„Terrorunterstützer!“, „Antisemiten!“, „Gefährder!“ – im Zusammenhang mit dem Angriff der Hamas auf Israel sind in Österreichs Politik und Medien alle Dämme gebrochen, berichtet Mario Wassilikos.
Die öffentliche Debatte wird seit dem 7. Oktober von einer widerlichen rassistischen Hetzkampagne gegen MigrantInnen, vor allem gegen muslimische, dominiert – und das über politische Lager bzw. Parteigrenzen hinweg. Die liberale Tageszeitung „Der Standard“ ist voll von Kommentaren, in denen viele MuslimInnen als integrationsunwillige, nicht zur Reflexion fähige AntisemitInnen dargestellt werden. (z.B. von Völker, 8.11.) Führende ÖVP- Politiker wie der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler bezeichnen Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus als Importprodukte der Fluchtbewegungen seit 2015. (Presse, 22.11.) Seine niederösterreichische Amtskollegin Johanna Mikl-Leitner fordert eine „Null-Toleranz-Initiative“ inklusive härterer Sanktionen und rascherer Abschiebungen. (Presse, 14.11.) NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger wünscht sich ein härteres Durchgreifen der Polizei bei unangemeldeten Demonstrationen und sekundiert: „Wer das Kalifat ausrufen will, hat bei uns nichts verloren“, wobei sie nahelegt, dass dies auf den Palästinademos wohl so stattfinde. (Standard, 15.11.) Wenig überraschend, nutzt auch FPÖ-Chef Herbert Kickl die Gunst der Stunde: „Meine Obergrenze ist Null.“ (Kurier, 15.11.)
Rassismus im Namen des nationalen Schulterschlusses
Das alles ist nur die Spitze eines gewaltigen rassistischen Dauerfeuers, das unter dem Banner der zur Staatsräson erklärten bedingungslosen Solidarität mit Israel und seinem brutalen Krieg gegen die PalästinenserInnen stattfindet. Besiegelt wurde diese durch eine gemeinsame Erklärung aller fünf Parlamentsparteien. Der so initiierte nationale Schulterschluss ist für die österreichischen KapitalistInnen absolut notwendig. Da sie viele Profite in Russland mach(t)en, wurde Österreich innerhalb der EU in die Defensive gedrängt und immer wieder in Widerspruch zu den USA – der stärksten imperialistischen Macht – gebracht. Jetzt gibt es einen Krieg, der es dem österreichischen Kapital ermöglicht, ihr seine Treue zu beweisen – der einzige stabile Verbündete des US-Imperialismus im Nahen Osten ist Israel. Wirtschaftlich unterentwickelt, von jahrzehntelanger Unterdrückungs-, Besetzungs- und Gewaltpolitik schwer gezeichnet, gibt es in Gaza nichts zu holen.
Zudem zielt dieser nationale Schulterschluss auf eine Stabilisierung nach innen ab. Denn der österreichische Kapitalismus steht unter enormem Druck: explodierende Energiekosten, hohe Inflation, Verteuerung von Krediten bzw. Staatschulden aufgrund der Zinssteigerungen, drohende Rezession, Steigerung der Streikbereitschaft innerhalb der Arbeiterklasse, um sich gegen die zunehmenden Angriffe des Kapitals auf ihren Lebensstandard zu verteidigen. Hinzukommt eine schwere politische Krise – nicht zuletzt aufgrund der mächtigen Regierungspartei ÖVP, die von einem Korruptionsskandal zum nächsten taumelt. Damit all das im Sinn der KapitalistInnen bewältigt werden kann, sind stabile gesellschaftliche Verhältnisse erforderlich. Dazu muss man die Kampfkraft der lohnabhängigen Massen schwächen, indem man sie durch das Gift des Rassismus spaltet. So werden ihre gemeinsamen Interessen verschleiert, um Maßnahmen zur Rettung der Profite (Erhöhung der Arbeitsintensität, niedrige Löhne, Anhebung des Pensionsantrittsalters, Einsparungen in Gesundheit, Bildung und Sozialem usw.) leichter durchzusetzen.
