Vor kurzem fand in Wien das bundesweite Treffen des „Funke“ statt. Eine zentrale Diskussion drehte sich um die Einschätzung der Perspektiven für Österreich.
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(Wir empfehlen, das folgende Dokument zusammen mit dem letztjährigen Perspektivdokument zu lesen. Erstens sind die im damaligen Dokument ausführlich behandelten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des österreichischen Kapitalismus für die aktuelle Einschätzung weiterhin gültig. Es lohnt aber auch, dieses Dokument in Hinblick auf die tatsächlichen Ereignisse des vergangenen Jahres zu studieren. Download der Perspektiven 2006)
Anfang Jänner 2007 kam es zur Neuauflage einer Großen Koalition. War die Bürgerblockregierung unter der Führung von Kanzler Schüssel nur ein Intermezzo? Kehrt Österreich zurück zur politischen Normalität? Oder wird der Kurs des schwarz-blau-orangen Wendeprojekts auch unter einem SP-Kanzler fortgesetzt? Vor welchen Aufgaben steht die ArbeiterInnenbewegung?
Der österreichische Kapitalismus
Der österreichische Kapitalismus war immer schon ein sehr schwaches Pflänzchen. Strukturschwächen kennzeichneten das kapitalistische System in der Alpenrepublik von Anfang an. In verschiedenen Ausformungen spiegelte sich diese Schwäche immer schon im politischen System wider. Erst die Sonderstellung zwischen den großen Blöcken in der Nachkriegszeit erlaubte eine ökonomische Stabilisierung.
Trotzdem kam der österreichische Kapitalismus nie wirklich über die Rolle eines Anhängsels des deutschen Kapitalismus hinweg. Deutsche Konzerne dominierten die österreichische Wirtschaft. Die österreichische Industrie war nicht vielmehr als eine verlängerte Werkbank des deutschen Kapitals. Deutschland war der wichtigste Handelspartner.
Ein zentrales Merkmal des österreichischen Nachkriegskapitalismus war die zentrale Rolle des staatlichen Sektors. In der unmittelbaren Nachkriegszeit gelang es nur mittels einer sehr weitreichenden Verstaatlichungspolitik die Bedingungen für einen Wiederaufbau des österreichischen Kapitalismus zu schaffen. Über Jahrzehnte spielte diese Verstaatlichte einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der Privatindustrie. Der Privatisierungsprozess ab Mitte der 1980er Jahre war dann ein wichtiger Prozess zur Herausbildung eines starken österreichischen Kapitals, das auch als relativ selbständiges Subjekt politische Prozesse mitgestalten konnte.
Diese schrittweise Stärkung des österreichischen Kapitals hatte eine grundlegende politische Voraussetzung: die Rolle der Sozialdemokratie und der mit ihr auf das Engste verbundenen Gewerkschaftsbürokratie. Die Führungen der traditionellen Massenorganisationen der österreichischen ArbeiterInnenbewegung ließen sich nach 1945 vor den Karren der Bürgerlichen spannen. Die Große Koalition und die Sozialpartnerschaft in ihren institutionalisierten und ihren informellen Formen bildeten die politischen Rahmenbedingungen für das „Nachkriegswunder“.
Unter den Bedingungen des internationalen Nachkriegsaufschwungs war selbst mit den Mitteln des Klassenkompromisses eine Verbesserung des Lebensstandards der Massen möglich. Dies verlieh diesem politischen System auch seine Stabilität und Kontinuität. Der von den Gewerkschaften durchgesetzte „soziale Friede“ und die von der SPÖ ermöglichte politische Stabilität erleichterten wiederum die reibungslose Entwicklung des österreichischen Kapitalismus.
Spätestens Mitte der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre waren jedoch die internationalen Rahmenbedingungen dieser im Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten empfundenen Erfolgsstory weggefallen. Der internationale Kapitalismus hat seine Triebkraft verloren. Das Kapital war gezwungen einen alle gesellschaftlichen Bereiche umfassenden Feldzug zur Durchsetzung seiner Interessen zu starten. Die politische Voraussetzung lieferten einmal mehr die Führungen der traditionellen Massenorganisationen der ArbeiterInnenbewegung, die dieser Offensive nichts entgegenstellten und sich in vielen Fällen sogar an die Spitze derselben stellten. Der Zusammenbruch des Stalinismus, der Rechtsruck in der Sozialdemokratie und in den Gewerkschaften kennzeichneten die 1990er Jahre.
Jedes Zeichen von Schwäche provoziert umso mehr aggressives Verhalten des Gegners. Diese alte Weisheit beschreibt auch sehr gut die Klassenbeziehungen in den letzten 15-20 Jahren. Wo immer die ArbeiterInnenbewegung Zugeständnisse gemacht hat, Schutzbestimmungen gelockert hat, hat dies dazu geführt, dass die Bürgerlichen neue Forderungen aufstellten. Eine gewaltige Spirale nach unten wurde damit losgetreten. Die Auswirkungen dieser Entwicklung können alle Lohnabhängigen tagtäglich am eigenen Leib erfahren.
Auf den Wegfall der ökonomischen Stabilität folgten gewaltige politische Instabilitäten. Es gibt heute weltweit kaum noch ein stabiles politisches Regime. Die internationalen Beziehungen wurden in den letzten beiden Jahrzehnten stark durcheinandergebracht. Krieg ist heute wieder ein bestimmendes Element der internationalen Politik. Der Militarismus ist dabei nichts anderes als die andere Seite der Medaille der ökonomischen Expansion. Waffengewalt und Investitionen sind die zwei wichtigsten Instrumente des Imperialismus.
Die Entwicklungen des österreichischen Kapitalismus sind nur eingebettet in diese internationalen Entwicklungen zu verstehen.
Im Bewusstsein breiter Schichten sind die damit verbundenen Veränderungen eine Folge des Beitritts zur Europäischen Union (EU) im Jahre 1994. Diese Erklärung ist natürlich viel zu kurzgreifend und übersieht, dass der EU-Beitritt selbst nur eine Antwort der Bürgerlichen auf die veränderten internationalen Rahmenbedingungen war. Es stimmt jedoch, dass die Mitgliedschaft bei der EU die österreichische Entwicklung sehr maßgeblich mitbeeinflusst hat. Der bisherige Botschafter Österreichs in Brüssel Gregor Woschnagg brachte es auf den Punkt: „Österreich erhielt durch den EU-Beitritt ein Fitnessprogramm verordnet.“ Gemeint ist damit, dass der österreichische Kapitalismus entlang der Regeln der EU wettbewerbsfähig gemacht wurde. Privatisierungen, Reformen der Staatsausgaben, Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben, Bildungsreformen usw. sollten in Österreich verbesserte Kapitalverwertungsbedingungen herstellen. Dieses kapitalfreundliche „Fitnessprogramm“ ging auf Kosten der Lohnabhängigen und breitester Bevölkerungsschichten.
Alle wichtigen politischen Maßnahmen der letzten 15 Jahre sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Der „Standort Österreich“, der wiederum Teil des EU-Blocks ist und auf diesem Weg am Wettstreit der imperialistischen Zentren mitpartizipiert, sollte mit allen Mitteln gestärkt werden. Vom Standpunkt des Kapitals war dies der vielversprechendste Weg zur Steigerung der eigenen Wettbewerbs- ja der eigenen Überlebensfähigkeit. Dieser Kurs wird von allen wichtigen politischen Parteien und Verbänden einschließlich der SPÖ und dem ÖGB aktiv mitgetragen. In dieser Frage der Stärkung des österreichischen Standorts herrscht ein breiter politischer Konsens wie in kaum einer anderen Frage.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Transformationsprozess in Osteuropa und am Balkan hat sich erstmals seit Ende des Ersten Weltkriegs für das österreichische Kapital die Chance aufgetan international in nennenswerter Form zu expandieren. Auf dem Balkan spielte der österreichische Imperialismus dabei eine offen verbrecherische Rolle. Zumindest mit den Mitteln der Diplomatie wirkte das österreichische Außenministerium an der Aufspaltung Jugoslawiens mit und trägt somit Mitschuld an den blutigen Kriegen, die in den 1990ern am Balkan wüteten. Mittlerweile spielt Österreich am Balkan auch durch seine Beteiligung an internationalen Truppen eine nicht unbedeutende Rolle bei der militärischen Absicherung der imperialistischen Dominanz.
Das österreichische Kapital sah Ost- und Südosteuropa immer schon als ihren Hinterhof. Man weiß wie man in Budapest, Bukarest, Zagreb usw. die erste Geige spielt. Traditionell pflegte man zu den Nachbarstaaten gute wirtschaftliche Kontakte. Durch die Stellung als „neutraler“ Staat im Kalten Krieg wurde in den Wirtschaftsbeziehungen Kontinuität bewahrt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren österreichische Unternehmen in einer ausgezeichneten Startposition. Österreichische Banken, Versicherungen und Industriekonzerne befinden sich in Osteuropa seit Jahren auf einem Siegeszug. Die EU-Osterweiterung im Jahre 2005 mit 10 neuen Mitgliedsstaaten und nun die Erweiterung um Rumänien und Bulgarien sind wichtig zur Absicherung dieser imperialistischen Expansion.
Zwar dominieren die Handelsbeziehungen zu den ursprünglichen EU-Ländern noch immer. Österreich konnte aber durch seine zunehmend stärkere Position in Osteuropa seine Position in der EU stärken. Wien ist gewiss noch immer ein Zwerg im Rahmen des EU-Machtgefüges. Die wahren Entscheidungen fallen weiterhin in Berlin und Paris, doch hat Österreich in den letzten Jahren an Spielraum gewonnen. Die Expansion des österreichischen Kapitals im Osten war eine wichtige Voraussetzung dabei.
Die gute Performance österreichischer Banken und Konzerne ist zu einem guten Ausmaß auf deren Tätigkeit in Osteuropa zurückzuführen. Der Kapitalexport ist dabei ein weitgehend parasitärer. Die OMV, BA-CA, Erste, Raiffeisen, Wienerberger profitierten von der Privatisierungswelle in diesen Ländern und vermehrten über den Aufkauf profitabler Unternehmen ihre eigenen Gewinne. Dabei hinterließen sie jedoch eine Spur des Schreckens (Betriebsschließungen, Arbeitslosigkeit,…).
Die aus diesen Geschäften lukrierten Profite hatten jedoch keine nennenswerten positiven Auswirkungen auf die ArbeitnehmerInnen in Österreich selbst. Rationalisierungen, Sozialabbau, Lohndruck stehen in all diesen „Vorzeigeunternehmungen“ auf der Tagesordnung.
Die Träger der imperialistischen Expansion sind die großen Konzerne. Sie gelten als die Flaggschiffe des österreichischen Kapitalismus. Im Newspeak der Industriellenvereinigung heißen sie „Leading Competence Units (LCUs). Diese Leitbetriebe sind auch durch ihre Investitionstätigkeit und durch ihre enorme Bedeutung in den Bereichen Forschung und Entwicklung zentral für die ökonomische Entwicklung. Diese Konzerne widerlegen tagtäglich die Mär vom „small is beautiful“. Die Masse der Klein- und Mittelunternehmen (KMU) stehen in völliger Abhängigkeit dieser Großkonzerne und der Banken. Mehr als 40.000 KMU sind in erster Linie Zulieferbetriebe der großen Konzerne. Es sind diese Konzerne, die derzeit auch maßgeblich die österreichische Politik bestimmen. Doch dazu später.
Die Entwicklung des österreichischen Kapitalmarkts in den letzten drei Jahren spiegelt dies sehr gut wider. Dies ist wiederum ein Resultat der internationalen Expansionsstrategie sowie der kapitalfreundlichen Politik der schwarz-orangen Bundesregierung. Die (Teil-)Privatisierungen über die Wiener Börse haben das Börsengeschäft angekurbelt, dazu kommen die staatlich geförderte Zukunftsvorsorge, die Herabsetzung der Körperschaftssteuer auf 25 Prozent und die Einführung der Gruppenbesteuerung für international agierende Konzerne.
