Podemos hat im letzten Jahr einen fulminanten Start hingelegt. Über 300.000 Menschen sind der neuen Linkspartei schon beigetreten, Zehntausende nehmen an den wöchentlichen Sitzungen der über 1000 Basisgruppen teil. Seit dem Ende der Franco-Diktatur 1977 gab es kein vergleichbares politisches Massenphänomen. Ein (leicht gekürzter) Bericht von Laureano Jimenez in Madrid.
Der Zorn gegen das System aus Ausbeutung, Machtmissbrauch und sozialer Ungerechtigkeit hat sich in der vergangenen Periode in politische Aktivität und verwandelt und findet erstmals einen organisierten Ausdruck in Form einer linken Partei. Dies ist die Folgeerscheinung einer Welle von Massenkämpfen. Doch die sozialen Bewegungen erwiesen sich als unzureichend im Kampf gegen die Folgen der kapitalistischen Krise. Die Idee, dass es eine politische Alternative zum jetzigen Regime braucht, dass man die politische und ökonomische Macht in die Hand nehmen müsse, hat immer mehr an Zustimmung erfahren.
Und ein Ende dieser Krise und somit eine Verbesserung der sozialen Lage ist nicht in Sicht. Die Perspektive bleibt eine ungebremste Fortsetzung der Austeritätspolitik. Dies und die Unzahl an Korruptionsskandalen, die von der Justiz nicht verfolgt werden, liegen der Krise des bürgerlichen Regimes in Spanien zugrunde. Die herrschende Klasse ist sich dessen bewusst und reagiert panisch auf den offensichtlichen Linksruck in der spanischen Gesellschaft. „El Pais“, die wichtigste bürgerliche Zeitung in Spanien, titelte im Oktober 2014 sogar mit der Schlagzeile „Eine Bedrohung für das System“ und forderte endlich ein entschiedenes Vorgehen gegen die Korruption, weil sonst die Glaubwürdigkeit der politischen Institutionen völlig untergraben würde. El Pais äußert darin die Sorge, dass politische Lösungen mehrheitsfähig werden, die nicht nur die heutige Verfassung, sondern die „Demokratie“ selbst in Frage stellen könnten. Hier kommt die Angst der herrschenden Klasse vor revolutionären Erschütterungen offen zum Ausdruck
Ein Problem der herrschenden Klasse ist auch, dass sie keine Arbeiterführer bei der Hand hat, die genügend Autorität haben, um soziale Massenbewegungen in ruhige Kanäle zu führen. Die Führung der PSOE wie auch der großen Gewerkschaftsdachverbände CCOO und UGT sind völlig ins System integriert und selbst in die grassierende Korruption verwickelt. Es ist offensichtlich, dass diese Organisationen viel zu stark in das System integriert sind, um als Brückenpfeiler der Stabilität des Regimes zu fungieren.
Elemente einer vorrevolutionären Situation
Der brutale Angriff auf die Lebensbedingungen der gesamten Bevölkerung und speziell der Arbeiterklasse in Folge der akuten Krise des spanischen Kapitalismus hat das Alltagsleben von Millionen Menschen nachhaltig zerrüttet. Der parasitären Charakter dieses Systems ist offen zutage getreten und dies verdichtet sich zu einer ernsthaften Krise des bürgerlichen Regimes in seiner Gesamtheit.
Wir können heute klassische Elemente einer sich entwickelnden vorrevolutionären Situation ausmachen: die herrschende Klasse und ihre Parteien sind gespalten und werden von Krisen erschüttert; alle Parteien und Institutionen, auf die sich die bürgerliche Herrschaft stützt, sind diskreditiert; wir sehen eine Reihe von Massenkämpfen und einen generellen Linksruck in der Gesellschaft, der nicht nur von der Arbeiterschaft, sondern auch von Teilen der Mittelschicht getragen wird; es gab einen qualitativen Sprung bei der politischen Partizipation der Massen, nicht nur was die Teilnahme an Demonstrationen oder bei Wahlen anlangt, sondern auch in Form einer aktiven Mitarbeit in linken Organisationen.
Wir sehen also frei nach Leo Trotzkis klassischer Definition einer Revolution den “gewaltsamen Einbruch der Massen in das Gebiet der Bestimmung über ihre eigenen Geschicke.“ Es besteht kein Zweifel, dass Spanien an der Schwelle zu einem revolutionären Prozess steht.
Wendepunkt
Der politische Wendepunkt, der den Beginn einer neuen Periode einleitete, waren die EU-Wahlen im Mai 2014. Die beiden Großparteien PP und PSOE erhielten damals zusammen weniger als 50% und waren schwer angeschlagen. Gleichzeitig erhielten die beiden Parteien links von der Sozialdemokratie, die IU (Vereinigte Linke) und Podemos, gemeinsam 18% bzw. fast 3 Millionen Stimmen. Von besonderer Bedeutung war der plötzliche Aufstieg von Podemos, die aus dem Nichts 8% erhielt. Schon wenige Wochen später überholte Podemos die IU in den Umfragen und begann die beiden Großparteien offen herauszufordern.
Das ist der erste signifikante politische Ausdruck der Massenmobilisierungen, die wir in Spanien in den vergangenen vier Jahren gesehen haben (Indignados, „mareas“ oder „Wellen“ gegen Kürzungen im Gesundheits- und Bildungssektor, Bergarbeiterstreiks, Bewegung gegen Zwangsräumungen und gegen Polizeirepression, Generalstreiks 2013/4, Marsch der Würde mit einer Million TeilnehmerInnen, die Bewegung für das Recht auf nationale Selbstbestimmung in Katalonien, die Selbstorganisierung ausgehend von diesen Bewegungen in Netzwerken, die nicht unter der Kontrolle einer Partei stehen). 2012 und 2013 gab es im Durchschnitt täglich 123 Protestaktionen verschiedenster Größe. 25 Prozent der Bevölkerung gab an, sich an Demonstrationen beteiligt zu haben. Ohne diese Massenproteste wäre der Aufstieg von Podemos undenkbar gewesen.
Millionen Menschen nahmen an diesen Protesten teil und gingen so in Opposition zum bürgerlichen Regime. Dies war ein Indikator, dass eine wachsende Schicht von ArbeiterInnen und Jugendlichen eine politische Alternative suchten, um die Gesellschaft zu verändern.
