Die Krise wird auch den begonnenen Angriff auf unser Gesundheitssystem verschärfen. Eine Bilanz mit Perspektiven für den Kampf. Von Martin Wieland.
In der öffentlichen Diskussion über die Wirtschaftskrise ist mittlerweile unbestritten, dass es – nach der Rettung des Kapitalismus durch weltweite Staatshilfen – in den nächsten Jahren vor allem um die Frage gehen wird, wer nun für die Kosten der Krise aufzukommen hat. Für das Jahr 2013 wird eine Staatsverschuldung von 74,3% angenommen. Allein die Zinszahlungen werden dann schon 9 Milliarden Euro betragen (APA, BMF). Und in diese Zahlen wurde das Sparpaket, das die österreichische Bundesregierung im März präsentierte, schon eingerechnet. Der so genannte budgetäre Finanzrahmen sieht für 2011 Ausgabenkürzungen quer über alle Bereiche von insgesamt 1,7 Milliarden vor.
Debatte mit Klassencharakter
Freilich ist das nur der erste Vorstoß, die Krise auf die Allgemeinheit, sprich die arbeitenden Menschen abzuwälzen. Die Industriellenvereinigung zeigt schon auf, wohin die Reise gehen soll. Sie sieht bereits jetzt ein Einsparungspotential von 10,7 Milliarden Euro im Staatshaushalt (der Standard vom 16. März 2010). Bei ihr stehen neben den Bundesbahnen die Posten Gesundheit, Hacklerregelung und Frühpension an prominentester Stelle. Und mit dem Spruch: „Was den Unternehmen möglich ist (nämlich das Sparen – Anm. des Verfassers), muss dem Staat auch möglich sein“ zeigt IV-Präsident Veit Sorger (unbewusst?) den Klassencharakter auf, welcher der ganzen Debatte zugrunde liegt. Tatsächlich sparen die Unternehmen praktisch nämlich nur an uns Beschäftigten, unserer Bezahlung, unseren Arbeitsplätzen, …
Unter dem Klassencharakter dieser Debatte verstehen wir den Umstand, dass versucht wird, uns einzureden, dass die Krise alle gemeinsam bewältigen müssen, anstatt die VerursacherInnen, also das große Kapital, in die Pflicht zu nehmen. Ebenso werden wir tagtäglich medial damit bombardiert, dass wir angeblich über unsere Verhältnisse leben, insbesondere was Sozial- und Gesundheitsleistungen betrifft. Es wird die Illusion genährt, dass es bei der Spardebatte ein großes WIR von Kapital und Arbeit gibt. Die österreichische ArbeiterInnenbewegung wird es sich aber bald nicht mehr leisten können, zu diesen Fragen eine neutrale, klassenübergreifende Position beizubehalten. Sie wird kompromisslos die Interessen der Lohnabhängigen verteidigen müssen, will sie nicht zusammen mit dem Sozialstaat an die Wand gefahren werden.
In der Folge werden wir die Spardebatte aus der Sicht der Lohnabhängigen beleuchten. Wir werden dies nicht nur mit nackten Zahlen tun, sondern auch die Erfahrung nutzen, die der Verfasser dieser Zeilen aus seiner mehrjährigen Beschäftigung als Gesundheits- und Krankenpfleger in einem Schwerpunktkrankenhaus zieht. Deshalb soll – auch im Sinne einer fruchtbaren Beschränkung – in diesem Artikel hauptsächlich der Gesundheitsbereich behandelt werden, selbst wenn damit die großen Themen Soziales und Pensionen großteils unberücksichtigt bleiben. Wir können aber getrost davon ausgehen, dass die Probleme in letztgenannten Bereichen ähnlich gelagert sind.
Sozialversicherung ausgehungert
Den größten Posten in den Staatsausgaben stellt unzweifelhaft der Bereich „Arbeit, Soziales, Gesundheit“ dar. So wird fast die Hälfte des neuen und damit gekürzten Budgets 2011 (33 von rund 69 Milliarden Euro) in diesen Bereich fließen (APA, BMF). Die Statistik Austria gibt den prozentuellen Anteil der Staatsausgaben für „Gesundheitswesen“ und „soziale Sicherung“ für das Jahr 2009 sogar mit 57,5% an. Für das Jahr 2011 sind für diese Bereiche Einsparungen von 2,6% gegenüber dem alten Entwurf geplant (APA, BMF), was einer knappen Milliarde Euro entspricht.
