Der ÖVP-Nachwuchsstar Sebastian Kurz zieht derzeit mit einem rechtslastigen Volks-Rock n’ Roller durch die Lande und will uns mit seiner „stolz drauf“-Kampagne Sand in die Augen streuen. Doch es gibt keinen Grund für einen nationalen Schulterschluss.
Es braucht nicht allzu großen Weitblick, um erkennen zu können, dass unter den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen die hergebrachte soziale und politische Ordnung brüchig wird. Die Beziehungen zwischen den Klassen verlieren an Stabilität. Dies obwohl sich die politische Elite des Landes geschlossen um den nationalen Schulterschluss bemüht.
Nation und Religion sind plötzlich wieder heiß umkämpfte Fragen. Wo die Herausbildung von Klassenbewusstsein durch die „Wir sitzen alle im selben Boot“-Ideologie der SPÖ- und ÖGB-Spitze ständig behindert wird, feiern bürgerliche Ideologien auch in der Arbeiterschaft Urständ. Die Sehnsucht nach gesellschaftlichem Halt ist allseits spürbar. Angeboten wird dieser Halt in einer Weltanschauung, die vorgibt jenes goldene Zeitalter zu verkörpern, in dem alle Menschen noch heimat- und naturverbunden gelebt haben sollen. Gabalier verkörpert dieses Gefühl wie kein anderer. Der Boom des Trachtenlooks oder die Publikumspräferenzen bei der „Großen Chance“ für die natürliche Bergbäuerin und die harfenspielenden Tiroler Mädl in Lederhosen sind andere kulturelle Phänomene, die das zum Ausdruck bringen.
Das ist das Österreich, auf das wir laut Kurz stolz sein sollen. Und wenn erst alle AusländerInnen Dirndl, Lederhose und das Team-Dress tragen, die „österreichische Kultur“ also zu ihrer gemacht haben, dann wird alles gut. Die ÖsterreicherInnen müssten nur die Offenheit zeigen, die Zugereisten an dieser reichhaltigen Kultur teilhaben zu lassen und vielleicht durch ein wenig multikulturellen Pepp zu bereichern.
Aber in alter Tradition der christlichen Leitkultur lautet auch das Motto von Kurz „Willst du nicht mein Bruder sein, hau ich dir den Schädel ein“. Das neue Islamgesetz (das laut Kurz einen „Islam österreichsicher Prägung“ anstrebt), die Änderungen beim Passgesetz und die neue Blockwartfunktion des Bildungs- und Sozialpersonals gegenüber Minderjährigen, die in der Schule oder im Jugendzentrum jihadistische Sympathien an den Tag legen, bilden die zweite Leitplanke der Einladung zur Integration.
ArbeiterInnen und Jugendliche „mit Migrationshintergrund“ erfahren von klein auf, was Diskriminierung in rot-weiß-rot bedeutet. Sie gehören zu den ausgebeutetsten Teilen der Arbeiterschaft und erfahren eine besondere Unterdrückung und Ablehnung allein aufgrund ihrer nationalen Herkunft, ihrer fremden Muttersprache, ihrer Hautfarbe. Sie wohnen in überteuerten Mietskasernen, machen die härtesten Jobs und verdienen trotzdem wenig. Die sozialen Selektionsmechanismen im Bildungssystem treffen sie besonders hart. Wer als AsylwerberIn nach Österreich kommt, ist jahrelang der Willkür des Staates ausgeliefert. Legale Beschäftigungsmöglichkeiten gibt’s nur im landwirtschaftlichen Tagelöhnertum und in der Prostitution. Die Berichte über die Zustände in den Flüchtlingsheimen spotten jedem Bekenntnis zu den Menschenrechten Hohn. Wenn dieser Tage 25 Jahre Kinderrechte gefeiert werden, dann darf man nicht vergessen, dass minderjährige AsylwerberInnen dezidiert von diesen ausgenommen sind.
Die „Zusammen Österreich“-Rhetorik von Kurz ist mehr als ein Marketing-Gag. In den Ministerien und Magistraten wird die gesellschaftliche Sprengkraft von Armut, sozialer Exklusion, massenhaftem Bildungsversagen etc. gefürchtet. Seit jeher randständig stechen MigrantInnen in den sozialen Problem-Statistiken als wahrnehmbare Gruppe und damit als greifbares Polit-Objekt heraus. In den Kindergärten und Schulen fehlt es hinten und vorne an den notwendigen Ressourcen, und so wird ererbte Randständigkeit in öffentlichen Institutionen vertieft und in Lebenskonzepte gegossen. Da können Ausnahmekönner wie David Alaba und Multi-Millionär Attila Dogan noch so oft an den Schulen der Arbeiterbezirke „Mut zu Integration“ machen, die vorgefunden Bedingungen in diesen Grätzeln wirken für Kinder und Jugendliche jedwelcher nationaler Herkunft genau anders herum.