Der österreichische Kapitalismus hat sich in den letzten Jahren im europäischen Vergleich relativ gut entwickelt. Während die EU-Ökonomie im Durchschnitt in einer Stagnation begriffen war, verzeichnete Österreich doch ein gewisses Wachstum. Neben der Erfolgsbilanz in Osteuropa ist dies vor allem auf die steigende Arbeitsproduktivität, d.h. die steigende Ausbeutung der ArbeitnehmerInnen, zurückzuführen. Seit Jahren verbessern sich im Vergleich zu den Haupthandelspartnern die Lohnstückkosten, das zentrale Kriterium im internationalen Wettbewerb. Der Wirtschaftsaufschwung ist somit auf die verstärkte Auspressung der Muskeln und Nerven der österreichischen ArbeitnehmerInnen zurückzuführen. Die Konterrevolution auf Betriebsebene, die wir international beobachten können, war in Österreich ganz besonders massiv. Das Standortdenken der Gewerkschaften und der meisten BetriebsrätInnen hat dies möglich gemacht. Eine Reihe von Studien untermauert diese Entwicklung. Die ArbeitnehmerInnen arbeiten immer länger, machen Überstunden, die oft nicht bezahlt werden, die Arbeitsbelastung nimmt mehr und mehr zu. Und dazu kommt, dass die Reallöhne von großen Teilen der ArbeiterInnenklasse seit 1998 sogar sinken und auf keinen Fall mit der steigenden Produktivität mithalten.
Ein zentrales Problem ist und bleibt die hohe Arbeitslosigkeit. Selbst die derzeit sehr positiven Wachstumszahlen werden daran kaum etwas ändern. Die IV schreibt etwa, dass aufgrund der guten Auftragslage und einer gut ausgelasteten Produktion die Industriebeschäftigung gerade mal gehalten werden kann. In allen Sektoren versuchen die Unternehmen die Beschäftigungsmodelle zu flexibilisieren, damit sie umgehend auf den Konjunkturzyklus reagieren können. Flexible Beschäftigungsmodelle bis hin zu Leiharbeit sind selbst in der Industrie bereits Gang und Gebe. Die hohe Gesamtbeschäftigungszahl verschleiert in Wirklichkeit die Entwicklung, weil immer öfter Teilzeitjobs Vollzeitjobs ersetzen und viele Arbeitsverhältnisse nicht mehr ausreichen die Arbeitskraft zu reproduzieren.
Die relativ gute Stellung des österreichischen Kapitalismus ist also in erster Linie darauf zurückzuführen, dass es dem Kapital in den letzten Jahren gelungen ist, sowohl international wie auch im Inland seine Interessen durchzusetzen. Die Rechnung dafür zahlen im Ausland wie im Inland die Lohnabhängigen.
Die Bürgerlichen
Die Schwäche des österreichischen Kapitalismus drückt sich historisch immer auch in der Schwäche der heimischen Bürgerlichen aus. Gerade in der Zweiten Republik war sie über Jahrzehnte von einem Klassenkompromiss mit der ArbeiterInnenbewegung abhängig. Angesichts des schwachen Gegenübers konnte die ArbeiterInnenbewegung rein auf dem Verhandlungsweg und über die Androhung von Kampfmaßnahmen viele Verbesserungen durchsetzen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen jedoch grundlegend geändert. Die Bürgerlichen haben das Heft fest in der Hand und bestimmen den politischen Kurs. Egal ob der Regierungschef von der ÖVP oder wie in den 1990ern von der SPÖ gestellt wurde.
Die Bedeutung der schwarz-blauen Wende im Jahre 2000 lag darin, dass sich im bürgerlichen Lager damals eine Fraktion durchgesetzt hat, die bereit war den jahrzehntelangen Klassenkompromiss aufzukündigen. Die Bürgerlichen fühlten sich endlich stark genug. Der Sager vom „Speed kills“ von Andreas Khol (ÖVP) brachte das damals sehr gut zum Ausdruck. Doch die Bürgerblockregierung provozierte mit ihrem Vorgehen den schlafenden Riesen ArbeiterInnenbewegung. Die Klasse wurde im Jahre 2003 von der Gewerkschaftsbürokratie am Gängelband mobilisiert. Selbst diese stark von oben abgebremste Protestbewegung wirbelte das bürgerliche Lager gewaltig durcheinander. Seit damals war der Bürgerblock nicht mehr imstande seine ursprünglichen Vorhaben durchzusetzen.
An der Wahlurne hat sich dies abermals veränderte Kräfteverhältnis in Siegen der Sozialdemokratie manifestiert. Die Macht des Faktischen zwang die ÖVP-Spitze ein Paar Schritte zurückzumachen. Die eigenen Reihen müssen wieder neu geordnet werden. Die durch die Wahlniederlagen erlittenen Wunden müssen erst wieder heilen. Die Architekten der schwarz-blauen Wende sind verbraucht, werden in Pension geschickt wie Khol oder Gehrer oder sind nicht mehr tragbar wie Grasser. Schüssel, der unumstrittene Führer des bürgerlichen Lagers, ist selbst schwer angeschlagen und hat wohl nur noch die Kraft seinen politischen Abgang bei möglichst geringem Gesichtsverlust zu planen.
Die ArbeiterInnenbewegung hat dem bürgerlichen Lager bei den Wahlen eine Watschen verabreicht. An eine Fortsetzung des schwarz-blau-orangen Projekts ist unter diesen Bedingungen nicht mehr zu denken.
Wir dürfen dabei auch nicht die Rolle der Persönlichkeit in gesellschaftlichen Prozessen nicht unterschätzen. Gerade die ÖVP mit ihrer ausgeprägten Bündestruktur und der starken Stellung einzelner Landesparteiorganisationen war jahrelang der fleischgewordene Beweis für die Schwäche der Bürgerlichen. Die ÖVP ist traditionell die Partei des bürgerlichen Lagers. Diese Stellung hatte sie aber nur, weil Bauernvertreter und Vertreter des Beamtenapparates eine zentrale Stellung in der Partei einnahmen. Diese Gruppen dominieren mächtige Landesparteien wie in der Steiermark oder in Tirol. Dieses komplexe Beziehungsgeflecht drückte sich lange Zeit in einer schwachen Bundesparteiführung aus. Wolfgang Schüssel war der Erste, der diese teils widersprüchlichen Interessenslagen durch ein gemeinsames großes Projekt auf einer höheren Ebene auflösen konnte. Er hat sich damit im Sinne des Kapitals historische Verdienste erarbeitet. Die Wahlniederlage vom 1. Oktober 2006 hat aber ihre Spuren hinterlassen. Es ist fraglich, ob einer seiner Nachfolger seine Rolle einnehmen wird können.
Die ÖVP unter Schüssel war das uneingeschränkte Sprachrohr der Industriellenvereinigung. Das Kapital drückte den Programmen der beiden Regierungen Schüssel den Stempel auf. Mit Bartenstein und Grasser verfügte sie über direkte Vertreter in der Regierung. Diese Position wird das Kapital mit allen Mitteln zu verteidigen versuchen.
Das Kapital verfügt aber über eine Vielzahl von Hebeln, mit denen sie die Politik beeinflussen und bestimmen kann. Auch eine SPÖ-geführte Bundesregierung wird vom ersten Tag an unter dem Druck des Kapitals stehen. Lobbying, die „Sachzwänge“ im Interesse des Standorts“, die Drohungen mit Investitionsstopp, Entlassungen und Produktionsverlagerungen, Medienkampagnen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung bis hin zu Mobilisierungen reaktionärer Bevölkerungsschichten, wie wir dies in der jüngsten Vergangenheit etwa in Italien oder Spanien gesehen haben.
Die Wahlen vom 1. Oktober 2006 haben zwischen SPÖ und ÖVP mehr oder weniger ein Patt ergeben. Die SPÖ lag zwar knapp voran, doch die ÖVP kann darauf verweisen, dass es im Parlament weiterhin eine bürgerliche Mehrheit gibt. Die Bürgerlichen sind wohl gezwungen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaft wieder einzubinden, dies allein heißt aber noch lange nicht, dass sie einen grundlegenden politischen Kurswechsel hinzunehmen bereit sind. Die Grundsätze des prokapitalistischen Umbaus der Gesellschaft müssen beibehalten werden. Mehr als einige kosmetische Veränderungen werden die Bürgerlichen beim derzeitigen Kräfteverhältnis nicht zulassen.
Ihr Verhalten unmittelbar nach den Wahlen hat aber gezeigt, dass sie nur unter größtem Widerwillen die Rückkehr der Sozialdemokratie an die Regierung akzeptieren. Die Grundstimmung gegenüber der organisierten ArbeiterInnenbewegung ist im bürgerlichen Lager 2007 dieselbe wie im Jahr 2000. Und diese ist von unvorstellbarer Verachtung gekennzeichnet. Und die Verachtung nimmt mit jedem Zeichen der Schwäche seitens der SPÖ und des ÖGB weiter zu. Folglich ist es kein Wunder, wenn die Träume der Gewerkschaftsspitze von einer Auferstehung der SozialpartnerInnenschaft alter Prägung Hirngespinste bleiben werden und müssen. Das Kapital braucht sie nicht mehr; für uns Lohnabhängige war sie tatsächlich immer so nötig wie der berühmte Kropf.
Das dritte Lager
Wie der Phönix aus der Asche stieg die FPÖ. Unter der Führung von H.C.Strache gelang ihr eine kleine Wiederauferstehung. In der Regierung hatte sich die FPÖ völlig abgenützt. Große Teile ihrer Wählerschaft fühlten sich durch das von der FPÖ mitgetragene soziale Kettensägenmassaker vor den Kopf gestoßen und kehrten Jörg Haider & Co. wieder den Rücken. Mit der Spaltung der FPÖ durch Haider im Jahr 2004 und der Gründung des BZÖ schien das dritte Lager völlig aufgerieben. Eine Zeit lang gab man keiner der beiden Parteien eine Chance auf einen Wiedereinzug ins Parlament.
Strache gelang jedoch die Kehrtwende. Er setzt auf alle Elemente des Erfolgskurses der 1990er Jahre: Österreich-Patriotismus, Rassismus, nationalistische EU-Kritik und Populismus gegen „die da oben“. Strache nutzte dabei gezielt das Vakuum, das die Sozialdemokratie mit ihrem Kuschelkurs gegenüber der Regierung und ihrer politischen Alternativlosigkeit hinterließ. (Interessanterweise hat er in diesem Zusammenhang so wie viele Rechte versucht das antikapitalistische Vakuum auf der politischen Landschaft auszunuten und in seiner Rede, in der er sich „vom Faschismus distanziert hat“ darauf hingewiesen, dass er schon immer Antikapitalist war)… Spätestens nach dem Überraschungserfolg bei den Landtagswahlen in Wien war die FPÖ wieder zu einem innenpolitischen Faktor geworden.
Bemerkenswert ist dabei, dass die FPÖ zu einer Bühne rechtsextremer Recken, Maiden und Burschenschafter geworden ist. Die Köpfe der rechtsextremen Szene wie Ewald Stadler und Andreas Mölzer geben in der FPÖ den Ton an. Die karrieregeilen, „unpolitischen“ Yuppies, die in Haider eine Alternative zum Proporz der Zweiten Republik sahen und deshalb in die FPÖ gingen, fehlen heute weitgehend. Die Stütze der FPÖ sind heute mehr denn je Aktivisten der rechtsextremen Szene. Auf EU-Ebene hat Mölzer nun auch eine ernsthafte Vernetzung rechtsextremer bis faschistischer Parteien zu einer eigenen Fraktion im EU-Parlament zustande gebracht. Dabei sollen Parteien wie der Vlaams Belang, Mussolinis Alternativa Sociale usw. erstmals zusammenarbeiten.
Ganz anders ist es um das freiheitliche Spaltungsprodukt BZÖ gestellt. Das BZÖ schaffte nur aufgrund seiner relativ starken Verankerung in Kärnten und eines offen rassistischen Wahlkampfes die Wahl in den Nationalrat. In Wirklichkeit ist das BZÖ aber eine One-Man-Show, die mit Landeshauptmann Jörg Haider steht und fällt. Abgesehen von Kärnten ist dessen politischer Stern aber längst erloschen. Zu offensichtlich war sein Betrug an den von ihm viel zitierten „kleinen Leuten“. Bei einer verschärften sozialen und politischen Polarisierung wäre auch das Ende des BZÖ besiegelt. Bestenfalls kann es sich einige Zeit lang als skurrile Regionalpartei im Süden Österreichs halten. Das ursprüngliche Konzept, sich vom ideologischen Schutt des dritten Lagers bis hin zur permanenten Geschichtsverfälschung der Zeit der NS-Herrschaft zu distanzieren und eine liberale Partei neuen Typs zu schaffen, hatte aber keine Chance auf Realisierung. Wie auch, wenn das Gros der BZÖ-Basis in Kärnten zuvor noch Teil der deutschtümmelnden freiheitlichen Bewegung war?
