Wirtschaft. Alle internationalen Umstände, die in den vergangenen 25 Jahren positiv auf die Entwicklung des österreichischen Kapitalismus gewirkt haben, kehren sich in ihr Gegenteil. Mihai Csabai analysiert.
Durch die beschleunigte Ausdehnung des Welthandels erfuhr auch das österreichische Kapital eine starke Internationalisierung. Während die Investitionsquote in Österreich einen immer ungünstigeren Verlauf nahm, wurde diese schwächelnde Inlandsbasis durch eine noch nie dagewesene Internationalisierung des Österreichischen Kapitals kaschiert. 1995, dem Jahr des EU-Beitrittes Österreichs, betrug das Gesamtkapital österreichischer Direktinvestitionen im Ausland nur 8,7 Mrd. Euro, doch dann entstand Dynamik. Bis zum Jahr 2000 stieg das Gesamtkapital der Direktinvestitionen auf etwa 26,6 Mrd. EUR, im Jahr 2015 auf über 191 Mrd. EUR an [1].
Too big to fail!
Bis um die Jahrtausendwende herum hielten die Bestände der Direktinvestitionen im heutigen Euroraum sich in etwa die Waage mit den Beständen in den Mittel-, Ost- und Südosteuropäischen Staaten (CEE), ab 2002 ändert sich das Ausmaß der Investitionsbestände signifikant zugunsten dieser jungfräulichen Märkte. Das österreichische Kapital wurde zu einem wichtigen Fürsprecher für die schnelle Integration der ehemaligen stalinistischen Staaten Mitteleuropas in die EU. Diese Länder wurden mit zunehmendem Selbstbewusstsein als eigener Hinterhof betrachtet.
Am Vorabend der zweiten EU-Osterweiterung im Jahr 2007 übertreffen die Bestände der Direktinvestitionen im Osten jene im Euroraum bereits um fast 20 Mrd. Euro [2]. Es waren die Tage eines Andreas Treichl, dem Vorstandsvorsitzenden der Erste Group, deren Übernahme der rumänischen BCR „für die nächsten 10, 15, 20 Jahre Wachstum garantiert und auch die Freude der Aktionäre sicher stellen sollte.“ (Der Standard, 10.01.2006) Oder die eines Herbert Stepic, Vorstandsvorsitzender der RBI (damals noch RI), der vollen Mutes verlauten ließ: „Mit Ausnahme der Wochenenden eröffnen wir praktisch jeden Tag eine neue (Bank)Filiale.“ (Die Presse, 27.03.2008). Die österreichischen Banken haben die Expansion des westlichen Kapitals in die neuen Märkte entscheidend mitgeprägt. Die fetten Jahre des „Going East“ führten zu überaus erfreulichen Jahresergebnissen der österreichischen Banken und zu überheblichem Größenwahn. Das Auslandsengagement türmte sich, im Vergleich zu der relativ niederen heimischen Wirtschaftsleistung, zu einem global einzigartig hohen Wert an.
Stellvertretend für die österreichische Bourgeoisie waren es Herren wie Treichl, Stepic und Ruttenstorfer, die aus einem bescheidenen Kapitalimperium provinzieller Prägung komplexe multinationale Firmenstrukturen entwickelten. Und so lange die Sonne am Himmel immer weiter aufstieg, schien das neue Selbstbewusstsein der Bürgerlichen, welches sich auf politischer Ebene am reinsten in Form der Schwarz-Blauen Koalition der Jahre 2000-2005 manifestierte, auch keine Grenzen mehr zu kennen. Da tat es auch im Herzerl gut wenn man Sätze zu hören bekam wie jenen vom damaligen rumänischen Ministerpräsidenten Nastase, der anlässlich der Übernahme der Petrom durch die OMV im Jahr 2004 feierlich huldigte: „Wer Petrom führt, kontrolliert die rumänische Wirtschaft, und wer die Wirtschaft kontrolliert, kann auch die Politik kontrollieren.“
Reichtumsimport
Die aus der Internationalisierung des österreichischen Kapitals resultierenden Direktinvestitionseinnahmen erfuhren einen steilen Aufstieg: „Im Jahr 2000 betrugen die gesamten Einkommen aus Direktinvestitionen im Ausland nur knapp über eine Milliarde Euro (jährlich). Seit 2011 sind es zwischen 10 und 12 Mrd. Euro (jährlich).“ [3] Dieser Anstieg der Direktinvestitionseinkommen sowie die zunehmend positive Leistungsbilanz in den Jahren nach Einführung des Euro bildete die ökonomische Grundlage für die relative politische und soziale Stabilität Österreichs der vergangenen 15 Jahre.
