Die politischen Verhältnisse sind in Bewegung geraten. Wir erleben einen Rechtsruck. Dies wurde notwendig, da die Führungen der Arbeiterbewegung dem sozialen Abstieg unserer Klasse nichts entgegensetzt, sondern ihn mitverwaltet. Doch der Widerstand formiert sich.
Seit 2008 findet eine massive Umverteilung von den arbeitenden Menschen hin zu Banken und Konzernen statt: 500.000 Menschen sind unfreiwillig aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen, Löhne stagnieren, Preise steigen und über den Mechanismus der systemrelevanten Bankenrettung organisiert die Regierung die Umverteilung von Massensteuern hin in die Bilanzen von Banken und gescheiterten GläubigerInnen. Da die Staatsmittel dafür nicht ausreichen und jede höhere Besteuerung des obszönen Reichtums an der Spitze der Ausbeutungspyramide politisch nicht durchsetzungsfähig ist, werden benötigte zusätzliche Mittel durch konstantes Sparen an Pensionen, Schulen, Krankenhäusern und Unis flüssig gemacht.
Politisch abgesichert wird dieser organisierte Raub an Lebensperspektiven durch die Einbindung der FunktionärInnen der Arbeiterbewegung in die Staatsgeschäfte, in den Staatsapparat und ins Zwangskorsett Sozialpartnerschaft. Die Sozialdemokratie ist mittlerweile gesellschaftlich soweit isoliert, dass sie den Ausschluss aus den Staatsgeschäften als „Marginalisierung“ begreift.
Daher die Regierungsbildungen im Burgenland und der Steiermark. Die konkreten Erscheinungsformen (Rot-Blau, Schwarz-Rot) sind unterschiedlich, doch die treibende Handlungsmaxime der AkteurInnen ist dieselbe: ein prinzipienentleertes Klammern an die Regierungsposten. Damit wurde das letzte, greifbare politische Prinzip der Sozialdemokratie entsorgt: Eine Schutzmauer gegen die Beteiligung der hetzerischen FPÖ an den Regierungsgeschäften darzustellen. Die SPÖ ist aus sich selbst heraus nicht erneuerbar, da die Selbstinteressen des Apparats jede politische Regung unmöglich machen.
Dass selbst die mächtige Gewerkschaftsfraktion hier bislang relativ stillhält, zeigt an, dass sie sich heute in der Defensive sieht und ihre Spitze selbst keine politische Alternative zum „weiter wie bisher“ vertritt.
Die Bürgerlichen haben erkannt, dass sich das Kräfteverhältnis massiv zu ihren Gunsten verschoben hat, und arbeiten tatkräftig an der Erweiterung ihrer Handlungsoptionen: Die Bundeszentrale der ÖVP betrieb den erfolgten Landeshauptmannwechsel in der Steiermark zielstrebig. Dass gleichzeitig Team Stronach-Abgeordnete auf Basis von „politischen Werten“ in den Parlaments-Club der ÖVP wechseln ist eine Lachnummer mit ernstem Hintergrund. Im Windschatten der Ereignisse fährt auch FP-Strache nach Salzburg und entmachtet dort handstreichartig die regionale Parteiführung.
Zusammenfassend kann man diese Ereignisse als Prozess der Konsolidierung des bürgerlichen politischen Lagers begreifen. Man kann sich die Champagner-Laune in der ÖVP Zentrale bildlich vorstellen: es ist die Sozialdemokratie, die die FPÖ in eine Regierung hebt. Eine Bürgerblock-Regierung auf Bundesebene ist nun die logische Konsequenz, die Frage ist allein, wie lange die desorientierte SPÖ sich noch an der Nase herumführen lässt. Solange es geht wird VP-Mitterlehner sie weiter mißbrauchen, programmatische Abstriche oder Tempoverzögerungen beim Sozialabbau werden die Bürgerlichen aber keine mehr dulden.
Alle Prognosen deuten darauf, dass der Budgetfahrplan Richtung dem großkoalitionär vereinbarten Null-Defizit stark im Rückstand ist. Pensionen, Gesundheit, Pflege, Arbeitslosenunterstützung werden von EU, dem Fiskalrat und Finanzminister Schelling selbst ständig als „Ausgabendämpfungsposten“ beschrieben. Den neuesten und radikalsten Vorschlag macht aber die Industriellenvereinigung: Sie fordert das Ende der Rücksichtnahme auf Gewerkschaften, um den Gesetzgebungsprozess zu beschleunigen. Inhaltlich will sie eine gesetzliche Zerschlagung der Kollektivverträge und die Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors wie in Deutschland.