Im Windschatten der FPÖ, die mit ihrer Hetze und ihrem Rassismus auch weiterhin unter den Verlierern der kapitalistischen Krise genügend Wählerstimmen finden wird, wird aber auch die Neonazi-Szene frecher werden. Über die deutschnationalen Burschenschaften gibt es eine eindeutige Verbindung in diese Szene. In Bundesländern wie Vorarlberg und Oberösterreich sahen wir in den letzten Jahren immer wieder bemerkenswerte Neonazi-Aktivitäten. Nun versucht der BfJ, der bisweilen nur in Oberösterreich wirklich aktiv war, sich auch in Wien zu verankern. Eine Große Koalition wird mit Sicherheit den Boden aufbereiten, auf dem solche Gruppen wachsen können. Die antifaschistische Arbeit kann unter diesen Bedingungen schnell an Bedeutung gewinnen.
Die größere Gefahr geht aber von der FPÖ aus. Sie könnte der Hauptgewinner einer Großen Koalition sein. Dieser Bedrohung gilt es ernsthaft entgegenzutreten.
Die Forderungen des Kapitals
Österreich wurde in 6 Jahren Bürgerblockregierung in vielen Belangen zu einem Musterschüler der internationalen Kapitalstrategen. Neben dem bereits erwähnten Standortvorteil durch die Aktivitäten in Osteuropa zählt etwa der IWF als Pluspunkte des österreichischen Kapitalismus die Strukturreformen der letzten Jahre und die sozialpartnerschaftlich durchgesetzte Lohnzurückhaltung. Damit wird auch erklärt, dass die Wachstumsraten der österreichischen Wirtschaft konstant über dem EU-Durchschnitt liegen.
Der IWF fordert in einem jüngsten Bericht vor allem die Beibehaltung dieser moderaten Lohnpolitik, die als enormer Wettbewerbsvorteil gesehen wird. Trotz steigender Arbeitsnachfrage konnten die im internationalen Wettbewerb entscheidenden Lohnstückkosten gesenkt werden. Der Kollektivvertragspolitik der Gewerkschaften streuen die IWF-Emissäre dezidiert Rosen.
Wo der IWF eindeutig Druck macht, ist eine Fortsetzung der restriktiven Budgetpolitik. Der IWF warnt jedenfalls vor den von der SPÖ immer wieder gezeichneten Szenarien, dass durch ein höheres Wirtschaftswachstum automatisch ein ausgeglichenes Budget zu schaffen sei, und macht weiter Druck auf Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben. In Zeiten des Wirtschaftswachstums, wie für das kommende Jahr prognostiziert, fordert der IWF sogar einen Budgetüberschuss, um über den Zyklus betrachtet ausgeglichen bilanzieren zu können. Alle Ausgaben müssten nun auf ihre Effizienz, d.h. ihre Sinnhaftigkeit für den Kapitalverwertungsprozess, untersucht werden. Einsparungspotential sieht der IWF im Gesundheitssystem, bei den Pensionen und im öffentlichen Dienst.
Beim Steuer- und Ausgabensystem verlangt der IWF eine Senkung der Lohnnebenkosten, was perspektivisch wiederum die Sozialsysteme aushöhlen würde.
Eine der zentralen Forderungen stellt eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes dar. Der Zwang zur Erwerbsarbeit und Subventionen an die Unternehmer zur Hebung der Beschäftigung sollen weiter gesteigert werden.
Das österreichische Kapital sieht sich angesichts des durch die Wahl vom 1. Oktober 2006 neu bestimmten politischen Kräfteverhältnisses gezwungen mehr oder weniger den durch den Bürgerblock geschaffenen Status quo abzusichern. Das Rad der Zeit darf in der Sozialpolitik auf keinen Fall zurückgedreht werden. In der Außen- und Außenwirtschaftspolitik droht seitens der Sozialdemokratie ohnedies keine Gefahr eines Kurswechsels. Zentrale Errungenschaften des Bürgerblocks, wie die Gruppenbesteuerung für Konzerne, die Pensionsreform, die Privatisierungen, müssen aber unangetastet bleiben. Hauptangriffspunkt ist nun der Arbeitsmarkt. Die Verlängerung der Tages- und Wochenarbeitszeit, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten sind zentrale Forderungen. Bei den Löhnen strebt das Kapital eine Aushöhlung der Kollektivverträge im Namen der „Lohnflexibilität“. Damit will man die Lohnentwicklung vom wirtschaftlichen Werdegang des einzelnen Unternehmens abhängig machen, was sich z.B. auch im zuletzt von einigen Bürgerlichen ventilierten Vorschlag zeigt, dass ein Teil der Löhne von den Gewinnen der Unternehmen abhängig sein sollen.
Dies würde die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmervertretung stark schwächen.
Bei den öffentlichen Ausgaben warnt etwa die IV vor einer „Verwässerung der Budgetdisziplin“. Gefordert werden jedoch höhere Ausgaben in die Bereiche Forschung und Entwicklung. Damit soll der Staat dem Kapital wichtige Vorarbeiten leisten. Durch die Öffnung des Bildungssystems für Private sollen diese öffentlich erbrachten Leistungen dem Kapital direkt zugute kommen.
Einschätzung der Großen Koalition
In seinem letzten Interview als Finanzminister brachte es KHG auf den Punkt: „Die Große Koalition steht für die Fortsetzung der Wende des Jahres 2000.“ Mit anderen Worten die Große Koalition wird unter einem SPÖ-Kanzler Gusenbauer den Kurs der beiden Regierungen von Schüssel (ÖVP) weiterführen.
Diese Koalition war von Anfang an keine Liebesheirat. Einzig Gusenbauer und der engste Kreis seiner Vertrauten haben diese Koalition angestrebt – koste es was es wolle. Am Wahlabend war die Parteibasis und die mittlere Funktionärsschicht alles andere als auf eine Große Koalition heiß. Da sich aber Rot-Grün aber wahlarithmetisch nicht ausging, konnten Gusenbauer & Co. das Argument ins Treffen führen, dass nur eine Große Koalition das Land stabil regieren könne. Mit dieser auf parlamentarischem Kretinismus beruhenden Logik nahm er die Sozialdemokratie in Geiselhaft.
In der ÖVP machte sich nach den aus der Sicht der Bürgerlichen sehr zufrieden stellenden Wendejahren angesichts einer Rückkehr zur Großen Koalition ebenfalls alles andere als Jubel breit. Ein Teilen der Macht mit der SPÖ war alles andere als populär in weiten Teilen der ÖVP. Erst der öffentliche Druck nach wochenlanger Weigerung mit der SPÖ zu verhandeln, brachte in der ÖVP ein Umdenken. Zu groß war die Angst, dass man den Bogen überspannt und die WählerInnen der SPÖ in die Hände treibt.
Die Bedingung für eine Große Koalition war aber aus Sicht Schüssels, dass Gusenbauer der Fortsetzung seines Modells zustimmt. Diese Arroganz von Schüssel nach dem 1. Oktober basierte auf realen Kräfteverhältnissen. Die ÖVP wurde zwar an der Wahlurne besiegt. Das bürgerliche Lager insgesamt blieb aber aufgrund der politischen Schwäche der Sozialdemokratie gleich stark. In der Gesellschaft, in den Betrieben war das Primat bürgerlicher Interessen ohnedies nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Als die SPÖ in die Knie gegangen war, konnte sich dieses tatsächliche Kräfteverhältnis in der Gesellschaft, das durch den überraschenden Wahlausgang nach links verschoben schien, auch wieder auf der politischen Ebene ungeschminkt manifestieren.
Gusenbauer, und der Rolle der Persönlichkeit in solchen Prozessen wollen wir hier gar nicht ihre Bedeutung absprechen, war bis zur Selbstaufgabe zum völligen politischen Ausverkauf bereit. Die am Anfang nach der Wahl angekündigte transparente Verhandlungsführung wurde rasch aufgegeben. An geheimen Orten und unter Ausschluss selbst der erweiterten Parteiführung mauschelte Gusenbauer mit Schüssel das Programm und die Ressortverteilung der neuen Regierung aus.
Die Stimmen für die SPÖ waren in erster Linie Stimmen gegen die Politik der Bürgerblockregierung. Die ÖVP, die in den letzten Jahren uneingeschränkt mit ihren Anhängseln aus dem dritten Lager regiert hatte, war am 1. Oktober abgestraft worden. Die ArbeiterInnen, Arbeitslosen, Jugendlichen, PensionistInnen, die rot gewählt haben, erhalten nun ein schwarzes Programm. Die SPÖ hat schon in den letzten Jahren als Oppositionspartei und dann auch im Wahlkampf alles getan, um möglichst wenig Erwartungen in eine SPÖ-geführte Regierung zu wecken. Trotzdem erwarteten sich viele Menschen zumindest in Teilfragen einen Kurswechsel: Die Abschaffung der Studiengebühren, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und die Armut, eine Abschwächung der Pensionsreform,…
Doch selbst diese beschränkten sozialen Reformen war die SPÖ-Führung auf dem Altar der Großen Koalition zu opfern bereit. Die SPÖ pflegte einmal mehr ihr Image, dass sie für ein paar Ministerposten auch die Hosen runterlässt oder noch im Liegen umfällt, wie es ein Kabarettist in weiser Voraussicht formulierte.
Die Studiengebühren bleiben. Dafür, dass der Fluss an billigen Arbeitskräften nicht versiegt, sorgen die geplanten Maßnahmen gegen Arbeitslose (z.B. Streichung der Arbeitslosenunterstützung für Pfuscher) und das Kleingedruckte zur Regelung um eine Mindestsicherung. Was unter diesem Titel von SPÖ und ÖVP als großer Wurf bei der Armutsbekämpfung gepriesen wird, ist nichts anderes als das österreichische Modell von Hartz IV. Die Erhöhung der „Arbeitswilligkeit“ durch zunehmenden Druck auf die Arbeitslosen soll die Arbeitskräfte den Bedürfnissen der Unternehmer entsprechend zurichten.
Die Höchstarbeitszeit für 24 Wochen pro Jahr wird auf 12 Stunden/Tag bzw. 60 Stunden/Woche hinaufgesetzt. Das ist eine schrittweise Abschaffung des 8-Stunden-Tags. Der Kampf gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit schaut so aus, dass man den Kündigungsschutz für Lehrlinge abschaffen will. In der Arbeitsmarktpolitik kommt man somit den Forderungen der Wirtschaft nach.
Zur Finanzierung der Gesundheitsreform wird weiter eingespart und die Versicherungsbeiträge sollen angehoben werden. Eine Einführung einer Wertschöpfungsabgabe und selbst eine Anhebung der Höchstbemessungsgrundlage scheiterten am Veto der ÖVP.
