Hinter dem Volksbegehren „MeinOE – Demokratie jetzt!“ steht die Absicht, dem politischen System genug moralische Authorität wiederzugeben, um Reformen gegen die Lohnabhängigen durchsetzen zu können.
Breiten Teilen der Bevölkerung ist durch die Korruptionsskandale der letzten Jahre bewusst geworden, dass die herrschenden Eliten das politische System als Selbstbedienungsladen begreifen und selbst das unverfrorenste und kriminellste Verhalten ungesühnt bleibt, wie das Beispiel Grasser zeigt. Das kann mittelfristig für die herrschenden Kreise gefährlich werden, und das spüren deren weitblickendere Vertreter auch selbst. Einerseits haben sie berechtigte Angst, dass, wenn nichts unternommen wird, mit der FPÖ eine schwer kontrollierbare, rechtsnationale Partei als stärkste Kraft an die Macht kommen könnte. Das würde die Sozialpartnerschaft gefährden, an der die Mehrheit der Bürgerlichen festhalten will.
Andererseits sieht das Bürgertum mit Sorge, dass die derzeitige Regierung keinen Mut hat, “unpopuläre”, d.h. gegen die Arbeiterklasse gerichtete “Strukturreformen” zu setzen. Die Begeisterung der bürgerlichen Redaktionen ob des neuen Budgets hielt sich in Grenzen. Es wird an ein paar Rädchen hier und dort gedreht, viele Überschriften, wenig Konkretes – und dabei läuft die Zeit davon. Die politischen Akteure scheinen ganz vom politischen Tagesgeschäft des Sich-Bereicherns und Vorwürfe-Abtuns aufgesogen und haben keinerlei Vision, wie es weitergehen könnte.
Hier treten nun die Volksbegehrensinitatoren auf den Plan. Es sind durchwegs Bürgerliche, die es geschafft haben, ein paar populäre Gesichter auf ihre Unterstützerliste zu bekommen. Von 38 Proponenten entstammen 16 der ÖVP, zwei dem Liberalen Forum und vier den Grünen. Hinzu kommen noch drei parteifreie, offen bürgerliche Proponenten. Acht kommen aus der SPÖ – hier bezeichnenderweise niemand aus dem Gewerkschaftsflügel. Es handelt sich allesamt um (Ex-)Berufspolitiker, die sich zuallererst dem Staat verpflichtet sehen. Fünf parteifreie Künstler und Sportler runden das Bild ab. Den Ton aber geben unverkennbar Leute wie Ex-ÖVP-Chef Busek, der Industrielle Claus Raidl oder der “rote” Wüstenrot-Versicherungschef Radleggerl an.
Das durchsichtige Ziel dieser Kampagne ist es, Österreich wieder “regierbar” zu machen, was durchaus nicht zusammenfällt mit einer “Demokratisierung”, die man sich auf die Fahnen schreibt, um mehr Unterschriften zu bekommen. Da wäre zunächst die Forderung nach einer teilweisen Einführung des Mehrheitswahlrechts. Dabei soll die Hälfte der Nationalratssitze durch ein Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, d.h. jener Kandidat eines Wahlkreises, welcher die absolute Stimmenmehrheit erringen konnte, bekommt den Sitz im Nationalrat. Das bedeutet eine Bevorzugung der Großparteien, denn diese verfügen in fast allen Wahlkreisen über eine Mehrheit. Der Gedanke hinter diesem Vorschlag ist, die Zersplitterung der österreichischen Parteienlandschaft zu vermeiden und die Regierungsbildung zu erleichtern. Durch wahltechnische Maßnahmen soll eine politische Krise in Österreich verhindert werden. Verpackt wird das freilich unter dem Slogan „Persönlichkeiten vor Parteilisten“. Formal betrachtet handelt es sich sogar um eine Einschränkung der bürgerlichen Demokratie. Um aber Grüne und Liberale nicht aus dem Boot zu werfen, hat man es bei einer halben, einer österreichischen Lösung belassen.
