Die Entwicklung des österreichischen Kapitalismus ist seit zwei Jahrzehnten eng mit der kapitalistischen Restauration in Osteuropa verknüpft. Was einst Anlass zur Euphorie, erweist sich nun als Achillesverse des österreichischen Kapitals. Die aktuelle Krise rund um den Krieg in der Ukraine macht zudem das politische Risiko für die österreichischen Banken unkalkulierbar. Von Emanuel Tomaselli.
War es in den frühen 1990er Jahren zuerst die Industrie, die auf der Suche nach neuen Märkten und Billigstlöhnen in diese Region expandierte, folgten kurz später die österreichischen Banken. Auf vielen nationalen Märkten Osteuropas hat das österreichische Kapital eine dominante Stellung erobert. Insgesamt beträgt das ausständige Kreditvolumen des österreichischen Finanzkapitals in Osteuropa (im Jahr 2011) etwa 300 Mrd. € und entspricht damit in etwa der jährlichen Wirtschaftsleitung Österreichs.
Kapitalexport bedeutet umgekehrt Reichtumsimport. Die Profite aus Osteuropa waren neben der Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften ab Mitte der 1990er Jahre ein zentraler Motor für den Aufstieg und die Expansion des österreichischen Kapitals. Umgekehrt bildete diese Expansion die Grundlage für die soziale Ruhe im Land. Vor der Krise erzielten die im Wiener Börsenindex gelisteten Unternehmen 59% ihres Profits in Osteuropa. Laut IWF sind aktuell über 50% aller Forderungen aller österreichischen Banken in Osteuropa veranlagt, das ist der weltweit höchste Wert an Veranlagungen in unsicheren Peripherie-Märkten (an zweiter Stelle steht Spanien mit 38%, deutsche und Schweizer Banken haben um die 10% ihres Gesamtkreditvolumens in diesen „Schwellenländern“ veranlagt). Dies bedeutet, dass die österreichische Finanzindustrie im internationalen Vergleich am stärksten externen Schocks ausgesetzt ist. Aufgrund des überdimensionierten österreichischen Bankensektors sind die konjunkturelle, budgetäre und damit die politische und soziale Stabilität Österreichs damit organisch mit den sprunghaften bis katastrophalen Entwicklungen Osteuropas verknüpft.
„Noch so ein Sieg und wir sind verloren“
Die schnelle Expansion des Finanzkapitals wurde durch Kapitaltransfers aus Österreich finanziert, da in den „emerging markets“ Osteuropas kein Investitionskapital aufzutreiben war, insbesondere weil durch die niedrigen Löhne kaum Sparguthaben vorhanden sind. Andersrum formuliert: Die hohen Profite, die das österreichische Kapital durch die Politik der Lohnzurückhaltung des ÖGB lukrieren konnte, wurden genutzt, um aggressiv neue Märkte zu erobern.
Doch für MarxistInnen ist es keine Überraschung, dass Zustände sich in ihr Gegenteil verkehren können. Seit Ausbruch der Krise 2008 bluten Österreichs Banken in der Region förmlich aus. 44 Mrd. € (!) haben Österreichs Banken in den vergangenen sechs Jahren in Osteuropa verloren. Die OeNB rechnet vor, dass jedes Jahr durchschnittlich zwei Drittel der Bankengewinne in die Deckung der osteuropäischen Verluste geflossen sind, und dies bei steigender Tendenz: Im Jahr 2013 waren es sogar 80 Prozent. Drei Banken (Hypo, Volksbanken und Kommunalkredit) sind an diesen Klippen bereits zerschellt, ihre Kosten sind in den genannten 44 Mrd. Verlustabschreibungen auch nicht berücksichtigt.
Glaubte man der Bundesregierung, Experten und JournalistInnen war trotz Krise jahrelang alles in Butter. Noch heute schwärmen alpenländische Banker und ihre PolitikerInnen von der Erfolgsgeschichte und gestehen nur „kleine Fehler“ zu. Hinter den Kulissen aber greift die Furcht vor dem Pyrrhus-Sieg, der sich immer klarer als tödliche Falle entpuppt, um sich. Dies dürfte nicht zuletzt deshalb so sein, weil das Freunderlsystem von Banken-Aufsichtsorganen-Politik durch die aktuellen Besuche der europäischen Finanzmarktaufsicht aus Frankfurt in leichte Nervosität versetzt wird. Die Betonung liegt auf leicht, denn selbst die Frankfurter Inspektoren werden angesichts der europäischen Dimension des österreichischen Bankenschlamassels die Alpenrepublik zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Klippen stürzen. Allein die bereits notverstaatlichte Volksbankengruppe (Kostenpunkt für den Steuerzahler, inklusive der Volksbankentochter Kommunalkredit, bisher: 3,75 Mrd. €) wird noch heuer mit zusätzlichen Staatsgeldern von etwa einer Milliarde Euro stabilisiert werden müssen. Die Umverteilung von Steuergeldern hin zu den Banken wird nun beschleunigt fortgesetzt werden.
