Die Kapitaloffensive rollt wie eine Lawine scheinbar unaufhaltsam auf die Lohnabhängigen in ganz Europa zu. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften sind dagegen hilflos.
In ganz Europa werden Sparpakete geschnürt und damit die sozialen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte Schritt für Schritt zerstört. EZB-Chef Mario Draghi bringt das Programm der Bürgerlichen ganz offen auf den Punkt: „Das europäische Sozialstaatsmodell gibt es nicht mehr. Die Zeiten, in denen die Europäer so reich gewesen sind, dass sie es sich leisten konnten, jeden dafür zu bezahlen, dass er nicht arbeite, sind vorbei.“ Seine Antwort auf die Krise lautet: Sparpakete und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Dieses Programm, das mittlerweile in einem europäischen Land nach dem anderen angewandt wird, ist eine offene Kriegserklärung gegen die ArbeiterInnenklasse. In Griechenland werden die Löhne unter dem Diktat der EU auf chinesisches Niveau gedrückt. In Spanien wird der Arbeitsmarkt völlig flexibilisiert. In Portugal werden der Urlaubsanspruch und das Arbeitslosengeld massiv gekürzt. In ganz Europa wird das Pensionsantrittsalter angehoben. Bezeichnend sind auch die neuen Arbeitsbedingungen in den FIAT-Werken in Italien: Der Arbeitsdruck wurde massiv gesteigert, so dass am Standort Pomigliano etwa pro Minute ein Auto produziert werden kann. Am Ende jeder Schicht müssen die ArbeiterInnen bei einer gemeinsamen Versammlung vor den Teamleitern und einem Vertreter des Managements die Fehler, die sie während der Arbeit machten, beichten und sich schuldig bekennen. Dazu häufen sich die Berichte von autoritärem Verhalten der Vorarbeiter, die ArbeiterInnen nicht den Schlüssel zum versperrten WC geben wollen oder mit offener Gewalt drohen. Die Metallergewerkschaft FIOM wurde von der Konzernleitung nicht mehr als Verhandlungspartner akzeptiert und muss de facto illegal in den Betrieben operieren. Dieses Modell der Arbeitsorganisation, schwebt dem Kapital in allen Ländern vor.
Mit diesen Angriffen auf unsere sozialen und zivilisatorischen Errungenschaften geht die völlige Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie einher, die immer deutlicher als das erscheint, was sie ist: die Diktatur des Kapitals. Vor diesem Hintergrund ist auch das Sparpaket in Österreich zu sehen.
Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften haben den Ernst der Lage aber noch immer nicht verstanden. Die rechten Führungen, die sich längst über die ArbeiterInnenklasse erhoben haben, geben den linken Flügel der herrschenden Klasse ab. Als Resultat der jahrzehntelangen bürokratischen und reformistischen Degeneration, die im letzten halben Jahrhundert besonders offensichtlich wurde, stellen die Führungen der Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse gewaltige Hindernisse für jede Bewegung dar, die sich der kapitalistischen Logik widersetzen will. Sobald man den Kapitalismus akzeptiert, muss man auch das Diktat des Kapitals befolgen. Das erklärt das Verhalten der reformistischen Parteien, die überall als die Verwalter der kapitalistischen Krise auftreten, Sparpakete umsetzen, um die Interessen der Banken und Konzerne zu verteidigen. In dieser Frage sind die „Linken“ um keinen Deut besser als jene am rechten Flügel, weil sie allesamt die Meinung vertreten, es gäbe keine Alternative zum Kapitalismus. Der Unterschied ist, dass die rechten SozialdemokratInnen ihre Dienste dem Kapital enthusiastisch und ohne zu zögern anbieten, während die Linken glauben, es könne einen Kapitalismus mit menschlichem Gesicht geben. Letztere wollen die bittere Medizin mit einem Stück Zucker erträglicher machen. Doch das Leben wird dem Linksreformismus eine harte Lektion bereiten.
Die traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung sind völlig unfähig passende Antworten auf die Krise zu geben und werden daher auch nicht als geeignetes Mittel zur Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen gesehen. Das heißt aber nicht, dass es keinen Widerstand gegen diese Kapitaloffensive geben kann. In Griechenland, Spanien und Italien sind die Bedingungen für eine gewaltige soziale und politische Explosion im Entstehen.
In Ländern wie Deutschland und Österreich ist dieser Prozess noch nicht so weit. Hier hat die Krise noch nicht ein derartiges Ausmaß angenommen, dass die Klassen frontal aufeinanderprallen. Doch anhand der Anti-ACTA-Proteste zeigt sich, dass die Entwicklung in eine ähnliche Richtung geht. „Die Presse“ schrieb dazu: „Die ‚Generation Praktikum’ politisiert sich. Von den grauen Männern in den grauen Anzügen erwartet sie sich nichts. Stattdessen nimmt sie die Dinge selbst in die Hand – und fordert das Establishment heraus.“ Und in der Folge beschreibt das bourgeoise Zentralorgan, wie den Jugendlichen in diesem System jede Zukunftsperspektive genommen wird, während es sich „die da oben“ immerzu richten und die Regierungen nach der Pfeife der Banken, Ratingagenturen und „Märkte“ tanzen: „Sie kämpfen, weil sie sich betrogen fühlen. Und sie wurden und werden tatsächlich betrogen.“
In Europas Gesellschaften entsteht ein explosives Gemisch, das auch auf dem alten Kontinent sehr leicht zu revolutionären Erschütterungen führen kann. Draghi hat vielleicht Recht, wenn er vom Ende des Sozialstaates spricht. Doch er und seinesgleichen müssen sich dann auch bewusst sein, dass der soziale Friede in Europa Geschichte ist. In Griechenland entscheidet sich heute, ob es den Bürgerlichen gelingt die Kosten der Krise erfolgreich auf die Masse der Bevölkerung abzuwälzen und das Land zu plündern. Wenn die Troika in Griechenland ihr Programm durchbringt, dann wird das im Rest von Europa die Falken nur noch hungriger machen. Solidarität mit den Massenprotesten der ArbeiterInnenklasse und der Jugend in Griechenland ist heute das Gebot der Stunde.
Weitere Themen in der neuen Ausgabe:
– Spanien: Polizeirepression gegen SchülerInnen
– Griechenland: Der Funke am europäischen Pulverfass
– Säbelrasseln im Nahen Osten
– Wohin geht Ägypten?
– Was das Sparpaket wirklich bedeutet
– Die Pensionslüge
– Schulreform statt Strafen
– Volksbegehren „Her mit dem Zaster“: Zu wenig, zu spät
– Sebastian S.: Freispruch im Gerichtssaal
– Wider Repression und Klassenjustiz
– Wir zahlen eure Schulden nicht – Eine Replik zum neuen Positionspapier zur Krise der SJÖ
– Stopp ACTA! Profitlogik raus aus dem Internet!
– Zinsen: Eine objektive, gefährliche Rechenstunde
– Spürst du es diese Tage? (Ein Gedicht)
– Die Gleichgültigen (von Antonio Gramsci)
– Frauenbefreiung: Die Lokomotiven der Geschichte
– Für eine kämpferische GdG
– Konflikt um den KV im grafischen Gewerbe
– Gewerkschaften: Winter der Unzufriedenheit
Die neue Ausgabe kann zum Preis von 2 Euro (+ Porto) bei der Redaktion bestellt werden: redaktion@derfunke.at