Diese Entwicklung hat die herrschende Klasse politisch in Panik versetzt. Die PSOE leidet an einer offenen Führungskrise, was zum Rücktritt des bisherigen Generalsekretärs führte. König Juan Carlos trat nach mehreren Korruptionsskandalen ab, was im ganzen Land eine spontane Bewegung für die Abschaffung der Monarchie auslöste.
Ein weiteres wichtiges Phänomen war die Bildung von linken Wahlbündnissen (Ganemos – Lasst uns gewinnen!) für die jetzt anstehenden Kommunalwahlen. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Einheitsfront linker Parteien und sozialer Bewegungen. Den Anfang machte die Linke in Barcelona auf Initiative von Ada Colau, der Sprecherin der Bewegung gegen Zwangsräumungen von Wohnungen „PAH“.
Die Bürgerlichen reagierten mit einer hysterischen Medienkampagne gegen Podemos. Die führenden VertreterInnen der Partei wurden beschuldigt mit der baskischen ETA zusammenzuarbeiten und von Venezuela und Kuba finanziert zu werden, damit sie in Spanien eine bolivarisch-castristische Diktatur errichten usw. Doch das hatte keinerlei Effekt und konnte den Aufstieg von Podemos nicht stoppen, was auch zeigt, wie diskreditiert die Repräsentanten und die Ideologie des Systems schon sind.
Da diese Taktik nicht aufging, gibt es mittlerweile bereits Versuche die Führung von Podemos einzubinden, um sie ins System zu integrieren.
Was passierte mit der „Vereinigten Linken“?
Der schnelle Aufstieg von Syriza in Griechenland wurde seit 2012 auch in Spanien mit großem Interesse verfolgt. Anfangs führte dies zu einer wachsenden Unterstützung für die Izquierda Unida (IU, Vereinigte Linke). Hatte sie sich bei den Parlamentswahlen im November 2011 noch mit 7% begnügen müssen, so lag sie ein Jahr später in den Umfragen schon bei 16%.
In dieser Situation hätte sie in eine Rolle wachsen können, wo sie als die Oppositionskraft gegen das Establishment angesehen worden wäre. Mit radikalen Forderungen wäre sie zum Hoffnungsträger für Millionen geworden, die damals schon auf der Straße gegen die Folgen der Krise kämpften.
Die Führung der IU war aber nicht fähig die neue Situation zu begreifen. Ihre Politik wurde von den engstirnigen Interessen ihrer tausenden Gemeinderäte und Politikfunktionäre bestimmt, die teilweise selbst über enge Verbindungen zum Establishment verfügen und diese auch nicht aufzugeben bereit sind. Ein gutes Beispiel ist die IU in Andalusien, die mit der PSOE ein Koalitionsabkommen abgeschlossen hatte und die Sparpolitik der Regionalregierung unterstützte. In Extremadura unterstützte die IU eine Minderheitsregierung der konservativen Volkspartei PP. In Madrid wurde die Partei von einem Korruptionsskandal rund um die krisengeschüttelte Bank „Bankia“ verschlungen.
Infolgedessen sank ab Anfang 2013 die Unterstützung für die IU in den Umfragen ab. Der Hauptgrund war, dass die Partei als Teil des Systems wahrgenommen wurde. Von der IU kamen in dieser Situation auch keine radikalen Forderungen mehr, die in der Bevölkerung Enthusiasmus auslösen hätten können. Dies ist später Podemos gelungen.
Alberto Garzón, ein junger Vertreter der IU, der für eine linkere Politik steht, kritisierte offen diese Entwicklung der eigenen Partei: „Der Rhythmus der Geschichte ist schneller als jener der Organisation. Wenn ich bei den Wahlen kandidiere, dann will ich damit eine Selbstkritik unserer Partei zum Ausdruck bringen und zeigen, dass IU ein nützliches Werkzeug zur Umwälzung der Gesellschaft ist.“ (Publico).
Der linke Flügel in der IU hat bislang aber öffentlich keinen ernsthaften Kampf gegen die eigene Parteispitze geführt. Das erklärt auch, warum die aktivsten Schichten der heutigen Massenbewegungen in der IU keine Alternative erkennen können und daher offen sind für andere Optionen, die ihrem Kampfgeist, ihrem Klassenhass und ihrem Willen, einen echten Wandel herbeizuführen, besser entsprechen. Podemos hat genau diese Option dargestellt.
Der Charakter von Podemos?
Aus dem Entstehen und der Entwicklung von Podemos ergibt sich eine wichtige theoretische Debatte, nämlich zu der Frage, auf welche Art und Weise politische Massenorganisationen entstehen können.
Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass sich die Massen, wenn sie die politische Bühne betreten, tendenziell zuerst an ihre traditionellen Massenorganisationen wenden. Doch wir dürfen dies nicht als Dogma verstehen, das unter allen Bedingungen und in jedem Land gültig ist
Historisch gesehen waren die traditionellen Massenorganisationen – die sozialistischen und kommunistischen Parteien, die Gewerkschaften – immer ein Ausdruck der Bewegung der Arbeiterklasse. In Phasen gesteigerten Klassenkampfes belebte sich auch das interne Leben dieser Organisationen, in Zeiten relativer sozialer Stabilität fielen sie meist in politische Apathie. Doch auf die eine oder andere Art und Weise behielten diese Organisationen ihre Verankerung und ihre direkte Verbindung zu den Massen, was auch dazu führte, dass sie in Momenten gesellschaftlicher Polarisierung und vor allem in revolutionären Prozessen von einer internen Differenzierung erfasst wurden, was in der Regel zum Entstehen linker Strömungen geführt hat, die den Druck der Arbeiterklasse widerspiegelten. Umgekehrt brachten die rechten Strömungen in diesen Organisationen den Druck der herrschenden Klasse zum Ausdruck. In gewissen Situationen ging dies bis zur Spaltung dieser Organisationen. So kam es unter dem Einfluss der Russischen Revolution zu bedeutsamen Massenabspaltungen von der Sozialdemokratie, was zum Entstehen der kommunistischen Parteien führte.
Ähnliche Entwicklungen gab es in den 1930ern und auch in den 1970ern, der letzten revolutionären Welle.
