Seit 50 Jahren untersucht die IMAS-Neujahrsumfrage die Stimmungslage – so pessimistisch wie heuer waren die ÖsterreicherInnen dabei noch nie. Die Arbeiterbewegung muss ein eigenständiges Anti-Krisenprogramm durchsetzen.
Nur ein Viertel ging „zuversichtlich” in das neue Jahr, 7 von 10 jedoch „mit Sorge” und „Skepsis”. IMAS analysiert:
„Es gibt keine Spur mehr von einer Aufbruchsstimmung. Diejenigen, die mit Sorge auf 2022 blicken, tun dies hauptsächlich aufgrund der Corona-Krise. (…) Nur gut jeder Fünfte geht von einer wirtschaftlichen Erholung im neuen Jahr aus, jeder Zehnte glaubt überhaupt nicht mehr an eine Erholung. Ausblick auf 2022: Corona bleibt.”
Genau spiegelverkehrt die Stimmungslage in den Chefetagen. „Österreichs CEO (führende Manager) so optimistisch wie nie zuvor” titelt das Beratungsunternehmen PwC. 79% der Manager gehen optimistisch in das neue Jahr, Corona sehen nur 14% als Problem. Dass diese CEOs am 9. Jänner bereits so viel verdient haben, wie ein Arbeiter seiner Firma im ganzen Jahr, trägt sicher auch zur guten Stimmung in den Chefetagen bei.
Diese konträren Stimmungslagen entsprechen der Spaltung der Gesellschaft in entgegengesetzte Klassen. Dabei koppeln die Reichen sich zunehmend von der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung ab. Egal was passiert – die Kapitalisten profitieren immer.
Um Lenin zu paraphrasieren: „Die Pandemie ist schrecklich, schrecklich profitabel”. Die drei großen Impfhersteller Pfizer, BioNTech and Moderna machen 1000 Dollar Profit in der Sekunde. Dies ist so, weil global gesehen nur dort massenhaft geimpft wird, wo der Profit stimmt. Die Freigabe medizinischer Patente wird mit dem falschen Argument, dass Innovationen geschützt werden müssten, verweigert. Das ist auch die Position der österreichischen Regierung. Große wissenschaftliche Errungenschaften wurden historisch aber immer durch Kooperation erzielt, nicht durch monopolistische Lizenzgewinne.
Alle Kapitalbesitzer profitieren, nicht nur der Pharmasektor. Nach Berechnungen von Attac ist das Vermögen der 100 reichsten österreichischen Familien im zweiten Pandemiejahr 2021 um 25 Mrd. auf 205 Mrd. € angewachsen. Das Vermögen der Milliardäre unter den Superreichen ist dabei besonders schnell, nämlich um 28%, angewachsen.
Die Einkommen der Arbeiterfamilien sind im gleichen Zeitraum um 5% gefallen.
Die Regierung managt diese gesellschaftliche Schieflage immer streng zugunsten der Besitzenden. Die Überförderung von Unternehmen führte dazu, dass die Hälfte der Gastro- und Hotel-Betriebe ihren Gewinn von 2019 auf 2020 steigern konnte, während gerade in diesem Sektor die Beschäftigten die größten Einkommensverluste zu verzeichnen haben. Insgesamt flossen in Österreich bisher 11,2 Mrd. € direkt auf Unternehmerkonten (ohne Landwirtschaft).
Dies sind in Zahlen gegossene politischen Prioritäten. Demgegenüber: Für den Gesundheits- und Pflegebereich wurde in den vergangenen Jahren gar nichts unternommen. Im Spitalswesen ist die ganze Pandemie hindurch die Debatte über „Überkapazitäten” nicht abgerissen, zuletzt skandalisierten die NEOS die „zu geringe“ Auslastung der OPs in Wien.
Die Verantwortung für den Schutz vor der Krankheit wurde in zentralen gesellschaftlichen Bereichen zur Eigenverantwortung erklärt. Es wurden keinerlei Anstrengungen unternommen, ein sinnvolles Leben durch die Pandemie hindurch zu ermöglichen. Das gilt besonders für die Schulen und Kindergärten. Die Schulpflicht wurde aufgehoben („weil Eltern am besten wissen, was für die Kinder gut ist”), kein (online-)Ersatzunterricht organisiert, gleichzeitig jedoch der Prüfungsdruck aufrechterhalten. Weil die PCR-Schul-Tests (außer in Wien) an eine erwiesen untaugliche, aber politisch gut vernetzte, Firma vergeben wurden, müssen SchülerInnen ohne COVID-Tests durch die 5. Welle. Dafür übernimmt niemand die Verantwortung, stattdessen lassen Politik, Medien und Wissenschaft die bisher verteufelten Heimtests wieder hochleben.
Um das permanente Versagen der Herrschenden zu verschleiern, hat die Regierung sich auch eine undurchsichtige Unterstützungskommission namens Gecko zugelegt. Die noch relativ unverbrauchten Institutionen Militär und Wissenschaft werden hier mobilisiert, um der Politik der Herrschenden neue Glaubwürdigkeit angedeihen zu lassen.
