Stephanie Graf rezensiert das von der globalisierungskritischen Bewegung attac herausgegebene Buch „Crash statt Cash“ zur aktuellen Finanzkrise.
Das von der globalisierungskritischen Bewegung attac herausgegebene und 2008 im Verlag des ÖGB in Wien erschienene Buch „Crash statt Cash“ wurde von vielen österreichischen Linken als die theoretische Krücke im Umgang mit der aktuellen Finanzkrise begrüßt: Hier fände man endlich Erklärungen für Begrifflichkeiten, die in den Medien herumgeisterten, die man aber zugegebenermaßen noch nie so richtig durchschaut habe, und noch viel wichtiger! – Alternativen zu dem gegenwärtigen Chaos auf den globalen Finanzmärkten.
Dem eigenen Anspruch nach – wie schon aus dem Untertitel (Warum wir die globalen Finanzmärkte bändigen müssen) hervorgeht – will der Sammelband Fehlentwicklungen auf den globalen Finanzmärkten darstellen, ausgehend von diesen Fehlentwicklungen die Notwendigkeit zu deren Veränderung aufzeigen und – so impliziert das „wir“ – eine kollektive Verantwortung für diese Veränderung herleiten. Zusammengesetzt aus Beiträgen mehrerer AutorInnen, überwiegend AktivistInnen von attac, dreht sich das Buch um vielerlei mit den Finanzmärkten zusammenhängende Themen, von der Funktionsweise von Private-Equity-Fonds bis hin zur Privatisierung der Pensionssysteme, stets darauf bedacht, auf den aktuellen Anlass, die US-Subprime-Krise, Bezug zu nehmen.
Die Einbettung der bunt gemischten Artikel übernehmen Sybille Priklbauer und Christian Schoder, die im ersten Beitrag eine Einführung in grundlegende Begrifflichkeiten, Funktionen und historische Entwicklung der Finanzmärkte vornehmen und sich im abschließenden Kapitel auch für die angeblichen Alternativen zum gegenwärtigen Finanzmarktsystem verantwortlich zeigen.
Im Zentrum ihrer Argumentation steht der Wechsel der Funktionslogik der Finanzunternehmen: Deren ursprüngliche Aufgabe sei eine Unterstützung der „Realwirtschaft“ gewesen und habe sich im Rahmen der Liberalisierung und Internationalisierung verändert. Jetzt gehe es ihnen darum, selbst möglichst großen Profit zu machen (vgl. S. 24).
Hier wird eine Grundkonstante kapitalistischer Produktions- und Vergesellschaftungsweise schlichtweg übergangen: Die Funktionslogik des Kapitals, sei es Finanzkapital oder produktives Kapital, besteht darin, sich selbst zu verwerten, Ziel ist also immer die Profitmaximierung. Ob dieser Prozess mit der Produktion von Reichtum bzw. gesamtgesellschaftlichen Nutzens im Sinne einer „gesunden Realwirtschaft“ zusammenfällt, hängt hauptsächlich von der Verwertbarkeit dieser Produktion ab, unterliegt aber bestimmt nicht einer sich wandelnden Logik des Kapitals. Und genau in dieser Verwertbarkeit, genauer gesagt der sinkenden Verwertbarkeit des produktiven Einsatzes von Kapital, liegt der Kern der Problematik der Finanzmärkte und ihrer Krisen – welcher von den AutorInnen zunächst übergangen wird.
Sie gehen in weiterer Folge auf verschiedene Formen der Spekulation und deren volkswirtschaftliche Risiken ein, stellen in einem historischen Abriss die Explosion des Wertpapiermarkts im Verhältnis zu den Kredit- und Währungsmärkten in den letzten dreißig Jahren dar und erklären die steigende Bedeutung kurzfristiger Renditen gegenüber Zins- und Dividendeneinkünften aufgrund verkürzter Haltezeit: Durchaus informative, auch leserInnenfreundlich dargestellten Tatsachen, deren Darstellung aber über eine rein aufzählende Form nicht hinausgeht.
Was den AutorInnen allerdings zugute gehalten werden muss, ist die Entkräftung neoliberaler Argumentationsmuster, indem sie deren falsche Prämissen – hinsichtlich eines durchwegs freien Marktes und perfekt informierter homo oeconomici als dessen Teilnehmer – bloßlegen (vgl. S. 29). Als weiterer Pluspunkt springt die Bemühung um Gendergerechtigkeit in Form und Inhalt ins Auge: Formal beachten Schoder und Pirklbauer eine gendergerechte Sprache, inhaltlich bedenken sie die unterschiedlichen Auswirkungen des Sozialabbaus auf Männer und Frauen – die meist letztere aufgrund ihrer besonderen Stellung im kapitalistischen (Re-)produktionsprozess in verstärktem Ausmaß zu tragen haben. An dieser Stelle möchte ich vorwegnehmen, dass es im Laufe des gesamten Buches auch den anderen AutorInnen gelingt, diese Bedachtsamkeit durchwegs beizubehalten.
