Die Gewerkschaften fordern eine Lohnsteuerreform, damit den Lohnabhängigen „mehr Netto vom Brutto bleibt“. Kann sich die Arbeiterbewegung endlich aus der tödlichen Umklammerung durch die ÖVP befreien? Eine Analyse der Redaktion.
In Erwägung der Tatsache, dass seit 20 Jahren die Reallöhne stagnieren und diese in den letzten drei Jahren sogar gesunken sind, in Erwägung, dass immer mehr Menschen nicht mehr über die Runden kommen, obwohl sie eine Arbeit haben, ist diese Forderung absolut gerecht. Noch dazu, wo am anderen Ende der Gesellschaft der Reichtum explodiert. Alleine das Vermögen der 33 heimischen Milliardäre summiert sich auf rund 119 Milliarden Euro – ein Zuwachs von fast 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die größten Vermögenszuwächse stammen von Geschäften auf den boomenden Aktien- und Immobilienmärkten. Und unter dem Druck der Kapitaleigentümer, die maximale Rendite erwarten, wird in den Betrieben aus den Belegschaften so viel wie nur möglich herausgepresst.
Angesichts dieser Entwicklung kann man nicht umhin, an Bert Brecht zu denken: „Armer Mann trifft reichen Mann und sehn sich an. Da sprach der Arme zum Reichen: ‚Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich!‘“
Und die Reichen haben hierzulande nicht wenige Schutzpatrone, allen voran Finanzminister Spindelegger und seine ÖVP. An seiner Seite wusste dieser seit den Nationalratswahlen Werner Faymann, der ihm blind durch alle Budgetlöcher folgte, damit er nur den Regierungschef mimen darf. Der rote Kanzler scheint wie von einem schwarzen Dibbuk besessen zu sein, der durch seinen Mund spricht. Die damit verbundene politische Selbstaufgabe mag manche an die Geisteskrankheit erinnern, die mit solcher Besessenheit einhergeht.
In den letzten Wochen mehrten sich die Anzeichen, dass in der sozialdemokratischen Gemeinschaft die Erkenntnis gereift ist, man müsse Faymanns schwarzen Dibbuk, der ihn immer und immer wieder dazu verleitet bürgerliche Politik zu machen, austreiben. Spätestens bis zum Bundesparteitag Ende November müsse sich der Kanzler aus der Umklammerung des bösen Geistes befreit haben. Als Zeichen, ob ihm dies gelingt, gilt die Frage der Lohnsteuerreform. Und Faymann hat die Rute, die man ihm ins Fenster gestellt hat, richtig gedeutet. Plötzlich lässt er wieder Töne von Steuergerechtigkeit und der Notwendigkeit von Vermögenssteuern von sich hören.
Die Gewerkschaften und die Basis wollen aber auch Taten sehen. Doch wie will der Kanzler den Anwalt der Superreichen in der Himmelpfortgasse zu einem Kurswechsel bewegen. Spindelegger selbst will eine Lohnsteuerreform durch eine neuerliche Verschärfung des Sparkurses finanzieren. Die ÖVP erhöht abermals den Druck auf die SPÖ, und die versichert in den Medien: „Die SPÖ steht zum vereinbarten strengeren Budgetvollzug und zum Konsolidierungspfad“ (sic!). Spindi will zuerst das von der Regierung beschlossene Ziel eines Nulldefizits bis 2016 schaffen, bevor man an eine Steuerreform denken könne. Gleichzeitig machen die Bürgerlichen gegen die Forderung einer Vermögenssteuer mobil. Zwar bestätigen alle wissenschaftlichen Studien – von der AK über die Nationalbank bis zur EZB – unisono die eklatante Ungleichverteilung bei den Vermögen. Doch selbst die kosmetischen Vermögenssteuermodelle von SPÖ und ÖGB sind für die Bürgerlichen eine absolute Provokation. Da wird von der Bedrohung der Familienbetriebe gewarnt und einer Gefährdung des Standorts. Wenn man noch in Betracht zieht, dass seit Monaten ein Konzern nach dem anderen mit Abwanderung droht, dann sieht man, dass man mit gut gemeinten Worten und wissenschaftlichem Datenmaterial à la Piketty allein keine Umkehr in der Steuer- und Wirtschaftspolitik herbeiführen wird können.