Einsparungen im Gesundheitssystem werden ja gerne mit dem Defizit der Krankenkassen begründet, oder auch mit der Kostenexplosion bei medizinischen Behandlungen usw. usf. Es hat jedoch schon viele erfolgreiche Bemühungen gegeben, den wahren Sachverhalt bzw. die eigentlichen Gründe für die prekäre finanzielle Situation der Sozialversicherungsträger herauszuarbeiten. So gibt Wilfried Leisch, Mitglied im Bundesausschuss der GPA-djp-Interessens¬gemeinschaft work@flex folgendes zu bedenken: Die Krankenkassen mussten seit 2000 insgesamt 1,1 Milliarden abschreiben, die ihnen Unternehmen schuldeten und die nicht mehr eintreibbar waren. Diese Summe entspricht fast genau dem aktuellen Kassendefizit von 1,2 Milliarden Euro. Zusätzlich entgehen den Krankenkassen jährlich 850 bis 900 Millionen Euro durch die Übernahme von Leistungen, die ihnen von den schwarz-blau-orangen Regierungen aufgezwungen wurden (Senkung der Kassenbeiträge der Pensionsversicherung, Übernahme der Wochengeld-Leistung).
Und das Argument der Kostenexplosion zählt zu den großen Lügen in der Debatte. Die Gesundheitsausgaben pendeln seit 1994 konstant zwischen 9,5% und 10,5% des BIP (Statistik Austria). Soll dies eine Explosion sein? Die Einnahmensteigerung der Kassen (+33%) hinkt der Wertschöpfungssteigerung (+41%) sogar hinterher. Die Krankenkassen werden somit de facto finanziell ausgehungert, was auch durch einen Blick auf die Lohnquote belegt wird: Von 1993 bis 2008 ist diese von 66% auf 56% des BIP gesunken. Nun sind aber die Löhne die Einnahmequelle der Sozialversicherung.
Hinter der Aushungerung der Sozialversicherung bzw. der Krankenkassen stecken jedenfalls handfeste Kapitalinteressen: Jährlich werden über 40 Milliarden Euro von der Sozialversicherung in die Hand genommen. An dieser gewaltigen Summe wollen die privaten Versicherungen und GesundheitsanbieterInnen natürlich ihren Anteil haben und arbeiten mithilfe ihrer LobbyistInnen in den Massenmedien und im Hauptverband selbst (die Hälfte des Hauptverbandsvorstands wird seit Schwarz-Blau von WirtschaftsvertreterInnen bestückt) auf eine Zerschlagung der öffentlichen Pflichtversicherung hin (vgl.: http://prosv.akis.at).
Interessen der Industrie
Von einer anderen Warte aus macht es allerdings durchaus Sinn, das Argument der Kostenexplosion zu betrachten. Es gibt nämlich schon eine Vielzahl privater AnbieterInnen, die sich eine goldene Nase am Gesundheitssystem verdienen. Die nackte Statistik spricht hier wieder Bände. Während die gesamten Gesundheitsausgaben in Österreich von 1990 bis 2008 um 260% stiegen, erfuhren die Ausgaben für pharmazeutische Erzeugnisse und medizinische Ge- und Verbrauchsgüter eine Steigerung um rund 425% (Statistik Austria, Gesundheitsausgaben in Österreich). Aus eigener Erfahrung (Apothekenbestellungen auf der Station) weiß der Verfasser, dass Medikamente oftmals unvorstellbar teuer sind. Doch wie kommen die Medikamentenpreise zustanden? Laut Hans Weiss, dem bekannten Medizin-Journalisten, der zum Zweck der Recherche selbst eine Zeit lang als Pharma-Vertreter gearbeitet hatte, setzen die Pharmafirmen für ihre Produkte reine Fantasiepreise fest. So betrage z.B. der Kostenanteil des Wirkstoffes in dem Medikament Viagra nur zwei(!) Cent, während das Medikament selbst für 10 Euro über den Ladentisch wandere.
