Im Zuge der breiten Diskussion um die Rot-Blaue Regierung im Burgenland wurde unser Redakteur Emanuel Tomaselli von der Jungen Welt befragt.
Zum veröffentlichten Interview der Jungen Welt: http://www.jungewelt.de/2015/06-25/050.php
Hier die ungekürzte Fassung des Interviews:
Hat die SPÖ im Burgenland durch ihre Koalition mit der FPÖ eine rote Linie überschritten und die rechtspopulistische Partei endgültig salonfähig gemacht?
Ja absolut. Es ist dadurch zwar gelungen, den Posten des Landeshauptmanns (d.h. des Ministerpräsidenten; jW) zu behalten, aber nur zum Preis, dass die FPÖ jetzt bundesweit „regierungsfähig“ ist. Die Konservativen von der ÖVP reiben sich die Hände, da ausgerechnet eine kurzsichtige und am sinnentleerten Machterhalt orientierte SP ihr neue strategische Möglichkeiten eröffnet. Jetzt wird massiv Druck gemacht, nicht nur ständig zu kürzen, sondern auch „Strukturreformen“ umzusetzen. Renten, Gesundheit und Pflege stehen dabei im Visier. Die Industriellen wollen die Zerschlagung der Flächentarifverträge und ein österreichisches Hartz IV. Die Zeit der Rücksichtnahme ist vorbei. Mal schauen, wie lange die Sozialdemokratie noch durchhält.
Wie groß ist der Widerstand gegen dieses Bündnis innerhalb der Sozialdemokraten und kann man mit einer Linksabspaltung rechnen?
Der Schock ist gewaltig. Es wird kolportiert, dass 1500 Parteimitglieder unmittelbar ausgetreten sind. Eine Linksabspaltung ist jedoch kurzfristig nicht absehbar. Die Bildung einer linken Fraktion wird jedoch von Seiten relevanter Kräfte, wie dem bekannten Traiskirchener Bürgermeister Andi Babler, der Sozialistischen Jugend und Anderen, vorangetrieben. Der Herbst bringt mit den Wahlen in Wien und Oberösterreich neue Erschütterungen, die die Burgenland-Effekte noch in den Schatten stellen werden.
Wie verhalten sich die Gewerkschaften?
Die Spitzenfunktionäre wollen an der „Macht“ beteiligt sein, weil die Spielräume für Kompromisse immer enger werden. Sie denken und handeln dabei bereits genauso kurzsichtig wie SPÖ-Apparatschiks. Die Sozialpartnerschaft ist inhaltlich bereits tot. Sie versuchen jedoch, sie um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Das höhlt ihre betriebliche Basis aus und schwächt ihre Widerstandskraft, was wiederum die politische Orientierung des Apparates stärkt. Betriebsräte stehen voll unter Druck: Auslagerungen, Angriffe auf Löhne, Entlassungen und Standortschließungen sind an der Tagesordnung, doch es gibt keine kollektive Gegenwehr. Anstatt sie zu organisieren, greifen Top-Gewerkschafter nach politischen Strohhalmen und nicht Wenige sehen in der Hinwendung zu den Blauen eine Option.
Wie sind die Wahlerfolge von Heinz-Christian Straches Partei zu erklären? Wie ist ihre Wählerschaft zusammengesetzt? Überwiegt das Kleinbürgertum oder gibt es größere Anteile enttäuschter Arbeiter?
Die FPÖ schafft es, in allen Teilen der Gesellschaft zu fischen, sowohl auf dem Land als auch in den Industriezentren, wobei dort die Wahlenthaltung höher ist. Ich kann in meinem eigenen Umfeld beobachten, dass viele junge Arbeiter, die in den vergangenen Tarifrunden für radikale Streikmaßnahmen waren, heute Straches Parolen verbreiten. Dabei hat diese Bonzenpartei mit dem Hypo-Alpe-Adria-Bank-Skandal die größte einzelne Vernichtung von Reichtum und Umverteilung der österreichischen Geschichte zu verantworten. 20 Milliarden Euro Steuergelder werden hier gescheiterten Gläubigern und Investoren nachgeworfen. Trotzdem gelingt es ihr, sich als Kämpferin gegen das Establishment darzustellen.
