Eine Einführung in die Marx’sche Krisentheorie liefert in diesem längeren Beitrag Axel Magnus.
Die seit einiger Zeit andauernde Finanz- und Wirtschaftskrise bewegt die ganze Welt – im wahrsten Sinne des Wortes, verschlechtert sie doch die Lebensbedingungen von Milliarden von Menschen. Gleichzeitig bestimmt sie seit längerem die öffentliche Diskussion, unser Denken, Fühlen und Handeln. Das spiegelt sich sowohl in den bürgerlichen Massenmedien als auch der Rechtfertigungswissenschaft des Systems wider. Gleichzeitig haben all diese gelehrten Schreibereien und ‚Diskurse‘ bisher kaum zu befriedigenden Erklärungen für die Krise geführt.
Möglicherweise liegt dies ja auch daran, dass die AutorInnen derselben schlicht und einfach an der falschen Stelle danach gesucht haben. So sehr sie das geflügelte Wort vom „alt, aber gut“ lieben, wenn es um die Aufrechterhaltung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und die (klein)bürgerliche Moral geht, so wenig sind sie dazu im Stande, wissenschaftliche Erkenntnisse von früher aufzugreifen, solange diese nicht innerhalb der engen Grenzen ihrer ideologischen Scheuklappen gesehen werden können.
Tatsächlich hat nämlich bereits Karl Marx verstreut über eine Reihe von Werken, insbes. die drei Bände des Kapitals, eine Krisentheorie entwickelt, die heute leider bestenfalls in linken Zirkeln und Gewerkschaftskreisen den Ausgangspunkt der Diskussion bildet, auch wenn sie von den aktuellen Tatsachen mehr als bestätigt wird. Den Lohnschreiberlingen und sonstigen LakaInnen des Kapitals ist es aber offensichtlich zu mühsam, sich auf die harte Spurensuche zu begeben, die erforderlich ist, da Marx selbst auf Grund seines viel zu frühen Todes leider die geplante Systematisierung seiner Krisentheorie nicht mehr in schriftlicher Form vorlegen konnte. Nichtsdestotrotz gibt es sie und wir wollen ihre Ansätze in der Folge überblicksartig in einer einheitlichen und systematischen Form zugänglich machen, um die Diskussion über die Ursachen der Krise zu befruchten. Das Studium der marxistischen Schriften zur politischen Ökonomie kann damit aber nicht ersetzt, sondern nur jedem/r ans Herz gelegt werden, ist dieses doch weit mehr als Hirnwichserei, nämlich schlicht und einfach gesellschaftsverändernde Praxis.
Schon auf den ersten Blick scheint die aktuelle Krise eine eindeutige Bestätigung der marx’schen Akkumulationstheorie zu sein, welche in ihrer Konsequenz nichts anderes als eine Krisen- und Zusammenbruchstheorie ist. Marx hat eindeutig nachgewiesen, dass es der Prozess der Kapitalakkumulation selbst ist, der zur Überakkumulation von Kapital führt. Folglich sammelt sich an bestimmten Punkten des Wirtschaftszyklus in den Händen der herrschenden Klasse mehr Kapital an, als profitabel investiert werden kann. Irgendwann führt dies in der Konsequenz zu einer Krise im Finanzsystem, wenn die InvestorInnen ihre Gelder abziehen (wie etwa in der Asienkrise Ende der 1990er), keine neuen Mittel zur Verfügung stellen, oder aber die Zinsen dermaßen erhöhen, dass der Kreislauf des Kapitals unterbrochen wird. Dieser Teufelskreislauf kann nur durchbrochen werden, indem wieder ausreichende Profitabilität hergestellt wird. Voraussetzung dafür ist die Vernichtung bzw. Entwertung großer Kapitalien in vielfältiger Form, wie z.B. Abschreibungen, Wertverfall von Aktien, Währungsabwertungen, Inflation, Insolvenzen, fallende Löhne und Arbeitslosigkeit. Krisen entstehen in letzter Konsequenz also aus der Jagd nach höheren Profiten, welche sich darin ausdrückt, dass das Kapital permanent versucht, die Produktivität zu erhöhen.
Das ist die Kurzfassung der marx’schen Krisentheorie, die wir untenstehend im Detail beleuchten wollen. Entsprechend dem marxistischen Verständnis sind Krisen also nichts Außergewöhnliches, sondern gehören zum normalen Lebensprozess des Kapitals. Sie sind eine Funktion des Wesens des Kapitals, welches in der Ausbeutung lebendiger menschlicher Arbeitskraft besteht. Nachdem Krisen und Wirtschaftswachstum in einem Wechselspiel aufeinander folgen, beginnen wir unsere Analyse mit dem kapitalistischen Zyklus.
Aufschwung – Überhitzung – Abschwung – Krise – Aufschwung …
Marx identifiziert in seiner Analyse des Kapitalismus zunächst die Umschlagszeit des fixen Kapitals – die Periode, in welcher der Wert, der in Fabriken und Maschinen steckt, auf neu produzierte Güter übertragen wird, die dann als Waren zirkulieren – als den entscheidenden Faktor, der die Dauer des industriellen Zyklen im Kapitalismus bestimmt. Mit dem Fortschreiten des Zyklus steigt die organische Zusammensetzung des Kapitals – es wird also im Vergleich zu den Ausgaben für Arbeitskraft immer mehr und mehr für die anderen Bestandteile des Produktionsprozesses ausgegeben, so dass das fixe Kapital (jene Bestandteile des Produktionsprozesses, die nicht Arbeit, Rohstoffe, Energie oder Vorprodukte sind) genau dann ersetzt werden muss, wenn die Profitrate nieder ist.
In dieser Situation reichen zumeist die innerbetrieblichen Rücklagen nicht aus, um diese Ersatzinvestitionen vornehmen zu können, so dass auf Kredite zurück gegriffen werden muss. Gleichzeitig haben viele KapitalistInnen in dieser Situation, wo die Profitraten in der Realwirtschaft in Folge der Überakkumulation bereits gesunken sind, ihre flüssigen Mittel bereits in Finanzprodukten spekulativ angelegt, was dazu führt, dass nicht genügend liquide Mittel für Kredite zur Verfügung stehen. Zuletzt begann eine solche Entwicklung im Jahre 2007 in den USA und breitete sich seither auf die ganzen Welt aus. Die gestiegene Nachfrage nach Krediten am Ende des Zyklus treibt folglich deren Preis (die Zinsen also) immer mehr in die Höhe. Die steigenden Zinsen und die Ausweitung des fiktiven Kapitals (Spekulation) führen also am Ende jedes zyklischen Aufschwungs zu einer Kredit- und Bankenkrise.
