Wir veröffentlichen hier ein Interview über die Erlebnisse eines jungen Asylsuchenden aus Afghanistan in der Schubhaft im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Hernalser Gürtel. Wir haben ihn zu seinem Schutz anonymisiert und nennen ihn fortan Ahmad. Wir veröffentlichen das Interview in Reportageform; alle Aussagen im Text sind seine eigenen, ohne Hinzufügungen von uns. Wir sind der Meinung, dass seine Schilderungen für sich selbst sprechen.
Ahmad lebt seit 2016 in Wien, nachdem er aus Afghanistan geflohen war. Drei Jahre lang war sein Asylantrag in der Schwebe. Sein Bruder, der aus den gleichen Gründen wie er aus Afghanistan geflohen ist, hat Asyl bekommen. Ahmads Antrag wurde zweimal abgelehnt. Auch wenn er sich weiter gerichtlich gewehrt hat, bedeutete das, dass er jederzeit abgeschoben werden konnte.
Er schildert uns, wie er nach dieser Ablehnung zweimal von der Polizei kontrolliert wurde. Beim ersten Mal passierte gar nichts. Beim zweiten Mal wurde er von zwei Uniformierten und einem Zivilbeamten, der ihn sehr schlecht behandelte, festgenommen und zur „Alserstraße“ (dem PAZ) gebracht. Dort wurde er in ein Büro gebracht, wo ein Beamter in seiner Anwesenheit zwei Stunden lang etwas in einen PC eintippte, dann 40-50 Seiten ausdruckte und ihm nur sagte: „Unterschreib das!“ Als er sich weigerte, nahm der Beamte einen Stift und unterschrieb die Blätter selbst. Anschließend wurde er überstellt: Er musste sich ausziehen, alle Gegenstände und Kleidungsstücke wurden protokolliert und anschließend kam er in eine Zelle im Keller des Gebäudes.
Als er nach einigen Tagen dort verhört wurde, war das erste, was der Beamte ihm sagte, dass er keine Chance hat: Entweder er geht freiwillig oder er wird abgeschoben. Ahmad schildert, dass er verzweifelt war: Er sagte dem Beamten, dass er seit 5 Jahren in Österreich ist, hier sein Leben hat, in Afghanistan gibt es für ihn keine Zukunft. Als er sagte, wenn ihr mich abschieben wollt, bringe ich mich um, antwortete der Beamte einfach „was du machst, ist deine Sache, wir machen nur das, was uns gesagt wird“.
Nach diesem Verhör, es war 23.30, musste er sich nackt ausziehen und wurde in einen anderen Kellerraum gebracht, in dem es „so scheißkalt war, dass ich gezittert habe“. In dieser Zelle gab es nur ein Klo, sonst gar nichts. Nach Stunden in dieser Kälte fing er an, gegen die Tür zu hämmern und bat die Polizisten, ihn herauszulassen. Deren Reaktion: „Wirst du wieder sagen, dass du dich umbringst?“ Nach einiger Zeit wurde er in eine andere Zelle gebracht, die zwar auch kein Bett hatte, aber zumindest eine Fußbodenheizung.
Während Ahmad die Haftbedingungen schildert, kommt er immer wieder auf das Essen zu sprechen. Am ersten Tag gab es gar nichts. Doch selbst als er danach essen bekam, konnte er es oft nicht essen, weil es so schlecht war. Nach dieser Nacht, in der er nackt war, war das Essen so schlecht, dass es „nicht einmal ein Tier essen könnte“. Als er sarkastisch das Essen lobte, hätten die Arbeiter, die es lieferten gelacht und gesagt, „wir wissen, dass es schlecht ist“.
Am selben Tag wurde er auch zu einem Arzt gebracht, der nachbohrte, ob er seinen Selbstmordwillen ernst meinte. Ahmad schildert, dass er seinem Gegenüber klarmachte, dass er leben möchte, aber die Bedingungen, in die er gesteckt würde, ihn so oder so umbringen würden. Der Arzt antwortete, dass er daran nichts ändern könne, nur für ein anderes Zimmer könnte er sorgen.
Am fünften Tag nach seiner Festnahme kam schließlich jemand von der Diakonie. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Ahmad sein Handy nicht bekommen, sein Bruder und seine Familie wussten nicht, wo er war. Jetzt bekam er es auf Nachfrage, aber der Akku war leer. Der Übersetzer fand schließlich seinen Bruder auf Facebook und informierte ihn. Danach konnte Ahmad auch zum ersten Mal mit seinem Anwalt reden.
Bedingungen in der Schubhaft
Ahmad war insgesamt ca. zwei Monate in Schubhaft. Auch die „normalen“ Bedingungen waren schrecklich. Seine Freundin und sein Bruder wollten ihn besuchen, durften aber nicht. Seine Freundin brachte ihm Geld vorbei, er durfte aber nur 50 € pro Woche behalten, den Rest kassierte die Polizei ein. An Montagen und Donnerstagen kann man sich dafür zu extrem teuren Preisen Dinge wie Chips kaufen, an diesen Tagen konnte er auch sein Handy laden, sonst nicht.
