Zur Demonstration gegen das Sparpaket am 27.11. ist die 100. Ausgabe unserer Zeitschrift „Der Funke“ erschienen. Im Editorial behandeln wir die Frage des Widerstands gegen eine Budgetkonsolidierung, die bedeutet, dass wir für die Krise zahlen sollen.
Was werden die Geschichtsschreiber kommender Tage über das vergangene Jahrzehnt, das erste des 21. Jahrhunderts zu berichten haben? Wir wagen eine Prophezeiung: Alle Kräfte, die die Gesellschaft zuvor in ihrem innnerem Bestehen zusammen gehalten haben, sind im Verlaufe dieser 10 Jahre mit immer größerer Geschwindigkeit erodiert. Insbesondere die europäische Gesellschaft ist von einem moralischen Verfallsprozess betroffen, der an der Spitze des politischen Systems von den Berlusconis und Sarkozys repräsentiert wird. Alles Gute, Wahre und Schöne im Menschen wird permanent mit den Marktkräften verhandelt: In der Politik, in der Ökonomie und im Bewusstsein der einzelnen Menschen, wo auch immer sie in dieser Gesellschaft angesiedelt sind.
Allerdings: Wer nun versucht ist, sich der Platz greifenden Agonie zu ergeben, sollte zwei Ratschläge befolgen: Einmal jenen des Leo Trotzkis, der in Erwiderung auf den schrecklichen Beginn eines Jahrhunderts zur Antwort gab: “Du bist nur die Gegenwart“. Zum anderen den Rat des Herrn Julius Meinl V. : „Die Meinl Success Finanz AG weist ausdrücklich darauf hin, dass die Wertentwicklung in der Vergangenheit nichts über die Wertentwicklung in der Zukunft aussagt“. Zwei Sätze, formallogisch mit derselben Aussage, aber in völlig unterschiedliche Richtungen weisend. Während der Revolutionär Trotzki im Angesicht von Krieg, Verhetzung und Ausbeutung die Triebkräfte der Welt in eine bessere Zukunft weisen sieht, muss der U-Häftling Julius Meinl V. vor der Unhaltbarkeit der Versprechungen des von Sieg zu Sieg eilenden Kapitalismus warnen. Beide haben recht.
Die Wolkenkratzer des Kapitalismus sind ins Wanken geraten. Die „Finanzindustrie“ steht nach wie vor dem Kollaps, die „Realökonomie“ (wer weiter auf der grundlegenden Trennung dieser beiden Bereiche beharrt, möge sich aktuell eine Lehre an der A-Tec nehmen: Industriell produziert wird nur dann, wenn die RZB und ihre Kompagnons von der Bank Austria und Ersten Bank ihren Segen dazu geben) steht auf tönernen Füßen. Und nun frisst sich die Krise in den Zentralbereich des hochmonopolisierten Weltkapitalismus, den Staat, vor. Gestern Litauen im Nordosten und Griechenland im Südosten, heute Irland im Westen, morgen Portugal und übermorgen Spanien im Südwesten. Die Kurve der kapitalistischen Krise kennt keine Himmelsrichtungen.
Die Unberechenbarkeit der Krise und der Weltsituation stellt die Marxisten als politische Subjekte vor ein interessantes theoretisches Problem, das sie ausführlich diskutiert haben. Als menschliche Geschöpfe reagieren sie allerdings gleich wie die Massen an Jugendlichen und ArbeitnehmerInnen, deren Zukunft vor aller Augen zermalmt wird: Mit unbändigem Zorn auf die Zumutungen der Berufspolitiker, der Betriebe und der Universitätsrektoren. Ein Rundblick durch Europa offenbart zugleich das Ausmaß der gesellschaftlichen Konfrontation auf dem Alten Kontinent: Frankreich wurde durch Raffinierie- und Hafenblockaden lahmgelegt, in Spanien wurde der Schritt zum Generalstreik gemacht, in Italien organisiert die Metallarbeitergewerkschaft ausgehend von Massenkämpfen in der Autoindustrie eine nationale Demonstration in Rom mit 500.000 TeilnehmerInnen und nimmt in den Augen der Massen immer mehr die Rolle einer politischen Partei ein. In Großbritannien werden Streikposten der Gewerkschaft der Feuerwehren von Lastwagen überfahren und die Parteizentrale der regierenden Konservativen Partei von einer 50.000 Studierenden starken Demonstration gestürmt. Deutschland erlebt mit dem versuchten Bau des Bahnhofs „Stuttgart 21“ sein Hainburg ohne Donau (mit dem kleinen Unterschied dass die Polizei Tausende SchülerInnen aus Arbeitnehmerhaushalten verprügelt, die daraufhin feststellen, dass die Polizei nicht „Freunde und Helfer“ darstellt). In Griechenland geht der Kampf in seine zweite Runde, indem 9 Tage vor Weihnachten zu einem Generalstreik gegen das Budget aus der Feder des IWF und der EU aufgerufen wird.
