Mit dem Rücktritt von Werner Faymann wurde ein neues Kapitel in der Krise der Sozialdemokratie eingeleitet. Die Konflikte um die politische Ausrichtung der Arbeiterbewegung, die in den letzten Wochen zu Tage getreten sind, werden nun offen ausgetragen werden. Die Linke steht nun vor einer großen Herausforderung. Von Emanuel Tomaselli.
Der Abgang des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers kam für alle schließlich überraschend, auch wenn er nach der verlorenen Bundespräsidentschaftswahl und dem Pfeifkonzert am 1. Mai schon schwer angeschlagen war. Die Mehrheit des Parteiapparats wollte ihn trotzdem noch ein paar Monate halten. Damit wäre das Kanzleramt vorerst gesichert gewesen und die SPÖ hätte genügend Zeit gehabt, die Neuausrichtung hin zu einer Koalition mit der FPÖ in der Partei durchzusetzen. Erst dann hätte der Parteivorsitzende einem neuen Gesicht Platz machen sollen, das bei Neuwahlen bessere Chancen haben würde als Faymann, der eine Wahlniederlage nach der anderen zu verantworten hat. Doch die aufgestauten Konflikte, die offenen Gräben und Gehässigkeiten waren dann selbst einem Machtpolitiker wie Faymann, an dem bisher alle Kritik abprallte, zu viel.
Vielschichtige und sich überlappende Konfliktlinien
Die Gräben in der SPÖ sind heute so tief wie noch nie und diesmal werden sie nicht mehr dauerhaft zugeschüttet werden können. Da ist einmal die tiefe Spaltung der SPÖ Wien. Für jeden sicht- und hörbar waren hier am 1. Mai zwei Parteien auf dem Rathausplatz versammelt. In den Medien wird dies als eine Spaltung zwischen den Flächen- und den Innenstadtbezirken beschrieben. Dabei werden jedoch nur die Mehrheiten in den Führungsgremien beschrieben, tatsächlich ist die Mehrheit der Bezirksparteien auch intern gespalten, man kann durchaus auch von einer generationellen Spaltung von jungen Roten und älteren Apparatschiks sprechen. Häupl hält diese Partei zusammen, er selbst kann sich inhaltlich aber in keine Richtung bewegen, weil die SPÖ zum Machterhalt in Wien beide Teile der Partei braucht. Diese beiden Teile stehen sich mittlerweile jedoch gegenseitig extrem feindlich gegenüber, was vor allem die zentrale Frage der Flüchtlingspolitik und der Haltung der SPÖ zur FPÖ betrifft. In den Augen der Strömung, die bisher Faymann treu ergeben war und die eine Öffnung hin zur FPÖ will, müssten Stadträtin Wehsely und andere abgesetzt werden, damit die Partei wieder Fuß fassen kann. Die Proteste gegen Faymann am Wiener Landesparteitag und beim Maiaufmarsch wurden umgekehrt nicht nur von den üblicherweise verdächtigen Jugendorganisationen organisiert, sondern auch von Teilen der Partei, die in ihrer Mehrheit in einem Naheverhältnis zu den bedrängten Stadträtinnen stehen.
Die Gewerkschaften
Hinter den Kulissen brodelt es auch gewaltig zwischen der Gewerkschafts- und der Parteispitze. Die Gewerkschaftsspitzen und -Apparate brauchen eine Regierungsbeteiligung. Doch diese Regierungsbeteiligung auf Basis der großen Koalition wird gerade mit der Wahlniederlage von ÖVP und SPÖ bei den Präsidentschaftswahlen immer wackliger. Das führt auch zu einer Krise und Polarisierung in den Gewerkschaften. Die Mehrheit der Führung schielt dabei für den Machterhalt auf die FPÖ. ÖGB-Präsident Foglar ging auch in der Öffentlichkeit in die inhaltliche Offensive, indem er eine Öffnung der SPÖ auf eine kommende Koalition mit der FPÖ forderte. Er wurde dabei vom Bau-Holz Gewerkschafter Muchitsch und Pro-GE Vorsitzenden Wimmer sekundiert, während GPA-djp und FSG- Vorsitzender Katzian dies ausschloss.