Und genau in dieser Phase des Zyklus wollen zahlreiche Unternehmen mehr oder weniger gleichzeitig ihr fixes Kapital erneuern. Warum? Wie bereits angedeutet, kann jede Krise nur durch die Entwertung von Kapital, das nicht profitabel angelegt werden kann (Überakkumulation), gelöst werden.
Dem Höhepunkt jedes Zyklus folgt dementsprechend eine Phase der Rezession, in welcher die Lagerbestände abgebaut, fixes Kapital vernichtet, unprofitable Unternehmen in den Bankrott geschickt und ArbeiterInnen entlassen werden. In dieser Phase bricht die Nachfrage ein – die Preise für Investitionsgüter, die Leitzinsen und die Löhne sinken. Dadurch entstehen bessere (billigere) Bedingen für größere Investitionen in fixes Kapital, was den nächsten Aufschwung vorbereitet.
In der Geschichte des Kapitalismus hat sich auf Grund dieser allgemeinen Abfolge der Phasen des Konjunkturzyklus eine Dauer desselben von in der Regel 7-10 Jahren herausgebildet. Die Dauer und Tiefe der Krisen und Rezessionen sind allerdings nicht durch die Umschlagszeit des fixen Kapitals bestimmt und daher auch weniger vorhersehbar. Sie werden von der weltpolitischen Situation bestimmt, vom Handeln der Staaten, der Finanzinstitutionen und der Klassen. Dauer und Tiefe der Krisen hängen insbes. auch davon ab, in welchem Ausmaß Kapital vernichtet und wie weit die organische Zusammensetzung des Kapitals gesenkt wurde.
Tatsächlich hat bereits Marx im dritten Band des „Kapital“ eine Theorie der industriellen Zyklen geschaffen, der die Krise seit 2007 nahezu prototypisch entspricht: Von der inneren Entwicklung des fixen Kapitals zur Einführung technologischer Neuerungen, zur wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals, zu höheren Löhnen und höherem Beschäftigungsgrad, zu steigender Nachfrage, zu höheren Preisen und Zinsen und steigender Verschuldung der Unternehmen auf dem Finanzmarkt, zur Expansion des fiktiven Kapitals, zu Überakkumulation, die zu hysterischer Spekulation führt, und schlussendlich zur Krise, in der Werte zu Geld gemacht werden (sollen) und Kapital vernichtet wird.
Der Krise folgt in der Regel eine Phase stagnierender Produktion, in der die Profitraten normalerweise gering sind. Die bereits produzierten Güter kommen billig auf den Markt, die Arbeitslosigkeit steigt – beides drückt Preise und Löhne; gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach Konsumgütern und Produktionsmitteln sowie Krediten. Nach der Entwertung des Kapitals beginnen die Unternehmen zur Stabilisierung der Preise ihre Kosten zu senken, womit die Erholung und damit die nächste Aufschwungsphase vorbereitet werden.
Die in der Rezession erfolgte Verbilligung von Arbeitskosten und Krediten gereicht dem Kapital nun zum Vorteil. Die organische Zusammensetzung des Kapitals ist im Vergleich zum Höchststand innerhalb des vorhergehenden Zyklus gesunken, weswegen die Profitraten wieder steigen können. Wegen der geringeren Löhne können sogar ‚Arbeitsplätze geschaffen‘ werden. Auch können fixes Kapital wie Maschinen und zirkulierende Bestandteile des konstanten Kapitals wie Rohstoffe zu geringeren Kosten eingekauft werden. Wie schon erwähnt, sind die Bedingungen für langfristige Investitionen in große Anlagen jetzt vergleichsweise günstig. Diese Entwicklung führt zu einer höheren Beschäftigung in Abteilung 1 (Produktion von Produktionsmitteln) und zu einem Ungleichgewicht zwischen Abteilung 1 und 2, da die Nachfrage an Konsumgütern schneller wächst als das Angebot.
Während der Erholungsphase verfügen viele KapitalistInnen über flüssiges Kapital; die Nachfrage nach Bankkrediten ist demzufolge schwach, was die Zinssätze niedrig hält. Sobald die alten Warenbestände aus den Zeiten der Stagnation abgebaut sind, kann die Produktion wieder auf Hochtouren gebracht werden und die Preise – und in ihrem Gefolge die Profite – können steigen. So wie die Einkünfte aus Produktion und Zirkulation steigen, erhöht sich auch die Nachfrage nach Waren und Krediten, was nach einer Erhöhung des Angebots schreit. Eine erneute Phase der kreditfinanzierten Expansion betritt die Bühne der Weltgeschichte.
Je überhitzter die Expansion wird, je mehr Kapital also zur Finanzierung der erforderlichern Investitionen für die Ausweitung der Produktion benötigt wird, desto schneller und fieberhafter muss neues Geld herbeigeschafft werden. Spekulation in jeder nur erdenklichen Form wird zum Gebot der Stunde. Das fiktive Kapital entkoppelt sich in der Folge immer mehr und mehr von seiner produktiven Basis. Mit dieser überhandnehmende Spekulation ist die letzte Phase des Aufschwungs erreicht. Es zirkuliert mehr Wert auf den Märkten, als in verausgabter Arbeit in der Produktion realer Waren an Wert geschaffen wurde. Finanzskandale und Betrügereien sind an der Tagesordnung. Obwohl die Profitmasse gewaltig ist, kommen nun die Profitraten unter Druck, speziell bei Neuinvestitionen, und bedrohen so die Profitmasse selbst. Das überakkumulierte Kapital findet immer neue Anlageformen. Es entstehen sichtbare Ungleichgewichte zwischen Staaten, in den Zahlungsbilanzen, den beiden Abteilungen der Produktion, die Preise für Rohstoffe steigen enorm (wie z.B. 2008 der Ölpreis), die Masse der Kreditprodukte hat keinen Bezug mehr zu ihrem realen Wert (z.B. die auf Hypotheken basierenden Finanzprodukte, mit welchen die USA die ganze Welt überschwemmt haben), die Aktienkurse pendeln wie ein JoJo. Das System aber kennt keine andere Lösung als die wiederholte Ausweitung des Kredits.