Und dennoch: Niederlagen, nichts als Niederlagen. Warum? fragen sich die staunenden BeobachterInnen aus dem Land der Prölls und Faymanns, die schon froh wären, wenn sich der ÖGB-Präsident eindeutig gegen das Kürzungsbudget aussprechen würde. Wir geben die Antwort: Weil sich die Führung der Massenproteste nicht auf ein Programm festlegen möchte. Bernard Thibault, der Generalsekretär der größten französischen Gewerkschaft CGT weigerte sich trotz massiver Nachfrage von JournalistInnen, die Wortfolge „unbefristeter Generalstreik bis die Pensionsreform fällt“ (was bereits von Gewerkschaftskonferenzen in verschiedenen Regionen Frankreichs gefordert worden war), in den Mund zu nehmen. Die Führung der GSEE, der größten griechischen Gewerkschaft, weigerte sich, die Annullierung der Staatsschulden zu einem Kampfziel der Massenproteste zu erklären. Die Führung des britischen Gewerkschaftsdachverbands TUC will nicht vor März zu einer nationale Demonstration aufrufen, obwohl der Finanzminister den Abbau von 500.000(!!) Arbeitsplätzen angekündigt hat.
Aber wenigstens: diese Leute sind ernstzunehmen, sie sind hartgesottene Vertreter einer Ideologie, die um jeden Preis eine grundlegende Konfrontation mit der bürgerlichen Politik und den UnternehmensbesitzerInnen vermeiden möchten und dies auch gegenüber allen klar machen. Auf welch kabarettistischem Niveau sich dagegen die Vorgänge in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung bewegen, ist dagegen Spott und Hohn. Wir ziehen 2 Beispiele heran: Die Sozialistischen Jugend Oberösterreich wollte in der Bezirksparteikonferenz der SPÖ Freistadt eine Resolution einbringen, die eine Ablehnung des Budgets zum Ausdruck brachte, für die Entfernung aller Maßnahmen plädierte, die gegen ArbeitnehmerInnen und Jugendliche gerichtet waren (Familienbeihilfe, Minerölsteuer etc.), die Einführung vermögenswirksamer Steuer und für den Fall einer Blockade durch die ÖVP die Auflösung der Koalition mit derselben forderte. Der Vorsitzende der Bezirkspartei, Hans Affenzeller zeigte sich so begeistert, dass er den Antrag gleich selber einbrachte. Der Vorsitzende der Landespartei, Josef Ackerl unterstützte die Resolution, die einstimmig angenommen wurde. Soweit, so gut. Die Konsequenz dieses Antrags – der fast gleichlautend auch von der SPÖ Wels angenommen wurde – wäre natürlich gewesen, dass die oberösterreichischen SPÖ-Abgeordneten im Nationalrat gegen das Budget hätte stimmen müssen, womit die Faymann-Regierung keine Mehrheit für ihr Budget mehr gehabt hätte und die Koalition in die Luft geflogen wäre (was ja auch erklärtes Ziel des einstimmig angenommen Antrags war). Einige Tage später haben Ackerl und Affenzeller im Landesparteivorstand plötzlich gegen denselben Antrag gestimmt – man könne ja eventuell noch Verbesserungen in Verhandlungen erreichen. Genosse Affenzeller wurde auf der Bezirksparteikonferenz mit folgenden Worten zitiert: „Die aktuellen Nachjustierungen in einzelnen Bereichen während der Begutachtungsfrist werden die gesamte Härte des Pakets nicht mehr abfedern!“ So ist es! Und wo ist Dein Respekt für Demokratie in der Arbeiterbewegung?