Die Privatisierungen werden nicht zurückgenommen, die Pensionsreform bleibt. Der staatliche Rassismus bleibt. Die Militarisierung der österreichischen Außenpolitik bleibt. Schüssel freut sich, dass die Finanzpolitik unverändert bleibt. Interessant auch die Stellungnahme der Betriebsansiedelungsgesellschaft Austrian Business Agency, die vor allem internationale Investoren berät. Diese schreibt: „Die neue österreichische Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Christdemokraten (ÖVP) will in der kommenden Legislaturperiode mit einer weiteren großen Steuerreform die österreichische Wirtschaft entlasten und damit den Investitions-, Steuer- und Arbeitsstandort noch attraktiver machen. Das soeben vorgestellte Regierungsprogramm der Großen Koalition sieht bis 2010 ein ausgeglichenes Bundesbudget sowie umfangreiche Maßnahmen im Interesse von Wirtschaft und ausländischen Investoren vor.“ Und weiter: „Das österreichische Gruppenbesteuerungsmodell ist neben der Senkung der Körperschaftssteuer auf nominell 25 Prozent ein Kernstück der österreichischen Steuerreform 2005 und ein europäisches Vorbild. Dass diese beiden Standortvorteile erhalten bleiben, stimmt uns sehr zuversichtlich für die kommenden Jahre.“
Den vielen Verschlechterungen und Scheinkompromissen im Sinne der Bürgerlichen stehen nur wenige geplante Verbesserungen gegenüber, wie die bessere soziale Absicherung für freie DienstnehmerInnen, die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen im Pflichtschulbereich oder die Wahlaltersenkung auf 16 (der eine undemokratische Verlängerung der Legislaturperiode von 4 auf 5 Jahre gegenüber steht). Und bei der Verteilung der Ministerien bringt ebenfalls einen eindeutigen Erfolg für die ÖVP. Die Schlüsselministerien (Finanzen, Innen, Außen) bleiben in schwarzer Hand. Aber Hauptsache Gusenbauer ist Kanzler…
Diese rot-schwarze Koalition wird nichts von der Stabilität früherer Großer Koalitionen haben. Aus der Sicht der Bürgerlichen würde so eine Regierungsform nur Sinn machen, wenn sie einen „großen Wurf“ bringen würde. In der goldenen Ära der Großen Koalition war dies die Verwaltung des kapitalistischen Wiederaufbaus, Anfang der 1990er Jahre war es der EU-Beitritt. Oft wird in den bürgerlichen Medien mit der Große Koalition „Stillstand“ in Verbindung gebracht. Die Bürgerlichen akzeptieren nur in Ausnahmesituationen eine derartige Form des Klassenkompromisses. Entweder sie sind selbst zu schwach und sind auf die Sozialdemokratie in gewissem Maße angewiesen oder eben man will die zentralen Klassenkräfte für ein großes Ziel bündeln. Für das Kapital, das sich prinzipiell stark genug für eine Bürgerblockregierung fühlen würde, kann die Koalition mit der SPÖ nur ein Intermezzo sein, das möglichst kurz zu dauern hat.
Schon das Koalitionsabkommen zeigt, dass diese beiden Parteien keinen großen Wurf, wie das etwa die IV sich wünschen würde, zustande bringen können. Zu polarisiert sind mittlerweile die Klassenkräfte. Auf die eine oder andere Art und Weise muss dieses Kräftegleichgewicht im Parlament aufgelöst werden. Wir können uns sicher sein, dass in der ÖVP bereits jetzt an den Strategien für eine Alternative zur Großen Koalition gefeilt wird. Je mehr sich die Sozialdemokratie an der Regierung abnutzen wird, und das wird sie, desto eher, kann die ÖVP auf ein neues Pferd setzen. Eine Koalition mit den Grünen ist den Nachfolgern von Schüssel an der Parteispitze sicher die liebste Variante. Die Grünen wären zu einer solchen Spielart des Bürgerblocks mit Sicherheit bereit.
Die Sozialdemokratie
Die Sozialdemokratie ist die traditionelle Partei der österreichischen ArbeiterInnenklasse. Sie wurde von Generationen von ArbeiterInnen im Kampf aufgebaut. Auch wenn dies längst Vergangenheit ist, wirken diese historischen Wurzeln bis heute fort. Deshalb sieht die Mehrheit der ArbeiterInnen trotz aller negativen Erfahrungen mit der Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten die SPÖ als „ihre Partei“, der sie die politische Interessensvertretung anvertrauen. Die Sozialdemokratie ist aber auch Teil des bürgerlichen Systems und macht bürgerliche Politik. Ihr ganzer Aufbau soll diese Rolle ermöglichen. Die soziale Basis der Sozialdemokratie hat in Wirklichkeit in der Partei keine Stimme. Es geht dabei nicht nur um die unmittelbare Führung der SPÖ, um Gusenbauer und seine Clique. Von ihrer ganzen Funktionsweise ist sie dazu da, den Kapitalismus zu verwalten. Man erinnere sich an das geflügelte Wort vom „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“. In unzähligen historischen Situationen hat die Sozialdemokratie diese Rolle mit voller Kraft ausgefüllt (1914, nach dem Ersten Weltkrieg, 1945,…), oft derart offensichtlich, dass sie von großen Teilen der Klasse als Verräterin bezeichnet wurde. Die Sozialdemokratie verfügt trotz dieser widersprüchlichen Geschichte aber über ein großes soziales Reservoir in der ArbeiterInnenklasse. Wann immer sich die Klasse bewegt oder nach politischen Antworten sucht, blickt sie zuerst auf die Sozialdemokratie. Der Wahlsieg vom 1. Oktober ist ebenfalls nur damit zu erklären.
Die SPÖ stellt nach 7 Jahren wieder den Kanzler. Die Freude unter den kleineren und mittleren FunktionärInnen am Wahlabend war riesig. In der Partei herrschte wieder Aufbruchstimmung. Die Mehrheit der BasisfunktionärInnen war überzeugt, dass jetzt der Kurswechsel eingeläutet wurde.
Wir dürfen nicht vergessen, wie die SPÖ ausgesehen hat, als Gusenbauer im Jahr 2000 zum Parteivorsitzenden gewählt worden war. Die Partei war in einer tiefen Krise gefangen. Der von Viktor Klima nach dem Vorbild von Blair und Schröder gegangene „Dritte Weg“ hatte die Partei an den Rand des Abgrunds geführt. Die Partei war leer und zu einem Kanzlerwahlverein verkommen. In der Auseinandersetzung mit dem Bürgerblock hat sich die SPÖ wieder aufgerichtet. Gusenbauer selbst versuchte einen Kompromissweg. Er hatte verstanden, dass die modernistischen Konzepte der Spin Doktoren aus den 90ern ins Nirgendwo hinführen. Er musste sich wieder verstärkt auf den traditionellen Parteiapparat stützen, wenn er reüssieren wollte. Gleichzeitig hat er aber keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Partei als Volkspartei in der Mitte des politischen Spektrums positionieren wollte. Als sein Ziel definierte er die Weiterentwicklung des österreichischen Kapitalismus zu einer „solidarischen Hochleistungsgesellschaft“. Dies wurde im Wirtschaftsprogramm seines Intimus Matznetter genauso offensichtlich wie am Kuschelkurs, den Gusenbauer im Parlament fuhr.
Gusenbauer strebte mit allen Mitteln die Rückkehr der SPÖ an die Regierung an. Die Koalition mit der ÖVP war ihm dabei immer die liebste Variante. Denn die Große Koalition und die dabei notwenige Kompromisskultur ist der perfekte Vorwand gegenüber der eigenen Basis dafür, dass die Sozialdemokratie als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus die eigenen Grundwerte verraten muss. Gusenbauer stand dabei immer für eine Politik, die ja nicht zu viele Hoffnungen in einen politischen Wandel schürte.
Durch die teils scharfen Auseinandersetzungen mit dem Bürgerblock kreierten aber selbst die kleinsten Versprechen eine nicht so geringe Erwartungshaltung auf einen Kurswechsel. Die SPÖ war als Oppositionspartei in der günstigen Lage, den Kurs des Bürgerblocks, der den Interessen des Kapitals entsprach, nicht wirklich offen mittragen zu müssen. Sie hatte genügend Spielraum die Interessen ihrer traditionellen Basis zu artikulieren. Vor diesem Dilemma steht heute Gusenbauer, denn die soziale Basis der Sozialdemokratie in der ArbeiterInnenklasse kommt mit ihren subjektiven Forderungen und Interessenslagen in jeder Frage in Widerspruch zu den objektiven Notwendigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft. Einen dritten Weg gibt es dabei nicht. Gusenbauers Klassenkompromiss muss mit den Interessen der SPÖ-Basis kollidieren.
Dies erklärt auch den massiven Unmut bis hin zum offenen Widerstand gegen das Koalitionsabkommen mit der ÖVP. Dass Gusenbauer im Parteivorstand bei offener Abstimmung, wo jedes Vorstandsmitglied einzeln aufgerufen wurde und abstimmen musste, nur 75% für seinen Koalitionspakt mit der ÖVP erhielt, spricht Bände über die Stimmung in der Sozialdemokratie. Dabei handelt es sich um die historisch niedrigste Zustimmung zu einem Regierungsprogramm in der Partei Selbst Teile der Parteispitze mussten ihm in diesem wichtigen Punkt, auf den die SPÖ 7 Jahre lang hingearbeitet hatte, die Gefolgschaft aufkündigen.
Die SPÖ wird in Wirklichkeit von einer kleinen „Elite“ kontrolliert. Gusenbauer hat einen engen Kreis an Vertrauten um sich geschart, die an den Schalthebeln der Partei sitzen. Darabos, Cap, Bures, Matznetter (also die Bundesgeschäftsführung und die Führung des Parlamentsklubs) haben das Sagen. Sie stützen sich auf die roten Landeshauptleute, die auf das Engste in das herrschende System eingebunden sind und sich von einer Großen Koalition Vorteile für ihre Bundesländer erwarten. Diese „Elite“ hat die Partei gekidnappt. Einem Druck von unten ist diese Parteielite kaum ausgesetzt. Der ganze Aufbau der Partei und die politische Logik, nach der sie im Parlamentarismus funktioniert, ist derart, dass eine demokratische Kontrolle von unten de facto ausgeschlossen ist.
Diesen politischen Ausverkauf hätte demnach nur eine Kraft in der SPÖ verhindern können – der Gewerkschaftsflügel, die FSG. Im Zuge des BAWAG-Skandals hat Gusenbauer aber geschickt die Defensivposition der GewerkschafterInnen ausgenutzt und den Einfluss des Gewerkschaftsflügels in der Partei zurückgedrängt. In der symbolischen Frage, ob Gewerkschaftsvorsitzende im SPÖ-Klub sitzen können, hat sich Gusenbauer durchsetzen können und so die FSG massiv geschwächt. Dies erklärt wohl auch, warum die FSG in der Koalitionsfrage sich weitgehend im Hintergrund hielt und nicht auf Frontalopposition machten. Sie ist zu sehr geschwächt, um in dieser Situation ein Scheitern der Großen Koalition verantworten zu wollen. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist auch, dass die SPÖ erstmals in der Geschichte keineN GewerkschafterIn in die Regierung entsandt hat, ja es ist die ÖVP, welche das einzige Regierungsmitglied mit Gewerkschaftshintergrund stellt (Andrea Kdolsky), und noch dazu eine Gewerkschafterin, welche – unerhört für österreichische Verhältnisse – in den 1990ern einen Streik angeführt hatte!
Mittelfristig gesehen werden die sozialdemokratischen GewerkschafterInnen aber mit allen Mitteln darauf hinarbeiten sich die SPÖ als politisches Sprachrohr zu bewahren. Dies ist aus ihrer Sicht umso wichtiger, da die Gewerkschaftsbewegung durch den BAWAG-Skandal einen gewaltigen Imageverlust erlitten hat und im Klassenkampf nun eindeutig in der Defensive ist. Aus ihren Reihen werden die Kräfte kommen, die den Differenzierungsprozess in der Sozialdemokratie vorantreiben werden. Noch haben wir es dabei – abgesehen von den Jugendorganisationen, vor allem der SJ – mit einem Molekularprozess zu tun. Im Zuge von Klassenkämpfen kann dieser Prozess aber sehr schnell an die Oberfläche treten und auch organisierte Formen annehmen. Erstmals seit den frühen 80ern bestehen heute wieder die Bedingungen für die Herausbildung einer organisierten Parteilinken, die anders als in der Vergangenheit neben JungsozialistInnen vor allem von GewerkschafterInnen getragen werden wird.