Das Wasser verursachte nach dem Waschen Juckreiz. Das Essen wurde nicht besser, sodass ständiger Hunger sein Begleiter war. Wenn es einmal Essen gab, das nicht ganz so schlecht war, gab es deswegen Streit und auch Schlägereien zwischen Gefangenen. In so einem Fall wurden die Beteiligten in den Keller gebracht, wenn sie von dort wieder kamen, waren sie „wie Roboter“.
Er war in einer Gemeinschaftszelle mit sieben oder acht Häftlingen untergebracht. Die Zellen befanden sich in einem langen Korridor, alle hatten Metalltüren. Man konnte kaum schlafen, weil diese bei den Kontrollen der Polizisten, bei Abholung von Gefangenen etc. extrem laut waren. Gleichzeitig ist man dadurch auch nie wirklich wach. Diese Situation war „die Hölle auf Erden“.
Zu dieser Mischung aus Schlafentzug, Hunger und Willkür kam noch die Ungewissheit. Ahmad meint: „Wenn man ein Verbrechen begangen hat, weiß man, dass man nach z.B. zwei Jahren wieder herauskommt. Hier weiß niemand wie lange er drin ist.“ Ein Zellenkollege war seit elf Monaten in Schubhaft.
Diese Bedingungen machen viele der Menschen dort wahnsinnig: Viele verletzen sich selbst, manche pflegen sich nicht mehr, gehen nicht mehr auf die Toilette. Dass das in Kauf genommen wird, hat nach Aussage von Ahmad Methode: „Generell sind die Bedingungen so gemacht, dass man sich überlegt selbst nach den Papieren zu fragen, um freiwillig auszureisen, nur damit man rauskommt.“
Hungerstreik
Ahmad hat in der Haft mit Leuten geredet, was er machen kann, um dem allen zu entkommen. Ihm wurde gesagt, dass kein Geld helfen würde, kein Rechtsbeistand. Ein Hungerstreik wäre die einzige Möglichkeit: kein Essen, kein Wasser. Man dürfe Wasser nicht einmal berühren, ein Arzt würde das feststellen. Entweder man kommt raus oder man stirbt. Doch für Ahmad war klar, dass er so nicht weiterleben konnte, deswegen entschloss er sich, mit dem Hungerstreik zu beginnen.
Mit ihm gemeinsam begann eine ganze Reihe anderer Häftlinge. Offensichtlich gibt es in diesen Fällen schon eine „Routine“: Als er das ankündigte, wurde er zu einem Arzt gebracht. Der klärte ihn auf über die Gefahren, unter anderem: Er kann blind werden, die Nieren können kaputt gehen, er kann sterben. Er musste unterschreiben, dass er in den Hungerstreik trat, wurde gewogen und sein Blut abgenommen. Danach wurde er jeden Tag untersucht.
Vom 1. bis zum 4. Tag wurde sein Blutzucker immer geringer, am 4. Tag ging er wieder ein bisschen hoch – der Körper beginnt damit, sich quasi selbst zu verdauen. Das Essen, das geliefert wurde, war in dieser Zeit viel besser als normalerweise, weil der Hungerstreik gebrochen werden sollte, es gab „sogar Obst und Gemüse, auch extra Brot und solche Sachen“. Am 5. Tag hielt Ahmad den quälenden Durst nicht mehr aus und trank vier Kappen warmes Wasser, kaltes Wasser wäre zu diesem Zeitpunkt schon extrem schädlich gewesen.
Am 10. Tag war er so schwach, dass er zusammenbrach, Zellengenossen halfen ihm und drückten den Alarm. Eine Polizistin und ein Mediziner kamen, aber lachten ihn einfach aus. Das machte Ahmad so wütend, dass er ihnen sagte: „Wenn ich sterbe, sterbe ich, aber geht raus, ich will euch nicht sehen“. Der Mediziner hat ihn dabei noch angelogen und gesagt, dass er noch drei Wochen so durchhalten müsste, wenn er rauskommen will.
Am 11. Tag ist es so schlimm geworden, dass er überzeugt war, er würde sterben. Bis dahin hatte er seiner Freundin und seinem Bruder in Wien nicht erzählt, dass er in Hungerstreik war. Aber bei einem Telefonat sagte er es, weil er die Stimme seiner Mutter (in Afghanistan) hören wollte, bevor er stirbt. Seine Freundin und sein Bruder haben zu weinen begonnen, aber seinen Wunsch zu erfüllen, war unmöglich: In dem Korridor gab es 60 Häftlinge, die insgesamt eine Stunde für Telefonate hatten, die warteten. An diesem Tag entschied er sich aufzuhören, wenn am nächsten Tag nichts passieren würde.