Zweites Beispiel: Der FSG-Vorsitzende Katzian, zugleich Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), lieferte ein weiteres Husarenstück in Sache Interessensvertretung. Die unlängst stattgefundene Bundeskonferenz der GPA sprach sich einstimmig(!) gegen eine Reform des Arbeitsverfassungsgesetzes aus, die die Prämienverteilung im Betrieb von der Zustimmung der Betriebsräte entkoppelt. Am Tag der Abstimmung im Parlament war Katzian leider an anderer Stelle unabkömmlich, worauf die Reform im Gesetzwerdungsprozess voran kam. Eine blöde Unpässlichkeit. In Arbeitsverhältnissen der Raumpflegung wäre ein solches Fernbleiben leicht als Entlassungsgrund gewertet worden.
Es üben zwar alle möglichen Gewerkschaftschefs und SPÖ-PolitikerInnen heftige Kritik am Budgetentwurf, aber wenn es darum geht einen Beschluss zu fassen, der Sparpolitik der Regierung ernsthaften Widerstand entgegenzuhalten, gehen plötzlich alle auf Tauchstation. Bisher hat sich niemand gefunden, der eine Bewegung gegen das Sparpaket organisieren könnte. Die Gewerkschaften verstecken sich hinter einem zivilgesellschaftlichen Bündnis, die ÖH weigert sich, einen Unistreik zu organisieren – und alle hoffen auf Verhandlungen mit der Regierung. Noch vor Weihnachten wird das Budget im Nationalrat verabschiedet.
Alle Abgeordneten der SPÖ und insbesondere jene der FSG haben jedoch im Dezember die Chance, sich von ihren Kollegen in Griechenland und anderswo zu unterscheiden: Sie können die Interessen der von ihnen repräsentierten Menschen vor die Interessen des Kapitalismus stellen. Aber dazu müssen sie den Kampf in ihrem eigenem Kopf gewinnen: Für das Gute, Wahre und Schöne im Menschen und gegen die unbarmherzige Profitlogik des Kapitalismus.
Druck von der Straße und den Basisstrukturen der ArbeiterInnenbewegung kann dabei eine wichtige Entscheidungshilfe sein.
Inhalt von Funke Nr. 100:
Analyse des Budgetentwurfs der Bundesregierung
Widerstand gegen das Budget in der SPÖ
Was bringt Rot-Grün?
Aus den Betrieben: Fonds Soziales Wien (FSW), Post
Nein zum (Psycho-)Sozialabbau in OÖ und zu Einsparungen im Kinderbetreuungsbereich
Bilanz des Metaller-KV
Novelle des Arbeitsverfassungsgesetzes und die Rolle der Gewerkschaft
Zeitarbeit
Gewerkschaft und Rassismus
Sozialistisches Programm gegen Lehrlingsausbeutung und Jugendarbeitslosigkeit
Warum wir MarxistInnen sind (von Alan Woods)
Rosa Luxemburg zu „Sozialdemokratie und Budgetbewilligung“
Kampf für Frauenbefreiung – in welcher Tradition stehen wir?
100 Ausgaben „Der Funke“ – ein Rückblick auf unsere Geschichte
Frankreich: Bilanz der Bewegung gegen die Pensionsreform
Italien: Der Kampf der MetallarbeiterInnen
Venezuela: Die Linke in der PSUV formiert sich
Weltwirtschaft auf Crash-Kurs
Das alles auf 16 Seiten A3. Die Ausgabe kann zum Preis von 1,5 Euro + Porto bei der Redaktion bestellt werden: redaktion@derfunke.at