Die Ereignisse haben sich im Rahmen der Proteste gegen die Regierungsbildung anfangs enorm beschleunigt. Die SJ hat sich durch ihr militantes Auftreten an die Spitze dieses Prozesses gestellt. Sie wird von Tausenden Partei- und GewerkschaftsaktivistInnen und Unorganisierten im ganzen Land als Referenzpunkt betrachtet. Der Aufruf zur Gründung der Plattform „Wir sind SPÖ“ hat ein riesiges Echo ausgelöst. Zum jetzigen Zeitpunkt haben sich 1500 UnterstützerInnen auf der Homepage der Plattform eingetragen. Unmittelbar nach der Regierungsbildung und dem ersten öffentlichen Auftritt von „Wir sind SPÖ“ bestanden alle Voraussetzungen, dass sich daraus der Kern einer organisierten Parteilinken in der Sozialdemokratie entwickeln könnte. Der vorhandene Unmut, der in weiten Teilen der Parteibasis vorherrschte, fand einen ersten Ausdruck. In etlichen Bezirksausschüssen und Parteiveranstaltungen wurde laute Kritik am Regierungsabkommen geäußert. Das Verhandlungsergebnis hat selbst in Teilen der Parteispitze Entsetzen ausgelöst. Man kann davon ausgehen, dass „Wir sind SPÖ“ von diesen mit großem Wohlwollen gesehen wird. Einvernahmungsversuche durch Teile der Parteispitze und durch bürokratische Kräfte sind eine große Gefahr für dieses Projekt.
Angesichts dieser Stimmung hätte es ein entschlossenes Vorgehen bedurft. Die SJ, die einzige organisierte Kraft, die hinter dem Projekt steht, war dazu aber nicht bereit und überließ in dieser kritischen Situation lieber einer Handvoll von ehemaligen Jugendfunktionären aus Partei und Gewerkschaft die Initiative. Diese bürokratischen Kräfte waren vom ersten Tag an bedacht, dass „Wir sind SPÖ“ unter ihrer eigenen Kontrolle bleibt und lehnten jeden Versuch, den Prozess der Herausbildung einer organisierten Parteilinken voranzutreiben ab. Teile von ihnen sehen das ganze Projekt sicher nur als Angebot an die Basis, Dampf abzulassen. Unter deren Kontrolle verkommt „Wir sind SPÖ“ zu einem linken Feigenblatt für Gusenbauer & Co. Damit ging wichtige Zeit verloren. In der Zwischenzeit hatten sich auch die Wogen geglättet. In der Parteibasis hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass es derzeit keine realistische Alternative zur Großen Koalition gibt. Ein sofortiger Austritt der Sozialdemokratie aus der Koalition, so die Befürchtung vieler FunktionärInnen, würde direkt in eine schwere Niederlage führen und den Weg für eine Neuauflage einer Bürgerblockregierung ebnen.
Eine erste Chance wurde zweifelsohne verpasst, doch durch die Ereignisse rund um die Bildung der Großen Koalition ist vieles in der Sozialdemokratie aufgebrochen. Die Differenzierungsprozesse in der Sozialdemokratie sind unter diesem Schock in Gang gekommen. Die Hegemonie des Rechtsreformismus wurde schwer erschüttert. Dauerhaft können einige BürokratInnen diesen Prozess nicht aufhalten. Spätestens wenn es zu ernsthaften Angriffen durch die Bürgerlichen kommt und es an die Umsetzung des Regierungsprogramms geht, dann wird sich – aufbauend auf den Erfahrungen der Proteste gegen die Regierungsbildung – der Widerstand in Partei und nicht zuletzt in der FSG rühren. Wir können davon ausgehen, dass dann auch die Plattform „Wir sind SPÖ“ mangels anderer Alternativen und mit der SJ als organisierter Kraft wieder eine wichtige Rolle spielen wird. Die SJ wird eine große Verantwortung haben, welchen Kurs eine künftige organisierte Parteilinke einschlagen wird. Sie muss sich mit einem sozialistischen Programm an die Spitze dieses Prozesses weiter stellen und den Linken in Partei und Gewerkschaft eine Perspektive geben, die über die Politik des Klassenkompromisses hinausweist. Die MarxistInnen können und müssen in diesem Prozess sowohl in der SJ wie auch in allen organisierten Ansätzen für eine Parteilinke die vorwärts treibende Kraft werden.
Angesichts der derzeitigen Dominanz bürokratischer Kräfte und der von reformistischen Halbheiten gekennzeichneten Politik der SJ-Führung können wir aber nicht davon ausgehen, dass sich die Parteilinke sehr schnell organisiert und eine Kampagne unter der Losung „Raus aus der Koalition“ initiiert. Wir stehen deshalb vor einem langwierigen, zähen Differenzierungsprozess. Sobald es aber zu Klassenkämpfen kommt, wird es in diesem Prozess auch sehr sprunghafte Entwicklungen geben. Dann werden auch aus dem reformistischen und bürokratischen Lager wieder sehr radikale Töne zu hören sein. Die Vormachtstellung des Reformismus in der ArbeiterInnenbewegung ideologisch und in der Praxis zu bekämpfen, wird eine der Hauptaufgaben von MarxistInnen in der kommenden Periode sein.
In Zusammenhang mit dem nun an die Oberfläche getretenen Differenzierungsprozess in der Sozialdemokratie stellt sich auch immer wieder die Frage, ob sich nach deutschem Vorbild links von der Sozialdemokratie eine neue Linkspartei etablieren könnte. Die österreichische ArbeiterInnenbewegung ist seit dem Parteitag von Hainfeld vor nicht ganz 120 Jahren durch ein besonders ausgeprägtes Streben nach Einheit gekennzeichnet. Dieses Merkmal der Sozialdemokratie wird noch lange weiterwirken und wohl nur unter den Hammerschlägen ganz großer Ereignisse erschüttert werden. Unter den gegebenen Bedingungen wären linke Abspaltungen von der Sozialdemokratie zum Scheitern verurteilt und würden ähnlich wie die diversen Spaltprodukte von der britischen Labour Party schnell wieder verschwinden oder zu reformistischen Politsekten verkommen. Das heißt aber nicht, dass nicht der eine oder andere kämpferische Gewerkschaftsaktivist diesen Weg gehen könnte. Gerade die fortgeschrittensten Teile der Bewegung werden nun ungeduldig werden. Sie haben erste Erfahrungen im Klassenkampf gemacht. Wenn die Sozialdemokratie nun die Politik der Bürgerlichen fortsetzt, dann wird dies nicht wenige von der Sozialdemokratie entfremden. Der Großteil wird sich ins Privatleben zurückziehen, viele werden sich auf die Tätigkeit als Betriebsrat beschränken, doch eine kleine Minderheit könnte in der kommenden Phase für linksradikale Konzepte empfänglich sein. Es wird an den MarxistInnen liegen diesen ehrlichen AktivistInnen eine Perspektive zu geben und sie für den Aufbau einer starken linken Strömung in der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften zu gewinnen.
Die Krise des ÖGB
Der BAWAG-Skandal löste wie bereits gesagt die größte Krise in der Geschichte des ÖGB aus. Angesichts der offensichtlichen Verantwortung der Gewerkschaftsspitze für dieses Finanzdebakel, das den ÖGB an den Rand des finanziellen Ruins geführt hat, brach alles auf. Breite Teile der Funktionäre und Betriebsräte begannen die Strukturen des ÖGB zu hinterfragen. Ein diffuser Wunsch nach mehr Demokratie und Mitbestimmung war überall zu spüren. Erstmals seit Jahrzehnten waren die Losungen revolutionärer GewerkschaftsaktivistInnen nach Gewerkschaftsdemokratie für unzählige BetriebsrätInnen auf der Grundlage eigener, leidvoller Erfahrungen nachvollziehbar. Hätte unter diesen Bedingungen eine linke Strömung mit einer gewissen Verankerung existiert, dann wäre aus den Trümmern der ÖGB-Krise der Aufbau einer starken Gewerkschaftsopposition möglich gewesen.
Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern gibt es in Österreich aber keine auch nur irgendwie geartete Gewerkschaftslinke. Der Unmut angesichts des Finanzdebakels und der undemokratischen Zustände im ÖGB konnte sich unter diesen Voraussetzungen nicht artikulieren. Dadurch konnte die Bürokratie das Heft fest in der Hand halten. Der von oben eingefädelte „Reformprozess“ spottete allen Vorstellungen echter Gewerkschaftsdemokratie Hohn. Die Führung konsultierte die Meinung der Basis, ließ sie aber in keiner Phase des Prozesses entscheiden. Breite Schichten durchschauten den Charakter dieser „Reform“ und weigerten sich angesichts dieser Farce an diesem Prozess aktiv teilzuhaben. Dies erklärt auch die unvorstellbar niedrige Beteiligung an den Umfragen und Regionalkonferenzen.
Die ÖGB-Reform ist somit ein Werk der Topschichten der Gewerkschaftsbürokratie, die sich hinter den Kulissen alles ausmachten. Eigene bürokratische Interessen der diversen Einzelgewerkschaften standen dabei immer im Mittelpunkt.
Im November entschieden die Vorsitzenden der mächtigsten Fachgewerkschaften den Ausgang der ÖGB-Reform im Rahmen einer eigenen Reformklausur. Schon zuvor hatte die schwarze GÖD dem ÖGB die Rute ins Fenster gestellt und das Ziel der Teilrechtsfähigkeit, d.h. der finanziellen Eigenständigkeit gegenüber dem Dachverband ÖGB, erklärt. Dies ist ein offener Versuch der ÖVP die Krise des ÖGB dazu zu nutzen, die Gewerkschaftsbewegung zu schwächen. Zukünftig ist damit eine Spaltung der Gewerkschaften entlang politischer Richtungen leichter möglich, was in großen Klassenauseinandersetzungen wie im Jahr 2003 für die Bürgerlichen ein wichtiges As im Ärmel sein kann. Eine derartige von der Rechtsregierung bewusst betriebene Spaltung gab es z.B. in Italien, was dort aber nur zu einer Radikalisierung der linken Gewerkschaftsverbände führte.
Die starke Metallergewerkschaft hatte bereits im Vorfeld eine ähnliche Richtung eingeschlagen und setzte auf eine Stärkung der Teilgewerkschaften. Die GPA propagierte zwar im Prinzip eine starke Einheitsgewerkschaft, da es dafür aber keine Mehrheit gab, versuchte sie schleunigst ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bekommen und trägt das Modell der starken Teilgewerkschaften nun voll mit. An einem wirklichen, dauerhaften Kampf für einen einheitlichen und schlagkräftigen ÖGB war in der Spitzenbürokratie niemand ernsthaft interessiert.
Mit dem Konzept der Teilrechtsfähigkeit und somit der Möglichkeit für die Teilgewerkschaften den Einsatz der Finanzmittel viel stärker als in der Vergangenheit zu bestimmen, ist der ÖGB als Dachverband entmachtet worden.
In diesem Zusammenhang muss noch auf eine andere Entwicklung eingegangen werden: Die Auflösung der ÖGB-Bezirksstrukturen. Diese sind außerhalb von Wien oft der letzte Ort, wo wirklich lebendige Basisarbeit passiert, wo BetriebsrätInnen eine ordentliche Anlaufstelle haben und der ÖGB so etwas wie eine aktive Basis besitzt. Die Auflösung der Bezirksstrukturen macht den Versuch der Einzelgewerkschaften, den ÖGB zu entmachten, komplett.
In Wirklichkeit wird mit der Auflösung der Bezirksstrukturen wieder ein wichtiger Teilvon Basisarbeit im ÖGB beseitigt. Schon alleine die Bezeichnung für die Ersatzstruktur „regionale Betreuungseinheit“ drückt aus, dass es bei den neuen Strukturen nicht um Mitbestimmung geht, sondern um Service durch die Zentrale. Dieses wird mit sogenannten „Open Space-Elementen“ kombiniert, wo genauso wie bei den Regionalkonferenzen Demokratie vorgetäuscht wird. Das Mitglied soll sich einbringen und mitreden können, aber ohne jegliche Verbindlichkeit für die Führung. Mitreden aber nicht Entscheiden, Diskutieren aber „keine Beschlüssen fassen dürfen“ lautet die Devise; dabei geht es vor allem um eines: Es sollen Ventile zum Dampf ablassen geschaffen werden, die die SesselkleberInnen in den Apparaten nicht ernsthaft gefährden.
Bei den Spitzeneinkommen, bei der Wahl der Delegierten zum ÖGB-Kongress sowie bei der Machtposition der Fraktionen bei gewerkschaftsinternen Wahlen soll aber weitgehend nichts geändert werden.