Nach ihrer Ausführung zur veränderten Struktur der Finanzmärkte gehen Schober und Pirklbaur auf deren krisenhaften Entwicklungen ein und rekurrieren dabei auf das Stufenmodell von Kindleberger und Aliber: Erwarten Investoren, dass der Preis einer Ware steigt, so folgten vermehrte Investitionen in den betroffenen Gegenstand, es entwickle sich eine Aufwärtsspirale von Ansturm der Investoren und steigenden Kursen; die Divergenz zwischen dem Boom und den realwirtschaftlichen Daten führe aber irgendwann zu einer Stagnation der Preise, ein Teil der Anleger müsse in der Folge verkaufen – was schließlich in einer Abwärtsspirale von sinkenden Kursen und Verkaufswellen ende (vgl. S.36f.).
Dieses Modell, das übrigens an dieser Stelle nicht das letzte Mal in diesem Buch herangezogen wird (auch Küblböck und Staritz verwenden es zur Systematisierung ihrer Problematik), ist sicherlich vielfältig anwendbar, allerdings hinsichtlich seines Erklärungsgehalts zu hinterfragen: Denn es setzt meines Erachtens eine Stufe zu spät an, mit den veränderten Erwartungen hinsichtlich der Preisentwicklung eines Wertgegenstandes. Zu Beginn einer jeden diesem Modell entsprechenden Entwicklung muss Kapital stehen, das in diesen – in weiterer Folge überbewerteten –Waren eine bessere Verwertungsmöglichkeit sieht als im Produktionsprozess. Zentral wäre also die Frage nach den Gründen der sinkenden Verwertungsmöglichkeiten im produktiven Verwertungsprozess und den Mechanismen eines Ausweichens auf die Finanzsphäre.
Dieser Überakkumulationsproblematik – um den Begriff zu nennen, der fast in der gesamten attac-Abhandlung penibelst gemieden wird – können die AutorInnen schwerlich entgehen, und ein Bewusstsein dieser Problematik schimmert latent an einigen Stellen im Text durch.
In ihrem Beitrag „Finanzkrisen in Industrie- und Schwellenländern“, einem Vergleich der Finanzkrise in Südostasien mit der aktuellen US-Hypothekenkrise, kommen Karin Küblböck und Cornelia Staritz jedoch nicht umhin, die Problematik der Überakkumulation als Krisenursache explizit zu erwähnen. Sie behandeln sie allerdings als eine nur für einen bestimmten Krisentypus zutreffende, um sie zunächst nicht weiter zu erwähnen. Die weitere Argumentation widmet sich in keynesianisch-oberflächlicher Manier den schwankenden Erwartungen der Investoren und deren Auswirkungen.
Weiter unten kommen Küblböck und Staritz wieder auf die Überakkumulation zu sprechen: von „stagnierenden Wachstumsraten“, einer „Umverteilung von Lohn- zu Gewinneinkommen“ und „Ansteigen von Gewinnen und Finanzvermögen“, das wegen „unzureichender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage“ „nicht Gewinn bringend als Realinvestitionen in Industrieländern verwendet werden“ (S. 82) könne – die Autorinnen umschreiben die Problematik trefflich, vermeiden aber jegliche Termini, die auf marxistische Theorietradition hindeuten und zitieren stattdessen Jörg Huffschmid, den Imperialismustheoretiker mit dem reformistischen Zeigefinger.
In ihrem Resumee fassen die Autorinnen die Grundursachen für Finanzkrisen – liberalisierte und deregulierte Finanzmärkte und hohe liquide Mittel, die nicht realwirtschaftlich verwertet werden können – zwar als systemische, stellen sie aber als ein Einerseits-Andererseits einander unverwandt gegenüber. Sie zeigen damit ihr Unvermögen, sie als sich gegenseitig bedingende Konditionen aufzufassen: So wäre es absurd, sich selbst liberalisierende und deregulierende Finanzmärkte zu denken – ganz offensichtlich wird dieser Wechsel von bestimmten Akteuren durch bewusste politische Entscheidungen herbeigeführt.