In Marxens Worten liest sich das so: „Hat der Reproduktionsprozess wieder den Stand der Blüte erreicht, der dem der Überanstrengung vorhergeht, so erreicht der kommerzielle Kredit eine sehr große Ausdehnung, die dann in der Tat wieder die ‚gesunde‘ Basis leicht eingehender Rückflüsse und ausgedehnter Produktion hat. In diesem Zustand ist der Zinsfuß immer noch niedrig, wenn er auch über sein Minimum steigt. Es ist dies in der Tat der einzige Zeitpunkt, wo gesagt werden kann, daß niedriger Zinsfuß, und daher relative Reichlichkeit des verleihbaren Kapitals, zusammenfällt mit wirklicher Ausdehnung des industriellen Kapitals. Die Leichtigkeit und Regelmäßigkeit der Rückflüsse, verknüpft mit einem ausgedehnten kommerziellen Kredit, sichert das Angebot von Leihkapital trotz der gesteigerten Nachfrage und verhindert das Niveau des Zinfußes zu steigen. Andererseits kommen jetzt erst in merklichem Grad die Ritter herein, die ohne Reservekapital oder überhaupt ohne Kapital arbeiten und daher ganz auf den Geldkredit hin operieren. Es kommt jetzt auch hinzu die große Ausdehnung des fixen Kapitals in allen Formen und massenhafte Eröffnung neuer weitreichender Unternehmungen. Der Zins steigt jetzt auf seine Durchschnittshöhe. Sein Maximum erreicht er wieder, sobald die neue Krise hereinbricht, der Kredit plötzlich aufhört, die Zahlungen stocken, der Reproduktionsprozeß gelähmt wird und, mit früher erwähnten Ausnahmen, neben fast absolutem Mangel von Leihkapital, Überfluß von unbeschäftigtem industriellen Kapital eintritt.“(Marx: Das Kapital, Band III, MEW 25, S. 505)
Den ProfiteurInnen des Systems aber bleibt diese vorhersehbare, ja unvermeidliche, Entwicklung ein Buch mit sieben Siegeln. Auch heute ist das nicht anders, was sich z.B. daran zeigt, dass der Index des Vertrauens in die wirtschaftliche Entwicklung im 1. Quartal 2007 in den USA und Britannien sein Rekordhoch erreichte. Der eigentliche Beginn der Krise erscheint folglich Politik, Massenmedien und Wirtschaft immer als plötzlich – die Börsen crashen, Währungen oder Banken brechen zusammen. Die Dynamik hin zur Krise wurde aber bereits durch die vorhergehende Phase begründet. Obwohl es praktisch immer so aussieht, wie wenn die Krise in der Sphäre der Finanzen ihren Ausgang nehmen würde, liegen ihre wahren Ursachen doch immer in der Produktion. Ausgehend davon hat Marx die Grundzüge des Wirtschaftszyklus folgendermaßen beschrieben:
„Es verhält sich mit dem industriellen Zyklus so, daß derselbe Kreislauf, nachdem der erste Anstoß einmal gegeben, sich periodisch reproduzieren muss. Im Zustand der Abspannung sinkt die Produktion unter die Stufe, die sie im vorigen Zyklus erreicht und wofür jetzt die technische Basis gelegt ist. In der Prosperität – der Mittelperiode – entwickelt sie sich weiter auf dieser Basis. In der Periode der Überproduktion und des Schwindels spannt sie die Produktivkräfte auf das höchste an, bis hinaus über die kapitalistischen Schranken des Produktionsprozesses.
Daß es in der Periode der Krise an Zahlungsmitteln fehlt, ist selbsteinleuchtend. Die Konvertibilität der Wechsel hat sich substituiert der Metamorphose der Waren selbst, und grade zu solcher Zeit um so mehr, je mehr ein Teil der Geschäftshäuser bloß auf Kredit arbeitet. Unwissende und verkehrte Bankgesetzgebung, wie die von 1844/45, kann diese Geldkrise erschweren. Aber keine Art Bankgesetzgebung kann die Krise beseitigen.
In einem Produktionssystem, wo der ganze Zusammenhang des Reproduktionsprozesses auf dem Kredit beruht, wenn da der Kredit plötzlich aufhört und nur noch bare Zahlung gilt, muß augenscheinlich eine Krise eintreten, ein gewaltsamer Andrang nach Zahlungsmitteln. Auf den ersten Blick stellt sich daher die ganze Krise nur als Kreditkrise und Geldkrise dar. Und in der Tat handelt es sich nur um die Konvertibilität der Wechsel (heute würde Marx wohl von einer Fülle weitere Finanzprodukte schreiben – Anm. des Autors) in Geld. Aber diese Wechsel repräsentieren der Mehrzahl nach wirkliche Käufe und Verkäufe, deren das gesellschaftliche Bedürfnis weit überschreitende Ausdehnung schließlich der ganzen Krisis zugrunde liegt. Daneben aber stellt auch eine ungeheure Masse dieser Wechsel bloß Schwindelgeschäfte vor, die jetzt ans Tageslicht kommen und platzen; ferner mit fremden Kapital getriebne, aber verunglückte Spekulationen; endlich Warenkapitale, die entwertet oder gar unverkäuflich sind, oder Rückflüsse, die nie mehr einkommen können. Das ganze künstliche System gewaltsamer Ausdehnung des Reproduktionsprozesses kann natürlich nicht dadurch kuriert werden, daß nun etwa eine Bank, z.B. die Bank von England, in ihrem Papier allen Schwindlern das fehlende Kapital gibt und die sämtlichen entwerteten Waren zu ihren alten Nominalwerten kauft. Übrigens erscheint hier alles verdreht, da in dieser papiernen Welt nirgendswo der reale Preis und seine realen Momente erscheinen; sondern nur Barren, Hartgeld, Noten, Wechsel, Wertpapiere. Namentlich in den Zentren, wo das ganze Geldgeschäft des Landes zusammengedrängt, wie London, erscheint diese Verkehrung; der ganze Vorgang wird unbegreiflich; weniger schon in den Zentren der Produktion.“(Marx: Das Kapital, Band III, MEW 25, S. 506f)
Letztlich ist es also das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital selbst, welches die Krise in sich trägt. Die Entwicklung von Technik und Produktivität stimmt nicht mehr mit ihren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, den Produktionsverhältnissen, überein. Die gewaltsame Vernichtung von Kapital in der Krise verhindert so den Zusammenbruch des Kapitalismus, die Krise wird zur Selbstreinigung, zur Überlebensstrategie und Methode der Selbsterhaltung des Kapitals.
