Notverordnungen sind wichtiger Bestandteil bürgerlicher Krisenbewältigungsstrategien. Mangels Terroranschlägen braucht die Regierung einen anderen Vorwand und konstruierte einen Überforderungs-„Notstand“ im Zusammenhang mit der Asylpolitik. Eine Analyse von Natalie Ziermann.
Wie argumentiert nun die Regierung diesen angeblichen „Notstand“? Sie behauptet in ihrem Entwurf, dass ab einem bestimmten Höchstwert von Asylanträgen eine Gefährdung der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit“ vorliege. Was das bedeutet, ist sehr dehnbar, wie der Gesetzesentwurf zeigt. Der latente Rassismus dieses kurzen Gesetzesentwurfs liegt allein schon darin begründet, dass systematisch alle sozialen Probleme in Österreich mit Flüchtlingen verknüpft werden. So als ob es keine stagnierende Wirtschaft gäbe, keine massive Ungleichverteilung von Reichtum, keine EURO-Krise,..
Die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch AsylwerberInnen wird nach den Vorhaben der Regierung selbst schon dadurch verletzt, dass die Asylbehörden Probleme bei der Bearbeitung der viele Anträge haben oder diesen Umstand zumindest prognostizieren (!). In der Folge wird in dem Entwurf alles an Missständen aufgelistet, was diese Gesellschaft zu bieten hat, und dafür den Flüchtlingen die Schuld gegeben: Die steigende Zahl an Straftaten, die angeblich von AsylwerberInnen begangen wurden, überfüllte Gefängnisse, der Druck auf dem Arbeitsmarkt bei ohnedies schon stark gestiegenen Arbeitslosenzahlen aufgrund der EU-Osterweiterung (sic!) und drohende „Versorgungsengpässe“ (!) im Gesundheitswesen werden als Argument für den drohenden Notstand herangezogen.
Neben der Ausweitung der Befugnisse von Polizei, Bundesheer und Geheimdiensten sowie der Schaffung eines Sicherheitskabinetts ist die „Notverordnung“ das zentrale Instrument zur Durchsetzung demokratiebefreiter Machtausübung. Immerhin ist der Sinn des Gesetzes, dass Menschen das Stellen von Asylanträgen, also die Inanspruchnahme international verbriefter demokratischer Rechte, verunmöglicht werden soll.
Was bedeutet die Notverordnung?
Konkret bedeutet das: Geflüchtete sollen an der Grenze zu Österreich zurückgewiesen werden. Nur wenn sie illegal nach Österreich einreisen, dort einen Asylantrag stellen und eine Zurückschiebung nicht möglich ist, besteht unter Umständen die Möglichkeit auf ein Asylverfahren in Österreich. Was mit den Geflüchteten, die an der österreichischen Grenze abgewiesen werden, passieren soll, ist unklar. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Geflüchteten einfach im Niemandsland stranden und mit Gewalt daran gehindert werden ihre Flucht fortzusetzen. Dementsprechende „Zurückdrängungsübungen“ von Bundesheer und Polizei wurden bereits im Frühjahr unter ministerieller Aufsicht medienwirksam inszeniert.
Die Notverordnung gibt der Regierung die Möglichkeit das (ohnehin mehrfach verschärfte) Asylgesetz außer Kraft zu setzen, und das allein aufgrund eigener Prognosen, dass eine bestimmte Zahl von Asylanträgen zu einem „Notstand“ führen würde.
Es ist klar, wenn ein Notstand so definiert wird, wie dies die Regierung in ihrem Entwurf tut, dann haben die Bürgerlichen zukünftig eine legale Blaupause in der Hand, mit der früher oder später jede soziale Verschlechterung in der Gesellschaft im Allgemeinen dazu herangezogen werden kann, die Demokratie außer Kraft zu setzen.
Die Bundesregierung nützt hier Abstiegsängste der Menschen, um einen gesellschaftlichen Konsens für die Notwendigkeit von Notstandsgesetzen herzustellen. Das Ganze hat noch dazu den angenehmen Nebeneffekt, dass man es geschafft hat, Bankenrettungen, Korruption und Sozialkürzungen völlig aus der gesellschaftlichen Debatte zu nehmen. Doch abseits von kurzfristigen politischen Erwägungen, wird hier ein zentrales Instrument geschaffen, das zukünftig den legalen Ausstieg aus der Demokratie ermöglicht.
Politisches Ringen
Der Gesetzesentwurf „Notverordnung“ ging am 7. September ein, liegt nun für vier Wochen in der Begutachtung, und sollt dann im Oktober beschlossen werden.