Heute ist es aber so, dass es in den Ländern, in denen der Klassenkampf besonders ausgeprägt ist, nicht zu einer derartigen Entwicklung gekommen ist. Dies gilt es zu erklären. Im Moment der größten ökonomischen und sozialen Erschütterungen in der jüngeren Geschichte Griechenlands und Spaniens wurden die alten sozialistischen Parteien, die über Jahrzehnte die größte (Wahl-)Unterstützung in der Arbeiterschaft genossen, nicht zum politischen Ausdruck der Bewegung der Klasse. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Führungen und Apparate dieser Parteien voll in die Umsetzung der Austeritätspolitik und die Angriffe auf den Lebensstandard der Massen eingebunden waren und sind. In diesen Parteien erhoben sich keine nennenswerten Stimmen des Widerstands gegen diese Politik. Niemand in diesen Parteien vertrat ein sozialistisches Programm, ja nicht einmal ein linksreformistisches Konzept wurde sichtbar. Im Fall der griechischen PASOK führte dies zum weitgehenden Zusammenbruch dieser Partei.
Zumindest in Griechenland und Spanien sind diese Parteien also derart degeneriert und haben ihre Verbindungen zur Arbeiterklasse in einem derartigen Ausmaß verloren bzw. wurden so stark in den Staatsapparat eingebunden, dass sie gar nicht mehr imstande waren, die wirkliche Stimmung in der Arbeiterschaft überhaupt wahrzunehmen. Im Fall von Griechenland ist dieser Prozess beinahe abgeschlossen. In Spanien deutet vieles darauf hin, dass die PSOE einen ähnlichen Weg beschreitet wie die PASOK, auch wenn wir noch nicht vollkommen sicher sein können, wie sich diese Partei in der Zukunft entwickelt.
Es ist kein Zufall, dass sich der verrotte Charakter der Sozialdemokratie gerade an diesem historischen Wendepunkt, am Beginn der europäischen Revolution in den südlichen Ländern des Kontinents vollends offenbart.
Kommen wir zurück zur Frage, wie Podemos entstehen konnte. Podemos ist zweifelsohne ein Ergebnis der extrem turbulenten sozialen und politischen Entwicklung in Spanien in den letzten Jahren. Paradoxerweise kam die Initiative zur Schaffung dieser neuen Partei nicht aus den Massenbewegungen oder von führenden Persönlichkeiten dieser Bewegungen sebst, sondern von einer Gruppe von Universitätsdozenten und MedienaktivistInnen rund um die Person von Pablo Iglesias. Die meisten von ihnen hatten in der Vergangenheit eine Verbindung zur Vereinigten Linken. Ihnen schlossen sich die Organisation „Antikapitalistische Linke“ sowie die AktivistInnen der „Zivilen Front“ von Julio Anguita (dem ehemaligen Sprecher der Vereinigten Linken) an. Das Onlinemagazin Publico, das unter linken AktivistInnen eine große Leserschaft hat, unterstützte das Projekt medial. Unmittelbar nach seiner Gründung wurde Podemos für viele AktivistInnen aus den sozialen Protestbewegungen, die nach der 15M-Bewegung der Indignados (2011) entstanden waren, aber auch für kämpferische BasisaktivistInnen der Gewerkschaften zu dem politischen Referenzpunkt.
Podemos entstand aufgrund des politischen und ideologischen Vakuums in der Arbeiterbewegung und der Linken. Dies ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass die Führung der Vereinigten Linken (IU) nicht genügend politische und moralische Autorität hatte, um diesen Leerraum zu füllen.
Wir sollten hinzufügen, dass es auch unter den sozialen und politischen Bedingungen, wie wir sie beschrieben haben, mehr als nur eine kleine Gruppe mit einem Masterplan und guten Absichten bedurfte, um ein derartiges Echo in der Gesellschaft zu bekommen. Sonst könnte jede Kleingruppe mit der nötigen Entschlossenheit Massenbewegungen aus dem Nichts schaffen. Es braucht also mehr: einen Lautsprecher, eine Plattform, die einen für Millionen Menschen sichtbar macht. Wie so oft ist es der Zufall, der einer historischen Notwendigkeit zum Durchbruch verhilft. Den notwendigen Lautsprecher erhielt die Gruppe durch die starke Medienpräsenz von Pablo Iglesias, der regelmäßig in TV-Runden und Politshows auftrat und dort ein breites Publikum ansprechen konnte. Seine radikalen Ideen wurde so Monat für Monat in die Wohnzimmer von Millionen Menschen übertragen. Und er brachte damit den Zorn und die Empörung, die in der Gesellschaft bereits existierte, zum Ausdruck. Diese Popularität war wichtig um die politische Bewegung im vergangenen Jahr ins Leben zu rufen.
Binnen kurzer Zeit organisierte Podemos dutzende gut besuchte öffentliche Veranstaltungen im ganzen Land, und es entstanden etliche lokale Zirkel, in denen sich tausende Menschen organisierten. In Folge des Wahlerfolges bei den EU-Wahlen im Mai 2014 erlebte die Bewegung dann ein explosionsartiges Wachstum.
Podemos und die nationale Frage
Einer der positivsten Effekte des Aufstiegs von Podemos und seinem Ableger Guanem in Barcelona ist, dass es dieser neuen Kraft gelungen ist, den gefährlichen Prozess der Spaltung der katalanischen und baskischen ArbeiterInnen und ihren Brüdern und Schwestern im Rest von Spanien entlang der nationalen Frage zu durchbrechen. Die Entschlossenheit, mit der die Führung von Podemos das Recht auf nationale Selbstbestimmung verteidigt hat, hat erstmals der Bevölkerung in Katalonien und im Baskenland gezeigt, dass es im Rest von Spanien eine politische Kraft gibt, die ihre demokratischen Rechte respektiert und offen unterstützt.
Dadurch wurden die Spaltungsversuche seitens der politischen Rechten in Spanien wie auch der bürgerlichen Nationalisten in Katalonien und im Baskenland durchkreuzt.
Meinungsumfragen zeigen, dass Podemos auch in diesen Regionen zu einer signifikanten Kraft geworden ist. Podemos hat die PSOE längst überholt und ist die stärkte linke Kraft, die keine nationalistische Linie verfolgt. Laut aktuellen Umfragen würde Podemos bei Parlamentswahlen in Katalonien stärkste Partei werden (nicht aber bei den Wahlen zum Regionalparlament). Im Baskenland würde Podemos zweitstärkste Partei werden, in einigen Provinzen sogar die Nummer 1.