Idealtypisch wäre damit die Krise im marx’schen Sinne beschrieben. In der Folge müssen wir aber einige zentrale Begriffe seiner Krisentheorie noch genauer beleuchten, um die tatsächlichen Ursachen der Krise im Wesen des Kapitalismus so erkennen zu können wie sie in jeder Krise wirklich wirken.
Überakkumulation
Marx‘ Krisentheorie hat ihre Grundlage in der Arbeitswerttheorie. Wie er im ersten Band des „Kapital“ erklärt, haben alle Waren sowohl einen Gebrauchs- als auch einen Tauschwert. Ihre Gebrauchswerte sind qualitativ verschieden und deshalb nicht vergleichbar. Jede Ware muss dennoch gegen andere ausgetauscht werden können. Dies erfordert eine gemeinsame Eigenschaft, die quantitativ mess- und vergleichbar ist. Diese Eigenschaft ist der Wert, gemessen in menschlicher Arbeitszeit. Der Wert einer Ware bemisst sich nach der durchschnittlichen Arbeitszeit, die zu ihrer Produktion erforderlich ist (gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit). Waren werden im Durchschnitt zu diesem Wert getauscht. Dies gilt auch für die Ware Arbeitskraft, die einzige Ware, die Wert schaffen kann, während sie im Verlauf der Produktion verbraucht wird. Das hat seinen Grund darin, dass in der Produktion Arbeit zu den Rohstoffen, Maschinen usw. hinzukommt, welche in Arbeitszeit, dem Maß des Werts, gemessen wird.
Wie bei anderen Waren bemisst sich der Wert der Ware Arbeitskraft an der Arbeitszeit, die zu ihrer (Re-)Produktion erforderlich ist, also der Zeit, die erforderlich ist, um die Güter und Dienstleistungen, die die ArbeiterInnen am Leben erhalten, herzustellen. Gleichzeitig gibt es im Wert der Arbeitskraft auch ein soziales, kulturelles Element, welches mehr oder weniger nicht unbedingt lebensnotwendigen Konsum ermöglicht und in Folge des Klassenkampfes erreicht wurde. Darum und auch, weil bestimmte Lebensmittel von Land zu Land unterschiedlich viel Wert haben, ist der Wert der Ware Arbeitskraft in einigen Ländern niedriger als in anderen, was sich aber natürlich im Zeitverlauf bzw. im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung ändern kann.
Der Wert der Arbeitskraft bestimmt die Höhe des Lohns. Ausschlaggebend für den Wert der Ware Arbeitskraft sind also ihre Reproduktionskosten und nicht der Wert des Produkts, welches der/die ArbeiterIn herstellt. Wir können uns deshalb den Arbeitstag in zwei Teilen vorstellen. Der erste Teil ist die notwendige Arbeitszeit. Das ist der Zeitraum, in welchem Lohnabhängige die Werte herstellen, die den Kosten entsprechen, die entstehen, um ihre Arbeitskraft wiederherzustellen und neue Arbeitskraft zu schaffen – die Kosten von Kindern bzw. Familien sind hier also miteingeschlossen. Dieser Teil macht aber bei weitem nicht den gesamten Arbeitstag aus. Während des anderen Teils des Arbeitstages findet Mehrarbeit statt. Es handelt sich um den unbezahlten Teil des Arbeitstages, in dem der Mehrwert als Quelle des Profits produziert wird.
Da die notwendige Arbeit nur ein Teil des Arbeitstages ist, ist der Wert der Arbeitskraft folglich kleiner als der Wert, den die ArbeiterInnen den hergestellten Produkten hinzufügen. Bei der Differenz handelt es sich um Mehrwert, den sich das Kapital als Profit aneignet. Ein Teil dieses Profits wird wiederum investiert, so dass aus Kapital mehr Kapital wird (Akkumulation). Dadurch steigert das Kapital die Produktivität der Arbeit, so dass mehr Waren in einer kürzeren Zeitspanne produziert werden können. Üblicherweise geschieht dies durch den Einsatz modernerer Maschinen, welche die Zeit, die für die Herstellung eines Produkts erforderlich ist, reduzieren. Die durchschnittlich in die Produktion einer Ware einfließende Arbeitszeit sinkt daher. Das bedeutet, dass der Wert der Ware sinkt.
Das erste Unternehmen, das eine neue Technologie einführt, erzielt also einen Extraprofit, indem die nun billiger produzierten Waren zu einem Preis verkauft werden, der in etwa dem alten entspricht. Innerhalb einer gegebenen Zeitperiode werden nun also in dieser Firma mehr Produkte hergestellt. Falls diese zur Reproduktion der ArbeiterInnen erforderlich sind, werden deren Reproduktionskosten geringer, der Anteil der notwendigen Arbeit am Arbeitstag sinkt und der Anteil der Mehrarbeit steigt. Dementsprechend kann das jeweilige Unternehmen den Profit steigern. Andere Unternehmen sehen das aber genauso, müssen v.a. den für sich durch die Einführen der neuen Technologie bei der Konkurrenz entstandenen Nachteil ausgleichen, wodurch eine Tendenz entsteht, die Arbeitsproduktivität permanent durch Verbesserung der eingesetzten Technologie zu erhöhen. Es gibt also ein Bestreben, den Anteil des konstanten Kapitals (Maschinen und Rohstoffe) gegenüber dem variablen Kapital (lebendige Arbeit) zu steigern. Eine solche Steigerung vermehrt aber nur kurzfristig die Profitmasse der ersten paar Unternehmen, die damit anfangen, jedoch werden die anderen Unternehmen dieser Branche bald das gleiche System einführen und so ihren kurzfristigen Nachteil beheben oder aber sie werden aus dem Markt gedrängt.