Doch ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Die Perspektiven für Österreichs Kapitalismus sind düster. Politische und wirtschaftliche Schocks in Osteuropa, die angesichts des Krieges in der Ukraine und den Sanktionen gegenüber Russland in einer neuen Qualität drohen, können die labile wirtschaftliche und soziale Situation in Österreich schlagartig zerstören. Diese Gefahr hat unmittelbare politische Implikationen, wie weiter unten ausgeführt werden wird.
Nachrichten von gestern
Es war der US-Ökonom Paul Krugman, der in einem Kommentar im April 2009 die Republik Österreich aufgrund der riskanten Präsenz der österreichischen Banken in Osteuropa neben Island und Irland zu den europäischen Pleitekandidaten zählte: „Ist Österreich dem Untergang geweiht? Natürlich nicht. Es ist nicht so unverschämt fremdfinanziert wie Island oder selbst Irland. Aber es könnte eine Banksicherheitsleistung benötigen, die ernsthaft die Ressourcen des Landes belastet. Was ich also (…) sagte, dass es vermutlich das am höchsten entwickelte Land mit dem größten Risiko aus der Finanzkrise ist, sollte nicht mal umstritten sein.“ Das war Monate bevor die Krise in Griechenland aufbrach. Vom Nationalbankpräsident Nowotny abwärts wurde abgewunken, ja sogar aggressiv gegen amerikanische Arroganz und Unverständnis gegenüber europäischen Umständen argumentiert. Der Chefanalyst der Raiffeisen, Brezinschek, bezeichnete die Krise in Osteuropa als „reinigendes Gewitter“, das die Wettbewerbsfähigkeit der Region durch sinkende Lohnkosten erhöhen werde. Er stellte konkret folgende Perspektive auf: „Die Rosskur sei notwendig, damit die Region ‚2012, spätestens 2013‘ wieder dort anlangt, wo sie hingehört: bei ihrem Potenzialwachstum von vier bis fünf Prozent, zwei bis drei Prozentpunkte über dem Westeuropas. Dann sollte auch Österreich wieder von seinem Osteuropa-Bonus profitieren.“ (Die Presse 15.4. 2009) Die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) bezifferte gleichzeitig das Gesamtrisiko im Osten im schlechtesten Fall mit 15-30 Mrd. € und sah diese Verluste durch Risikovorsorgen allesamt abgedeckt.
Dieser gesamte Taumel wurde und wird politisch gedeckt und mit Steuergeldern geschmiert. Im Zuge der Hypo-Abwicklung erleben wir nun Bankenrettung Teil III. Zur Erinnerung: Da war die Bankenrettung 2009, Zahlungen und Garantierahmen von 100 Mrd. €, das sogenannte „große Geschäft“ (aufgrund der Zinszahlungen für das staatliche Einlagenkapital in die österreichischen Banken). Als sich erwies, dass dieser Rahmen nicht ausreicht, entwickelte der Finanzminister Pröll – kurz vor seinem Abgang in den Raika-Konzern – eine leidenschaftliche diplomatische Initiative in der es ihm gelang innert Wochen eine von der EU-finanzierte und vom IWF abgewickelte „Osteuropa-Initiative“ zu lancieren. So konnte die Republik den Zusammenbruch der Banken ein zweites Mal abfangen. Wie aus dem Zitat der Raika-Analyse zu sehen ist, hielt man in dieser Zeit an der Perspektive fest, dass im Osten bald schon wieder die Sonne aufgehen würde. Doch damit wurde nur Zeit gekauft.