Es schien tagelang, dass nur die Sozialistische Jugend bereit ist, kollektiven Widerstand gegen den erfolgten Dammbruch nach rechts zu leisten. Wir argumentierten in ihren Gremien und öffentlich, dass sie nun zu einer „Konferenz der Linken“ aller sozialdemokratischen Jugendorganisationen aufrufen soll. Auch politische AkteurInnen mit gesellschaftlicher Verankerung (z.B. Offensive gegen Rechts) und kämpferische GewerkschafterInnen (wie etwa aus in Kämpfe verwickelten Sektoren im Sozial- und Gesundheitsbereich), sollten eingeladen werden. Dieser Vorschlag schien uns am geeignetsten, um die soziale Frage in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung zu stellen.
Der Vorsitzende der GPA-djp, Wolfgang Katzian, durchbrach das charakterlose, taktische Sandkastenspiel des sinnentleerten Macherhalts, und stellte die zentrale Frage in den Raum: Wie verteidigen wir den Lebensstandard der Lohnabhängigen? Er betonte, dass Rot-Blau keine akzeptable Option sei und kündigte an, dass die Pläne der Industriellenvereinigung „Arbeitskampf“ bedeuteten. Um die sozialdemokratischen GewerkschafterInnen auf diese Linien festzulegen, berief er einen Bundesvorstand ein.
Diese Festlegungen könnten die Arbeiterbewegung aus der massiven Defensive, in die sie durch ihre Führungen hineinmanövriert wurde, herausbringen – wenn sie konsequent verfolgt werden. Nur durch einen entschlossen geführten Kampf können die sozialen Rechte der Lohnabhängigen verteidigt werden.
Doch dabei gilt es zu beachten: Die Arbeiterbewegung kann in diesem Prozess nicht wie 2003 die Sozialpartnerschaft (Pensionsreform und Eisenbahnerstreik) zurück erkämpfen. In Zeiten der Krise müssen die österreichischen KapitalistInnen bei Strafe ihres Untergangs im internationalen Wettbewerb die Gewerkschaften handzahm halten oder sie zerstören, um ihre Profitbedingungen im internationalen Standortwettbewerb zu verbessern. Der anhaltende Versuch, diesen Widerspruch möglichst geräuschlos aufzulösen, hat die Gewerkschaften und Betriebsräte in den letzten Jahren geschwächt und politisch das Vordringen der Blauen in unsere Klasse erst ermöglicht.
In ganz Europa wird die Situation in den nächsten Monaten immer chaotischer und unruhiger werden, was auch an Österreich nicht spurlos vorübergehen wird. Darauf muss die Arbeiterbewegung vorbereitet sein. Ein Bruch mit der politischen und betrieblichen Geiselhaft in Form von großer Koalition und Sozialpartnerschaft ist nötiger denn je. Und die letzten Tage und Wochen haben eindringlich gezeigt: Diesen Bruch wird die SPÖ-Führungsclique nicht vollziehen. Darüber wollen wir weder lachen noch weinen, sondern wir wollen verstehen. Wir MarxistInnen werden weiterhin geduldig in Wort und Tat das politische und methodische Rüstzeug der Verteidigung unserer Klasse argumentieren und umsetzen.
Wien, 17. Juni 2015
Weitere Themen der neuen Ausgabe:
- Österreich
- Rot-Blau: Was tun?
- Unlängst auf Rathausplätzen
- Vorarlberg: Wir sind Asyl
- Betrieb & Gewerkschaft
- CaREvolution? CaREvolution!
- Neue Wege im Gesundheits- und Sozialbereich!
- Spitäler: Den Zorn organisieren!
- Lehrjahre sind keine Herrenjahre
- Schwerpunkt
- Gegen „Graccident“ und Kompromisslertum
- Sommer-Specials
- Ende des 2. Weltkrieges: Ein Gespräch mit Franz Rauscher
- Lenin wird über die Grenze geschmuggelt
- Buchtipp: Wenn Amerika kommunistisch würde
- Wir über uns
- Das war das Pfingstseminar 2015!
- Auf das Kommende vorbereiten
- International
- Frontex: Europas schmutzige Hände
- Deutschland: Das Ende der Streikfreiheit
- Was wir im ZK der Syriza sagen
- Ukraine: Ein Land am Scheideweg
- Mazedonien: Gemeinsam stärker
- Türkei: Der Thron des Sultans wackelt
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