Zur selben Zeit ist der Anteil der Investition, der in lebendige Arbeit fließt, gegenüber dem Anteil, der in Maschinen und Rohmaterialien verausgabt wird, relativ gesunken. Das konstante Kapital hat sich gegenüber dem variablen Kapital erhöht. Die sog. organische Zusammensetzung des Kapitals ist gestiegen. Nun ist aber der Mehrwert die Quelle des Profits, und nur die ArbeiterInnen können durch ihre unbezahlte Arbeit Mehrwert schaffen. Daraus folgt, dass nur Investitionen in variables Kapital Profit erzeugen. Wenn also der Anteil der Investitionen in variables Kapital (lebendige Arbeit) im Vergleich zu denen in konstantes Kapital sinkt – und dies muss im Kapitalismus so sein, weil auf Grund der Konkurrenz immer ein Unternehmen danach streben wird, einen vorübergehenden Produktivitätsvorsprung vor anderen zu haben – muss auch der Anteil der Löhne an den Gesamtausgaben sinken und damit der Anteil jenes Kapitalbestandteils, der Profit schaffen kann. Der Prozess macht aber nicht bei einer Firma halt, da diese sonst alle anderen KonkurrentInnen aus dem Markt drängen würde. Mit der Zeit findet er in der gesamten Branche statt und das konstante Kapital – Maschinen, Gebäude, Rohstoffe und Halbfertigprodukte – steigt im Verhältnis zur lebenden Arbeit (dem variablen Kapital). Dies erzeugt eine Tendenz zum Fall der Profitrate. Die Profitrate ist nicht die Masse an Profit, der in der kapitalistischen Produktion entsteht, sondern die Profitmasse im Verhältnis zum investierten Kapital.
Die Profitmasse muss also nicht unbedingt schrumpfen, wenn die Profitrate fällt. In der Regel wird die Produktivitätssteigerung sogar die Profitmasse durch die gleichzeitige Ausweitung der Produktion erhöhen, jedoch geschieht dies nur durch die Erhöhung des konstanten Kapitals im Vergleich zum variablen. Während also die Produktion wächst, fällt die Profitrate. In der Expansionsphase eines konjunkturellen Zyklus steigen die Profite und oft auch die Profitrate; über den gesamten Verlauf des Zyklus betrachtet, sinkt aber Profitrate tendenziell.
Dieser Druck auf die Profitrate resultiert aus der Überakkumulation des Kapitals. Da die Profitraten in den Sektoren mit der höchsten organischen Zusammensetzung des Kapitals am meisten unter Druck stehen, also in den Sektoren mit der höchsten Arbeitsproduktivität, in denen der Anteil des konstanten im Verhältnis zum variablen Kapital am höchsten ist, wird hier als erstes Kapital abgezogen, das in anderen Bereichen noch profitabel eingesetzt werden kann – heute zumeist in Form der Spekulation. Die Überakkumulation des Kapitals führt schließlich dazu, dass sich die Wachstumsphase des industriellen Zyklus zu einem spekulativen Fieber entwickelt, welches in der Krise endet. Getätigte Investitionen verlieren an (zuvor fiktivem) Wert. Sobald die Überbewertung komplexer Finanzinstrumente offensichtlicht wird, tritt eine Kreditknappheit ein und der Prozess der Akkumulation des Kapitals kommt zu einem abrupten Stillstand.
Erst nach der darauf folgenden massiven Vernichtung von Kapital beginnen die KapitalistInnen wieder damit, in nun billigere Betriebe, Maschinerie und ArbeiterInnen zu investieren und der Erholungsprozess setzt ein. Ein neuer Zyklus hat begonnen. Wie kraftvoll oder wie schwach der Aufschwung ist und wie schnell Krise und Rezession wiederkehren, hängt im Wesentlichen davon ab, wie viel Kapital in der Krise vernichtet wurde und wie gut es den dominanten KapitalistInnen gelang, die ArbeiterInnenklasse den Preis der Krise zahlen zu lassen. Das genau ist der Kampf um die Verteilung der Kosten der Krise zwischen Kapital und Arbeit, welcher zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes nahezu weltweit stattfindet.
Tendenzieller Fall der Profitrate
Wie wir gesehen haben, wächst die Arbeitsproduktivität im Kapitalismus durch kontinuierliche Innovation der Produktionstechnik beginnend in einigen wenigen Betrieben. Somit kommt das eingesetzte Kapital als noch mehr Profit als üblich zurück, um reinvestiert zu werden, um noch mehr Profit zu schaffen. Im Verlauf dieses Akkumulationsprozesses zusätzlichen Kapitals sind die Unternehmen gezwungen, die Einführung von arbeitssparender Technologie mit der Kürzung ihrer Arbeitskosten zu unterstützen. Dadurch steigt die Ausbeutung der ArbeiterInnen in Folge des Wesens der kapitalistischen Produktion.
„Diese erzeugt mit der fortschreitenden relativen Abnahme des variablen Kapitals gegen das konstante eine steigend höhere organische Zusammensetzung des Gesamtkapitals, deren unmittelbare Folge ist, dass die Rate des Mehrwerts bei gleich bleibendem und selbst bei steigendem Exploitationsgrad der Arbeit sich in einer beständig sinkenden allgemeinen Profitrate ausdrückt. (Es wird sich weiter zeigen, warum dies Sinken nicht in dieser absoluten Form, sondern mehr in Tendenz zum progressiven Fall hervortritt.) Die progressive Tendenz der allgemeinen Profitrate zum Sinken ist also nur ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümlicher Ausdruck für die fortschreitende Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit. Es ist damit nicht gesagt, daß die Profitrate nicht auch aus anderen Gründen vorübergehend fallen kann, aber es ist damit aus dem Wesen der kapitalistischen Produktionsweise als eine selbstverständliche Notwendigkeit bewiesen, dass in ihrem Fortschritt die allgemeine Durchschnittsrate des Mehrwerts sich in einer fallenden allgemeinen Profitrate ausdrücken muss. Da die Masse der angewandten lebendigen Arbeit stets abnimmt im Verhältnis zu der Masse der von ihr in Bewegung gesetzten vergegenständlichten Arbeit, der produktiv konsumierten Produktionsmittel, so muß auch der Teil dieser lebendigen Arbeit, der unbezahlt ist und sich in Mehrwert vergegenständlicht, in einem stets abnehmenden Verhältnis stehn zum Wertumfang des angewandten Gesamtkapitals. Dies Verhältnis der Mehrwertsmasse zum Wert des angewandten Gesamtkapitals bildet aber die Profitrate, die daher beständig fallen muß.“(Marx: Das Kapital, Band III, MEW 25, S. 223)
Das Motiv bei der Einführung von neuer Technologie und der damit verbundenen Steigerung der Arbeitsproduktivität ist immer die Erhöhung der Mehrwertrate (Marx nennt sie auch Rate der Ausbeutung) oder des Anteils des Mehrwerts am variablen Kapital durch die Verringerung der (Arbeits-)Zeit, die erforderlich ist, um ein bestimmtes Produkt herzustellen. Dadurch sinkt der Wert der Ware im Verhältnis zur Ware der Konkurrenz und das erste Unternehmen, welches die neue Technologie eingesetzt hat, erzielt einen höheren Profit.