Die Sachlage
Die wirtschaftliche Problematik in den ehemals stalinistischen Ländern liegt augenscheinlich darin, dass massiv Kredite vergeben wurden, die nun nicht mehr bedient werden können. Das spanische Bankensystem, das gemeinhin als das instabilste gesehen wird, leidet unter Kreditausfallsraten von 9%, in Deutschland liegt diese Rate bei unter 2%. In Osteuropa liegen die Zahlen aktuell bei:
Tschechien: 6%
Polen: 8%
Slowakei: 5%
Russland: 4%
Slowenien: 20%
Ungarn: 14%
Bulgarien: 17%
Rumänien: 22%
Ukraine: 40%
Diese Globalzahlen verschleiern, dass insbesondere österreichische Banken in ihrer Kreditvergabe (hoher Anteil an Fremdwährungskrediten) weitaus aggressiver vorgingen als ihre Konkurrenten, und daher wahrscheinlich unter höheren Ausfallsquoten leiden.
De-Globalisierung
Den Krisenprozess in Südeuropa haben wir in unserer Zeitung intensiv verfolgt. Unsere Analyse, dass durch die Politik der Troika der Rückzug der zentraleuropäischen Banken aus den südlichen EURO-Peripherie-Staaten durch massiven Einsatz von Steuergeldern gedeckt wurde, kann nun durch Globalzahlen empirisch untermauert werden. Raiffeisen analysiert in ihrem „CEE Banking Monitoring Report“ aus dem Mai dieses Jahres: „Das grenzüberschreitende Engagement europäischer Banken in Westeuropa und den USA wurde seit 2007 um 30-40% reduziert. Dies gesagt, scheint es so zu sein, dass der Großteil des Risikoabbaus westeuropäischer Banken durch substantielle Kürzungen in der Intra-EURO-Region und globaler Risiken erzielt wurde, wobei die starken Reduzierungen in den Peripheriestaaten der EURO-Region hervorzuheben sind.“
In Osteuropa bestand die Politik nun aus folgendem Mix, mit dem das Mutterhaus vom wirtschaftlichen Niedergang in Osteuropa geschützt werden sollte: Rückzug aus den verlustträchtigsten Märkten (Kasachstan, Ukraine, Rumänien, Slowenien,…) durch Verkäufe von Tochterbanken; Umschichtung von Investments in sicherere (Tschechien, Polen, Slowakei) oder profitträchtigere Märkte (Russland); Stärkung der Eigenfinanzierung der verbliebenen Tochtergesellschaften durch die Einbringung von lokalen Spareinlagen. Basierend auf optimistischen Perspektiven zukünftigen Wachstums wurde an der Strategie, in dieser Region aktiv zu sein, jedoch generell festgehalten.
Die anhaltenden Aufschwungsprognosen („Die Krise ist vorbei!“, OeNB-Präsident Nowotny im Jänner), die auch hierzulande Lohnabhängigen nur ein zynisches Lächeln aufs Gesicht zaubern, haben sich in Osteuropa als voller Griff ins Klo erwiesen. Kein Land in Europa kann spürbares Wachstum erzeugen, insbesondere der Balkan stellt sich von Slowenien bis Griechenland als einziges wirtschaftliches Jammertal dar, die Ukraine befindet sich aktuell wirtschaftlich und sozial im freien Fall.
„Politisches Risiko“
Zusätzlich ist Österreichs Finanzwirtschaft zunehmend politischen Risiken ausgesetzt. In Slowenien und Bulgarien ist die Lage seit mehr als einem Jahr durch Massenproteste und häufige Regierungskrisen charakterisiert. Besondere Probleme bereitet die nationalistische Politik Orbans in Ungarn, der versucht durch Sonderbesteuerungen von ausländischen Konzernen und Zwangsumwandlungen von Fremdwährungskrediten in Forint-Kredite einen Teil der drückenden Krisenlasten spezifisch auf das ausländische Kapital abzuwälzen. Dies hinterlässt deutliche Spuren in den Bilanzen der österreichischen Banken.
Der Konflikt zwischen der EU und Russland sowie die chaotische Situation in der Ukraine lassen diese Probleme jedoch vergessen machen. Diese Krise rund um die Ukraine hat für sich alleingenommen genug Potential, um die Spitzeninstitute der Republik über die Klippen zu stoßen.