Letztendlich ist die Grundlage für diesen Schwenk der Fakt, dass die Gewerkschaften auf Basis ihres Programmes und ihrer materiellen Grundlage, der Sozialpartnerschaft, unfähig sind der Unternehmeroffensive in den Betrieben und im KV-Wesen Stand zu halten. Vor allem bei den verantwortlichen Spitzen, aber auch bis tief hinein in die Apparate und Betriebsratsstrukturen ist diese Strömung derzeit dominant, was in Zeiten der Krise zu tiefer Demoralisierung führt. Wie streichfähig die Gewerkschaftsbewegung derzeit ist, hat uns letzte Woche der Dosen-Milliardär Mateschitz rund um den Konflikt bei „Servus TV“ lebhaft vor Augen geführt. Doch auch in den zentralen Bereichen wie bei den Metallern wurde lieber eine negative Dynamik der Kampffähigkeit in Kauf genommen anstatt zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen zu greifen. Diese Dynamik führte in das Aufbrechen des KVs im letzten Herbst und zu einer breiten Demoralisierung unter den Mitgliedern und im Apparat. Nebenbei sei bemerkt, ist es gerade diese Spirale kampfloser Niederlagen, die die FPÖ bei Wahlen selbst unter gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen mittlerweile zur stärksten Partei werden ließ. Dass diese Niederlagen dann jedes Mal auch noch als „Erfolge“ verkauft werden, zeigen, dass Verdummung kein Privileg von Boulevardmedien ist. Diese Negativdynamik wird sich nur dadurch aufhalten lassen, dass diese Politik der „Sozialpartnerschaft um jeden Preis“ beendet wird und die für die Niederlagen verantwortlichen FunktionärInnen durch kämpferische KollegInnen aus der Basis ersetzt werden.
Bürgerliche in SPÖ wollen Sozialabbau und Spaltung
Die SPÖ ist in der Gesellschaft zunehmend isoliert. Der Mitgliederschwund ist nicht schönzureden. Das letzte Mal, dass sich frische Kräfte in der Sozialdemokratie in großer Zahl organisierten, war während der schwarz-blauen Regierung von 2000-2007. Diese Schicht ist es auch, die ihre ablehnende Haltung gegenüber der FPÖ und einer möglichen rot-blauen Koalition auf keinen Fall aufgeben will.
Der Apparat ist jedoch von ganz eigenen Überlegungen getrieben. Er ist bei allen Wahlniederlagen kaum kleiner geworden und orientiert sich in erster Linie an seinem Machterhalt. Das üppige öffentliche Parteienförderungswesen in diesem Land, der Zugang zu Ämtern, Kabinetten, gesetzlichen Interessenvertretungen, öffentlichen Betrieben etc. sind bestimmende Elemente für die private Lebensplanung und damit auch für die politische Ausrichtung tausender FunktionärInnen. Eine SPÖ in der Opposition würde als „Marginalisierung“ begriffen, wie ein burgenländischer Funktionär diese Gefühlslage treffend ausdrückte.
Die jahrzehntelange Unterordnung unter die Interessen der 1% Reichen war nur durch eine Entpolitisierung der Partei möglich. Dies galt insbesondere für die Zeit der Regierung Faymann, die vor allem für Bankenrettung, Massenarbeitslosigkeit etc., kurz für eine Krisenbewältigung im Interesse der Reichen stand. Klubobmann Schieder erhob diesen Kurs zur Theorie, als er meinte, dass man nicht gegen die Finanzmärkte regieren kann und man sich ihnen daher freiwillig unterordnen muss. Sowas gilt heute als sozialdemokratische Theorie, einen gewichtigen innenparteilichen Gegenentwurf dazu gibt’s nicht. Alle Ansätze bleiben im Rahmen des Systems und bei der Verwaltung der Krise. So diskutierten der geschiedene Sozialminister und sein Kabinett beispielweise das Problem der Arbeitslosigkeit ständig als „Qualifikationsproblem“ der Arbeitslosen, nicht als gesellschaftliche Problematik, das durch Entlassungen und Betriebsschließungen verursacht wird.Man lebt mit der Hoffnung, dass es irgendwann mit der Wirtschaft wieder bergauf gehen wird, aber diese Perspektive ist weltfremd.
Auf den Punkt gebracht: Unterordnung unters Kapital, die ideologische Ausdünnung, der Mitgliederschwund und die gesellschaftliche Abisolierung bedingen sich gegenseitig. Sie machten den Weg dafür frei, dass die RepräsentantInnen und der Apparat der Partei und der Gewerkschaften bürgerliche Ideen übernommen und mittels Regierungsmacht real durchgesetzt haben. Dies passierte jahrelang schleichend. Eine Delegierte zum Wiener Landesparteitag brachte diesen Prozess in einem Satz auf den Punkt: „Indem wir ständig das kleinere Übel umsetzen, machten wir das Übel an sich gesellschaftsfähig“
Diese Facette tritt in der Charaktermaske des Linzer SP-Bürgermeisters und des burgenländischen SP-Landeshauptmanns heute offen auf. Beide fordern offensiv eine Senkung der Mindestsicherung mit dem bürgerlichen Argument, dass sich Arbeit ja lohnen müsse. Verbunden ist diese Sozialabbaupolitik im Sinne der Reichen und SteuerhinterzieherInnen mit der Ansicht, dass man „Schluss mit den weltfremden Utopisten“, „Traditionalisten“, „Sektierern“ etc. machen müsse.