Wenn die Geschäfte platzten, mobilisierte die politische Kaste die SteuerzahlerInnen mit „Bail outs“ (Schuldenübernahmen der Hypo, Kommunalkredit, Volksbanken) und staatlichen Eigenkapitalspritzen (RI, Erste Bank). Internationale Rettungsaktionen (beginnend mit der multilateralen „Donauninitiative“) wurden ein bestimmendes Element der dienstfertigen österreichischen Außenpolitik.
Diese Expansion in die internationale Warenproduktion und den -austausch begründet heute die größte Gefahr für die Stabilität. In dem Maße, in dem sich in den umliegenden Ländern und darüber hinaus ein komplexes Produktions- und Finanzcluster gebildet hat, wurde auch das ökonomische und politische Gleichgewicht hierzulande verletzlicher und von politischen, diplomatischen und ökonomischen Krisenszenarien unmittelbar betroffen. Unmittelbarer politischer Ausdruck dafür ist das politische Liebeswerben von Sebastian Kurz und Norbert Hofer in den sogenannten „Visegràd-Staaten“ (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn).
Die heutige Gefahr besteht jedoch nicht primär darin, dass sich der Zusammenbruch von 2008 wiederholt, sondern darin, dass die letzte Krise alle bereits angestauten Widersprüche potenziert hat und damit die Ausgangslage für das österreichische Kapital heute von vorneherein bedeutend schlechter ist. Spätestens ab Mitte der 1990er Jahre war der kapitalistische Restaurationsprozess im Osten weitestgehend vollzogen. Der politische Überbau dieser Länder blieb zwar anhaltend korrupt (was nie im Widerspruch zu Expansionsplänen westlicher Kapitalien stand) aber zunehmend auch stabil (will heißen investorenfreundlich). Nach Jahren der relativen Stabilität in den Ost-Staaten hat sich das politische Risikoprofil in Mittel-, Ost- und Südosteuropa im letzten Jahrzehnt mancherorts aber grundlegend verschlechtert.
Die neuen EU-Mitgliedsländer erlebten in der vergangenen Periode (bis auf wenige Ausnahmen wie etwa Kroatien) ein dynamischeres Wirtschaftswachstum als der europäische Durchschnitt. Dabei ist die Dynamik in abnehmendem Ausmaß einem Investitionsboom wie vor der Krise 2008 geschuldet, sondern wird zunehmend vom expandierenden Konsum gespeist. Auch die Erwartungen für das heurige Gesamtjahr und für 2017 übertreffen das schwache Wachstum im Euroraum. Doch die Grundlage dieses Wachstums ist extrem instabil, wie die RI-Grundlagenabteilung im Juni dieses Jahres festhält: „Die Entscheidung darüber ob man in einem CEE-Markt wächst (oder sich aktiv an der Marktkonsolidierung beteiligt) oder zukauft, bekam im Jahr 2015 einen neuen bestimmenden Faktor: wachsende rechtliche und politische Ungewissheit auf nationaler Ebene. Selbst im Anbetracht eher vorteilhafter makroökonomischer Fundamentaldaten, dienten etwaige implizite Kosten und Risiken in einer Reihe von CEE-Ländern als kräftiger Umstand jegliche weitere Expansion zu stoppen.“
Den Bürgerlichen dämmert, dass das Jahr 2016 und die absehbare Zukunft – darüber hinaus waren sie nie im Stande auch nur eine einzige politische oder ökonomische Entwicklung zu antizipieren – weiterhin wenig Gutes fürs Geschäft bringt und dass die Instabilität zu einem zentralen ökonomischen Faktor geworden ist.
Die wirtschaftliche Integration Europas der vergangenen 25 Jahre ergab eine enorme Verflechtung der Warenproduktions- und Austauschströme. Die ökonomische Entwicklung in den CEE-Ländern steht dabei im krassen Gegensatz zu ihrem geopolitischen Gedeihen. Mit Ausnahme weniger Länder am Balkan waren am Vorabend des Irak-Krieges 2003 alle Länder Ost- und Südosteuropas Teil von George W. Bushs „Koalition der Willigen“. Die Mehrheit der Länder sind Jahre bevor sie der EU beigetreten sind, Teil der NATO geworden. Die aggressive US-Expansion vermittelst der NATO wird von einer zunehmenden Präsenz amerikanischer Truppen in Osteuropa begleitet. Dementsprechend groß ist der politische Einfluss der USA in Osteuropa gewachsen. Und dementsprechend wenig verwunderlich ist es, dass auf politische Schocks wie der Ukraine-Krise die ökonomischen Schocks, mittels Unterbrechung der Warenproduktion und des Handels folgen.
Der Gegensatz der wirtschaftlichen Verflechtung (Ost-)Europas und Russlands auf der einen und dem politischen sowie militärischen Einfluss der USA in den Ländern Osteuropas auf der anderen Seite legen nahe, dass der Austroimperialismus sich auf einer globalen Demarkationslinie aufgebaut hat. Dieser Gegensatz bildet auch die Grundlage für zunehmende Konflikte zwischen der EU (allen voran Deutschland) und einer ganzen Reihe osteuropäischer Staaten in Fragen der Immigration, des EU-Grenzschutzes, Russland-Sanktionen, der Agrarpolitik, der Energiepolitik etc.
Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass das Engagement österreichischer Unternehmen in Ost- und Südosteuropa ab 2012 beginnt, Rückschläge zu erleiden. 2015 befanden sich nur mehr etwas mehr als ein Drittel österreichischer Bestände an Direktinvestitionen in diesen Ländern. „Rückgänge der Anteile sind über die letzten Jahre hinweg in fast allen Staaten der Region zu verzeichnen. Besonders stark waren sie in den krisenhaften Ländern Ungarn und Russland, aber auch in Tschechien.“ [4]
But too small to be beautiful
Der zweite Nachteil, mit dem das österreichische Bürgertum angesichts veränderter geopolitischer und weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen konfrontiert ist, betrifft seine Größe – oder was davon geblieben ist. Symptomatisch dafür sind die rückläufigen Börsenwerte österreichischer Unternehmungen. 1996 betrug der Börsenwert der ATX-Unternehmen knapp 26 Mrd. Euro. Am Höhepunkt, im Jahr 2007 belief er sich bereits auf über 156 Mrd. Euro. Ende 2015 hatte sich dieser Wert auf knapp 85 Mrd. Euro fast halbiert und entsprach nur mehr 25,7% des BIP (im Vergleich dazu die Börsenwerte in ausgewählten Ländern/Regionen in % des BIP für 2015: Dax: 51,1%, Dow Jones: 139,7%, Euroländerdurchschnitt: 65,7%)[5] Per 24.10.2016 beträgt die Marktkapitalisierung in Wien nur noch 67 Mrd. Euro und ist damit auf dem tiefsten Stand seit sechs Jahren.
Dass Österreich im globalen oder auch nur europäischen Maßstab bestenfalls die Rolle eines Juniorpartners zukommt, wurde in den Boom-Jahren wenig beachtet, nun wiegt diese Tatsache wie eine schwere Last. In Zeiten der Expansion und des allgemeinen Wetteiferns war auch für das österreichische Kapital genügend Platz unter der Sonne. Wenn aber der Konjunkturhimmel sich trübt und die Märkte schrumpfen, entscheidet die Größe. Die Loslösung des Osteuropageschäftes von der Bank Austria durch die italienische Mutter Unicredit ist nur ein Vorgeschmack dessen, was der österreichischen Bourgeoisie in ihrer Juniorrolle bevorsteht. Ohne das Osteuropageschäft wird die Bank Austria auf eine „Österreichbank“ in einem übersättigten Markt reduziert. Aus Sicht der Unicredit hat die Bank Austria vermutlich keine lange Existenzberechtigung mehr. Im europäischen Bankenstresstest von Juli dieses Jahres ist die Raiffeisen Zentralbank Österreich AG an vorletzter Stelle gelandet.
Der österreichische Paradeindustriekonzern OMV war angesichts des erbarmungslosen globalen Wettbewerbs gezwungen sich in eine strategische Partnerschaft mit der russischen Gazprom zu begeben. Dabei kollidierte das Unternehmen bereits mit den Interessen Polens welche das Pipeline-Projekt „North Stream 2“ argwöhnisch betrachtet, nicht nur weil es einerseits erhebliche Einbußen für den Gas-Transit durch Polen hinnehmen müsste, sondern vor allem weil jegliche Expansion der Gazprom eine Expansion russischer Außenpolitik hieße.
Im 8. Jahr nach der Krise lässt sich mit Gewissheit sagen, dass Österreich die Bühne der Weltpolitik betreten hat, allerdings nicht als Schauspieler sondern vielmehr als Komparse. In dem Maß, in dem Österreich sein Kapital und seine Produkte exportiert hat, hat es die politische, wirtschaftliche und diplomatische Instabilität importiert. Da wirken auch der Versuch von América Móvil des Mexikaners Carlos Slim volles Zugriffsrecht auf die A1 (welche Haupt- und Gewinntreiber innerhalb der Telekom-Holding ist) zu erlangen und die Volksfront dagegen, bestehend aus Betriebsrat, Finanzminister und ÖBIB, wie ein Sturm im Wasserglas im Vergleich zu der stürmischen Periode des österreichischen Klassenkampfes, der in den nächsten Jahren bevorsteht.
[1] http://wko.at/statistik/jahrbuch/ah-aktiveDI.pdf
[2] http://www.fiw.ac.at/index.php?id=621&L=3
[3] http://wiiw.ac.at/bescheidener-aufschwung-im-osten–bremsklotz-eu-fiskalregeln-dlp-3942.pdf
[4] ebd.
[5] http://data.worldbank.org/indicator/CM.MKT.LCAP.GD.ZS?end=2015&locations=XC&name_desc=false&start=1975&view=chart