Kein Wunder, dass Pharmakonzerne wie z.B. Novartis 20-25% ihres Umsatzes als Gewinn ausweisen können – eine Spanne, die andere Industriebranchen wohl vor Neid erblassen lässt. Aus dieser Gewinnspanne wird auch ersichtlich, warum Pharmakonzerne so viele Geschenke machen können, um das Verschreibungs-Verhalten der ÄrztInnen zu beeinflussen. Sie fallen einfach nicht ins Gewicht. Weiss schätzt, dass via Gratis-Pillen-Packungen bis zu dreistellige Millionenbeträge pro Jahr als Geschenke an Österreichs MedizinerInnen fließen.
Doch die Forschung verschlinge sehr viel Geld, mögen nun manche einwerfen. Bis zu einer Milliarde Euro könne die Entwicklung eines neuen Medikamentes betragen, so die Pharmafirmen. Im Falle von Viagra betrug dieser Wert nur 30 Millionen, ein Umstand, über den sich sogar das industriefreundliche Wall Street Journal schon lustig gemacht hatte. Außerdem kommen im Schnitt pro Jahr nur drei bis vier Medikamente auf den Markt, die wirklich eine Neuerung darstellen. Die Pharmariesen setzen in der Regel viel lieber auf Altbekanntes in einer neuen Hülle, also so genannte „Me-too-Präparate“.
Für die Vermarktung dieser Produkte werden dann unvorstellbare Geldsummen in die Hand genommen, ca. 20-25% des Umsatzes, während die Forschungskosten – die bei Generika wohl generell niedriger sein müssen – laut Weiss nur bei ca. 10% liegen. Freilich sind die Grenzen zwischen Forschung und Marketing generell schwer zu bestimmen (bei Generika z.B. wird praktisch nicht geforscht – es gibt aber trotzdem hohe Forschungskosten, weil sich diese gut machen, und um diese zu erhöhen wird die klassische Marketingmethode der Marktforschung als echte Forschung verbucht) und wahrscheinlich ständig fließend, wie die britische Regierung 2005 in einem Untersuchungsbericht feststellte. (Hans Weiss: Artikel im Standard vom 30./31.07.2005 und Interview im Standard vom 17.11.2008). Die Pharmaindustrie bleibt einfach unkontrollierbar, solange sie in privaten Händen ist.
Es ergibt sich somit das Bild, dass es im Bereich der Medikamenten- und Medizinprodukteindustrie (und es wäre überraschend, wenn die Gewinnspannen bei letztgenannter anderes liegen würden) zu gewaltigen Profiten kommt, die aus den öffentlichen Mitteln der Sozialversicherung gespeist werden. Wollen wir das wirklich so haben? Könnte das nicht anders funktionieren?
Arbeitsbedingungen
Bisher haben wir uns der Situation im Gesundheitssystem von einer eher abstrakten Seite genähert. Doch wie erleben die Beschäftigten in diesem Bereich ihren Arbeitsalltag? Ist er davon geprägt, dass viel zu viele Ressourcen verschwendet werden? Wohl kaum. Denn meist wird die Ressourcenverschwendung im Zusammenhang mit einem Zuviel an Untersuchungen und zu großem Materialeinsatz erwähnt. Gleichzeitig führt der Zwang zum Sparen bei bestimmten notwendigen Untersuchungen und Operationen zur Unterschreitung des erforderlichen Materials oder auch der Vernachlässigung erforderlicher Hygiene-Vorschriften.
Uns sollte aber auch bewusst sein, dass ein Großteil der Summen, die im Gesundheitsbereich ausgegeben werden, unmittelbar als Einkommen für die Beschäftigten in diesem Bereich dient. So belaufen sich zum Beispiel die Personalkosten in einem Krankenhaus mindestens auf 60-70% der Gesamtkosten (vgl. z.B. Rechnungshofbericht über die KAGes aus dem Jahre 2008), wenn nicht auf mehr. Wollten wir den medialen Meldungen über die Ressourcenverschwendung im Krankenhaus Glauben schenken, dann müssten wir annehmen, dass wir zuviel Personal mit zu hohen Löhnen in den Krankenhäusern haben.
