solidarität. Dies macht uns schwach und angreifbar.
Daher muss ein Kampf von Anfang an mit dem Ziel geführt werden, die einzelnen Sparten und Betriebe miteinander zu verknüpfen, um so die Kraft der Gesamtbewegung zu multiplizieren. Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will! Eine Lösung der Probleme gibt es nur, wenn die Arbeiterbewegung, ausgehend von betrieblichen Kämpfen, den Bürgerblock bricht und seine Regierung stürzt. Ein aktiver Generalstreik, getragen von der Initiative aller Beschäftigter, die Mutigen zuerst, muss vorbereitet werden. Der Sturz der Regierung der Industriellen ist möglich, legitim und richtig. Unterstütz uns in der Verbreitung dieser Idee!
Wien, am 29.08.2018