In den Morgenstunden des 1. März hat die Polizei in Kopenhagen das selbstverwaltete Jugendhaus „Ungdomshuset“ geräumt – ein Haus, das über Jahre von linken und autonomen AktivistInnen besetzt war. Tausende junger Leute waren auf die Straße gegangen um dagegen zu protestieren. Es folgten gewalttätige Auseinandersetzungen. Unsere dänische Schwesterströmung Socialistisk Standpunkt berichtet.
In den letzten Monaten gab es eine breite Debatte in Kopenhagen und ganz Dänemark über das Jugendzentrum, ein Gebäude, das für viele Jahre von einer autonomen Jugendbewegung in Nørrebro, einem Stadtteil von Kopenhagen, besetzt war. Diese mediale Aufmerksamkeit wurde noch verstärkt durch die Besetzung eines anderen Hauses in Kopenhagen, der Villa-villakula und die Vertreibung der BesetzerInnen durch die Polizei Ende Januar.
Das Jugendzentrum – welches nebenbei bemerkt tatsächlich ein historisches Gebäude ist, in dem der Kongress der Zweiten Internationale stattfand und sowohl Lenin als auch Rosa Luxemburg auftraten – ist von der Räumung bedroht. Die Medien haben begonnen, über die Frage des Privateigentums, die Verantwortung der Politiker und über kulturelle Jugendaktivitäten zu diskutieren. Zusätzlich gibt es eine Debatte in der dänischen Linken, welche Methoden und welche Strategie angewendet werden sollte, um die Gesellschaft zu verändern.
Die bürgerliche Politik ist verantwortlich
Zunächst ist es notwendig, die Hintergründe des Konflikts zu verstehen. In vielen bürgerlichen Zeitungen kann man Kommentare und Kolumnen lesen, die ohne Grund die gesamte Schuld auf die Jugend abwälzen und sie als gewalttätige Kriminelle darstellen.
Das Problem ist, dass der Konflikt um das Jugendzentrum seine Wurzeln in der Frustration großer Teile der Jugendlichen mit der gegenwärtigen politischen Linie hat, die in Dänemark durchgesetzt wird,. Während Anders Fogh Rasmussen (der dänische Ministerpräsident) Bush’s Krieg im Irak unterstützt, wird der Sozialstaat abgebaut sowie Schulen und Krankenhäuser geschlossen. Die Arbeitsmarktsituation und die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich zusehends; viele junge Menschen müssen unter unsicheren Verhältnissen arbeiten, viele ohne Arbeitsvertrag und ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Gleichzeitig gibt es keine angemessenen sozialen oder kulturellen Möglichkeiten für junge Menschen. In den meisten Städten und Regionen müssen sich Jugendliche mit Bars, Cafés und Diskotheken mit sehr hohen Preisen zufrieden geben. Die Politik, die hier ausgeführt wird, ist in anderen Worten die einer bürgerlichen Klassenpolitik, die den Unternehmern in diesem Wirtschaftszweig nutzt. Der Kampf um das Jugendzentrum und für noch mehr Jugendzentren muss deshalb in diesem Zusammenhang gesehen werden. Es ist ein Versuch von Teilen der Jugend, diese bürgerliche Politik herauszufordern und Alternativen zu finden, die Platz für soziale und kulturell orientierte Jugendzentren schaffen.
Das Gebäude Jagtvej 69
In diesem Zusammenhang sehen wir die Auseinandersetzung um das Gebäude Jagtvej 69, das seit 1982 als Jugendhaus mit Konzerten, einer Volksküche, kulturellen Aktivitäten usw. bekannt wurde. Von Beginn an hat der Stadtrat von Kopenhagen den jungen Menschen versprochen, dass sie dieses Gebäude als Jugendhaus nutzen können. Im Jahr 2000 hat der Stadtrat plötzlich seine Meinung geändert und das Haus wurde an eine kleine christliche Sekte verkauft. Seither besteht die Sekte darauf, dass ihr das Gebäude gehört.