Die Bürgerversammlung und die interne Debatte in Podemos
Im Oktober und November vergangenen Jahres hielt Podemos seinen Gründungskongress, die „Bürgerversammlung“, ab. Der Höhepunkt dieses Prozesses war eine Konferenz am 18.-19. Oktober in Madrid. Das war ein außergewöhnliches Treffen mit rund 8000 TeilnehmerInnen: Jugendliche, Veteranen des Widerstands gegen das Franco-Regime in den 1970ern, ArbeiterInnen, Arbeitslose, Hausfrauen, PensionistInnen. Dort wurden wichtige Resolutionen zur Verteidigung des nationalen Gesundheitssystems und des öffentlichen Bildungssystems aber auch gegen Zwangsdelogierung, gegen Korruption und zur Frage der Staatsverschuldung beschlossen.
Die Debatte war äußerst lebendig, viele SprecherInnen argumentierten für eine echte Demokratie in der Gesellschaft aber auch in der eigenen Organisation. Viele Wortmeldungen nahmen die Banken und generell die kapitalistische Wirtschaftsordnung ins Visier. Mehrfach sprachen sich TeilnehmerInnen für die Vergesellschaftung strategischer Wirtschaftssektoren aus. Wortbeiträge, die sich auf die Arbeiterklasse bezogen, erhielten stehende Ovationen. All das zeigt, dass die Vorstellung von der angeblichen Ideologielosigkeit der Podemos-Mitglieder nicht der Realität entspricht.
Trotzdem müssen wir sagen, dass Podemos kein sozialistisches Programm vertritt. Es zielt nicht auf die Enteignung des Großkapitals unter Arbeiterkontrolle ab. Darin sehen wir aber den einzigen Weg, die Reformen, die das Programm beinhaltet, in der Praxis umzusetzen.
Podemos sollte sich eine interne Struktur geben, die eine größtmögliche Kontrolle der Führung durch die Basis garantieren kann. Niemand kann abstreiten, dass die Kongressperiode sehr demokratisch verlaufen ist, doch wir sollten uns die organisatorische Methode, nach der die Bürgerversammlung abgehalten wurde, genauer anschauen und ob dies der beste Weg ist die Mitgliedschaft in den Entscheidungsprozess einzubinden. Aus unserer Sicht hat das vorgeschlagene Prozedere einige Schwachstellen, die bei einer anderen Methode vermieden werden könnten.
So gab es zum Beispiel keine lokalen und regionalen Versammlungen vor der Bürgerversammlung, wo Delegierte gewählt hätten werden können. Dies erklärt sich vor allem daraus, dass die Führung von Podemos die Vorurteile gegenüber repräsentativen Formen der Demokratie wiederspiegelt. Diese Haltung ist unter den AktivistInnen, die erst vor kurzem die politische Bühne betreten haben, sehr weit verbreitet. Viele lehnen das Konzept einer Versammlung von gewählten Delegierten ab. Wir hingegen argumentieren, dass dieses Prinzip die effizienteste und demokratischste Form Dinge in Massenorganisation zu diskutieren und zu entscheiden ist.
Konkret hieß das, dass die Mitglieder vor der Aufgabe standen, alle Dokumente und Abänderungsanträge alleine zu lesen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Dazu kam, dass der ganze Vorkonferenzprozess online abgehalten wurde. Es gab keine Debatten in lokalen Versammlungen, wo die einzelnen Mitglieder ihre Argumente austauschen konnten. Dies führte aber dazu, dass nur eine kleine Minderheit, die besonders viel Zeit aufbringen konnte, tatsächlich an den Debatten und Entscheidungsfindungsprozessen im Web teilhaben konnte.
Verschlechtert wurde die Situation weiters dadurch, dass jedes Mitglied für sich selbst die Möglichkeit hatte Abänderungsanträge zu stellen oder ein Alternativdokument vorzulegen, wenn es die Unterstützung von vier weiteren Mitgliedern vorweisen konnte. Dabei mussten die UnterstützerInnen gar nicht die gleiche Meinung vertreten, sondern lediglich der Ansicht sein, dass man einen Antrag zur Diskussion zulassen sollte. Das hat dazu geführt, dass ein Vorschlag, der in einem Zirkel debattiert wurde und die Unterstützung von 30 oder 50 Mitgliedern hatte, gleichberechtigt war mit der Position eines einzigen Mitglieds.
Im Endeffekt gab es dann hunderte von Abänderungsanträgen und Alternativdokumenten, was eine ernsthafte programmatische Debatte praktisch verunmöglichte. Um den Diskussionsprozess zu organisieren, wurde von der provisorischen Parteiführung ein „Technisches Team“ nominiert, das ähnliche Anträge und Dokumente zusammenführen sollte. Dieses Team war jedoch keiner demokratischen Kontrolle unterzogen und legte eine Woche vor der „Bürgerversammlung“ drei zentrale Dokumentgruppen vor (23 politische Programme, 22 zu organisatorischen Fragen und 10 zu den ethischen Prinzipien der Bewegung). Hätte man sich ordentlich vorbereiten wollen, dann hätte man pro Tag 8 Dokumente lesen müssen, was unmöglich war.
Das Abstimmungsprozedere war auch sehr problematisch, da man je zu drei Dokumenten gebündelte Pakete nur en bloc abstimmen konnte, was der Führungsgruppe um Pablo Iglesias einen deutlichen Vorteil verschaffte. Noch dazu stellte Iglesias vor der Abstimmung fest, dass er nur dann als Vorsitzender zur Verfügung stehen würde, wenn seine drei Dokumente angenommen würden.
Als es zur Wahl der Kandidaten für den Generalsekretär und den Bürgerrat, das höchste Gremium der Organisation, das 62 Plätze umfasst, sowie die 10köpfige Kontrollkommission war das Prozedere ähnlich. Es gab 30 Listen und hunderte von Einzelkandidaturen: 72 für die Funktion des Generalsekretärs (10 als Teil einer Liste); 693 KandidatInnen für den Bürgerrat (233 als Teil einer von 21 Listen) und 268 für die Kontrollkommission (93 als Teil einer Liste). Die Mitglieder mussten somit aus einer riesigen Zahl an KandidatInnen auswählen, die meisten waren völlig unbekannt. Im Endeffekt erhielt die von Pablo Iglesias vorgeschlagene Liste die überwältigende Mehrheit.