Die Regierung wird nur auf Druck reagieren. Die jetzige Unterschriftenkampagne des ÖGB ist ein Start, aber im Herbst muss mehr folgen. Ein erster Schritt wäre eine bundesweite Betriebsräte- und Personalvertreterkonferenz sowie flächendeckende Betriebsversammlungen, um der Kampagne Nachdruck zu verleihen und um weitere Maßnahmen zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu diskutieren und zu beschließen. Die Verknüpfung dieser Kampagne mit den Kollektivvertragsverhandlungen und die Forderung nach einer Nettolohnerhöhung, wie es die EisenbahnerInnen bereits machen, ist der Weg, den die gesamte Gewerkschaftsbewegung einschlagen sollte.
An diesem Konflikt kann der nationale Schulterschluss in die Brüche gehen und zu einer offenen Feldschlacht mit den Bürgerlichen führen. Faymann wird alles daran setzen, dass er eine derartige Zuspitzung umschiffen kann. Die Gewerkschaftsführung, die bisher eine wichtige Stütze zum Erhalt der Großen Koalition war, wird aber zusehends in eine Position getrieben, wo sie auf Konfrontation mit der ÖVP gehen muss. Faule Kompromisse sind in der österreichischen Situation immer noch angelegt. Doch die Spielräume dazu werden immer geringer, und sie erhöhen nur die zentrifugalen Kräfte in der Sozialdemokratie.
Die nächsten Monate werden geprägt sein von dem Versuch, den Dibbuk aus der Löwelstraße zu vertreiben. Nur so nebenbei: Im jüdischen Volksglauben wird der Dibbuk letztlich durch einen Zaddik (hebräisches Wort für „der Gerechte“) oder die Gemeinde ausgetrieben…
Doch immer mehr GenossInnen kommen zu dem Schluss, dass hier kein böser Geist am Werk ist, sondern dass in der Sozialdemokratie die handelnden Akteure ganz bewusst eine Politik bürgerlicher Krisenbewältigung machen. Deshalb ist der nächste Umfaller von Faymann & Co. vorhersehbar. Dies ist nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen der Sozialdemokratie und der ÖVP, sondern vor allem eine, die letztlich in den Reihen der Sozialdemokratie ausgetragen wird. In diesem Konflikt kann sich in den kommenden Monaten eine neue linke Alternative zur bürgerlichen Politik der SPÖ-Spitze herausbilden.
Weitere Themen der neuen Ausgabe:
- Hypo-Sondergesetz
- Landtagswahlen in Vorarlberg
- Schwechat: SJ verhindert Schließung der Überbetrieblichen Lehrwerkstätte
- Innsbruck: Debatte über das Alkoholverbot
- Vorarlberg: Antifa und Antirepression
- Sozial- und Gesundheitsbereich: Suche nach neuen Antidepressiva
- Eisenbahn-KV: Betriebsratskonferenz fordert 3% netto
- Schwerpunkt zu 100 Jahre Erster Weltkrieg:
- Die große Ohnmacht – das Scheitern der Sozialdemokratie
- Die dritte Front – Erinnerungen von Willi Münzenberg (Sozialistische Jugendinternationale)
- Karl Kraus und der Erste Weltkrieg: Wortbarrikaden gegen die Banalität
- Im Tal der Leichen – Reportage von John Reed von der Balkanfront
- Theaterkritik: Erbbiologisch und sozial minderwertig
- 80. Jahrestag der Ermordung des jungen Sozialisten Josef Gerl
- Was tun? – Perspektiven linker (Re-)Organisierung
- Podemos – Perspektiven der Linken in Spanien
- Ukraine: Nazis überfallen Gewerkschaftskongress
- Irak: Auftrag ausgeführt?
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