Die bürgerlichen Politiker im Stadtrat von Kopenhagen, aber auch in der Regierung, haben den Jugendlichen kein alternatives Gebäude angeboten. Ritt Bjerregård (Bürgermeisterin von Kopenhagen) nahm eine sehr schwankende Haltung ein: auf der einen Seite hat sie sich dafür entschuldigt, das Argument des „Rechts auf Privateigentum“ in die Debatte eingebracht zu haben, auf der anderen Seite hat sie an die Vernunft appelliert und zum Dialog aufgefordert.
Fakt ist jedenfalls, dass der Stadtrat den Jugendlichen versprochen hatte, dass sie dieses Haus nutzen können. Diese Entscheidung wurde zurückgenommen. Die anderen Entschuldigungen sind hohl. Es ist zum Beispiel unglaublich, dass die Politiker kein adäquates Jugendzentrum für die Kopenhagener Jugend finden können. Die Regierung war schließlich sehr schnell in der Lage, Milliarden von Kronen für eine neue Oper bereit zustellen. Außerdem wird auch nicht gezögert, Gesetze zugunsten des größten dänischen Konzerns A.P. Møller zu beschließen, wenn es um neue Bauvorhaben geht. Dies zeigt, dass die Regierung eine klare Klassenpolitik betreibt.
Das Argument des „heiligen“ Rechts auf Privateigentum ist genauso falsch. Jedes Mal, wenn der Staat große Projekte vorantreiben möchte, z. B. neue Schienenwege, Autobahnen oder Brücken, dann kann die Regierung ganz einfach Häuser und Grundstücke, die dem Bau im Wege stehen, enteignen. Normalerweise gibt es eine Entschädigung, so dass sich die Eigentümer wieder eine vergleichbare Immobilie kaufen können.
Warum geht dies nicht im Falle des Jugendzentrums in Kopenhagen? Faderhuset ist eine kleine religiöse Sekte und könnte auf ein anderes Gebäude in Kopenhagen ausweichen. Der einzige Grund, warum sie so beharrlich auf dem Gebäude bestehen, ist, dass sie noch nie zuvor so eine mediale Präsenz hatten.
Anarchistische Methoden
MarxistInnen sind keineswegs neutral in diesem Kampf. Wir gehen davon aus, dass die Hauptverantwortung dieses Konflikts bei den Fürsprechern der bürgerlichen Politik und dem kapitalistischen System als Ganzem liegen. Wir kämpfen gegen die Lügen der Bürgerlichen und ihre böswillige Attacke auf das Jugendzentrum. Wir denken auch, dass die Forderung nach mehr Jugendzentren wichtiger Bestandteil eines revolutionären Kampfes sein sollte.
Aber gleichzeitig denken wir, dass viele der Methoden, die einige junge Autonome in diesem Kampf verwendet haben, falsch sind und dass ihre Strategie völlig kontraproduktiv ist.
Unter vielen autonomen AktivistInnen gibt es die Idee, dass der Kampf für Jugendzentren unabhängig von einem weitreichenderen politischen und gewerkschaftlichen Kampf geführt werden kann. Sie sehen die Besetzung leerstehender Gebäude als Selbstzweck. Natürlich kann die Besetzung einiger Häuser die Medienaufmerksamkeit auf die Bewegung lenken, aber Besetzungen für sich genommen lösen gar nichts. Sie können den Kampf nicht allein entscheiden, wenn sie nicht Teil des grundlegenderen Kampfes für die Veränderung der Gesellschaft sind.
So wichtig die Erkämpfung von gesellschaftlichen Freiräumen auch ist, so wenig können wir uns von den real existierende Auseinandersetzungen zwischen den Klassen heraushalten. Wir leben in dieser Klassengesellschaft. Wir leben in keinem gesellschaftlichen Vakuum und können uns nicht zurückziehen oder nur aus der Ferne die gesellschaftlichen Entwicklungen betrachten.
