Das erste Mal seit Jahren rücken soziale Forderungen der Arbeiterklasse in den Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung. Dies wird möglich, weil die Macht des zentralen SPÖ-Apparates in der eigenen Partei bröckelt.
Die Unterordnung unter die Bürgerlichen ist der politische Tod einer Arbeiterpartei. Genau dafür steht SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner, der zentrale Parteiapparat und die Spitze des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB): in Worten für soziale Verbesserungen, in Taten immer an der Seite der Krisen-Regierung. Die Lohnabhängigen können aber nicht warten und sie haben die Partei dafür an den Wahlurnen abgestraft. Die ÖVP-FPÖ Regierung in Niederösterreich auf rechts-rechtem Programm zeigt an, dass Wahlenthaltung keine Lösung für die Arbeiterklasse ist, sondern dass sie eine Partei braucht. Die historischen Wahlerfolge der KPÖ in Graz und jetzt Salzburg sind ein Ausdruck für den Willen, das linke Vakuum zu füllen.
Der Weg über die SPÖ war jahrelang versperrt. Auch alle ExponentInnen der Parteilinke ordneten sich unter und verhielten sich mäuschenstill. Doch die SPÖ-Führung musste in ihrer Krise die Mitgliederbefragung zum SPÖ-Parteivorsitz ausrufen. Und einer der Kandidaten ist der Parteilinke Andi Babler. Jetzt sind diese schlummernden politischen Kräfte erwacht, und Bablers Programm sozialer Reformen weckt Interesse, Hoffnung und Kampfeswillen weit über die SPÖ hinaus.
Das fürchten die Bürgerlichen. Sie brauchen eine SPÖ, die die angebliche Alternativlosigkeit von Megaprofiten und gleichzeitig explodierenden sozialen Problemen in allen Grundzügen mitträgt und mitverwaltet. Dazu gehört auch, dass 40 % der HandarbeiterInnen als Ausländer dauerhaft von demokratischen Rechten ausgeschlossen sind und die Partei vor spalterischen Vorurteilen innerhalb unserer Klasse kapituliert. Das Leitorgan der Industriellenvereinigung „Die Presse“ bringt diese strategische Haltung der Ausbeuterklasse einfach auf den Punkt: „Die SPÖ sollte sich nicht der Linken überlassen. Dafür ist sie doch zu wichtig.“
Allerdings ist die Krise der bürgerlichen Demokratie so tief, dass ein anderer Teil der Bürgerlichen eine (temporäre) Alternative sucht. Der erzwungene Rücktritt von Sebastian Kurz zeigt diese Verschiebung an. Korruptionsskandale, politische Zugeständnisse an die Coronaleugner-Szene und das Veto zu Rumäniens Schengenbeitritt sind aus der Sicht des Kapitals Fehlleistungen die andeuten, dass die ÖVP eine Regierungspause nötig haben könnte. Welche Regierung die Interessen der österreichischen Kapitalisten in Zukunft am besten vertritt ist heute eine offene Frage, auch unter den Bürgerlichen.
Die Tageszeitung Kurier hält an Rendi-Wagner fest, weil sie (unabhängig von jedem Wahlausgang) die am einfachsten zu handhabende Parteivorsitzende ist, wenn es darum geht, eine neue Regierung im Sinne der Industriellenvereinigung zu bilden. Standard, Falter und private Fernsehsender geben dagegen Andi Babler und seiner Orientierung auf eine Regierung mit den bürgerlichen Grünen und Neos eine breite Bühne. Diese mediale Unterstützung ist auch eine Art, politischen Druck auszuüben, um die politischen Kanten des unter den Parteiaktivisten beliebtesten Kandidaten abzuschleifen.
Aus Sicht der Arbeiterklasse ist aber das soziale Programm von Babler zentral. Seine Themen setzen an tatsächlichen Brennpunkten an. „Es tritt jetzt ein, was lange prognostiziert wurde. Das Gesundheitssystem bricht zusammen.“ PatientInnen sterben, weil die Versorgung in den medizinischen Einrichtungen nicht mehr gewährleistet ist. Und der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband stellt weiter fest: „Eines ist sicher: An die Standards, welche die Menschen in Österreich von ihrem Gesundheitssystem gewohnt waren, wird man in den kommenden Jahren nicht mehr herankommen.“ Aber die Arbeiterklasse und die Jugend kann nicht warten, in Wien gingen am 15. April 200 SchülerInnen selbstorganisiert auf die Straße, weil eine Schülerin wegen medizinischer Unterversorgung beinahe ihr Leben verloren hätte (S.9).