Die von vielen an der Basis geforderte Demokratisierung wurde also einmal mehr von oben verhindert. Auch in Zukunft soll die Gewerkschaftsspitze die Möglichkeit haben, abweichende Meinungen zu disziplinieren. Dies war seit seiner Gründung eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung einer sozialpartnerschaftlichen Politik im Interesse des Standorts und des Kapitals. Lohnzurückhaltung, Flexibilisierung können auf Dauer nur dann gegenüber der Arbeiterklasse durchgesetzt werden, wenn diese keine Stimme hat.
Trotzdem sind und bleiben die Gewerkschaften das unmittelbarste Instrument der Lohnabhängigen zur Verteidigung ihrer Interessen. Eine historische Chance zur Veränderung der Gewerkschaften wurde nach der BAWAG-Krise vertan, dies ändert aber nichts an der zentralen Bedeutung, die den Gewerkschaften in dieser Phase des Klassenkampfes zukommt. Wann immer ArbeiterInnen ihre ökonomischen Interessen und Rechte verteidigen oder durchsetzen wollen, werden sie sich in den Gewerkschaften organisieren. Der Platz der MarxistInnen ist Seite an Seite mit diesen ArbeiterInnen, auch wenn die Gewerkschaften undemokratisch sind und offen das Spiel des Kapitals spielen.
Die Erfahrungen der letzten Jahre, vor allem im Streikjahr 2003 aber auch jetzt im Zuge dieses „Reformprozesses“ hat die Basis gelegt für eine weitere Differenzierung in den Reihen der Gewerkschaften.
Perspektiven des Klassenkampfs
Das Jahr 2003 hat bewiesen, dass Österreich keine Insel der Seligen ist. Die österreichische Arbeiterklasse hat im Klassenkampf erste Erfahrungen gesammelt. Das verschüttet geglaubte Klassenbewusstsein wurde bei den damaligen Streiks ansatzweise wieder freigeschaufelt. Auch wenn diese Streikbewegungen objektiv in Niederlagen endeten, so hatten diese ersten Muskelübungen der Klasse zumindest genügend Wirkung gezeigt, dass die Bürgerlichen ihr Konzept des „Speed kills“ und der Frontaloffensive gegen die ArbeiterInnenbewegung aufgeben mussten. Im Jahr 2000 waren die Bürgerlichen angetreten mit dem Anspruch, die Sozialpartnerschaft ein für allemal und ohne Wenn und Aber auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen. Die Diktatur des Kapitals sollte wieder ungeschminkt herrschen. Die Gewerkschaftsbürokratie sollte von den Futtertrögen und allen Machtpositionen vertrieben werden. Nach 2003 mussten die Bürgerlichen partiell einen Rückzieher machen.
Die Gewerkschaftsbürokratie mobilisierte 2003 nicht zuletzt weil sie ihre sozialpartnerschaftlichen Mitsprachemöglichkeiten verteidigen wollte. Der damalige ÖGB-Präsident Verzetnitsch ergriff jeden Strohhalm in diese Richtung und war zu jeder Unterordnung unter das Kapital bereit. Dies erklärt auch die Lobeshymnen auf seine Ära, die wir nach dem BAWAG-Skandal von Wirtschaftsvertretern zu lesen bekamen.
Die von Verzetnitsch und seinem Gegenüber aus der Wirtschaftskammer Leitl eingefädelte Sozialpartnerschaft Neu, d.h. die Mitverwaltung der Angriffe auf die Klasse durch die Gewerkschaftsbürokratie, wird von Verzetnitschs Nachfolger als ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer fortgesetzt. Mit dem von ihm, Leitl und der Arbeiterkammer ausgearbeiteten Sozialpartnerpapier für Wachstum und Beschäftigung gab man den beiden Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP ein hervorragendes Instrument zur Rechtfertigung weiterer Angriffe auf die Arbeiterklasse in die Hand. Stolz meint Hundstorfer auch, dass die Regierung bei den Bereichen Wirtschaft und Arbeit von den Sozialpartnern abgeschrieben hat. Welch Zynismus! Die kommende Regierung hat die Absicht die Sozialpartner in etlichen Fragen bei der Umsetzung von solchen Angriffen vorzuschieben. Der ÖGB macht somit den willigen Helfer für die kapitalfreundliche Politik der Großen Koalition. Mehr will der ÖGB nicht und dafür ist er auch bereit die Interessen der Lohnabhängigen zu opfern.
Schon in den letzten 7 Jahren mobilisierte der ÖGB nur im äußersten Notfall und dann nur mit angezogener Handbremse. Bei einer Großen Koalition wird sie alles unternehmen, um Streiks zu verhindern. Der ÖGB wird der Arbeiterklasse so weit es nur geht die Hände binden. Er wird nicht gegen die eigene Partei in der Regierung streiken. Hundstorfer sagt öffentlich: „Von mir werden sie keine Kampfesparole hören.“ Umgekehrt wird die SPÖ danach trachten den ÖGB einzubinden, um sich den Rücken frei zu halten. Würde die ÖGB-Spitze die Regierung in einer zentralen Frage offen herausfordern, dann würde das einen Kanal öffnen, der die Dämme zum Brechen bringen würde. Dies würde unter den jetzigen Bedingungen auch die Kontrolle der Bürokratie in der Gewerkschaft in Bedrängnis bringen. Die ÖGB-Führung will angesichts ihrer durch den BAWAG-Skandal sehr prekären Position Zeit gewinnen und hofft tatsächlich auf eine Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft. Sie muss deshalb gegenwärtig bei allem Unmut an der Basis die Kritik am Regierungsprogramm unterdrücken.
In der Gewerkschaftsbewegung stehen wir somit vor der widersprüchlichen Situation, die durch die extreme Streikunwilligkeit der Führung einerseits und eine wachsende Kampfbereitschaft unter den FunktionärInnen an der Basis andererseits gekennzeichnet ist. Welche Kraft sich in Zukunft durchsetzen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, welchen Weg das Kapital einschlagen wird und mit welchen Mitteln und wie aggressiv dieses versuchen wird ihre Interessen durchzusetzen. Das Kapital sieht die Große Koalition bei aller Freude über den fortgesetzten Kurs der letzten Regierung in der Frage der kapitalfreundlichen Steuerpolitik doch mit Skepsis. Die Wirtschaft vermisst bei dieser Regierung die im internationalen Standortwettbewerb nötige Entschlossenheit und befürchtet, dass diese instabil bzw. handlungsunfähig ist. Zwar wird der Kurs des Bürgerblocks weitgehend beibehalten aber wohl kaum im gleichen Tempo gefahren. Umso mehr werden die Unternehmer auf der betrieblichen Ebene und bei den Kollektivverträgen Druck machen. Das sind die Ebenen, wo wir am ehesten mit offenen Klassenauseinandersetzungen rechnen müssen. Die Verteidigung der Kollektivverträge wird für die Gewerkschaften eine große Herausforderung. Es häuften sich schon diesen Herbst die Angriffe der Unternehmer. Dies wird sich weiter verschärfen. Gerade aufgrund ihrer allgemeinen Krise muss die Gewerkschaft in diesem Punkt, wo sie am ehesten noch Legitimität besitzt, ihre Existenzberechtigung unter Beweis stellen. Mobilisierungen ihrer Basis in den Betrieben bis hin zu größeren Streikbewegungen sind in dieser Frage durchaus zu erwarten. Es gibt hier wie bereits 2003 das bürokratische Eigeninteresse sozialpartnerschaftliche Mechanismen zu verteidigen. In der Frage der Löhne entsteht außerdem zusehends ein Druckkessel, weil die Basis höhere Löhne zur Absicherung ihres Lebensstandards fordert, die Gewerkschaft Resultate liefern muss und sich auf diesem Weg wieder rehabilitieren will und andererseits die Kapitalseite die Lohnzurückhaltung als den Asset des österreichischen Standorts preist und sehr unnachgiebig sein wird.
Die zweite Kampfebene könnten Verteidigungskämpfe auf betrieblicher Ebene sein. Das Kapital ist unter dem Wettbewerbsdruck zu permanenten Rationalisierungen genötigt. Internationale Konzerne spielen gezielt die einzelnen Standorte aus um die Spirale nach unten loszutreten. Entlassungen, Einsparungen bis hin zu Betriebsschließungen schweben wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Lohnabhängigen. In einem Betrieb nach dem anderen wird die Standortlogik, die viele Betriebsräte verfolgen, erschüttert. Betriebliche Kämpfe werden in Zukunft zunehmen. Erste Anzeichen sahen wir bereits (Generali, Siemens PSE). Bei Generali konnten die Drohungen, dass Hunderte Arbeitsplätze vernichtet werden, sogar abgewehrt werden. Wichtig ist auch, dass dies Bereiche sein könnten, die eine Eigendynamik entwickeln können. Belegschaftsvertreter, die durch ihr kämpferisches Auftreten, unter der eigenen Belegschaft eine große Autorität haben, gewinnen somit auch eine von der Gewerkschaftsbürokratie relativ unabhängige Position. In den bereits genannten Fällen sahen wir konkret, dass diese eine kämpferische Gewerkschaft einfordern aber kein Vertrauen in die Bürokratie haben. In diesem Prozess müssen wir durch Solidaritätsarbeit und die Formulierung einer politischen Alternative zu Standortlogik, Sozialpartnerschaft und Stellvertreterpolitik eine Rolle spielen.
Die angebliche Neuauflage der Sozialpartnerschaft, mit der die Gewerkschaftsführung ihre Zustimmung zur Großen Koalition legitimiert, wird aber die Risse zwischen Führung und Basis schnell vertiefen. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Jahr 2003 die zentralen Schichten der ArbeiterInnenklasse wichtige Klassenkampferfahrungen gemacht haben. Sie haben damals instinktiv gespürt, dass mehr drinnen war. Die Differenzierungsprozesse haben damals ihren Beginn gehabt. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsführung schafften es in der Folge aber die Klasse auf die kommenden Nationalratswahlen zu orientieren. Die österreichische ArbeiterInnenbewegung hat ein sehr großes Vertrauen in den Parlamentarismus.
Die positiven Erfahrungen aus den 70er Jahren bestimmen hier noch immer das Bild großer Teil der organisierten Klasse, vor allem der BetriebsrätInnen und GewerkschaftsaktivistInnen. Ihre Perspektive war es, dass die SPÖ und der ÖGB im bestehenden politischen System wieder an Einfluss gewinnen und die Politik der Regierung wieder mitgestalten können. Dieser Wahlorientierung wurde mit dem Ausverkauf durch Gusenbauer & Co. ein schwerer Schlag versetzt. Das Vertrauen in die Idee, man könne über Wahlen im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus etwas ändern, wurde hier schwer erschüttert. Bei den fortgeschrittensten Schichten wird dies dazu führen, dass sie den einzigen Ausweg darin sehen, dass man die eigenen Organisationen kampffähig macht. Beginnen werden sie damit wahrscheinlich in ihrem unmittelbaren Umfeld, den Betrieben. Dies umso mehr wenn sie das Gefühl haben, dass die Gewerkschaft diese Regierung stützt und verteidigt. Die Erlangung einer Kampffähigkeit auf Betriebsebene wird als zentrales Problem wahrgenommen werden. Darauf werden die BetriebsrätInnen Antworten suchen. Der nächste Schritt wird die Vernetzung mit anderen kämpferischen Belegschaften sein.
Die Jugendbewegung
Die Jugendbewegung war in den letzten Jahren zurückgeebbt. Während sich im Kampf gegen Schwarz-Blau, gegen die Einführung der Studiengebühren und gegen die WEF-Treffen in Salzburg Tausende Jugendliche, vor allem StudentInnen, engagierten, waren die letzten Jahre von nur sehr schwachen Mobilisierungen gekennzeichnet. Vor allem die Niederlage im Kampf gegen die Studiengebühren hat eine ganze Generation von vor allem Studierenden demoralisiert. Dazu kommt, dass die Studienbedingungen an den Universitäten in den letzten Jahren immer mehr verschärft wurden. Der materielle Druck auf die StudentInnen wächst von allen Seiten. Ein Großteil der StudentInnen ist gezwungen, neben dem Studium zu arbeiten. Die Freiräume früherer Generationen gingen den heutigen StudentInnen weitgehend verloren.