Das Sinken der Profitrate als Folge der wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals erklärt zum Teil, warum es zyklische Wirtschaftskrisen gibt. Die Profitrate sinkt aber nicht während des gesamten Zyklus. Die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals erzeugt vielmehr eine Tendenz zum Fall der Profitrate; ein eindeutiger Fall der Profitrate findet nur dann statt, wenn die Überakkumulation so groß geworden ist, dass sie alle Tendenzen, die dem Fall der Profitrate entgegenstehen, überwiegt. Nur dann kommt es schließlich auch zu einem Fall der Profitmasse, zur Krise und zur Vernichtung von Kapital als Voraussetzung für den Wiederaufschwung. Wesentlich für die Krise ist aber, dass sich Profitmasse und Profitrate nicht immer in die gleiche Richtung oder im gleichen Verhältnis entwickeln müssen. „Ein Kapital von 100 mit einem Profit von 10% gibt eine kleinere Summe des Profits als eine Kapital von 1000 mit einem Profit von 2%. In dem ersten Fall ist die Summe 10, in dem zweiten 20, d.h. der gross profit des großen Kapitals doppelt so groß wie der des 10mal kleineren Kapitals, obgleich die Profitrate des kleineren 5mal größer als die des größeren.“(Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 640)
Wenn die Profitrate weiter fällt, muss das schließlich auch Auswirkungen auf die Profitmasse haben. „Aber wäre der Profit des größeren Kapitals nur 1%, so wäre die Summe des Profits 10, wie für das 10mal kleinere Kapital, weil im selben Verhältnis, wie seine Größe die Profitrate abgenommen. Wäre die Profitrate für das Kapital von 1000 nur 0,5%, so wäre die Summe des Profits nur halb so groß wie die des 10mal kleineren Kapitals, nur 5, weil die Profitrate 20mal kleiner.“(Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 640f)
Wenn die Profitrate stärker fällt als das Kapital wächst, kann die Profitmasse eines großen Kapitals im Vergleich zu einem kleineren sogar sinken, was Erweiterungsinvestitionen für dieses Kapital uninteressant werden lässt. „Allgemein ausdrückt: Nimmt die Profitrate ab für das größere Kapital, aber nicht im Verhältnis seiner Größe, so wächst der gross profit, obgleich die Rate des Profits abnimmt. Nimmt die Profitrate ab im Verhältnis zu seiner Größe, so bleibt der gross profit derselbe wie der des kleineren Kapitals; bleibt stationär. Nimmt die Profitrate ab im größeren Verhältnis, als seine Größe wächst, so nimmt der gross profit des größeren Kapitals, verglichen mit dem kleineren, ebenso ab, als die Profitrate abnimmt.“(Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 641)
An einem bestimmten Punkt sinkt also die Profitrate so stark, dass die KapitalistInnen ihr Kapital aus der Produktion abziehen, weil nicht genügend Profit erzielt wird. Daher durchläuft der Kapitalismus notwendigerweise Zyklen, die an einem Punkt kulminieren, an dem plötzlich keine Investitionen mehr vorgenommen werden. Am Ende entwerten diese Zyklen das Kapital gewaltsam, bevor seine Akkumulation in einem neuen Zyklus wieder beginnen kann. Und genau das hat in der Geschichte des Kapitalismus immer wieder statt gefunden, zuletzt beginnend mit 2007.
Dies ist die Überakkumulation des Kapitals, der „Überfluss“ von Liquidität, der die Krise begleitet, die nach dem Höhepunkt des kapitalistischen Booms entsteht, es ist die Folge der verrückten Jagd des Kapitals, Profite über der durchschnittlichen Profitrate zu erzielen, was im Versiegen von Investitionen trotz des Vorhandenseins außerordentlicher Geldmengen endet. Der Investitionsstopp, die Unterbrechung der Zirkulation des Kapitals, die Abschreibungen und die Schließungen von unprofitablen Betrieben, welche in dieser Phase immer auftreten, weisen auf die Vernichtung von Kapital hin und sind die Antwort des Kapitals selbst auf seine eigene Überakkumulation.
