Nach dem Ende des Referendums in der Türkei fand in den österreichischen Massenmedien eine regelrechte Kampagne rund um das Wahlergebnis statt. Ein Kommentar der Funke-Redaktion.
Es wurde viel lamentiert über die 73% für das Ja, die ein schlechtes Zeichen für die „Integrationswilligkeit“ seien. Lassen wir doch das Geschrei für einen Moment beiseite und sehen uns die tatsächlichen Fakten an. Laut Integrationsfonds lebten 2015 rund 273.000 Menschen in Österreich, die selbst, oder deren beide Eltern, in der Türkei geboren wurden. Von ihnen stimmten 38.250 im Referendum für Erdogans Gesetzesvorlage. Selbst wenn man Kinder und Jugendliche herausrechnet, haben also nichteinmal 20% der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Österreich mit „Ja“ in Erdoğans Referendum gestimmt.
Die Gründe für das trotzdem hohe prozentuelle Ergebnis des „Ja“ sind vielfältig: Nur etwa 108.000 Menschen besitzen in Österreich auch tatsächlich die türkische Staatsbürgerschaft – tendenziell haben wohl eher türkisch-nationalistisch eingestellte Männer und Frauen sie behalten. Selbst wer wahlberechtigt war, konnte nicht „frei“ seine Meinung kundtun. Abstimmungen waren nur in Wien, Salzburg und Wolfurt/Vorarlberg möglich. Um bei diesen teilweise stundenlangen Anfahrten viele UnterstützerInnen zu mobilisieren, wurden für „Ja“-AnhängerInnen Busse und Autos organisiert. GegnerInnen Erdoğans wurden hingegen so eingeschüchtert, dass viele bei einer „Nein“-Stimme Repressionen für sich selbst oder Verwandte in der Türkei befürchteten. So stimmten Viele mit den Füßen ab und blieben daheim. Die künstlich aufgeheizte Stimmung vor dem Referendum tat ihr Übriges, als auch in Österreich antitürkische Ressentiments geschürt wurden und Erdoğan kalkulierte, dass ihm dies Stimmen zutreiben würde.
Von einem repräsentativen Wahlergebnis kann also beim besten Willen nicht gesprochen werden. Das Geschrei in den Medien ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Fortsetzung der allgemeinen rassistischen Stimmungsmache: „Terror“, „Integrations-“ und „Islamdebatte“ im selben Satz; Nationalität als wichtigstes Merkmal bei Berichten über Straftaten in der Gratiszeitung; und immer wieder: Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge. All das ist auf ein klares Ziel gerichtet: Lieber soll sich ein Arbeiter über seinen türkisch sprechenden Kollegen oder über eine Frau mit Kopftuch aufregen, als über schlechte Arbeitsbedingungen, Bankenrettungen und die Einsparungen in Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich. Den Nährboden für den österreichischen Nationalismus bereitet das Kapital, das in Zeiten der „notwendigen Einschnitte“ seine Interessen – koste es was es wolle – durch Spaltung und Hetze verteidigt. Der Nährboden für den türkischen Nationalismus und Unterstützung von Erdoğan hierzulande ist wiederum durch den österreichischen Nationalismus bereitet. Deswegen muss es heißen: Vor der eigenen Haustüre kehren und mit internationalistischer, revolutionärer und sozialistischer Politik die Unterdrückten aller Nationen einigen!