Der so genannte EU-Reformvertrag wurde am 13. Dezember in Lissabon unterzeichnet und soll bis 2009 von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Genauso wie der 2005 gescheiterte Entwurf einer EU-Verfassung schreibt er Sozialabbau und Aufrüstung fest.
Der „Reformvertrag“ besteht aus den umgearbeiteten EG- und EU-(Maastricht)-Verträgen, sowie Zusatzprotokollen und ist zu großen Teilen deckungsgleich mit dem Entwurf einer EU- Verfassung, der bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden war. Viele Passagen wurden sogar wortwörtlich übernommen oder nur minimal abgeändert. So heißt beispielsweise der im Verfassungsentwurf vorgesehene „EU- Außenminister“ nun „hoher Beauftragter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“, sonst soll sein Job gleich bleiben. Außerdem fallen im Vergleich zum alten Verfassungsentwurf die gemeinsame Flagge und die Hymne weg. Hervorgegangen ist der jetzige „Vertrag“ aus Beratungen von „Rechtsexperten“, wurde also von Beamten verfasst, die von niemandem gewählt wurden. Dementsprechend unverständlich ist auch die verwendete Sprache.
Die EU als „Asozialstaat“
Als Ziel der EU nennt der Vertrag den Binnenmarkt bzw. Schlagwörter wie ein „ausgewogenes Wirtschaftswachstum“, „freier und gerechter Handel“ oder eine „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“. Sucht man nach der wahren Bedeutung dieser Ausdrücke, meint man sich in Orwells Roman „1984“ wiederzufinden, in dem Frieden ein Codewort für Krieg ist. So hat die EU-Kommission z.B. schon angekündigt, dass unter dem in den Zusatzprotokollen erwähntem „System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt“, Privatisierungen und Liberalisierungen auch im Bereich der Dienstleistungen zu verstehen sind. Die Grundversorgung der Bevölkerung soll also dem Profitstreben der Banken und Konzerne unterworfen werden. So kommt also nicht nur der Inhalt der Verfassung sondern auch die an Massenprotesten gescheiterte Bolkestein-Richtlinie wieder zur Hintertür herein. Was „Wettbewerbsfähigkeit“ noch bedeutet wird anhand einer Veröffentlichung der EU-Kommission zum Vorschlag einer „europaweiten Arbeitsrechtsreform“ klar. Der „Standort EU“ wird darin als Rechtfertigung für einen Angriff auf Arbeitsrecht und Kollektivverträge herangezogen.
Freiheit nur fürs Kapital
Weiters verbietet der „Reformvertrag“ jegliche Beschränkung des Kapital- und Zahlungsverkehrs, d.h. es wird den Regierungen der Mitgliedsstaaten untersagt Kapital- oder Steuerflucht zu verhindern. Wollte zum Beispiel ein Land Kapitalverschiebungen in Steueroasen verhindern, bedürfte es eines einstimmigen Beschlusses des Rates. Ebenso wendet sich der „Vertrag“ gegen eine eigenständige Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der Mitgliedsstaaten. Die Europäische Zentralbank sowie die vorgesehene EU- Rüstungsagentur sind der Einflussnahme durch die Bevölkerung entzogen.
Denn zu „guter Letzt“ ist es ja auch notwendig die Interessen des Kapitals der EU-Länder (in erster Linie des deutschen und französischen) in aller Welt durchsetzen und Märkte und Rohstoffquellen sichern zu können, weshalb sich alle Mitgliedsstaaten verpflichten „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“.
Volksabstimmung – ja oder nein?
Vor diesem Hintergrund zeigt Alfred Gusenbauer mit seinen Lobpreisungen des Reformvertrags „als Fortschritt für Europa“ wessen Interessen er wirklich vertritt; ebenso die Argumentation, dass eine Volksabstimmung nicht nötig wäre, weil schon der gescheiterte Verfassungsentwurf vom Parlament ratifiziert worden sei. Bundespräsident Fischer hält eine Abstimmung gar für problematisch, weil dann acht Millionen Österreicher darüber entscheiden würden, „ob dieser Vertrag für die restlichen 442 Millionen Europäer Gültigkeit haben soll oder nicht“. Tatsächlich hat die von FPÖ und BZÖ erhobene Forderung nach einer Volksabstimmung in Österreich einen nationalistischen Anklang, den es abzulehnen gilt, aber grundsätzlich muss selbstverständlich die Bevölkerung darüber entscheiden können, in welcher staatlichen Struktur sie lebt, weshalb wir in diesem Fall mit der Idee einer EU-weiten Volksabstimmung sympathisieren.
Wenn es um Angriffe auf Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung geht, decken sich die Interessen des österreichischen Kapitals mit dem Inhalt des „Reformvertrags“ völlig. Daher wird er – wie schon der Vertrag von Maastricht – als willkommener Vorwand für Sozialabbau und eine Aufweichung des Arbeitsrechts dienen. Es wäre allerdings eine Illusion zu glauben, dass es diese Angriffe nicht gäbe, wäre Österreich nicht in der EU. In der derzeitigen strukturellen Krise des Kapitalismus ist Sozialabbau für das Kapital eine Notwendigkeit. Nur durch Massenbewegungen wie jene gegen die EU-Hafenrichtlinie und die Bolkestein-Richtlinie können die Pläne des europäischen Kapitals verhindert werden.
Vera Kis, SJ Floridsdorf (ausgeschlossen)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Nr. 79 (November 2007) unserer Zeitschrift „Der Funke“
Für eine Volksabstimmung über den EU-„Reform“-Vertrag
Aktionstag der Plattform Volxabstimmung am Samstag, 5. April
13.00 Treffpunkt Wien Westbahnhof,
Demonstration über die Mariahilferstraße zum Parlament
15.00 Menschenkette um das Parlament