Weiters soll die Durchführung einer Volksabstimmung verpflichtend werden, wenn bei einem Volksbegehren mehr als 300.000 Unterstützungserklärungen gesammelt werden. Damit wäre der Wille des Volkes leichter durchzusetzen, heißt es. Doch das Ganze hat einen Haken, den die Initiatoren vorsichtshalber gleich selbst angebracht haben: „Die gesetzliche Ausgestaltung [der Volksabstimmung] obliegt dem Nationalrat.“ Das heißt, der konkrete Inhalt eines Gesetzes kann ein ganz anderer sein, als bei der Volksabstimmung vorgelegt wurde. Würde diese Regelung wirksam werden, so könnten sehr leicht Gesetze in Kraft treten, die sich gegen die Interessen der Lohnabhängigen richten, obwohl diese eine absolute Mehrheit der Bevölkerung darstellen. Die Regierung könnte sich aber in der Folge trotzdem auf die Autorität einer Volksabstimmung stützen. Außerdem dürfe diese Regelung nicht für Begehren gelten, “durch die Grund- und Freiheitsrechte oder das europäische Recht eingeschränkt werden sollen”. Im Zweifelsfall entscheide der Verfassungsgerichtshof. Mit anderen Worten: Das heilige Recht auf Eigentum an Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen, die heiligen EU-Liberalisierungsrichtlinien mit all ihren Konsequenzen, das heilige Recht des freien Kapitalverkehrs ins Ausland, sollten die Kapitalsteuern erhöht werden – das alles bleibt abgesichert
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Das Volksbegehren umfasst noch eine lange Liste anderer Forderungen, die im Detail hier nicht abgehandelt werden können. Sie alle sind in dem Geist gehalten, das Vertrauen in eine mögliche “Re-Demokratisierung” des bürgerlichen Parlamentarismus wieder herzustellen. Wenn man beispielsweise das “Anfütterungsverbot” wieder einführen will, so ist dies nur als symbolischer Akt zu werten. Man bekämpft die Auswüchse der Korruption, um das korrupte System als Ganzes zu retten.
In dieser Debatte sollte sich die Arbeiterbewegung ihrer theoretischen und praktischen Wurzeln besinnen. Erstens: Selbst die demokratischste Verfassung der Welt muss zwangsläufig über Umwege zur praktischen Herrschaft des Kapitals führen, weil das Privateigentum an den Produktionsmitteln den Unternehmen ungeheure direkte und indirekte Macht verleiht. Die Parlamentarier (die durch ihre hohen Bezüge eine ganz andere Lebensrealität haben als ihre Wählerschaft) wissen, dass eine gegen die Profitinteressen gerichtete Gesetzgebung mit der Verlagerung der Unternehmenstätigkeit ins Ausland beantwortet würde. Das heißt: Eine echte Demokratisierung muss notwendig einhergehen mit der Enteignung des Kapitals. Das bedeutet zunächst einmal den Sturz der offenen Diktatur des Kapitals in den Betrieben, die vollständige Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionen und die gemeinschaftliche Diskussion über die Führung des Betriebs. Und zweitens: In der Praxis hat die Arbeiterbewegung, auch die österreichische, instinktiv diesen Weg beschritten. Ob nach dem Ersten oder nach dem Zweiten Weltkrieg, die Arbeiter gingen von alleine daran, die Betriebe und die Gesellschaft zu demokratisieren – wenn sie auch immer wieder an ihrer Führung scheiterten, die diesen Weg nicht gehen wollte.
Wenn die Initiatoren des Volksbegehrens also von “ihrem” Österreich sprechen, so in einem besonderen Sinn: “Ihr” Österreich ist das Österreich, in dem das Kapital das Sagen hat und die Bevölkerung wieder der politische Kaste vertraut. So etwas ist der Unterschrift der Lohnabhängigen nicht wert.