Der Verfasser dieser Zeilen kann versichern, dass er aus seiner nun fünfjährigen Berufserfahrung diese Schlussfolgerung nicht bestätigen kann. Im Gegenteil. Der Krankenhausalltag wird vor allem durch die Tatsache geprägt, dass eine fortwährende Intensivierung der Arbeit passiert. Immer mehr PatientInnen durchlaufen das Krankenhaus in immer kürzeren Zeiten. So haben im Zeitraum von 1989 bis 2008 die stationären Aufenthalte in allen österreichischen Krankenhäusern um mehr als eine Million pro Jahr zugenommen (1989: 1.666.864, 2008 2.678.627 Aufenthalte). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer sank dagegen von 1989 bis 2008 von 8,1 Tagen auf 5,6 Tage (Statistik Austria). Die arbeitsintensiven Tätigkeiten rund um die Aufnahme und die Entlassung von PatientInnen nahmen somit kontinuierlich zu. Zwar muss gerechterweise eingeräumt werden, dass z.B. der Personalstand im gehoben Dienst in der Gesundheits- und Krankenpflege in diesem Zeitraum prozentuell stärker wuchs als die Anzahl der PatientInnen – +72% gegenüber + 61% (Statistik Austria), doch bräuchte es in Zeiten von zunehmender Teilzeitbeschäftigung eigentlich eine Gegenüberstellung der Vollzeitäquivalente, um hier korrekte Aussagen treffen zu können. Es ist jedenfalls zu vermuten, dass die Teilzeitbeschäftigung nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern insbesondere auch im Gesundheitsbereich (so wie in allen anderen Frauenbranchen auch) stark zugenommen hat.
Doch nun zurück zur Arbeitsintensivierung, die insbesondere dazu führt, dass zahlreiche Beschäftigte in diesem Bereich unter den verschiedensten psychischen und physischen Erkrankungen leiden. Die genannte Intensivierung resultiert u. a. daraus, dass viele Behandlungen fortlaufend komplexer werden und damit auch die Betreuungsintensität steigt. Gleichzeitig steigt auch der Aufwand, der in die Betreuung der glücklicherweise stets mündiger werdenden Angehörigen fließt. Weiters nimmt gerade in den Krankenhäusern der Zeitdruck fortlaufend zu. Im Sinne der Ertragssteigerung sollen stets mehr PatientInnen in kürzerer Zeit behandelt, operiert, gepflegt usw. werden. Alles in allem muss jedenfalls festgestellt werden, dass die Arbeitsintensität im Bereich der Krankenhäuser überproportional zur Personalsteigerung anwächst.
Dazu kommt, dass Beschäftigte im Gesundheitsbereich oftmals mit einer Entlohnung und Arbeitszeit betreffenden Verschlechterung konfrontiert sind. So wurde im Krankenhaus des Verfassers schon Anfang der 2000er Jahre ein neues Besoldungsrecht mit abgeflachten Gehaltskurven und erschwertem Zugang zur 6. Urlaubswoche eingeführt. Der Trend weist überall in dieselbe Richtung. Die jeweiligen Personalvertretungen und BetriebsrätInnen verharrten dabei oftmals nur in reinen Rückzugsgefechten unter dem Motto: „Verhindern wir das Schlimmste, das Schlimme an sich können wir nicht verhindern!“.
Ähnlich verlief meist die Auseinandersetzung in Bezug auf die im selben Geist allerorten durchgeführte Ausgliederung von Krankenhäusern, wie z.B. der oberösterreichischen Landesspitäler in die GESPAG (Gesundheits- und Spitals AG) und die des AKH Linz in die AKH-Linz-GmbH. Zwar befinden sich nach wie vor alle Krankenhäuser in vollem Landes- bzw. Stadtbesitz, doch werden mit diesen Ausgliederungen Prozesse vorbereitet, die in Deutschland teilweise schon weiter fortgeschritten sind, ebenso wie die Antworten der Gewerkschaftsbewegung darauf. Deshalb wollen wir nun zur Beleuchtung des nächsten Aspekts einen kurzen Blick in unser Nachbarland werfen, da sich daraus auch Rückschlüsse für Österreich ziehen lassen.