Wir denken, dass es demokratischer wäre, ein Delegiertensystem zu haben, wobei die Delegierten in den lokalen Zirkeln gewählt werden. Das hätte die gesamte Prozedere viel einfacher gemacht. Dann wäre wahrscheinlich eine überschaubare Zahl an Dokumenten und Listen übergeblieben, die die zentralen politischen Standpunkte innerhalb der Organisation widergespiegelt hätten. Doch bei aller Kritik sollte uns bewusst sein, dass unsere Bewegung noch sehr jung ist. Wir vertrauen darauf, dass auf der Basis weiterer Erfahrungen die Bedingungen geschaffen werden, um diese politischen wie organisatorischen Schwächen überwinden zu können.
Die Notwendigkeit eines ideologischen Klärungsprozesses
Die wichtigsten SprecherInnen von Podemos hatten von Anfang an sehr stark die Bedeutung der revolutionären Bewegungen in Lateinamerika im vergangenen Jahrzehnt betont. Die Erfahrungen der Bolivarischen Revolution in Venezuela, der „Bürgerrevolution“ in Ecuador und ähnliche Prozesse in Bolivien und Argentinien hatten einen wichtigen Einfluss auf die politischen und organisatorischen Konzepte dieser Gruppe.
Die Bezeichnung „Zirkel“ für die Basisstrukturen der Partei wurde ebenso aus Lateinamerika übernommen wie die Idee vom Kampf des „Volkes gegen die Oligarchie“, in dem die Arbeiterklasse keine eigenständige Rolle spielt, sondern neben kleinen Selbständigen Teil der „unterdrückten Nation“ ist, die der vom Imperialismus unterstützten Oligarchie gegenübersteht.
Die führende Gruppe weigert sich daher auch Podemos als linke Bewegung zu bezeichnen – auch wenn sie sich selbst als Individuen der Linken zurechnen würden – und argumentieren, dass es der Widerspruch zwischen „Links“ und „Rechts“ heute nicht mehr sinnvoll ist, wenn man die Mehrheit der Bevölkerung vereinen will, da die Selbstbeschreibung als „Linke“ potentielle UnterstützerInnen mit rechtem Hintergrund abschrecken könnte. Stattdessen reden sie meist von der „Einheit des Volkes“.
Aus unserer Sicht übernehmen diese GenossInnen auf sehr mechanische Art und Weise viele der Ideologien und organisatorischen Formen der lateinamerikanischen Revolution, die ihre Wurzeln in der Geschichte und den Klassenkämpfen dieses Kontinents haben, aber nicht der realen Situation in Europa und speziell in Spanien entsprechen.
Das beginnt damit, dass die Mehrheit der Staaten in Lateinamerika eine Klassenstruktur hat, die weit komplexer ist als jene in Spanien. Diese Gesellschaften sind vom Standpunkt der kapitalistischen Entwicklung nicht so weit entwickelt, ihre Ökonomien basieren Großteils auf dem Export von Rohstoffen im Rahmen einer internationalen Arbeitsteilung, die vom Imperialismus dominiert wird. In den meisten dieser Länder ist die Spaltung der Gesellschaft zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie nicht so vollständig ausgeprägt wie in Europa. In diesen Gesellschaften sehen wir auch soziale und ökonomische Formen, die noch aus der Kolonialzeit stammen und die neben kapitalistischen Verhältnissen existieren. Dazu müssen wir den massiven Zuzug vom Land in die Städte in Betracht ziehen, was zur Herausbildung einer riesigen Unterschicht, einer Art „städtischer Armut“, geführt hat, die am Rand der Großstädte lebt und arbeitslos oder unterbeschäftigt ist.
Das ist die materielle Ursache, warum der „linke“ Nationalismus in Lateinamerika eine relativ fortschrittliche Rolle im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus spielt. Das heißt, dass der Nationalismus eines venezolanischen oder mexikanischen Arbeiters in der Mobilisierung gegen die Plünderung ihrer Länder durch ausländische Konzerne und den lokalen Eliten, die eng miteinander verbunden sind, eine objektiv gegebene Berechtigung hat.
Spanien jedoch ist ein – wenn im Vergleich auch schwächeres – imperialistisches Land. Die Arbeiterklasse stellt fast 80 Prozent der Erwerbsbevölkerung, während die Bauernschaft und das städtische Kleinbürgertum nur eine kleine Minderheit repräsentieren. Spanien hat kaum Rohstoffe oder natürliche Ressourcen, die von ausländischen Multis geplündert werden. Das Klassenbewusstsein ist unter ArbeiterInnen stark entwickelt und vermischt sich nicht mit dem Gefühl Opfer einer imperialistischen Ausbeutung zu sein. Viel stärker ist das Bewusstsein, von den „eigenen“ einheimischen Kapitalisten und Bankern ausgebeutet zu werden.
In Wirklichkeit nährt sich der spanische Nationalismus aus der vergangenen, dekadenten imperialen Vergangenheit aus dem 16.-19. Jahrhundert und der Rolle spanischer Konzerne, die bis heute von der Ausbeutung und Plünderung von Ländern in Lateinamerika und Nordafrika profitieren. Er steht in einer reaktionären Tradition, die auch dazu herhalten muss, der Bevölkerung Kataloniens, des Baskenlands und Galiziens das Recht auf Selbstbestimmung zu verweigern. Weder die Arbeiterklasse noch andere subalterne Schichten der Gesellschaft wurden in der jüngeren Geschichte des Landes jemals unter dem Banner des spanischen Nationalismus für die Sache der sozialen Gerechtigkeit mobilisiert. Das Gegenteil ist der Fall.
Wir sollten aber auch nicht verschweigen, dass der linke Nationalismus in Lateinamerika auch seine Limits hat. Auch in diesen Ländern ist die Arbeiterklasse die einzige Klasse, die die unterdrückte Nation gegen Kapitalismus und Imperialismus anführen kann, wie wir dies auch in Russland 1917 gesehen haben, das damals auch ein rückständiges, vom Imperialismus unterdrücktes Land war. In Venezuela, Ecuador, Bolivien oder Argentinien wird der linke Nationalismus nicht imstande sein das Joch des ausländischen und nationalen Kapitals abzuschütteln, ohne die Banken und Konzerne unter Arbeiterkontrolle zu enteignen.