Diese Tatsache im Hinterkopf bedarf es nur noch einer kleinen Denkanstrengung, um die in der Politikwissenschaft naheliegendste Frage zu stellen, nämlich wem diese Entwicklung nütze, wer also als treibende Kraft hinter dem politischen Prozess stehe. Fast auf der Hand liegt der Schluss, dass es sich bei der treibenden Kraft um politische Vertreter eben jener Kapitalfraktionen handeln muss, die unter ihrer sinkenden realwirtschafltichen Verwertbarkeit leiden. Eine These, die selbstverständlich empirischer Überprüfung bedarf und von Fall zu Fall spezifiziert werden müsste, aber so nahe liegt, dass deren Nichterwähnung in einem Buch, das sich das Ziel einer Heranführung an die Problematik von Finanzmarktkrisen gesteckt hat, als fahrlässig gewertet werden kann.
Die politische Gestaltbarkeit der Finanzmarktarchitektur leugnen die Autorinnen dieses Artikels keineswegs, im Gegenteil, das ganze Projekt (damit beziehe ich mich auf das Buch im Kleinen und attac als Bewegung im Großen) hat sich auf die Fahnen geschrieben, auf eben diese Gestaltbarkeit hinzuweisen: die Liberalisierung der Finanzmärkte sei keine natürliche Entwicklung und gerade deswegen auch wieder rückbaubar. Ein systematisches In-Bezug-Setzen will jedoch nicht gelingen: Sporadisch werden Schuldige genannt, Investoren, die ihre Profite schon lang ins Trockene gebracht haben, der IWF mit seinen doppelzüngigen Ratschlägen etc. Mal ist die Liberalisierung der Finanzmärkte ein interessengeleitetes, durch eine bestimmte Konstellation von Kräfteverhältnissen durchgesetztes Projekt (vgl. S. 23), ein andermal meint man einen „politische[n] aber auch ökonomische[n] Irrtum“(S. 97) zu erkennen, dessen Nützlichkeit für bestimmte Interessen nur ein Nebeneffekt sei. Im nächsten Artikel ist für die Autorin Lydia Krüger dann doch wieder klar, dass man angesichts der derzeitigen globalen Machtverhältnisse die Möglichkeit einer Bändigung der Finanzmärkte im Sinne einer Rückkehr zu einem System fixer Wechselkurse kaum in Aussicht stellen könne (vgl. S. 119).
Im übrigen ist Lydia Krüger in ihrem minimalistisch betitelten Beitrag „Finanzmärkte und Entwicklung“ die erste, die explizit auf eine marxistische Imperialismustheorie rekurriert, nämlich jene Rudolf Hilferdings. Wenn Kapital nicht mehr in einer Weise eingesetzt werden könne, die dessen Verwertung zur höchstmöglichen Profitrate garantiert, fließe es in jene Länder ab, die eine höhere Profitrate versprächen. Damit ist das Überakkumulationsproblem auf den Punkt gebracht, und wird von Krüger in Verbindung gesetzt mit dem vermehrten Kapitalexport in den 70ern nach Lateinamerika und einem ähnlichen Prozess in den frühen 90ern, beide gefolgt von krisenhaften Enwicklungen in den betroffenen Regionen (vgl. S. 102f.). Leider verfällt die Autorin im Anschluss an diese Feststellungen wieder in eine rein deskriptive Aneinanderreihung von Ursachen der Expansion der Finanzkrise und endet mit oberflächlichen Lösungsansätzen, die an sich weder als wahr, noch als falsch bezeichnet werden können, sich aber bei näherer Betrachtung als leere Worthülsen herausstellen: Die Politik müsse sich an den Interessen der Bevölkerung orientieren; gleichzeitig stellt die Autorin fest, dass eine solche bedürfnisorientierte Politik nicht durchsetzbar sei (vgl. S. 119).
Ganz offensichtlich hängt die Einschätzung der Veränderbarkeit von dem theoretischen Analyserahmen ab, der der Argumentation zugrunde gelegt wird – wo auf die Analysen Elmar Altvaters und Birgit Mahnkopfs bzw. auf marxistische Imperialismustheorien Bezug genommen wird, sehen die AutorInnen die Krisenhaftigkeit als eine systemimmanente, die auch nicht so mir nichts, dir nichts durch ein paar gutgemeinte Ratschläge an verantwortliche Institutionen wie den IWF oder die EU aus dem Weg geräumt werden kann. Im Übrigen bewegt sich die Argumentation der Beiträge allerdings innerhalb der containerhaften Sichtweise der wirtschaftlichen Zusammenhänge, die von unabhängig miteinander interagierenden Haushalten und Unternehmen als kleinste Entitäten des Wirtschaftskreislaufs ausgeht und der klassischen bürgerlichen Ökonomie zueigen ist. Die Willkürlichkeit, mit der diese Sichtweisen aneinandergereiht sind, disqualifiziert attac, eine kritische Gesellschaftsanalyse vorzunehmen.