Arbeitskämpfe
Im Frühjahr des Jahres 2006 befanden sich im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) sechs Universitätskliniken für die Dauer von 16(!) Wochen im Streik. Unter dem Banner der vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kämpften die Beschäftigten für einen Tarifvertrag (Kollektivvertrag), der den schon fünfjährigen vertragslosen Zustand beenden sollte. Der fehlende Tarif(Kollektiv-)vertrag hatte zu Beginn des Streiks schon für 20% des Personals der Unikliniken konkrete Auswirkungen wie Gehaltskürzungen und verlängerte Arbeitszeiten. Bei der Auseinandersetzung ging es auch darum, dem generellen Ansinnen der ArbeitgeberInnen, die Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden zu erhöhen, einen Riegel vorzuschieben. Nach Verdi-Berechnungen wären durch die Verlängerung 19.000 Arbeitsplätze unmittelbar bedroht gewesen. Der Streik endete schließlich nach 16 Wochen mit einem Sieg: Die Beschäftigten der Unikliniken erhielten ihren Tarifvertrag mit Lohnerhöhungen und einer Beibehaltung der 38,5 Stunden-Woche. „Doch wie soll das gehen?“ wird sich die Eine oder der Andere nun verwundert fragen. Wie kann ein Krankenhaus so lange bestreikt werden?
Sehen wir uns an, wie dies unsere KollegInnen aus NRW bewerkstelligten: Natürlich bestand in allen Krankenhäusern ein Notbetrieb, niemandes Leben war durch den Streik in Gefahr. Doch durch den zeitweiligen Entfall von 50% aller geplanten Operationen, durch geschlossene Küchen, Personalkantinen, Wäschereien, IT-Abteilungen, durch nicht arbeitende Transport-, Reinigungs- und Technikdienste, die Schließung ganzer Stationen in nicht lebensnotwendigen Abteilungen usw. wurde der Krankenhausbetrieb empfindlich gestört, so dass Streikkosten von bis zu 1,2 Millionen Euro pro Tag entstanden.
Des Weiteren blieben die Beschäftigten während des Streiks nicht einfach im stillen Kämmerchen sitzen, sondern gingen offensiv in die Öffentlichkeit. Vor jeder Uniklinik befand sich ein Streikzelt als Mittelpunkt des Arbeitskampfes. Hier versammelten sich alle Kämpfenden, diskutieren, stimmten ab, planten Aktionen und verteilten sich dann wieder über das ganze Klinikgelände, um PatientInnen und Angehörige über ihre Anliegen mit Plakaten, Flugzetteln und Gesprächen zu informieren. Es gab auch gegenseitige Besuche der Streikenden aus den sechs Unikliniken und natürlich auch gemeinsame Demonstrationen der Geschlossenheit und Stärke. So kam es am Höhepunkt des Streiks zu einer Demonstration in Düsseldorf mit 20.000 TeilnehmerInnen, an der sich auch andere Berufsgruppen, wie die Feuerwehrleute, beteiligten. Auch die StatistikerInnen und die Beschäftigten der Müllabfuhr des Bundeslandes führten Solidaritätsstreiks durch.
In der Folge dieses Arbeitskampfes entwickelten sich immer wieder kleinere Auseinandersetzungen, hauptsächlich aufgrund von geplanten Ausgliederungen von Abteilungen, wie z.B. dem Labor, der IT-Abteilung, der Logistikabteilung usw., die eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen mit sich gebracht hätten. Durch Unterschriftensammlungen und Kundgebungen der betroffenen Beschäftigten konnten diese Vorhaben aber fast überall verhindert werden. Die Beispiele von NRW sind es jedenfalls wert, näher studiert zu werden, entkräften sie doch das gängige Vorurteil, dass im Gesundheitsbereich kein Arbeitskampf möglich ist (siehe dazu http://gesundheit-soziales.nrw.verdi.de/uni-kliniken_im_streik).