Aus diesen Gründen lag die StudentInnenbewegung danieder. Es wäre ein Fehler von einer völligen Entpolitisierung der StudentInnenschaft zu sprechen. So haben die letzten ÖH-Wahlen gezeigt, dass trotz eines für die bürgerlichen Studierendenfraktionen maßgeschneiderten Wahlrechts, die linken Fraktionen einen Sieg einfahren konnten. Das war ein erster Schlag gegen den Bürgerblock auf elektoraler Ebene. Die linke ÖH-Führung trägt aber Mitverantwortung an der Krise der Studierendenbewegung. Seit dem Kampf gegen die Studiengebühren hat sie eine demobilisierende Wirkung. Mit ihren postmodernen Konzepten, die „alternative Protestmöglichkeiten“ über Massenaktionen stellt, hat sie immer dann, wenn es Ansätze einer Bewegung gab, diese in eine Sackgasse geführt.
Die Logik der ÖH-Spitze ist ähnlich jener der Gewerkschaftsbürokratie. Es geht ihr um eine Rolle, wo sie „ihr Know-how einbringen können“ und mit der Regierung am Verhandlungstisch sitzen können. Aus diesen Gründen lag die StudentInnenbewegung danieder. Es wäre trotzdem ein Fehler von einer völligen Entpolitisierung der StudentInnenschaft zu sprechen.
So zeigte sich in den letzten Jahren durchaus, dass diverse Schichten von Studierenden für unsere Ideen zu gewinnen sind. Ein Beispiel dafür stellt der Alternativengipfel im Jahr 2006 dar, der ohne Zweifel die Aufmerksamkeit und Begeisterung vieler Studierenden auf sich zog. Die Revolution auf dem südamerikanischen Kontinent bietet im studentischen Milieu große Möglichkeit marxistische Ideen zu verbreiten und Menschen für unsere Tendenz zu gewinnen. Trotzdem beschränkt sich diese politisierte Fraktion der Studierenden auf eine Minderheit.
Man kann seit der Bewegung gegen die Studiengebühren von keinen ernsthaften Ansätzen einer Bewegung auf den Universitäten mehr sprechen. Sowohl die Aktionen gegen das UG 02 oder den Orgplan 03 waren nur kurze Aufschreie frustrierter StudentInnen, die auch durch eine mobilisierende ÖH nicht zum Sieg geführt werden hätte können. Die schmerzlichen Niederlagen vergangener Kämpfe und die Verzweiflung trotz massiver individueller Anstrengung keinen Erfolg zu lukrieren, hatte einen demobilisierenden Einfluss auf viele Studierende, die Politik der ÖH hatte hingegen fast schon irrelevanten Charakter. Nichtsdestotrotz war die ÖH in den letzten Jahren mit ihren postmodernen Konzepten und „alternativen Protestformen“ eher ein Hemmschuh statt eine treibende Kraft im Aufbau einer ernst zu nehmenden studentischen Linken. Somit ist auch erklärbar, dass sich die wenigen politischen Aktivitäten der Studierenden wenn, dann außerhalb der ÖH-Strukturen (wie eben das Beispiel Alternativengipfel) abspielten. MarxistInnen müssen sich am Pulsschlag genau dieser StudentInnen auf ihrer Suche nach einer politischen Heimat, z.B. in VSSTÖ-Gruppen oder Aktionskomitees wie die Alternativasgruppe, orientieren.
Die von der Großen Koalition vorgeschlagene „Kompromisslösung“ in der Frage der Studiengebühren hat der Bewegung einen neuen Impetus gegeben. Die Möglichkeit, die Studiengebühren durch soziale Arbeit abzuarbeiten, bringt zwar keine direkte Verschlechterung für die Studierenden, aber sie ist eine absolute Verhöhnung der StudentInnen und hat dementsprechende Entrüstung an den Unis ausgelöst.
Dazu kommt, dass im Frühjahr 2007 wieder ÖH-Wahlen stattfinden. Vor allem der VSStÖ sieht durch die Regierungsbeteiligung der SPÖ und deren Politik in der Frage der Studiengebühren ihre Position in Gefahr. Die Führung des VSStÖ hat daher allein schon aus bürokratischem Eigeninteresse auf die Barrikaden. Dies erklärt ihre Scheinradikalität (wie der Austritt aus der SPÖ). Die Studiengebühren werden zumindest bis zu den ÖH-Wahlen ein zentrales innenpolitisches Thema bleiben. Eine Massenbewegung mit Streik und Unibesetzung wie im Jahr 2000 gegen die Einführung der Studiengebühren oder später ansatzweise gegen das UG 2002 ist jedoch kaum zu erwarten. Auch wenn die Bilder von der Demo gegen die Angelobung der Großen Koalition am 11. Jänner manche an die Proteste gegen Schwarz-Blau erinnert haben, so muss doch klar sein, dass diese einen völlig anderen Charakter haben und in Wirklichkeit nur eine Nebenfront darstellen. Die wahre Auseinandersetzung läuft nun in der Sozialdemokratie ab. Dort werden die Weichen gestellt für die künftige Entwicklung von Klassenkämpfen und sozialen Protestbewegungen.
Auf den Unis selbst wird die Haltung der SPÖ einen linksradikalen Effekt auslösen. Viele linke Studierende werden nach dieser Erfahrung nach politischen Alternativen Ausschau halten. Die ArbeiterInnenbewegung kann diese angesichts einer SPÖ in der Regierung und einer Gewerkschaft, die sich mit der „Sozialpartnerschaft neu“ zufrieden gibt, nicht abgeben. Wenn die SJ und der VSStÖ jedoch den derzeitigen Kurs konsequent beibehalten, kann dies sehr wohl dazu führen, dass sich diese Organisationen in der StudentInnenschaft weiter verankern. Das zentrale Problem auf den Unis in den letzten Jahren war, dass es keinen Kanal gab, wo sich der wie in der gesamten Gesellschaft vorhandene Unmut in organisierter Weise ausdrücken konnte. Diese Perspektivlosigkeit hat auf den Unis eine Tendenz ausgelöst, die eigenen Probleme individuell zu lösen. Die ganze soziale Situation der StudentInnen verstärkt diesen Prozess noch. Die Frage ist, ob es in der kommenden Periode einen Kanal zu öffnen, der eine mögliche Perspektive bieten kann. Die Herausbildung einer organisierten oppositionellen Strömung in der ArbeiterInnenbewegung ist der Schlüssel dazu.
Schon im Frühjahr 2006 hat sich rund um den Alternativas-Gipfel gezeigt, dass das Thema Lateinamerika auch an den österreichischen Universitäten ein viel diskutiertes ist. Die Prozesse in Lateinamerika, vor allem in Venezuela, werden von politisierten Schichten mit großem Interesse verfolgt. Eine Beschleunigung des revolutionären Prozesses in Lateinamerika wird auch in Österreich ein gewaltiges Echo finden. Durch unsere bisherige Arbeit haben wir die Basis dafür gelegt, an den Unis eine starke Solidaritätsbewegung aufzubauen.
Wenn es in den letzten Jahren nennenswerte Mobilisierungen gegeben hat, dann eher im SchülerInnenbereich. Die Hauptthemen waren der Kampf gegen Bildungsabbau, für freien Bildungszugang und das Antifa-Thema. Das Problem ist aber ähnlich gestellt wie auf den Unis. Nur dort wo es Organisationen mit der entsprechenden Verankerung gab, sind größere Bewegungen möglich. Eine Schlüsselrolle nimmt auch hier die SJ ein, die im SchülerInnenbereich von allen linken Organisationen mittlerweile die größte Mobilisierungsstärke aufzuweisen hat.
Eine der zentralen Verschlechterungen, die angesichts des Regierungsprogramms drohen, ist die Aushöhlung des Kündigungsschutzes für Lehrlinge. Die Gewerkschaft versucht dieses Problem noch klein zu reden und verweist auf die Tatsache, dass schon heute ein nicht so kleiner Anteil der Lehrverhältnisse vorzeitig aufgelöst wird. Umgekehrt zeigt sich die Gewerkschaft damit zufrieden, dass die Regierung verstärkt Ausbildungsplätze schaffen will. Aus der Vergangenheit wissen wir aber, dass es sich bei diesen Kursprogrammen um die Schaffung von Lehrlingen zweiter Klasse geht, die langfristig gesehen auf dem Arbeitsmarkt auch keine Chance auf einen qualifizierten und entsprechend entlohnten Job haben. Das Problem der fehlenden Lehrstellen und der Jugendarbeitslosigkeit wird mit diesen Programmen nur beschönigt. Die großen Profiteure dieser Programme sind die Unternehmen, die billige Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt bekommen. In der Industrie und in Großbetrieben wie den ÖBB wird bei der Lehrlingsausbildung, die dort auf hohem Niveau stattgefunden har, seit Jahren eingespart. Die Gewerkschaftsjugend ist aber organisatorisch und politisch zu schwach, um gegen die Verschlechterungen im Lehrlingsbereich ankämpfen zu können. Mehr als symbolische Proteste und Aktionismus kann von der Gewerkschaftsjugend nicht erwartet werden. Anders als die SJ verfügt die Gewerkschaftsjugend zwar über einen relativ hohen Organisationsgrad, aber über weit weniger organisatorische Autonomie und agiert dadurch viel stärker am Gängelband der Gewerkschaftsbürokratie. Unter dem Eindruck der verschärften Polarisierung zwischen den Klassen und durch die Verbindungen zur SJ kann es aber durchaus auch in den Reihen der Gewerkschaftsjugend zur Herausbildung linker Strömungen kommen, welche auf Grund der hohen organisationsdichte ein ganz anderes Gewicht hätten.
Die letzten beiden ÖGJ-Kongresse haben aber gezeigt, dass es unter den Jugendvertrauensräten einen Politisierungsprozess gibt und die ideologische Kontrolle durch die Bürokratie schwächer geworden ist. Die Krise des ÖGB und die daraus resultierenden Differenzierungsprozesse eröffnen für MarxistInnen neue Chancen in diesen ehemals festgefahrenen Bereich der ArbeiterInnenbewegung vorzustoßen.
Wie bereits oben erwähnt, wird der Kampf gegen den neuerlichen Aufstieg der FPÖ und gegen eine immer aktiver auftretende Naziszene die Basis für größere antirassistische und antifaschistische Mobilisierungen legen. Anders als in der Vergangenheit werden solche Proteste aber weniger zivilgesellschaftlichen Charakter haben sondern vor allem von der SJ dominiert werden. Dies wird vor allem dadurch verstärkt werden, dass die SJ bei einer SPÖ in der Regierung das Antifa-Thema forcieren wird, um sich links zu positionieren ohne gleichzeitig gegen die SPÖ-Spitze zu stellen. Die MarxistInnen werden hier vor allem die Aufgabe haben, die sozialen und politischen Ursachen des Rechtsextremismus und des Rassismus aufzuzeigen. Das beinhaltet eine klare Positionierung gegen die Politik der Regierung und generell eine antikapitalistische Perspektive.
Die Sozialistische Jugend
Die SJ hat es in den letzten Jahren geschafft zu der zentralen Kraft in der Jugendbewegung zu werden. In nahezu allen wichtigen Fragen und Mobilisierungen hatte sie eine führende Rolle eingenommen. Dies ist nicht zuletzt auf den Einfluss der marxistischen Strömung in der SJ zurückzuführen. Durch die Proteste gegen die Große Koalition wurde die SJ aber erstmals seit 25 Jahren wieder zu einem innenpolitischen Faktor. Die SJ hat über Tage lang ein unvorstellbares mediales und öffentliches Echo gehabt. Ihre Wirkung ging dadurch weit über den Jugendbereich hinaus. Was wir von der SJ seit Jahren gefordert haben, nämlich dass die SJ zum Kristallisationspunkt für alle linken Kräfte in der ArbeiterInnenbewegung wird, diese Rolle spielte sie nun tatsächlich für einen kurzen historischen Moment und wird sie auch wieder in Zukunft spielen.
Die SJ hat sich in den letzten Jahren immer stärker links positioniert. Von ihrem Selbstverständnis ist sie eine Organisation mit einem marxistischen Programm. In Wahrheit ist die SJ ein äußerst widersprüchliches Gebilde. In ihrem Grundsatzprogramm vertritt sie in fast allen zentralen Fragen marxistische Positionen. In ihrer Praxis und in ihrem Organisationsverständnis setzt sie aber an den austromarxistischen Traditionen an. Der Austromarxismus war immer eine Spielart des Reformismus, der sich aber unter den konkreten Bedingungen, unter denen sich die österreichische ArbeiterInnenbewegung entwickelt hat, im internationalen Vergleich immer relativ links gegeben hat bzw. geben musste. Das oft sehr linke Erscheinungsbild ändert aber nichts am reformistischen Charakter des Austromarxismus. Dies zeigt sich auch in der Arbeit der SJ.