Um Stabilität ringend, bindet die gescheiterte Regierung nun auch „Oppositions-“Parteien offensiv ein. Die wichtigste Unterstützung erfährt die Regierung dadurch, dass es ihr gelungen ist, die Spitze der Sozialdemokratie vollständig aufs sinkende Regierungsboot zu holen (nicht, dass es dafür viel Überredungskunst gebraucht hätte). Ohne die Zustimmung der SPÖ wäre die Regierung an der Impfpflicht gescheitert.
Doch „im Sinne des nationalen Schulterschlusses” stimme die SPÖ diesem Gesetz zu, so Gesundheitssprecher Alois Stöger. Allein aufgrund des Zeitpunktes und dem willkürlichen Vollzug („Kontrolldelikt“) des Gesetzes kann man feststellen, dass dieses Gesetz keinen relevanten Beitrag zur Steigerung der Impfrate und zur Abkürzung des Pandemiegeschehens leisten wird. (Im Gegenteil: Die Impfpflicht hat eine medizinische Frage durch politische Aufladung verkompliziert). Der alleinige Zweck des Festhaltens am „Impfpflichtgesetz” besteht in der formalen Rechthaberei und Stabilisierung einer gescheiterten Regierung.
Die organisierte Arbeiterbewegung und linke Intellektuelle haben bisher keinerlei aktive Rolle für’s Scheitern der Regierung gespielt. „Alle gemeinsam“ und „gegen die Schwurbler“ lautete die Devise, anstatt die Unfähigkeit und den Egoismus der Regierung und der Kapitalisten anzugreifen. Linke Slogans wie „Widerstand”, „Mein Körper, meine Entscheidung” sind daher aktuell zu Kampfbegriffen der Rechten geworden, die seit 2 Monaten wöchentlich Massendemos organisieren kann.
Der Zulauf zur politischen Rechten ist das Ergebnis des hartnäckigen reformistischen Irrglaubens, dass die Frage der Pandemiebekämpfung (abseits von Einzelfragen) keine Frage des Klassenkampfes sei, sondern dies der „neutralen“ Wissenschaft und dem „neutralen“ Staat zu überlassen sei.
Entscheidend ist jedoch, dass die Führungen der Gewerkschaften den siedenden Zorn der Arbeiterklasse bisher nur in vereinzelte Maßnahmen kanalisiert haben. Auf die Straßenproteste des Gesundheitspersonals und der KindergartenpädagogInnen und jede anderen Protestäußerung (LehrerInnen, Einzelhandel, PolizistInnen,…) lautet die Regierungsantwort daher immer gleich: „Wir bedanken uns für die aufopferungsvolle Arbeit von (Berufsgruppe einsetzen)“ – ohne, dass je eine Verbesserung durchgesetzt worden wäre.
Auch wenn die Bewegungsgesetze der Jugend nicht eins zu eins auf die gesamte Klasse umzulegen sind, so zeigt sich in den aktuellen Schülerprotesten doch eines: Wenn sich ein kleines Fenster öffnet, um einen seriösen Kampf gegen die Zumutungen zu führen, strömen zuerst die Mutigen und dann immer mehr zusammen, um endlich entschieden zurückzukämpfen.
Der Funke bereitet sich geduldig darauf vor, ein nützliches Instrument der kommenden Massenkämpfe zu sein. Unterstütze uns darin, mache mit bei uns, weltweit: für „socialism in our lifetime”!
Wien, am 20.1.2022
Aus dem Inhalt:
- Österreich
- ÖVP: „Hure für die Reichen“
- Warum alles teurer wird
- Debatte Impfpflicht: Scheitern mit Anlauf
- Yes we care
- Betrieb & Gewerkschaft
- Gesundheits- und Sozialbereich: Gemeinsam kämpfen!
- Bericht über die Zustände in der Papierfabrik Wattens
- Jugend
- Bringt’s die Antifa?
- SchülerInnen berichten aus dem Coronachaos
- Es reicht! Für eine bundesweite Schulstreikbewegung
- Schwerpunkt: Eure „Ordnung“ ist auf Sand gebaut: Zeitenwende in Kasachstan / Hände weg von der kasachischen Revolution!
- In eigener Sache
- Pakistan: Red Workers Front organisiert erfolgreiche Arbeiterversammlung
- Wie ich Kommunist geworden bin
- Zur 200. Ausgabe des „Funke“
- International
- Myanmar – die Militärdiktatur sitzt fest im Sattel: Wie weiter?
- Lehrerstreik in Frankreich
- Chile: Wahlsieg der Linken!
- Türkei: Der Druck steigt
Die Ausgabe ist um 2€ bzw. 5€ Solipreis erhältlich beim Funke-Verkäufer/der Funke-Verkäuferin eures Vertrauens und hier im Funke-Shop – auch als Online-Version. Abobestellungen können >>hier<< vorgenommen werden.