Um das zu erreichen, sind den Herrschenden und ihren willigen HelferInnen alle Mittel recht: Pro-Palästina-Demonstrationen werden unter den Generalverdacht der Terrorunterstützung gestellt und teilweise untersagt, jegliche Kritik am erbarmungslosen israelischen Krieg gegen die PalästinenserInnen wird als Judenhass denunziert. Die Beweislage dafür ist so schwach, dass die Slogans „From the river to the sea“ und „Free Palestine“ jetzt unhinterfragt als antisemitische Codes gedeutet werden, und aus jeglichen religiösen Parolen eine Unterstützung für die Hamas konstruiert wird. Diese rassistische Hysterie von Staatsapparat und Medienkonzernen erweckt den Eindruck, dass in Österreich das Kalifat unter der Herrschaft der Scharia droht und judenmordende Banden marodierend durch die Straßen ziehen. Was jedoch tatsächlich stattfindet, ist eine Explosion der Angriffe auf MuslimInnen: Die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus verzeichnet seit Oktober mehr gemeldete Fälle als von Jänner bis September dieses Jahres. (Dokustelle Islamfeindlichkeit, 6.11.)
Die Rolle der Sozialdemokratie
Als größte Arbeiterpartei in Österreich mit einer breiten gesellschaftlichen Verankerung wäre es die Aufgabe der SPÖ, dieser Rassismus-Kampagne energisch entgegenzutreten. Stattdessen zielt sie auf die Rückkehr in die Bundesregierung samt dem Zugriff auf die damit verbundenen fetten Futtertröge und Karrieremöglichkeiten für ihre FunktionärInnen ab. Dazu muss sie vom österreichischen Kapital als zuverlässiger Partner akzeptiert werden. Daher stimmt sie lautstark in den reaktionären Chor des nationalen Schulterschlusses ein, statt die Interessen der Arbeiterklasse konsequent zu vertreten.
Dieser Prozess drückt sich am deutlichsten anhand des SPÖ-Chefs Andreas Babler aus. Zwar bildete seine Kandidatur für den Vorsitz einen Ansatzpunkt, ein von den Bürgerlichen unabhängiges Programm zu erkämpfen. Mittlerweile hat er jedoch dem Druck des Parteiapparates und der ÖVP vollständig nachgegeben. In der Palästina-Frage bedeutet das, dass er das „Selbstverteidigungsrecht“ Israels bedingungslos unterstützt und bei MigrantInnen ein „massives Integrationsproblem“ in Bezug auf Islamismus bzw. Antisemitismus diagnostiziert. Dabei ist er bemüht, die ÖVP in puncto Regierungstauglichkeit von rechts zu überholen. So verweist er stolz auf das in der SPÖ gültige Kaiser-Doskozil-Papier, das einer radikalen Abschiebungspolitik alle Tore öffnet, die Aufrüstung des Grenzschutzes, das Einsperren von AsylwerberInnen in Verfahrenszentren an der EU-Außengrenze und Zwangsarbeit für Asylberechtigte im Rahmen eines verpflichtenden „Integrationsjahres“ vorsieht. Garniert wird all das mit dem Versprechen, bei einer Regierungsbeteiligung der SPÖ den staatlichen Repressionsapparat im Gegensatz zur ÖVP, die die Polizei „zunehmend aushungert“, schlagkräftiger zu machen. (Standard, 17.11.)
Man sieht, dass die Arbeiterklasse sowie die Jugend mehr denn je eine Kraft brauchen, die gemeinsam mit ihnen die Durchsetzung ihrer Interessen erkämpft und die Herrschaft der KapitalistInnen samt den von ihnen propagierten Spaltungsmechanismen auf den Müllhaufen der Geschichte befördert. Werde bei uns aktiv, um diese Organisation aufzubauen!
(Funke Nr. 219/06.12.2023)