Gleichzeitig verweist Marx schon in den „Grundrissen“ darauf, dass der tendenzielle Fall der Profitrate letztlich zum Grabstein des Kapitalismus werden muss, diese Entwicklung aber nicht von selbst vor sich gehen wird, sondern einen bewussten politischen Akt der ArbeiterInnenklasse zur Voraussetzung hat. „Da dieses Abnehmen des Profits gleichbedeutend ist mit der verhältnismäßigen Abnahme der unmittelbaren Arbeit zur Größe der vergegenständlichten Arbeit, die sie reproduziert und neu setzt, so wird alles vom Kapital versucht werden, um die Kleinheit des Verhältnisses der lebendigen Arbeit zur Größe des Kapitals überhaupt, und daher auch des Mehrwerts, wenn als Profit ausgedrückt, zum vorausgesetzten Kapital zu … bremsen, indem es die Zuwendung für notwendige Arbeit verringert und die Quantität der Mehrarbeit in Hinblick auf die gesamte Menge der angewandten Arbeit noch mehr erweitert. Folglich werden die höchste Entwicklung der Produktivkräfte und die stärkste Ausdehnung des vorhandenen Reichtums zusammenfallen mit Entwertung des Kapitals, Erniedrigung des Arbeiters und einer höchst unmittelbaren Erschöpfung seiner Lebenskraft. Diese Widersprüche führen zu Explosionen, Katastrophen, Krisen, in denen durch momentane Einstellung der Arbeit und die Vernichtung eines großen Teils des Kapitals das letztere gewaltig reduziert wird bis zu dem Punkt, von welchem aus es weiter kann, in der Lage ist, seine Produktivkräfte voll anzuwenden, ohne Selbstmord zu verüben. Jedoch diese regelmäßig wiederkehrenden Katastrophen führen zu deren Wiederholung auf höherer Stufe und schließlich zum gewaltsamen Umsturz.“(Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 642f)
Konstantes und variables Kapital
Scheinbar logisch (zumindest wenn mensch Logik als etwas rein Formales versteht) wird gegen das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate eingewendet, dass der Fall der Profitrate ja durch eine Erhöhung der Ausbeutung(srate) kompensiert werden könne, ein Versuch, der tatsächlich jeden Tag auf dieser Welt von allen möglichen Unternehmen vorgenommen wird. Übersehen wird dabei, dass jede weitere Erhöhung der Ausbeutung einen relativ gesehen immer geringeren Nutzen bringt. Marx hat das folgendermaßen formuliert: „Je größer der Surpluswert des Kapitals vor der Vermehrung der Produktivkraft, je größer das Quantum der vorausgesetzten Surplusarbeit oder Surpluswerts des Kapitals oder je kleiner bereits der Bruchteil des Arbeitstags, der das Äquivalent des Arbeiters bildet, die notwendige Arbeit ausdrückt, desto geringer ist das Wachstum des Surpluswerts, das das Kapital von der Vermehrung der Produktivkraft erhält. Sein Surpluswert steigt, aber in immer geringrem Verhältnis zur Entwicklung der Produktivkraft.“(Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 258)
Je geringer die für die Reproduktion der Arbeitskraft bereits erforderlich Zeit bereits ist, desto geringer wird also der Effekt einer weiteren Verringerung derselben für die Erhöhung der Profitabilität sein. „Je entwickelter also schon das Kapital, je mehr Surplusarbeit es geschaffen hat, um so fruchtbarer muß es die Produktivkraft entwickeln, um sich nur in geringem Verhältnis verwerten, d.h. Mehrwert zuzufügen – weil seine Schranke immer bleibt das Verhältnis zwischen dem Bruchteil des Tages, der die notwendige Arbeit ausdrückt, und dem ganzen Arbeitstag. Je kleiner schon der Bruchteil, der auf die notwendige Arbeit fällt, je größer die Surplusarbeit, desto weniger kann irgendeine Vermehrung der Produktivkraft die notwendige Arbeit … vermindern; da der Nenner enorm gewachsen ist. Die Selbstverwertung des Kapitals wird schwieriger im Maße, wie es schon verwertet ist.“(ebda., 258f)
Folglich wird es mit jeder Erhöhung des technischen Produktionsniveaus noch schwieriger, genügend Profit zu realisieren, weshalb das Kapital auch immer wieder versucht, die absolute Länge des Arbeitstages zu erhöhen, dabei aber übersieht, das dem natürliche Grenzen gesetzt sind. „Die absolute Schranke des durchschnittlichen Arbeitstages, der von Natur immer kleiner als 24 Stunden, bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von vermindertem variablen Kapital durch gesteigerte Rate des Mehrwerts oder von verringerter exploitierten Arbeiteranzahl durch erhöhten Exploitationsgrad der Arbeitskraft.“(Marx: Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 323)
In der bürgerlichen Ideologie (oft verschleiert als Wissenschaft) wird permanent Quantität und Qualität miteinander vermischt. Aus der Qualität der Mehrarbeit wird scheinbar ein rein quantitatives Verhältnis der Arbeitszeit, wodurch die Form, die der Profit des Finanzkapitals annimmt, die Realität dermaßen verschleiert, dass scheinbar die hier erzielten Gewinne, Zinsen oder was auch immer, als entkoppelt von der produktiven Realwirtschaft erscheinen – also scheinbar in der Finanzwelt selbst entstehen. „Durch die Identität des Mehrwerts mit der Mehrarbeit ist eine qualitative Grenze für die Akkumulation des Kapitals gesetzt: der Gesamtarbeitstag, die jedesmal vorhandene Entwicklung der Produktivkräfte und der Bevölkerung, welche die Anzahl der gleichzeitig exploitierbaren Arbeitstage begrenzt. Wird dagegen der Mehrwert in der begriffslosen Form des Zinses gefaßt, so ist die Grenze nur quantitativ und spottet jeder Phantasie.“(Marx: Das Kapital, Band III, MEW 25 S. 412) Selbst die KapitalistInnen glauben in der Folge daran, dass die Spekulationsgewinne, die doch tatsächlich erst irgendwo in der Realwirtschaft produziert werden müssen, bevor sie in Form von Finanzkapital umverteilt werden können, im Finanzbereich selbst entstehen (also unbezahlte Arbeit nicht zuerst zur Quelle von Profit werden muss), so dass sie in der Folge jedes Mal wieder die Gefahren der Expansion des Finanzkapitals übersehen, bis sie schließlich in Anbetracht der ausgebrochenen Krise dastehen wie der Ochs vorm Baum.
Viele Einwände gegen den tendenziellen Fall der Profitrate setzen auch auf der anderen Seite, dem konstanten Kapital, an. Dabei wird in der Regel übersehen, dass technologischer Fortschritt ja nicht nur technisch überholte Maschinen ersetzt (wodurch die Profitrate nicht notwendigerweise langfristig sinken müsste), sondern die dadurch erzielten Kostenvorteile immer auch zu einer Ausweitung der Produktion führen. „Die zunehmende Produktivität der Arbeit ist … soweit sie mit Maschinerie zusammenhängt identisch mit der abnehmenden Masse Arbeiter … im Verhältnis zu der Zahl und Ausdehnung der angewandten Maschinerie. An Stelle eines einfachen und billigen Werkzeugs tritt eine Kollektion solcher Werkzeuge (wenn auch modifiziert) und zu diese Kollektion kommt noch der ganze Teil der Maschinerie hinzu, der sich zusammensetzt aus sich bewegenden und kraftübertragenden Teilen; dazu die Materialien (wie Kohle etc.), die erforderlich sind, die bewegende Kraft (wie Dampf) zu erzeugen. Endlich die Baulichkeiten. Wenn ein Arbeiter 1800 Spindeln überwacht, statt ein Spinnrad zu drehn, wäre es höchst blödsinnig zu fragen, warum diese 1800 Spindeln nicht so wohlfeil wie das eine Spinnrad. Die Produktivität ist hier eben hervorgebracht durch die Masse des Kapitals, das als Maschinerie angewandt ist.“(Marx: Theorien über den Mehrwert, Teil III, MEW 26.3, S. 357) Die Ausweitung der Produktion auf technisch höherem Niveau führt also dazu, dass einE LohnabhängigeR mit mehr Maschinen (mehr konstantem Kapital) arbeitet, wodurch das variable Kapital im Verhältnis dazu notwendigerweise sinkt – die organische Zusammensetzung des Kapitals ist gestiegen. Nebenbei bemerkt verschlingt der Einsatz von mehr Maschinen natürlich auch mehr Rohstoffe, Energie usw. (also der zirkulierenden Teile des konstanten Kapitals), was seinerseits wiederum das konstante Kapital gegenüber dem eingesetzten variablen Kapital erhöht.