Wie braun oder wie weich gewaschen sind die „Blauen“?
Der Parteiapparat ist fest in der Hand von schlagenden Burschenschaftern, die ein rechtsradikales Männernetzwerk bilden. Die Strategie der vergangenen Jahre war, möglichst wenig politische Positionen zu beziehen. Die Große Koalition aus SPÖ und ÖVP im Bund treibt ihr die Wähler gratis zu. Schlagworte sind dabei: Ausländer, Griechenland und Privilegienritter. Jetzt werden diese Schmuddelkinder salonfähig gemacht. Das ist so ähnlich wie beim Front National in Frankreich. Wenn die Sozialdemokratie die Krisenbewältigung im Sinne des Kapitals – trotz ihrer Bereitschaft zur Selbstaufopferung – nicht mehr hinbekommt, dann darf eine kreidefressende Rechte an die Macht.
Wie kann die FPÖ erfolgreich bekämpft werden?
Es ist gut und richtig, dass die Linke der FPÖ bei ihren Kundgebungen durch Gegenmobilisierungen geschlossen entgegentritt. Doch soziale Grundlage des Vordringens der Blauen in die Arbeiterviertel ist das Gefühl von Schutzlosigkeit angesichts der ständigen, schleichenden Verschlechterungen von Lebensperspektiven. Da das Lebensniveau kampflos und unter Beteiligung der Führungen der Arbeiterbewegung gedrückt wird, herrscht große Ohnmacht und Zorn. Das kann die FPÖ in Wählerstimmen ummünzen. Solange der nationale Schulterschluss zwischen Gewerkschaften, SPÖ, Industriellen und ÖVP anhält, wird das so weitergehen.
Wie steht es um die österreichische Linke? Die KPÖ in der Steiermark scheint auch ein bißchen an Zuspruch verloren zu haben. Und wie sieht es im Rest der Republik aus?
Die KPÖ Steiermark hat sich dem Trend zur Selbstauflösung in der kommunistischen Bewegung nach 1989 entgegengestellt und in diesem Punkt Recht behalten. Im letzten Landtagswahlkampf hat sie sich jedoch falsch orientiert, indem sie sich als helfende anstatt als als zornige Partei präsentierte.
Die Mehrheit der linken Akteure bundesweit, auch die radikale Linke, strebt grundsätzlich nach Aktionseinheit, findet aber aufgrund des Fehlens verallgemeinerter sozialer Kämpfe noch keinen festen Ansatzpunkt. Deshalb haben wir die Idee einer Konferenz der Linken lanciert, um den Dammbruch nach rechts zu stoppen, indem der soziale Widerstand konkret von links organisiert wird. Für den Moment ist diese Idee in den organisierten linken Zusammenhängen und der Arbeiterbewegung noch eine Minderheitsposition. Sie ist aber nicht vom Tisch. Ansatzpunkte dafür gbt es und perspektivisch werden sich im Herbst die Risse und Konflikte vertiefen.
Es gibt keinen Grund zum Pessimismus. Mit der alten politischen Stabilität ist es vorbei. Das SPÖ/FPÖ-Bündnis bedeutet einen wichtigen Bruch und die kommenden Wahlen und Unternehmerattacken werden daraus breite Gräben machen. Das alte Modell des Klassenkompromisses ist morsch geworden. Dadurch eröffnet sich der Weg für Neues. In Deutschland war es ein jahrelanger Prozess, bis der Widerstand gegen Gerhard Schröders Politik in der Bildung der Linkspartei mündete. Das so eine Linke auch hier gebraucht wird, hört man heute in Österreich an jeder Ecke.