Die SJ ist als Jugendorganisation der SPÖ in einem sehr komplexen Spannungsverhältnis. Sie ist finanziell und organisatorisch von den Zuwendungen der SPÖ-Bürokratie abhängig. Die SJ war immer schon ein Rekrutierungsfeld für die Sozialdemokratie, ein Reservoir für zukünftige FunktionärInnen. Über die Einbindung der SJ-Führung in die Partei wird sichergestellt, dass die SJ nicht völlig außer Kontrolle gerät auch wenn man ihr eine gewisse Autonomie zugesteht. Diese Autonomie als Jugendorganisation, die wir gegen alle Einmischungsversuche der Partei verteidigen, gibt der SJ den Spielraum sich in der Jugend zu verankern. Solange die SPÖ in der Opposition war, war diese Eigeninitiative der SJ gern gesehen, weil sie der Sozialdemokratie ein linkes Image gab. In der Regierung kann sich dies aber sehr schnell ändern. Der Druck seitens der SPÖ-Führung wird steigen. In den Bundesländern, wo die Landesführungen sich gegen Gusenbauer positioniert haben, mag dies nicht so schnell der Fall sein, in Wien, NÖ und dem Burgenland aber sehr wohl.
In der SJ gab es bereits in der Vergangenheit eine offensichtliche Differenzierung innerhalb der Linken. Hinter den Kulissen hat es bereits im Vorfeld des letzten Verbandstages einen offenen Kampf gegeben. Die SJ NÖ und ihre Verbündeten, die sich damals durchsetzten, haben schon in den letzten Jahren einen Kurs gefahren, der mit den Interessen der Parteiführung kompatibel ist. Freizeitorientierung und politische Kampagnen, die im Interesse auch der SPÖ sind (Wählen mit 16,…), waren die Hauptstützen der Arbeit der SJ NÖ. Damit wurde zwar ein ziemlich großes Netz an lokalen Strukturen aufgebaut, die linken Inhalte kamen aber sehr zu kurz. Es gibt kaum AktivistInnen, die politisch geschult sind. Hier ist der Keim dafür gelegt, die SJ in einen Jugendwahlkampfverein der Sozialdemokratie zu verwandeln. Sollte dieses Konzept auf die gesamte SJÖ übergestülpt werden, hätte dies langfristig wichtige Konsequenzen. Dass diese Gefahr besteht, zeigte sich in der Frage, als die SJ am Höhepunkt der Proteste gegen die Große Koalition plötzlich die Idee eines Jugendvolksbegehrens und einer Kampagne für die Umsetzung von „Wählen mit 16“ vorbrachte.
Diesen Kurs durchzusetzen, wird aber nicht leicht sein, denn der Unmut in der SJ gegenüber der Großen Koalition und dem Verhalten von Gusenbauer auf die SJ-Politik ist unvorstellbar groß. Die SJ Wien hat dem mit der Plattform „Wir sind SPÖ“ eine Stoßrichtung gegeben, die prinzipiell eine Alternative darstellen könnte. Sie setzt damit einen Schritt für einen linken Flügel in der Partei. Worauf stützte sich dieser Unmut? Wir haben es mit einer Generation von SJlerInnen zu tun, die in ihrer überwiegenden Mehrheit in der Zeit von Schwarz-Blau politisiert wurden und die SPÖ nur in der Opposition kannten. Diese AktivistInnen glaubten bei aller Kritik an der Partei ernsthaft an Verbesserungen durch eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung. Der Schock sitzt angesichts dieser Erwartungshaltungen nun umso tiefer. Die ganze reformistische Logik, die in den austromarxistischen Teilen der SJ vorherrschte, wurde durch diese Ereignisse schwer erschüttert. Es hat sich einmal mehr in der Praxis die Überlegenheit marxistischer Perspektiven gezeigt. Derzeit besteht auf alle Fälle die Basis für einen weiteren Linksruck in der SJ. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass dies ein widersprüchlicher Prozess wird, in dem es auch gegenteilige Tendenzen geben wird.
Für die kommende Periode können wir aber auf alle Fälle davon ausgehen, dass die SJ sowohl in der Sozialdemokratie wie auch in der Jugendbewegung die wichtigste oppositionelle Kraft sein wird. Sie wurde zu einem Faktor, dessen Potential nicht zu unterschätzen ist. Das Problem ist aber, dass sie mit ihren reformistischen Methoden dieses Potential nie ganz ausschöpfen wird. Durch ihre zögerliche Haltung verpasst sie schon jetzt oft wichtige Chancen. Die SJ ist aber in ein Fahrzeug gestiegen, das vorerst in die richtige Richtung fährt. Und es ist wichtig zu betonen, dass wir einen wichtigen Beitrag zur Konstruktion dieses Fahrzeuges geleistet haben und in Wirklichkeit wir die einzigen sind, die das theoretische und methodische Rüstzeug haben, um zu wissen, wie man dieses Fahrzeug tatsächlich lenkt und weiterentwickelt. (Mittlerweile ist klar, dass „Wir sind SPÖ“ kein Ansatzpunkt für einen linken Flügel ist. Dazu ist es gekommen, weil die SJ Spitze nach den viel versprechenden Protesten rund um die Regierungsbildung wieder ihre übliche reformistische Orientierung einschlug. Eine genaue Analyse zu „Wir sind SPÖ“ findet sich weiter oben im Abschnitt „Die Sozialdemokratie“.)
Die marxistische Strömung
Damit kommen wir zu den Aufgaben und zur Rolle der marxistischen Strömung in all diesen Prozessen. Die Grundlage unserer Arbeit bildet eine wissenschaftliche Analyse des internationalen wie österreichischen Kapitalismus, des Klassenkampfes und der Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, die für uns die objektive Situation darstellen. Darauf aufbauen können wir Perspektiven entwickeln, die es uns ermöglichen Prioritäten in unserer Arbeit festzulegen. Die Entwicklung von Perspektiven, die auch Molekularprozesse in der Gesellschaft mit einbezieht, wird derzeit nur von unserer Strömung ernsthaft betrieben. Allen anderen Strömungen in der Linken ist dies ein Buch mit sieben Siegeln. Dies ist eine der zentralen Stärken unserer Strömung und muss weiterentwickelt sind. Wir steuern wieder auf politisch bewegtere Zeiten zu, und da braucht es einen Kompass, den nur marxistische Perspektiven bieten können.
Perspektiven und Analysen machen aber im Sinne einer Einheit von Theorie und Praxis nur Sinn, wenn sie Basis für konkretes Handeln sind. Unser Platz ist unter den gegenwärtigen Bedingungen an der Seite all jener, die nun Schritte setzen, um die traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung für die Klasse zurückzugewinnen. Wir haben immer wieder betont, dass sich der Klassenkampf nur dann offen entwickeln kann, dass es nur dann zu Massenaktionen kommen kann, wenn es Kanäle gibt, die den Massen auch offen stehen. Die oben beschriebenen Klassenbeziehungen und Kräfteverhältnisse in den Massenorganisationen erlauben einen Ausbruch des offenen Klassenkampfs derzeit nicht. Die ArbeiterInnenbewegung muss sich deshalb politisch und organisatorisch neu orientieren. Das ist angesichts der verschütteten Traditionen in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung und der quantitativen Schwäche des subjektiven Faktors ein schwieriger Prozess. Die Differenzierungsprozesse, die durch die Erfahrung im Zuge der Bildung einer Großen Koalition, ein ungeahntes Ausmaß bekommen haben, werden anfangs unter einem stark reformistischem Zeichen stehen. Entscheidend für uns aber ist, dass der Prozess in Gang gekommen ist und das bei einem relativ hohen Tempo.
Sowohl im ÖGB wie auch in der SPÖ (und auch in der SJ) steuert alles auf eine Beschleunigung dieser Prozesse hin. Mit jedem Angriff auf die ArbeiterInnenklasse und die Jugend wird er sich vertiefen. Dazu kommen die permanenten Schocks auf der internationalen Ebene, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Ganz im Sinne des Kommunistischen Manifests muss unser Selbstverständnis darin bestehen, dass wir keine Eigeninteressen haben, sondern den Kampf der ArbeiterInnenklasse als unseren Kampf sehen und wir diesen Kampf in jeder Situation vorwärtstreiben müssen. Der Erfolg unserer Arbeit misst sich in erster Linie daran, ob wir zu einem Werkzeug zumindest von Teilen der Klasse werden oder ob wir isoliert bleiben.
Schulter an Schulter mit allen ehrlichen GewerkschafterInnen und SozialdemokratInnen zu kämpfen, geduldiges Erklären unserer Positionen und ein Festhalten an unseren marxistischen Prinzipien, Methoden und Programmen sind die Schlüssel zur Verankerung des Marxismus in der ArbeiterInnenbewegung.
Worum es in der nächsten Zeit geht, ist der Aufbau von linken Flügeln in der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften nach den Konzepten der Einheitsfronttaktik. Wir müssen die linken Kräfte vernetzen und sie zu gemeinsamen Aktionen bringen. Die inhaltliche Plattform dieser Aktionseinheiten wird dabei nicht immer mit unserem Programm übereinstimmen und oftmals weniger weitreichend sein. Unsere Aufgabe liegt darin, in der Praxis und auf der Grundlage konkreter Erfahrungen aber das Bewusstsein der AktivistInnen in diesem linken Flügel voranzutreiben. Dazu gehört, dass wir alle Chancen nutzen um die Programmatik dieser Einheitsfronten radikalisieren und ausweiten.
Gleichzeitig müssen wir beweisen, dass man mit unseren Ideen und Methoden die Bewegung aufbauen kann. D.h. wir müssen selbst in der Praxis zeigen, wie wir in den Betrieben ArbeiterInnen organisieren, wie der Kampf gegen Sozial- und Bildungsabbau oder gegen Faschismus zu führen ist, wie zumindest punktuell Massen mobilisiert werden können, wie eine starke SJ aufgebaut werden kann. Nur wenn wir in unserer unabhängigen Arbeit erfolgreich sind, werden uns reformistische Schichten in der ArbeiterInnenbewegung als Referenzpunkte anerkennen.
In der jetzigen Situation trifft der Satz, dass außerhalb der ArbeiterInnenbewegung nichts existiert, was uns im Kampf für den Sozialismus weiterbringen würde, voll zu. Durch unsere konsequente Orientierung auf die organisierte ArbeiterInnenbewegung und die ersten Ansätze einer Verankerung in derselben können wir diese Differenzierungsprozesse aktiv mitgestalten und nicht nur von außen kommentieren. In der SJ, die ihrerseits ein Schlüssel für die weiteren Entwicklungen sein wird, sind wir bereits jetzt ein ernstzunehmender Faktor. In theoretischen Fragen sind wir in der SJ bereits jetzt eine vorwärtstreibende Kraft. Die linke Positionierung der SJ in vielen Fragen fußt auf unserer Intervention. Dies gilt es in konkrete Aktionen umzusetzen.
Die Kräfteverhältnisse in der ArbeiterInnenbewegung wurden in den letzten Monaten stark durcheinander geschüttelt. Vieles ist nun im Fluss. Dies schafft die Bedingungen dafür, dass erstmals seit Jahrzehnten die Hegemonie des Rechtsreformismus in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung in Frage gestellt wird. Sobald sich aber in einem Teilbereich der Linksreformismus durchgesetzt hat, wird dies alles auf den Kopf stellen. Neue Schichten werden dann in die ArbeiterInnenbewegung kommen und in Kombination mit Klassenkämpfen und Jugendprotesten wird der revolutionäre Marxismus einen fruchtbaren Boden vorfinden. Heute werden – wenn auch immer noch unter reformistischem Vorzeichen – die Bedingungen für den Aufstieg des Marxismus zu einer Massenströmung gelegt. Mit diesem Ziel vor Augen müssen wir in diese Prozesse intervenieren und ihnen eine revolutionäre Perspektive geben.