Marx‘ Krisentheorie und die gegenwärtige Krise
Die kapitalistische Akkumulation ist nicht nur eine schöne, in sich logische Theorie der kapitalistischen Entwicklung, sie erklärt auch die aktuelle Wirtschaftskrise des Kapitals nahezu perfekt. Die am Beginn des Einbruchs im Jahr 2007 eingetretene Finanzkrise war das Ergebnis einer enormen Überakkumulation des Kapitals (in der Auto- oder PC-Industrie wurde oft nicht einmal mehr die Hälfte der Produktionskapazität genutzt), welche ihrerseits die Kreditvergabe auf allen Ebenen immer grenzenloser werden ließ, was schließlich zum Zeitpunkt der Kreditknappheit zum Zusammenbruch der Akkumulation führte. Alle einzelnen Aspekte dieser Erklärung können selbst in den bürgerlichen Wirtschaftsmagazinen nachgelesen werden – nur können diese den Zusammenhang der genannten Aspekte nicht erkennen. Sie können daher (selbst in ihrer liberalen Form, die bis tief hinein in die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften wirkt) auch nicht erkennen, dass das Wachstum des fiktiven Kapitals (die sog. Spekulation) als Reaktion auf sinkende Profite keine Verirrung ist, sondern Bestandteil der normalen Existenzform des Kapitalismus, normaler Bestandteil der Akkumulation. Könnten sie das erkennen, würden sie nämlich nicht bei der Kritik der „überbordenden Spekulation“ stehen bleiben, sondern würden das Übel an der Wurzel bekämpfen und den Kapitalismus als solchen mit Stumpf und Stil bekämpfen.
Genau wie in der idealtypischen Beschreibung von Marx erleben wir jetzt nach dem Zusammenbruch der Akkumulation eine massive Vernichtung von Kapital. Die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die zahlreichen Betriebsschließungen belegen dies zur Genüge. Folglich ist nach einer ausreichenden Vernichtung von Kapital auch zu erwarten, dass der nächste Aufschwung kommt, und danach die nächste Krise usw. usf. – so sicher wie das Amen im Gebet. Die aktuelle Krise belegt somit eindeutig, dass die marx’sche Analyse der kapitalistischen Krise dringend aus der Versenkung hervorgeholt werden sollte, ist sie doch die einzige taugliche Erklärung, welche bislang vorliegt. Wie aber kann der Teufelskreislauf von Aufschwung – Überhitzung – Abschwung – Krise – erneutem Aufschwung usw. durchbrochen werden?
Krise und Klassenkampf
Tatsächlich müssen wir mit Marx feststellen, dass die Krisenhaftigkeit und Instabilität des kapitalistischen Systems in diesem selbst begründet liegt. Die marx’sche Analyse kann im Gegensatz zur bürgerlichen Ideologie nicht nur die Gründe von Krisen benennen, sondern lässt sich auch nicht von außergewöhnlichen Ausnahmezeiten (wie z.B. dem nahezu ununterbrochenen Aufschwung der Wirtschaft von 1945 bis Ende der 1960er) blenden. Die bürgerlichen IdeologInnen – egal, ob sie sich selbst PolitikerInnen, WissenschafterInnen, JournalistInnen oder wie auch immer nennen – hingegen sehen recht häufig nach fast jeder Expansion, die tatsächlich garantiert der nächsten Krise vorausgeht, das Ende aller Krisen (oder gar der Geschichte) und damit die Überwindung der inneren Widersprüche des Systems gekommen. Sobald die nächste Krise kommt, sind sie dann baff erstaunt und haben keine Erklärung dafür anzubieten. Oder zumindest nur Erklärungen, die eigentlich ins Reich der reaktionären Ideologie gehören – können sie doch nur zu hohe Löhne oder gar im Sinne des alten Malthus die Überbevölkerung als Begründungen anbieten, die vor der Wirklichkeit aber nicht standhalten. Die Irrationalität dieser Damen und Herren ist somit eine perfekte Bestätigung der Irrationalität des Kapitalismus selbst, auch wenn ihre Erklärungen selbstverständlich im Rahmen der kapitalistischen Logik durchaus Sinn machen.
Doch genau mit dieser Logik gilt es zu brechen. Die marx’sche Analyse des Kapitalismus ist nicht nur Theorie, sondern gleichzeitig auch Praxis der Gesellschaftsveränderung. Sie strebt nach dem Sturz des Kapitalismus als notwendige Voraussetzung zur Überwindung der inneren Widersprüche dieses Systems inklusive seiner unbehebbaren Krisenhaftigkeit. Manche sich auf den Marxismus berufende Strömungen gehen davon aus, dass der Kapitalismus mehr oder weniger von selbst zusammenbrechen wird. Nichts aber könnte falscher sein. Marx selbst hat immer wieder das Wort Revolution verwendet – gemeint hat er damit nichts anderes als die Erfordernis eines bewussten politischen Aktes der Unterdrücken und Ausgebeuteten, der ArbeiterInnenklasse und ihrer gesellschaftlichen Verbündeten, zum Sturz der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer Ersetzung durch etwas vollkommen Neues, das erst die „Vorgeschichte der Menschheit“ (Engels) beenden würde.
Und damit wäre nach Marx (auch wenn er diese Formulierung im Kontext der Analyse der Krise etwas eingeschränkter verwendet) „diese Scheiße erledigt.“(Marx: Theorien über den Mehrwert, Teil III, MEW 26.3, S. 295)
Axel Magnus, Betriebsratsvorsitzender SDW