Die Arbeiterbewegung hat ein vitales Interesse die Gräben zwischen den unterschiedlichen Schichten unserer Klasse zu überwinden. Dazu gehört, dass wir bei aller Freude über Österreichs schöne Berge, Seen und das Kulturerbe nicht auf die „stolz drauf“-Propaganda von Kurz und Gabalier hereinfallen. Die Arbeiterbewegung muss jene Zustände zum Thema machen, auf die man nicht stolz sein kann: In Österreich sind 1,2 Millionen Menschen armutsgefährdet. 229.000 Menschen können ihre Wohnung nicht angemessen heizen. Die stetig steigenden Preise für Mieten machen menschenwürdiges Wohnen immer mehr zum Luxusgut. Die Arbeitslosigkeit liegt seit Monaten auf einem Rekordwert. 390.000 Menschen sind derzeit arbeitssuchend. Unternehmen erpressen auf betrieblicher Ebene von den ArbeiterInnen Lohnverzicht und Kürzungsprogramme. Die Reallöhne stagnieren seit rund zwei Jahrzehnten. Kollektivvertragliche Lohnerhöhungen werden von der Lohnsteuer mehr als weggefressen, damit der Staat seine Politik im Dienste des Finanzkapitals finanzieren kann. Noch ist die Hypo nicht abbezahlt, schon steht die nächste Pleitebank (Volksbanken) vor der Tür des Finanzministeriums, wo der Aufsichtsratschef der Pleitebank den Minister macht. Und jetzt wurde bekannt, dass die Republik in einer Geheimaktion mit 4 Milliarden für das Engagement von Raiffeisen und Unicredit in der Ukraine und Russland haftet.
Diese Zustände werden durch die Politik des nationalen Schulterschlusses als alternativlos hingenommen. Alles läuft darauf hinaus, dass die Bedürfnisse der Lohnabhängigen und der Jugend in allen Bereichen den Profitinteressen der KapitalistInnen untergeordnet werden.
Wenn es in diesem Land aber etwas gibt, auf das man stolz sein kann, dann ist es das Produkt der Arbeit von Millionen Lohnabhängigen, dann sind es die sozialen, politischen und kulturellen Errungenschaften der Arbeiterbewegung, dann sind es die wissenschaftlichen und künstlerischen Leistungen von Menschen, die in ihrer überwältigenden Mehrheit in einem Naheverhältnis zur Arbeiterbewegung standen.
Im Kampf um ein lebenswertes Leben für alle Lohnabhängigen gilt es die Einheit der Arbeiterklasse herzustellen, die es braucht, um dieses inhumane System zu beseitigen.
Wien, 19. November 2014
Weitere Themen der neuen Ausgabe:
- Alles Tango korrupti
- Offensive gegen Rechts in der Steiermark
- Was wird aus der ÖIAG?
- Daniela Holzinger: Was heißt hier „wettbewerbsfähig“?
- Sackgasse Standortlogik?
- Metaller-KV
- Umdasch: Geld oder Leben
- Gesundheit: Operation Menschlichkeit
- Energiesektor: Es ist nicht alles Gold, was glänzt
- Schwerpunkt: Islamismus und Imperialismus
- Pakistan: Im Visier der Islamisten
- Wegen Solidarität hinter Gittern
- Spenden für Kobane!
- Hypotopia
- Die Grenzen der Gewaltlosigkeit
- Filmkritik: Risse im Beton
- Spanien: Die Straße erobern, die Macht ergreifen
- Deutschland: Wie weiter nach dem GDL-Streik?
- Mexiko: Aufstand gegen den Drogenkapitalismus
- Italien: Der Klassenkampf ist zurück
Die neue Ausgabe kann zum Preis von 2 Euro (+ Porto) bei der Redaktion bestellt werden, oder auch ein Abo abgeschlossen werden (10 Ausgaben zu 25 Euro): redaktion@derfunke.at oder zur Abo-Bestellung