Wer sich in seiner kleinen Welt verstecken willt, weit weg von der Politik, der kann versuchen, alle Fenster zu schließen, ein großes Schloss vor die Tür bauen und sich unter dem Bett zu verstecken. Aber eines Tages wird die Politik kommen und an die Tür klopfen – und wer ihr nicht aufmacht, dem tritt sie die Tür ein!
Genau das ist mit dem Jugendzentrum Christiania und anderen Zentren passiert, die sich solch einen Schutzraum aufgebaut haben. Wer in einer kapitalistischen Gesellschaft lebt, ist zwangsläufig und automatisch ihren Mechanismen unterworfen. Und die Moral und die kulturellen Normen, die in dieser Gesellschaft vorherrschen, werden immer diejenigen beeinflussen, die in ihr leben.
Alle Erfahrungen zeigen, dass es unmöglich ist, in der kapitalistischen Gesellschaft eine sozialistische Insel aufzubauen. Wenn der Kampf nicht als allgemeiner Kampf gegen den Kapitalismus geführt wird – und dies muss auf internationaler Ebene geschehen – dann werden all diese Projekte von vornherein zum Scheitern verurteilt sein.
Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass die konkrete Taktik einiger autonomer AktivistInnen völlig kontraproduktiv ist. Am 16. Dezember zum Beispiel endete eine gewalttätige Demonstration mit Straßenschlachten mit der Polizei und der Zerstörung von zahlreichen Geschäften. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Polizei einen Teil der Verantwortung für diese Eskalation der Gewalt trägt und dass die Repression brutal war. Aber die Autonomen spielten den Provokationen der Polizei direkt in die Hände. Diese Vorfälle haben der Sache des Jugendzentrums in den Augen vieler gewöhnlicher Menschen ernsthaften Schaden zugefügt und lieferte den bürgerlichen Politikern freie Munition für noch bösartigere Attacken. Viel Sympathie, die das Jugendzentrum in weiten Teilen der Kopenhagener Bevölkerung hatte (zum Beispiel gab es wenige Wochen zuvor friedliche Demonstrationen mit 4000 und 5000 Teilnehmern), wurden mit diesen Ausbrüchen des individuellen Kampfes und der Gewalt zerstört.
Wie der Kampf gewonnen werden kann
Diesen Kampf zu gewinnen ist nur möglich, wenn er zum Bestandteil des Klassenkampfs wird. Das ist eine Klassenfrage und kann nicht vom Klassenkampf und den traditionellen Methoden und Organisationen der Arbeiterklasse getrennt werden. Jeder Versuch, den Kampf auf das isolierte Besetzen von Häusern oder Straßen, oder den Kampf mit der Polizei zu reduzieren, wird unweigerlich scheitern.
Die Forderung für mehr Jugendzentren muss in den drei Arbeiterparteien (Sozialdemokratie, Sozialistische Volkspartei und die Einheitsliste) sowie in der gesamten Gewerkschaftsbewegung, der Rentnerbewegung, der Erwerbslosenbewegung etc. verankert werden. Diese Organisationen haben die notwendige Stärke und Massenunterstützung, um eine weitreichende Kampagne zur Verteidigung der Jugendrechte und Jugendzentren zu machen.
Die Verknüpfung einer solchen Kampagne mit dem Aufruf zu großen Protesten gegen die Politik der Regierung könnte eine ernst zu nehmende Kraft gegen die bürgerlichen Politiker schaffen Dabei würde Anders Fogh Rasmussen seine Glaubwürdigkeit in der dänischen Bevölkerung zunehmend verlieren.
So wäre es nicht nur möglich, den Kampf um die Jugendzentren als wichtige Reform und Errungenschaft für die Bewegung zu gewinnen und den Kampf gegen Rasmussen und seine Rechtsregierung sowie den Kampf für den Sturz des kapitalistischen Systems in Dänemark und international voranzutreiben.