Das soll aber nicht heißen, dass der gesamte Band nicht der Lektüre wert sei: Einige Beiträge leisten Sinnvolles, man stößt durchaus auf Aspekte, die in der medialen Debatte um die Finanzmarktkrise weitgehend vernachlässigt werden. So stellt sich Jürgen Kädtler beispielsweise die Frage, worauf der Machtanspruch einer Finanzmarktöffentlichkeit gründe, delegitimiert bisherige Erklärungsmuster als unzureichend und rückt die Bedeutung von Deutungsautoritäten und Wissensvermittlung sowie deren Durchsetzung und mediale Inszenierung in einer spezifischen politischen Konstellation in den Mittelpunkt (vgl. S. 46f.). David Mum widmet sich der Umgestaltung der Pensionssysteme und dabei nicht nur den negativen Auswirkungen auf den Finanzmärkten, sondern auch für soziale Sicherheit und Lebensstandard der PensionistInnen und Frédéric Lordons pointierte Darstellung der Genese der US-Immobilienkrise entlockt an mancher Stelle ein Schmunzeln. Weiters positiv hervorzuheben ist die Beschäftigung mit den Schwellenländern – den bisherigen Krisen in Asien und Lateinamerika sowie den zu erwartenden verheerenden realwirtschaftlichen Folgen der gegenwärtigen Krise, die bei der alltäglichen Beschäftigung mit der Finanzmarktkrise nur allzu oft unter den Tisch fallen. Einstellen darf sich der/die LeserIn allerdings auf eine gewisse Langatmigkeit, hervorgerufen durch inhaltliche Wiederholungen durch die fehlende Abstimmung der Artikel aufeinander. Weiters sei darauf hingewiesen, dass mit theoretischer Kohärenz, wie bereits ausgeführt, nicht gerechnet werden darf.
Bei der Suche nach Alternativen ist man bei attac ebensowenig auf der rechten Fährte. In ihrer Forderung nach einer Umkehr der Entwicklung der letzten Jahre stellen sie in fast schon liebenswert naiver Manier die Behauptung auf, die Finanzmärkte hätten einmal im Dienste der Menschheit gestanden, sich aber unglücklicherweise von ihren Fesseln befreit und beherrschten jetzt die Realwirtschaft (die, so die implizite Unterstellung, ja per se im Dienste der Menschheit stünde). Das ganze läuft auf eine Vergangenheitsverklärung hinaus, die konkret in einer Herbeisehnung des Fordismus besteht, in dem Konsum und Produktion im Einklang liefen und auch die Finanzmärkte im Dienste der Menschheit agierten. Zumindest wurde erkannt, dass die Finanzsphäre eine conditio sine qua non des Kapitalismus ist, doch die aufgespannte Dichotomie zwischen einer guten Realwirtschaft und bösen Finanzmärkten lässt sich nicht verleugnen und lässt Assoziationen mit der Kapitalismuskritik des rechten Randes aufkommen.
Die konkreten Lösungsvorschläge von attac bestehen in einer Aneinanderreihung von Reformvorschlägen á la Tobinsteuer, einer künstlichen Weltleitwährung und weiterer keynesianischer Kopfwehmittelchen. Wie das alles verwirklicht werden soll? Durch unser aller zivilgesellschaftliches Engagement, durch die große globalisierungskritische Familie, in deren Mitte attac mittlerweile sogar konservative Organe wie den Weltkirchenrat willkommen heißt (vgl. S. 180f.).
Behält man den Grundtenor der vorangehenden Beiträge im Hinterkopf, in denen einhellig die Forderung nach einem neuerlichen Stellen der Verteilungsfrage erhoben wird, so ist es kaum verwunderlich, dass auch im letzten Kapital, das sich der Suche nach Alternativen widmet, der globalisierungskritische Horizont bis zur Systemfrage nicht reicht: Eine Systemkritik, der jeglicher Begriff des Systems fehlt. Krisen sind aber dem Kapitalismus immanent – sie können nur in Verbindung mit und aus den Regeln des Systems heraus verstanden werden. Damit will ich nicht dafür plädieren, sie damit ad acta zu legen, sondern vielmehr der Weiterentwicklung theoretischer Kategorien einen koheränten Analyserahmen zugrunde zu legen, der die Funktionsweise des Systems erfasst, innerhalb dessen sich die zu betrachtenden krisenhaften Erscheinungen abspielen. In ihrer Unfähigkeit, aus dem System herauszutreten, um es einer radikalen, im Sinne einer bis an die Wurzeln dringenden, Kritik zu unterziehen, leisten die KritikerInnen von attac jedoch lediglich einen weiteren Beitrag zur Modifizierung und damit Stabilisierung des Bestehenden.
Alle Zitate aus:
Attac (Hg.).: Crash statt Cash – Warum wir die globalen Finanzmärkte bändigen müssen. Verlag des österreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien 2008.