Dass es gar nicht immer bis zum Streik kommen muss, zeigt auch ein Beispiel aus Österreich, das sich Ende der 1980er Jahre in Wien ereignete. Durch eine große Bewegung des Pflegepersonals, die sich aus einer gewerkschaftlichen Basisinitiative entwickelt hatte, konnten in Wien damals eine durchschnittliche Lohnerhöhung von rund 10% und zusätzliche 1.200 Dienstposten erkämpft werden. (Zur Geschichte der Protestbewegungen in der Gesundheits- und Krankenpflege in Österreich. Am Beispiel der Aktionsgemeinschaft Pflegepersonal von 1987-1989 in Wien. Fachbereichsarbeit von Martin Wieland zur Erreichung des Diploms für Gesundheits- und Krankenpflege).
Wir sehen also, dass es einige Hebel gibt, das Gesundheitssystem von unten bzw. von innen heraus durch die kollektive Kraft der Beschäftigten selbst zu verändern. Aber für welche Forderungen sollen wir überhaupt kämpfen? Welche Ziele sollte sich die ArbeitnehmerInnenbewegung setzen, damit das Gesundheitssystem dem Wohle aller, also sowohl der LeistungsnutzerInnen als auch der Beschäftigten, dient?
Forderungen
Wir müssen uns in allen Branchen und Bereichen auf die kommende Periode der Sparpakete vorbereiten, so auch im Gesundheitssystem. Für die Bürgerlichen wird es keine Tabus geben, sobald aus ihrer Sicht stabile politische Bedingungen für das „Schlankschrumpfen“ des Sozialstaats herrschen. Diese Situation könnte schon sehr bald, z. B. nach den Landtagswahlen in Wien und der Steiermark, eintreten.
Deshalb gilt es vor allem – ausgehend von jedem Arbeitsplatz – die Gewerkschafts¬bewegung wieder kampffähig zu machen. Wir dürfen uns keinesfalls von irgendeiner „Wir leben einfach über unsere Verhältnisse“-Debatte irre machen lassen. Mit der Überzeugung, dass genug Reichtum für den Erhalt und den weiteren Ausbau des Sozial- und Gesundheitssystems vorhanden ist, werden wir uns vielmehr für den Aufbau einer starken sozialen (ArbeiterInnen-)Bewegung einsetzen, die für folgende Ziele kämpft (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
– Gegen das Aushungern und die Privatisierung der kollektiven Sozialversicherung: Abschaffung der Höchstbeitragsgrundlage und Einführung progressiver Sozialversicherungsbeiträge!
– Umstellung der Beitragsgrundlage: Weg von der Lohnsumme hin zur Wertschöpf¬ung!
– Für die Verstaatlichung der Medizin- und Pharmaindustrie unter der Kontrolle der LeistungsnutzerInnen und der Beschäftigten!
– Kein Profitmachen auf unsere Kosten: Das Gesundheitssystem muss zu 100% in öffentlicher Hand bleiben: Stopp und/oder Rücknahme jeglicher Privatisierung oder den ersten Schritten in diese Richtung (Ausgliederungen)!
– Damit das Gesundheitssystem aber auch wirklich in unserem Sinne funktioniert, brauchen wir Kontrolle: Daher kämpfen wir für ein Sozial- und Gesundheitssystem unter der gewählten Leitung der Beschäftigten, der Gewerkschaftsbewegung und der LeistungsnutzerInnen!
– Für die Einführung der 30-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich! Gerade bei solch belastenden Berufen sind 30 Stunden genug! Das ist auch im Gesundheitsbereich keine Utopie! [So arbeiten schon jetzt drei Viertel aller WiedereinsteigerInnen im Pflegeberuf nur Teilzeit, freilich mit geringerer Bezahlung. Eine volle Bezahlung bei geringerer Arbeitszeit würde den vermehrten Wiedereinstieg sicherlich förderlich sein und die Dropout-Quote senken (s. Die Studie zum Berufsverbleib von Pflegepersonen, erschienen in der österreichischen Pflegezeitschrift, Ausgaben 02/07 & 03/07)].
Der Autor ist Gesundheits- und Krankenpfleger & gewerkschaftliche Vertrauensperson am AKH Linz
Dieser Artikel erschien im Funke Nummer 96 / Mai 2010