Dies ist die offene Kampfansage an alle jene AktivistInnen und FunktionärInnen, die am ursprünglichen Sinn der Sozialdemokratie als Partei der Armen, Entrechteten und ArbeiterInnen festhalten wollen.
Einig sind sich die SPÖ-Bürgerlichen dabei mit namhaften Teilen der Gewerkschaftsspitze, dass eine Koalition mit der FPÖ eine realpolitische Option werden muss. Es ist in der Logik der Situation angelegt, dass sich diese Interessenskoalition in naher Zukunft in der Sozialdemokratie durchsetzen wird. Aber egal in welcher Regierungsformation die SPÖ es womöglich schafft an den Futtertrögen der Macht zu bleiben, früher oder später wird unter den Bedingungen der kapitalistischen Krise der Konflikt zwischen den Bürgerlichen und dem Gewerkschaftsflügel aufbrechen müssen. Denn wie gesagt, angesichts der krisenhaften wirtschaftlichen Entwicklung werden die Verteilungskämpfe offen ausgetragen werden müssen.
Die Linken müssen sich organisieren!
Es gibt in dieser Situation für die Linke kein Argument weiter abzuwarten. Man hat ohnedies schon viel zu viel Zeit verstreichen lassen, was dazu geführt hat, dass viele GenossInnen schon frustriert der Sozialdemokratie den Rücken zugewandt haben und die Linke stark geschwächt ist.
Die namhaften VertreterInnen der Parteilinken, wie Julia Herr, Andreas Babler und Erich Fenninger, haben nun die Verantwortung alle linken SozialdemokratInnen zu sammeln und zu organisieren. Ein wichtiger konkreter Schritt ist dabei, dass die aktuelle Krisensituation an der Spitze der Partei aktiv genützt wird. Konkret geht dieser Appell an die hier Genannten sich jetzt als KandidatIn für die Parteispitze aufzustellen. Zuzuwarten bis die Parteispitze sich unter neuer Führung konsolidiert hat und dann von neuem Strukturen oder Programm verändern zu wollen ist eine Sackgasse. Wir müssen den bestehenden Konflikten offen und entschlossen entgegentreten und dürfen ihnen nicht ausweichen.
Die Alternative würde lauten, dass sich erneut hunderte AktivistInnen individuell ins Privatleben zurückziehen. Gleichzeitig muss dem Fakt Rechnung getragen werden, dass viele gute AktivistInnen sich wegen der Politik der letzten Jahre schon heute außerhalb der Sozialdemokratie befinden und eine enge Verknüpfung mit diesen auf Basis gemeinsamer Kämpfe (etwa gegen Sozialabbau und den Rechtsruck) stattfinden.
Das Ziel muss sein, dass wir eine politische Kraft herausbilden, in der sich der Wille der Arbeiterbewegung frei vom direkten Druck der Banken und Aktionäre formulieren kann. Das geht nur über einen offenen Kampf gegen die Bürgerlichen in der Gesellschaft, aber auch in der Sozialdemokratie.
Was in einem offen Kampf gegen die Bürgerlichen in der Partei und der gesamten Gesellschaft winkt, ist jedenfalls eine politische Formation, in der der Wille der Arbeiterbewegung frei vom direkten Druck der Banken und Aktionäre formulieren kann.
Die programmatischen und strategischen Eckpunkte einer solchen Linken gilt es nun möglichst rasch zu entwerfen. Die Resolution der Landesvorsitzenden der Sozialistischen Jugend Oberösterreichs, Tirols und Vorarlbergs, die auf dem letzten SJÖ-Verbandsvorstand vorgelegt und u.a. vom Standard veröffentlicht wurde, bietet dafür eine sehr gute Grundlage. Unter den Bedingungen des von den Apparaten erzwungenen Klassenfriedens werden wir als Linke in den ersten Schritten nur eine Minderheit für diese Positionen gewinnen können. Doch das wird nicht so bleiben. Schauen wir wohin die bürgerlichen Parteispitzen die griechische, spanische und französische Sozialdemokratie geführt haben! Angesichts der nun voranschreitenden Umwandlung der SPÖ in eine bürgerliche Partei (mit roter Folklore, das kostet nichts), heißt es mit offenem Visier zu kämpfen. Nutzen wir die kommenden Parteitage im Juni und September, um die Parteiführung offen herauszufordern und so die Linke innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie zu organisieren.
- Für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik, die mit der Illusion des Klassenfriedens bricht!
- Nein zu Sozialabbau, nein zu rassistischer Gesetzgebung – Nein zu dieser Regierung!
- Weder schwarz noch blau – nein zu jeder Koalition mit der ÖVP und der FPÖ, egal ob auf Landes-oder auf Bundesebene!
- Für eine linke Kandidatur zum Parteivorsitz beim nächsten Bundesparteitag dr SPÖ!
- Für eine starke Massenkampagne für soziale Verbesserungen und gegen die rassistische Spaltung!
- Hoch die internationale Solidarität!