Wir stimmen auch nicht mit der Idee überein, dass die Charakterisierung einer Bewegung als „links“ ein Hindernis darstellt, wenn man die Mehrheit der Bevölkerung für sich gewinnen will. Die Menschen wählen ihre politische Präferenz nicht aufgrund von Labels, sondern mehr aufgrund des konkreten Inhalts, den eine Organisation in seinem Programm und seiner Tagespolitik vertritt.
Podemos ist so populär geworden, weil es konsequent gegen das Establishment auftritt, weil ihre zentralen Führungsfiguren gegen die Banker, die Superreichen und „die Kaste“ und für Reichensteuern und höhere Sozialausgaben auftreten. All diese Ideen werden von der Bevölkerung mit der „Linken“ identifiziert. „Links“ steht für den Kampf um soziale Gerechtigkeit und gegen alle Formen von Unterdrückung und Diskriminierung. Konsequenterweise sieht die Mehrheit der Podemos-WählerInnen wie auch der Bevölkerung im Allgemeinen Podemos als linke Partei, laut Umfragen wird sie bei 2,4 auf einer Skala von 1 bis 10 eingeordnet. Dabei steht 1 für extreme Linke und 10 für extreme Rechte. Damit wird sie sogar links von der Vereinigten Linken angesiedelt, die auf dieser Skala auf einen Wert von 2,6 kommt. Das heißt, obwohl (oder besser, gerade weil) Podemos als klar linke Partei gesehen wird, gewinnt sie immer mehr an gesellschaftlicher Unterstützung.
Am größten ist die Unterstützung für Podemos unter ArbeiterInnen, wie alle seriösen soziologischen Studien, die in letzter Zeit veröffentlicht wurden, zeigen. Dazu kommt ein nicht irrelevanter Grad an Unterstützung aus dem Kreis der sogenannten Mittelschichten, was als eine Widerspiegelung des Linksrucks auch in diesen Teilen der Gesellschaft zu verstehen ist. Diese Schichten werden weniger von der angeblichen „Gemäßigtheit“ von Podemos als vielmehr von ihrem radikalen Image als einer Kraft, die die untragbare Situation, in der sich die spanische Gesellschaft befindet, an der Wurzel anpacken will, angezogen.
Für uns hat der Begriff „links“ nichts zu tun mit der Verteidigung eines abstrakten „Labels“, sondern ist untrennbar verbunden mit einer ernsthaften, wissenschaftlichen Analyse der Strukturen der Gesellschaft, ihrer Probleme und der Art und Weise, wie wir die Gesellschaft verändern können.
Aus unserer Sicht sind die sozialen und ökonomischen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, das unvermeidliche Produkt einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft und nicht das Ergebnis der Handlungsweisen „schlechter“ Politiker und Manager. Daher würde es auch nicht ausreichen, diese durch „gute“ Politiker und Wirtschaftsfachleute zu ersetzen, denn auch sie müssten unter dem Druck der kapitalistischen Konkurrenz die Ausbeutung der ArbeiterInnen erhöhen und versuchen möglichst wenig Steuern zu zahlen. Die Alternative dazu ist nur der eigene Untergang. Denn das höchste Ziel eines jeden kapitalistischen Unternehmens ist der maximale Profit. Wenn die Bestechung von Politikern oder Richtern ein Mittel sein kann, um die Verwertungsbedingungen des Kapitals zu verbessern oder um neue Märkte zu erobern, dann wird kein Unternehmer zögern. Darin sehen wir kein moralisches Problem, sondern vielmehr ein Aspekt der Durchsetzung der Interessen einer gesellschaftlichen Klasse, die von der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft lebt. Denn der Profit kommt, wie Marx schon vor über 150 Jahren dargelegt hat, aus der Ausbeutung der Arbeitskraft, sprich dem unbezahlten Anteil der Arbeit, die die ArbeiterInnen verrichten.
Der politische Inhalt des Begriffs „links“ hat sich seit seinen Ursprüngen im 19. Jahrhundert als ein Synonym für jene Strömungen entwickelt, die die Gesellschaft von einem Klassenstandpunkt aus betrachten und die, wenn man so will, für die Interessen der „von unten“ gegen jene „von oben“ stehen. Wer sich, wie Teile der Führung von Podemos, nicht mehr als „links“ definieren möchte, wird implizit auch das Konzept des Klassenkampfs aufgeben. Diese Ansätze in Podemos kritisieren wir entschieden. Doch in dieser Frage gilt es mit einem Sinn für Verhältnismäßigkeiten vorzugehen. Aus unserer Sicht ist dies eher ein zweitrangiger Aspekt in den Debatten, die derzeit in Podemos geführt werden, der für die überwältigende Mehrheit der AktivistInnen und WählerInnen der neuen Partei, die sich selbst eindeutig als Linke definieren, wenig Bedeutung hat.
Andere Fragen erscheinen uns in diesem Zusammenhang viel zentraler. Einige GenossInnen von Podemos wollen die „veraltete“ Sprache des Marxismus („Klassenkampf“, „Sozialismus“, „Revolution“) aufgeben, weil sie darin ein Hindernis sehen, wenn es darum geht breitere Schichten in der Gesellschaft für sich zu gewinnen. Die Partei sollte dieser Logik zufolge nicht „zu radikal“ wirken. Aus dieser Überlegung heraus versucht die Parteiführung auch in einigen wichtigen Debatten keinen klaren Standpunkt einzunehmen. Dies gilt für die Frage Republik vs. Monarchie oder die Forderung nach einer Verstaatlichung der großen Konzerne und Banken. Das Argument dabei lautet, dass man den bürgerlichen Medien unnötig Munition in die Hand gibt, wenn man eine zu radikale Sprache verwendet bzw. zu so heiklen Fragen Stellung bezieht. Dies würde es dem politischen Gegner leichter machen, schwankende oder rückständigere Teile der Arbeiterschaft und der Mittelschichten einzuschüchtern. Deshalb zieht es die Führung von Podemos vor eine weniger verfängliche Sprache zu verwenden (z.B. „Volk“, „BürgerInnen“, „Land“, „Ent-Privatisierung“), weil es so angeblich leichter ist, diese Schichten anzusprechen.
Pablo Iglesias betont, dass sie damit dasselbe aussagen wollen, wie die MarxistInnen, und dass er es mit dieser Sprache der reaktionären Presse nur schwerer machen möchte, ihn zu kritisieren.