Welchen Geist dieses Notstandsgesetz atmet, ergibt sich auch aus der Art der vorgesehenen Inkraftsetzung. Demnach kann die Verordnung von der Regierung im Einvernehmen mit dem nicht öffentlich tagenden Hauptausschuss des Nationalrates (dem nur 28 besonders geeichte ParlamentarierInnen angehören) in Kraft gesetzt werden. Ein Notstand würde dann für jeweils sechs Monate gelten.
Kanzler Christian Kern (SPÖ) beharrt darauf, dass die Notverordnung erst mit Erreichen der Obergrenze von 37.500 Asylanträgen in Kraft gesetzt werden soll. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und der schwarze Außenminister Kurz möchten die Notverordnung jedoch schon vor Erreichen der Obergrenze durchsetzen, am besten sofort nach der Beschlussfassung. Dafür bekommen sie Rückendeckung von SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der seit Monaten als Scharfmacher auftritt und das Bundesheer stärken will.
Innere Sicherheit
Das Ausmaß der Vorkehrungen für die Stärkung der staatlichen Exekutivgewalt wird erst klar, wenn man sie in Bezug zu den parallel laufenden Vorkehrungen bei Bundesheer, Polizei, Geheimdiensten und Regierung setzt. Die Regierung strebt nun eine Verfassungsänderung an, durch die die Delegierung der Regierungsmacht vom Ministerrat auf ein sechsköpfiges „Sicherheitskabinett“ ermöglicht wird. Damit wird der gleiche Weg wie bei der Notverordnung beschritten: „Harte Entscheidungen“ werden in Zukunft im kleinesten Rahmen von Parlament (wo ein Ausschuss, die zeitweise Ausschaltung des gesamten Parlaments beschließen kann) und einem Teil der Regierung gefällt werden. Damit soll die Politik, die zunehmend gegen die eigene Bevölkerung geführt werden wird, vom sozialemnDruck aus der Bevölkerung abgeschirmt werden.
Teil dieses Pakets sind außerdem eine Verschränkung der Geheimdienste und die verstärkte „präventive Überwachung“ (Sobotka) der Öffentlichkeit. Weiter bekommt das Bundesheer zusätzliche Kompetenzen für „Inlandseinsätze zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung“. „Kontrolle von Menschenansammlungen und Ausschreitungen“ soll künftig Teil der Aufgabe des Bundesheeres sein. Selbst die zu schaffende „Schwere Brigade“ (also die Panzereinheiten) soll für „robuste Einsätze im In- und Ausland“ aufgerüstet werden.
Um diese Aufgaben zu gewährleisten werden mehrere Kompanien mit „Gruppenfahrzeugen für Ordnungseinsätze“ und folgenden „minder letalen Wirkmittel“ ausgerüstet werden: „Pfefferspray, Gummikugeln und Impulsgeschoßpatronen, ‚Flashbang‘-Granaten und Blitz/Knall-Patronen, Blitz-Knallkörpern, Lautsprecheranlagen (‚Acustic Hailing-System‘), Alarmpatronen, Irritationswurfkörpern, Tränengas-Einsatzkörper für Mehrfachwurfanlagen, Tränengasgranaten sowie Reizstoffhandgranaten“. All das unter einem „roten“ Verteidigungsminister!
Nein zur Notverordnung
Wir lehnen die Notverordnung, die Aufrüstung des Bundesheeres und die Ausweitung des Mandates auf militärische Einsätze im Inland grundsätzlich und im Konkreten entschieden ab. Werden diese durchgesetzt, wird nicht nur das Recht auf Asyl ausgehebelt, sondern ein legaler Ausgang aus der Demokratie eröffnet und waffentechnisch konkret vorbereitet. Sie öffnet Tür und Tor dafür, im Namen von „Sicherheit“ und „Ordnung“ mit weiteren Notverordnungen die Rechte von Geflüchteten, in der Folge aber auch von streikenden und demonstrierenden ArbeiterInnen und Jugendlichen anzugreifen. Dies konnte man bereits in Frankreich sehen, wo der nach islamistischen Terroranschlägen verhängte Notstand von der „sozialistischen“ Regierung genutzt wurde, um Demonstrationsverbote und Hausarrest für politische AktivistInnen durchzusetzen.
Auf uns werden in den nächsten Jahren harte Zeiten zukommen. Die Arbeitslosigkeit und der Wohnungsmangel werden sich verschärfen, die Angriffe auf unseren Lebensstandard werden zunehmen. Die Kürzung der Wohnbeihilfe in der Steiermark, die Androhungen von 1-Euro-Jobs für MindestsicherungsbezieherInnen, die Forderung nach dem 12-Stunden-Tag sind alles nur ein Vorgeschmack auf das, was die Bürgerlichen noch vorhaben.
Der Rassismus spaltet und verschlechtert damit das Leben aller KollegInnen, der einheimischen und der zugewanderten. Lasst uns gemeinsam gegen die Spaltung und die alltäglichen Zumutungen des Kapitals kämpfen.