Ein Freund sagte ihm, dass man wegen seinem Bart gar nicht genau sehen würde, wie dünn er eigentlich geworden sei, er rasierte ihn deswegen ab. Tatsächlich verlor er in der Zeit seines Hungerstreiks massiv Gewicht, während er zu Beginn noch 62 Kilo wog, hatte er am Schluss noch 43 Kilo. Der Arzt am nächsten Tag verabschiedete ihn nach der Untersuchung noch mit „bis morgen“, aber auf dem Weg zurück zur Zelle hörte er dann, dass er rausgelassen wird.
Zurück in die „Freiheit“
Das war extrem skurril: An seinem Status als abgelehnter Asylwerber änderte sich ja nichts, er könnte jederzeit wieder festgenommen und in Schubhaft gesteckt werden. Er bekam seinen Ausweis nicht zurück, auch sein restliches Geld nicht, über 300 € wurden ihm für „irgendwas abgezogen“. Er war so schwach, dass er seine Hose nicht selbst anziehen konnte, aber trotzdem glücklich, dass er rauskam. In diesem Zustand wurde er (im Winter) einfach vor die Tür gesetzt.
Zuerst ging er in ein Geschäft, um Wasser zu kaufen. Als er bat, es aufwärmen zu können und die Verkäuferin meinte, dass es so kalt dann auch nicht sei, erzählte er kurz was passiert war. Die Verkäuferin fing daraufhin zu weinen an und brachte ihm tatsächlich warmes Wasser.
Er setzte sich in ein Taxi, aber hatte im Hungerstreik sein Gedächtnis verloren und konnte sich nicht mehr an seine Adresse erinnern. Er fuhr zum Praterstern, wusste dort aber auch nicht weiter. Schließlich fiel ihm ein, dass ein Freund am Handelskai wohnt, zu dem er dann ging. Die nächsten vier oder fünf Tage nahm er nur Wasser und Suppe zu sich, weil er zu schwach gewesen wäre, um etwas anderes zu verdauen.
Als Ahmad zurückdenkt, überkommen ihn die Emotionen. Er meint: „Wenn man die Polizisten hier draußen sieht, zeigen sie ein schönes Gesicht, aber hinter den Kulissen? Man wird die Menschheit dafür hassen, dass ein Mensch einem anderen so Sachen antun kann, wo niemand etwas filmt.“ Und weiter: „Man soll nicht die Gesetze lesen und die Theorien, sondern man muss einfach sehen was passiert. Man kann die Bedingungen daran abschätzen, dass jemand zwei Wochen nichts isst oder trinkt, um aus dieser Hölle rauszukommen“.
Ahmad sagt, er vertraut keinen Versprechungen und schönen Reden von Politkern mehr. „Ich bin mir sicher, wenn die Leute das sehen würden mit ihren eigenen Augen, sie würden diese Regierung stürzen“.
Afghanistan: Vormarsch der Taliban
Die USA und ihre Verbündeten haben den Krieg in Afghanistan verloren. Der Plan ist, dass bis 11. September kein US-Soldat mehr im Land steht. Das deutsche Kontingent im Norden des Landes soll bis zum 4. Juli ausgeflogen werden, der letzte Soldat des kleinen österreichischen Kontingentes ist bereits Mitte Juni abgezogen.
Die afghanische Armee zeigt derweil Auflösungserscheinungen. Tausende Soldaten desertieren, die Taliban nehmen Bezirk nach Bezirk ein und haben tonnenweise Militärmaterial und Waffen, darunter über 100 Humvees und 4 Hubschrauber erbeutet. Ihr Vormarsch bedeutet dabei nicht, dass sie im Land beliebt sind, ganz im Gegenteil, tausende melden sich freiwillig, um gegen sie zu kämpfen. Doch insgesamt wohl genauso verhasst sind die vom „Westen“ gestützten Politiker und Warlords.
Seit der Invasion 2001 wurden die Hoffnungen auf eine Entwicklung des Landes zerschlagen. Die USA haben Milliarden in das Land gepumpt, die in bester imperialistischer Tradition aber nur verschiedenen Cliquen an korrupten, reichen Politikern und Warlords zugeflossen sind. Eine wirkliche wirtschaftliche Entwicklung hat nie stattgefunden. Für die Masse der Bevölkerung, die armen Bauern und die Millionen Armen in den Städten waren auch die letzten 20 Jahre der Besatzung nichts als ein Teufelskreis an Leiden, Armut und Gewalt, während eine kleine Clique an der Spitze sich schamlos bereichert hat.
Diese Situation produziert genügend Verzweifelte, auf Basis derer die Taliban den Krieg über die Jahrzehnte weiterführen konnten, und hunderttausende Flüchtlinge. Doch letztendlich sind die imperialistischen Großmächte für den Krieg verantwortlich: Wie in dutzenden anderen Ländern der Welt wird in Afghanistan ein Krieg, in den letzten Jahren de facto ein Stellvertreterkrieg um Einflusssphären geführt, für den einfache AfghanInnen jährlich zu tausenden sterben müssen.
Die einzige Antwort in dieser Situation kann für uns sein: Gegen den Imperialismus und Fundamentalismus – Hoch die internationale Solidarität!
(Funke Nr. 195/1.7.2021)