Die Krankenstände explodieren, weil Burn-Out aufgrund ständiger Überlastung am Arbeitsplatz und dem Stress des Alltages Massenphänomene werden. Dies ist gerade in allen Bereichen der Daseinsfürsorge der Fall: im Kindergarten, den Spitälern, Pflegeeinrichtungen, Schulen… Zudem ist der Kapitalismus unfähig die ausreichende Versorgung mit Medikamenten sicherzustellen (aktuell fehlen 599 Medizinprodukte). Die Teuerung drückt große Teile der Arbeiterklasse an die Armutsgrenze.
Dies sind die Kehrseiten davon, dass die im ATX gelisteten Konzerne im vergangenen Jahr ihre Profite verdoppelt haben. Es herrscht Klassenkampf von oben. Wir müssen hart dagegenhalten.
Die Forderung Bablers nach der 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich hat breite Begeisterung ausgelöst. In seiner Vorstellung ist die Umsetzung dieses Reformprojektes in wenigen Jahren möglich. Es sei finanzierbar aus der Produktivitätssteigerung der Arbeit, ergänzt möglicherweise durch staatliche Anschubfinanzierung an private Unternehmen. Umgesetzt werden soll es von der Sozialpartnerschaft in Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen.
Das ist eine Utopie. In der Sozialpartnerschaft versandet jede Arbeitszeitverkürzung seit Jahrzehnten, die (Lebens-)Arbeitszeit wurde sogar verlängert. Verbesserungen in der Daseinsfürsorge bedeuten nicht zuletzt Klassenkampf innerhalb der SPÖ selbst, denn viele dieser Bereiche werden von SPÖ-Managern mit Unterstützung roter Gewerkschaftsapparate geführt.
Dabei ist die Frage noch nicht erschöpft. Woher kommen die rund 800.000 benötigten zusätzlichen Arbeitskräfte, um das Arbeitsvolumen aufrecht zu erhalten? Gerade in den Krisen-Sektoren der Daseinsfürsorge ist das Problem der Arbeitsdichte so akut, dass die Beschäftigten ständig am Anschlag sind. Die Krise des Kapitalismus ist so tief, dass selbst die Umsetzung einfacher Reformen eine Kette radikaler Umbauten der Gesellschaft erfordert.
Große Probleme brauchen radikale Lösungen. Der allgemeine 8-Stunden-Tag wurde nach harten Klassenkämpfen 1918 von den ArbeiterInnen in Eigenregie durchgesetzt, als der Widerstand des Kapitals gegen solche Reformen durch die Revolution gelähmt war.
Alles dies gilt es zu beachten, sonst bleibt Bablers Programm der Sozialreformen eine kurzlebige Utopie, die die Arbeiterbewegung in eine neue Sackgasse führt.
Wir stehen ein für Andi Bablers Sieg im Kampf um den Parteivorsitz der SPÖ, weil so zum ersten Mal seit Jahrzehnten der direkte Griff der Bürgerlichen auf die Sozialdemokratie herausgefordert wird. Aber das kann erst der Anfang sein. Zur Umsetzung von Reformen in der heutigen tiefen Systemkrise braucht es eine offensive Organisierung des Klassenkampfs, einen Bruch mit dem Kapitalismus und die Enteignung der Konzerne und Banken unter der Kontrolle der Arbeiterbewegung. Dafür steht der Funke. Schließ dich uns an!
Wien, am 24.4.2023
Aus dem Inhalt
- Österreich
- SPÖ-Vorsitz: Für eine klare Haltung
- Graz: Staatsapparat erzwingt Sparmaßnahmen
- Salzburg-Wahl: Zeit für linke Offensive ist da
- Gesellschaft
- BlockGas: Antikapitalismus braucht Arbeiterklasse
- „Feminism WTF“: Glanz und Elend der (klein-)bürgerlichen Frauenbewegung
- Betrieb & Gewerkschaft
- Inflation sorgt für Rekordprofite
- Deutschlehrende streiken für 15% Lohnplus
- KV: Die Chemie stimmt
- Mega-Streik in Deutschland
- SWÖ: Wir wollen mitbestimmen und sind kampfbereit
- Schwerpunkt
- Internationalismus vs. Nationalismus: Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!
- Warum Selenskyj im Parlament polarisiert
- Über uns
- Marxistisches Pfingstseminar 2023: Jetzt anmelden!
- Gastbeitrag im „Konkret“: Feministische Außenpolitik – Imperialismus jetzt gendersensibel
- Jugend
- Der Kapitalismus und die Universität
- Warum ich aktiv geworden bin (von Kurt)
- Die Jugend bewegt sich: Kollektiver Kampf für Mental Health
- International
- Türkei: Das Erdoğan-Regime wackelt
- UK: Starmer blockiert Corbyn – wie weiter für die Linke?
- Baskenland: Gegen die Diktatur der Bourgeoisie!
- Solidarität mit der Kommunistischen Partei Venezuelas
- Macron gegen die Massen: Für den Sturz der Regierung
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