Dem können wir nur zwei Dinge entgegenhalten. Erstens ist dieses Argument nicht neu. Die Sozialdemokratie hat schon vor Jahrzehnten damit ihre Herangehensweise an das Kleinbürgertum begründet. Was jedoch als ein sprachliches Zugeständnis begann, endete schlussendlich in einem politischen Zugeständnis an das Kapital und im Aufgehen in einem System, dass man einst bekämpfte.
Zweitens kann man nicht an die Aufgabe der Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse schreiten, indem man mit der herrschenden Klasse Verstecken spielt oder versucht klüger als sie im Umgang mit den Massenmedien zu sein. Die herrschende Klasse wird sich so nicht legen lassen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass wir bei jenen, die unter der Ungerechtigkeit dieses Systems leiden, politische Verwirrung stiften und Unsicherheit darüber schaffen, wofür wir eigentlich stehen und kämpfen. Die Arbeiterklasse und die Jugend verdienen es sich, dass man ihnen klar und deutlich sagt, was wir wollen und was wir für die Umwälzung der Gesellschaft als notwendig erachten. Unser erster Ansprechpartner sind dabei die fortgeschrittensten Schichten, die schon heute aktiv in den sozialen Bewegungen, bei Demonstrationen und Streiks sind.
Nur wenn die Mehrheit der Menschen, die unter den herrschenden Verhältnissen leiden, ein klares Verständnis über die Ursachen ihrer Probleme und auch einen möglichen Lösungsweg haben, werden sie alles zu geben bereit sein, was es braucht, um die Gesellschaft umzuwälzen.
MarxistInnen sind nicht per se „radikal“, was uns vielmehr auszeichnet ist ein ausgeprägter Realitätssinn, der aus unserem wissenschaftlichen Verständnis der Gesetzmäßigkeiten, nach denen die Gesellschaft funktioniert, fließt. Das erlaubt es uns die Gesellschaft so zu sehen, wie sie ist, und gibt uns den Schlüssel und das Programm in die Hand, um die Welt zu verändern.
Wir können damit leben, dass es vielleicht länger braucht, eine klare Mehrheit von unseren Vorschlägen zu überzeugen, als von scheinbar „ leichteren“, „weniger schmerzhaften“ Lösungswegen, da diese in der Praxis erst recht in einer Sackgasse enden. Wir sind überzeugt, dass auf der Grundlage von Erfahrungen im Klassenkampf und durch Agitation die Mehrheit der Arbeiterklasse und der anderen unterdrückten Schichten für die Idee einer sozialistischen Transformation der Gesellschaft gewonnen werden. Die Periode, an deren Beginn wir jetzt stehen, ist außerdem dadurch gekennzeichnet, dass die Massen sehr schnell sehr weitreichende Schlussfolgerungen ziehen werden.
Das Programm von Podemos
Wie wir zu Beginn bereits geschrieben haben, ist die herrschende Klasse in einem Zustand der Panik und versucht mit einer hysterischen Propaganda die Bevölkerung einzuschüchtern. Sie warnt pausenlos vor einem ökonomischen Desaster, sollte Podemos an die Macht kommen und ihr Programm umsetzen.
Aber woraus besteht dieses Programm eigentlich? Auch wenn Podemos noch kein endgültiges Programm beschlossen hat, so gibt es doch eine Art „Grundsatzdokument“ und ein Vielzahl von Aussagen führender Repräsentanten der Partei, die eine Linie vorgeben. Im Mittelpunkt dieses Programms stehen die Forderung nach höheren Reichensteuern und der Ruf nach einem harten Vorgehen gegen Steuerhinterziehung, das Nein zur reaktionären Arbeitsmarkt“reform“ der PP, die Senkung des Pensionsantrittsalters auf wieder 65 Jahre, die Senkung der Energiepreise, eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für das Bildungs- und Gesundheitswesen, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie die gerichtliche Verfolgung korrupter Politiker und Manager.
Das alles sind sehr fortschrittliche Maßnahmen, die wir aus vollem Herzen unterstützen, weil dadurch das Los von Millionen Menschen verbessert würde.
Es ist ein schlechter Scherz, wenn die Angstmacher in den bürgerlichen Medien vor einer Wirtschaftskrise warnen, sollte Podemos an die Regierung kommen. Denn was haben wir die letzten fünf Jahre gehabt, wenn nicht eine Wirtschaftskrise?
In Spanien sind rund 5,5 Millionen Lohnabhängige arbeitslos, 750.000 Familien haben kein Einkommen, 300.000 Familien haben im Zuge von Zwangsräumungen ihre Wohnung verloren. 300.000 junge Menschen sahen sich gezwungen, zu emigrieren, wer einen neuen Arbeitsvertrag unterschreibt, bekommt meist nur 600 € monatlich, die Arbeitsverhältnisse sind in der Regel prekär und zeitlich befristet, manchmal nur für wenige Tage oder Wochen. Wenn das nicht schon ein „ökonomisches Desaster“ ist, was dann?
Zehntausende Überstunden bleiben unbezahlt; Pensionen und Löhne sind eingefroren; Spitälern, Schulen und Universitäten fehlt es hinten und vorne an Ressourcen. All das ist schon Desaster. Das ist „unser“ Desaster, an dem wir und unsere Familien täglich leiden.
Stehen die Reichen vor einem Desaster? Haben sie auf ihre Boni verzichtet oder müssen sie ähnliche Opfer bringen, wie die Familien aus der Arbeiterklasse? Alles andere als das. Die Unternehmensgewinne sind laut der Spanischen Nationalbank seit Beginn der Krise um 64% gestiegen. Der Banksektor erwartet für 2015 Profite in der Höhe um 10 Milliarden €, das wäre der höchste Wert seit 2010.
Das Programm, das von Podemos vorgeschlagen wird, kann selbst mit all seiner Begrenztheit nur umgesetzt werden, wenn man die Reichen und das Big Business dazu zwingt, einen Teil ihrer massiven Profite aufzugeben, um damit die dringendsten sozialen Bedürfnisse zu decken. Das ist der Grund für deren Panik und warum sie ständig vor einem „Desaster“ warnen.
Die Kommunal- und Regionalwahlen im Mai
Derzeit kämpfen drei Parteien um den ersten Platz bei den anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen. Die konservative PP, die sozialdemokratische PSOE und Podemos liegen alle drei laut Umfragen bei 22-30%. Es zeichnet sich aber ab, dass die Linke eine deutliche Mehrheit gewinnen wird (sofern wir die PSOE hier mit einrechnen, da sich ja die meisten PSOE-WählerInnen als links verstehen). Auf der anderen Seite wird die PP in diesem Jahr schwere Wahlniederlagen einfahren. Ihre Machtbasis wird auf allen Ebenen, von den Gemeinden bis zum nationalen Parlament, deutlich erodieren.