62% des Profits der RBI (die zentraler Bestandteil des RZB-Konzerns ist und die hier Tochtergesellschaften bündelt) wurden im abgelaufenen Jahr von der russischen Tochterbank erwirtschaftet. Die Bank Austria hat von einer Eigenmittelbasis (das ist Eigenkapital plus nachrangiges Kapital, also die zentrale Kennzahl anhand der die Stabilität einer Bank bemessen wird, Anm.) von 16,9 Mrd. € ganze 4,5 Mrd. € in der Ukraine und in Russland investiert. Die finanzielle Basis des Raika-Konzerns ist sogar in noch höherem Ausmaß den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in diesen zwei Staaten ausgesetzt: Die RBI hat von insgesamt 12,8 Mrd. € Eigenmittel 3,9 Mrd. (also 30 Prozent) in der ukrainischen bzw. russischen Tochterbank gebunkert. Damit ist das Schicksal dieser Spitzeninstitute mehrfach – nicht nur von der wirtschaftlichen Entwicklung in diesen Ländern – sondern auch von den politischen Entscheidungen Putins, der Junta in Kiew sowie den EU-Sanktionen abhängig. Dies dürfte wohl zu Genüge erklären, warum sich Bundeskanzler Faymann gegen eine Verschärfung der Russland-Sanktionen stark macht. Während eifrig zum Konsum heimischer Äpfel aufgerufen wird, liegt der große faule Apfel aber weiter im Körbchen: Sanktionen gegen Russland, insbesondere die anvisierte Abkoppelung des russischen Finanzmarktes werden schnell auf die Bilanzen von Raiffeisenbank und Uni-Credit zurückschlagen. Und damit nicht genug: Kommt der russische Staat in Finanzierungsschwierigkeiten, liegt der Gedanke nahe, dass sich der Kreml an ausländischem Kapital schadlos halten könnte. Die Palette an möglichen Maßnahmen reicht da von informeller Kontrolle und freiwilliger Russifizierung österreichischen Kapitals bis hin zur kalten Enteignung. Ähnliche politische Risiken schlummern in der Ukraine. Die dortige – in sich gespaltene –Oligarchie steckt militärisch, ökonomisch und politisch in der Sackgasse und ist gesellschaftlich immer mehr isoliert, was eine Reaktion auf die Politik der Regierung und den Krieg darstellt. Der Griff auf ausländisches Kapital ist da – trotz des westlich-imperialistischen Charakters der Regierung – aus purer Not heraus alles andere als ausgeschlossen.
Nationaler Schulterschluss unterm Giebelkreuz
In den kommenden zwei Jahrzehnten werden wir durch immer neue Schocknachrichten aus der Hypo-Abbaugesellschaft konfrontiert werden. Während uns vollmundig versprochen wurde, dass sich die zusätzlichen Kosten höchstens auf 4 Mrd. € belaufen werden, wurde im Zuge des Hypo-Gesetzes der Kostenrahmen für das Versenken von Steuergeldern in Pleite-Banken von 15 auf 22 Mrd. erhöht. Damit hat die Republik Österreich einen neuen Budgetposten erhalten, der uns jedenfalls für 20 Jahre erhalten bleiben wird.
Eine interessante Parallele ist, dass Pröll unmittelbar nach der „Osteuropa-Rettung“ aus der Politik geflohen ist, und sein Nachfolger Spindelegger ging unmittelbar nach der Hypo-Rettung denselben Weg. Nach der Regierung Raika und der Regierung Hypo wurde am 1. September die Regierung Volksbanken angelobt. Da trifft es sich besonders gut, dass der neue Finanzminister Aufsichtsratschef der teilverstaatlichten Pleitebank ist und intime Kenntnisse seines eigenen Bank-Hauses mitbringt. Die Fusion Staatsapparat-Banken-Regierung tritt nun auch in Personalunion auf. Die Form der Volksbanken-Abwicklung ist auch wiederum für die Herrn in der Raiffeisen von zentraler Wichtigkeit, da die Volksbanken, genauso wie die Raika, rechtlich in Form von Genossenschaften aufgebaut sind. Ein potentieller Schadensfall der Raika wird also durch die in den kommenden Wochen stattfindenden Steuermitteltransfers in die Pleite-Volksbanken vorjudiziert.
Und welche Rolle fällt dabei der österreichischen Arbeiterbewegung zu? Sie soll Teil des nationalen Schulterschlusses zur Rettung des Finanzkapitals sein, bis die SPÖ kaputt ist und ausgespuckt werden kann. Wie schmerzhaft dieser Prozess und wie tief der Fall der organisierten Arbeiterbewegung wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es Sektoren aus der Gewerkschaft, der Partei und den Jugendorganisationen gibt, die sich zu einer fundamentalen Opposition gegen die Politik des nationalen Schulterschlusses durchringen können. Die Forderung nach einem sofortigen Ende der Großen Koalition ist objektiv notwendig, um sich aus der Umklammerung des Bürgertums und seiner bürgerlichen Helfershelfer in den eigenen Reihen zu befreien.