Podemos hat für die anstehenden Kommunalwahlen gemeinsam mit anderen Kräften Wahlbündnisse mit dem Namen „Ganemos“ geschlossen. In einigen Städten hat jedoch entweder die lokale Führung der IU die Bildung solcher linker Einheitslisten mit bürokratischen Manövern verhindert oder es scheiterte am Sektierertum von opportunistischen Sektoren in den Reihen von Podemos.
Es ist wahrscheinlich, dass Ganemos in den meisten großen Städten, besonders in Madrid, Barcelona, Valencia, Sevilla, Saragossa oder Vigo die PSOE überholen wird. Diese Wahlen werden eine spannende Ausgangslage schaffen, denn Ganemos könnte in vielen Städten die stimmenstärkste Partei werden, aber über keine absolute Mehrheit verfügen. Die PSOE wäre dann in einer schwierigen Situation und müsste sich entscheiden, ob sie lieber mit Ganemos oder mit der PP eine Koalition bilden möchte.
Ein ähnliches Szenario ist für die Regionalwahlen zu erwarten, wo Umfragen linke Mehrheiten in der Region um Madrid, in Valencia, Asturien, Aragon, Extremadura, Murcia u.a. vorhersagen.
Die Führung der PSOE würde dann einem harten Test unterzogen. Monatelang haben sie den Chor der Rechten mitgetragen und Podemos des „Populismus“ beschuldigt. Werden sie nun doch Richtung einer Koalition mit Podemos gehen oder doch lieber eine Regierung der „nationalen Einheit“ mit der PP bilden?
Anhand dieser Frage könnte es durchaus auch zu einer Spaltung der PSOE kommen. Sollte die PSOE mit den Konservativen koalieren, dann würde das auf alle Fälle einen weiteren Einbruch ihrer Wählerbasis befördern, was sie bei den Parlamentswahlen im November teuer bezahlen würde. Das würde wohl zur endgültigen Pasokifizierung der PSOE führen und die Partei in eine schwere Krise stürzen.
Die herrschende Klasse ist jedenfalls besorgt darüber, wie der Regierungsbildungsprozess nach den Wahlen im Herbst sich entwickeln könnte. Aus heutiger Sicht ist nicht einmal gewährleistet, dass die PP und die PSOE gemeinsam genügend Abgeordnete haben werden, um eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Das stellt natürlich für die Bürgerlichen eine ernstzunehmende Gefahr dar.
Ein gutes Abschneiden bei den Kommunal- und Regionalwahlen würde für Podemos zusätzlichen Rückenwind für die Wahlen im Herbst bedeuten. Podemos hat jedenfalls Chancen stimmenstärkste Partei zu werden.
Die Perspektive einer linken Regierung
Unter vorgehaltener Hand wird derzeit die Perspektive einer Regierung der „nationalen Einheit“ vorbereitet. Das ist aber sicher nicht das Wunschszenario der Bürgerlichen. Diese Option wollen sie sich möglichst lange aufsparen. Denkbar wäre auch eine von der PP oder der PSOE geführte Minderheitsregierung, die von anderen Parteien im Parlament unterstützt wird. „El Pais“ propagiert sogar ein Vorziehen des Wahltermins, weil sie befürchtet, dass sich die ehemaligen Großparteien umso mehr diskreditieren, je länger es bis zum Wahltermin geht.
Eine Minderheitsregierung wäre sehr instabil und würde sicher nicht lange im Sattel bleiben. Das wäre nur eine Zwischenstufe hin zur Bildung einer Großen Koalition zwischen PP, PSOE und vielleicht sogar den Rechtspopulisten von der UpyD und Ciudadanos, mit Unterstützung der bürgerlichen Nationalisten aus dem Baskenland und Katalonien.
Eine solche Regierung der nationalen Einheit wäre von Anfang an sehr unpopulär. Ihre Politik wäre eine Fortsetzung der diskreditierten Austeritätskonzepte. Wie lange eine solche Regierung unter den jetzigen Bedingungen halten würde, ist fraglich. Unter den Hammerschlägen sozialen Protests, zunehmender Repression, ökonomischer Stagnation, Korruptionsskandalen usw. wäre es nur eine Frage der Zeit, bis das Land wieder in Neuwahlen gehen müsste.
In solch einer Situation wäre eine Linksregierung unter Führung von Podemos mehr als wahrscheinlich. Mit dem Amtsantritt einer solchen Regierung würde eine Welle der Begeisterung unter ArbeiterInnen und der Jugend losgetreten, gleichzeitig würde diese Regierung auf den unerbittlichen Widerstand des Kapitals stoßen. Vom ersten Tag an würde es zu Kapitalflucht, Betriebsschließungen, Wirtschaftssabotage kommen, um die Linksregierung in die Knie zu zwingen. Auf der anderen Seite würden die Massen ihre Forderungen erheben. Demokratische Forderungen, wie das Recht auf Selbstbestimmung in Katalonien und im Baskenland, die Frage der Abschaffung der Monarchie oder die völlige Trennung von Kirche und Staat würden sofort auf der Tagesordnung stehen.
Podemos würde sehr schnell vor der Entscheidung stehen, ob sie vor dem Druck des Kapitals zurückweicht oder sie in die Offensive geht, die herrschende Klasse enteignet und eine sozialistische Politik umsetzt.
Die Notwendigkeit einer marxistischen Strömung – Podemos für den Sozialismus
Wir halten es für unabdingbar, dass die Bewegung politische und ideologische Klarheit darüber erlangt, was ihre Aufgaben sind. Aus diesem Grund braucht es eine starke marxistische Strömung in Podemos, die nicht auf Posten aus ist, sondern vielmehr dazu beiträgt das nötige Werkzeug bereitzustellen, mit dem der Kampf gegen Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeit geführt werden kann. Die GenossInnen von Lucha de Clases (Klassenkampf) haben zu diesem Zweck gemeinsam mit anderen revolutionären AktivistInnen den Diskussionszirkel „Podemos für den Sozialismus“ gegründet. Mach mit bei uns!
11.2.2015