Anfang Mai findet der Verbandstag der Sozialistischen Jugend Österreich (SJÖ) statt. Im 120. Jahr ihres Bestehens kandidieren erstmals zwei Genossinnen für den Verbandsvorsitz. Beide betonen, dass die SJ einen Demokratisierungs- und Politisierungsschub braucht. Ein Diskussionsbeitrag der Funke-Strömung.
Vorneweg sei gesagt, dass es äußerst positiv ist, dass sich beide Kandidatinnen so um Transparenz bemühen, die politische Auseinandersetzung offen führen und alle Mitglieder der SJ auffordern, sich in diese Diskussion einzubringen. Fiona Kaiser hat ein ausführliches „Programm für die Kandidatur“ veröffentlicht, Julia Herr hat einen Blog gestartet, wo sie zu für die SJ zentralen Fragen Stellung bezieht. Endlich wird nicht mehr rein hinter den Kulissen der Spitzen der Landesorganisationen alles ausgemacht, sondern vor der gesamten Organisation debattiert.
Beide Kandidatinnen lassen in ihrer öffentlichen Präsentation anklingen, dass es einen grundlegenden Kurswechsel braucht. Der Ruf nach mehr Demokratie, nach einer Repolitisierung der SJ-Strukturen und nach einer Neupositionierung der SJ in sozialen Bewegungen und gegenüber der SPÖ beinhaltet zwischen den Zeilen sehr viel Kritik über den Kurs, den der bisherige Verbandsvorsitzende Wolfgang Moitzi verfolgt hat. Wir fühlen uns durch diese Aussagen in unserer Kritik an der Politik der Verbandsführung der letzten Jahre bestätigt.
Die SJ hat sich in den letzten Jahren immer mehr zu einer braven Parteijugend entwickelt und ist nicht viel mehr als ein linkes Feigenblatt der Sozialdemokratie. Kritik an der Politik der Parteispitze wird nur dort geäußert, wo es niemandem weh tut. Die Themen, die der Verband besetzte, waren meist zahnlos. Kampagnen wurden der Organisation von oben übergestülpt und kaum von den Basisstrukturen mitgetragen. Wir kritisierten auch die aus unserer Sicht völlig falsche Prioritätensetzung durch den Verband. Wichtige Aufgaben im Organisationsleben (v.a. die politische Schulung) wurden sträflich vernachlässigt. In der Frage der Krise erhob man ein offen reformistisches Programm (Tax the rich, Regulierung der Finanzmärkte). Damit wurde die SJ zu einem politischen Anhängsel der SPÖ reduziert.
Dies wurde ganz besonders in der Steiermark augenscheinlich, wo der Max Lercher, der ehemalige Vorsitzende der SJ Steiermark, als Landtagsabgeordneter der bürgerlichen Kürzungspolitik zustimmte.
Dieser Kurs hat die SJÖ in eine kritische Position gebracht. Und es muss die Frage erlaubt sein, warum die beiden Kandidatinnen, die beide wichtige Funktionen auf Verbandsebene bekleidet haben, erst jetzt knapp vor dem Verbandstag damit beginnen, diese Linie in Frage zu stellen. Der Verbandstag sollte auch genutzt werden, eine selbstkritische Bilanz der Arbeit der letzten Jahre zu ziehen.
Demokratie
Beide Kandidatinnen sagen, dass die SJ selbstkritisch feststellen muss, dass sie in Sachen innerorganisatorischer Demokratie noch viele Aufgaben zu erledigen hat. Die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, sind allesamt zu unterstützen: Wahl der SJ-VertreterInnen in internationalen Gremien, Urabstimmungen, Gruppenkonferenzen oder Strategiekongresse zur Entscheidung über Kampagnen usw. Julia hat sogar unsere langjährige Forderung, dass bei Konferenzen vor der Wahl die Leitanträge diskutiert werden sollten, aufgegriffen. Den Aufruf „Durchfluten wir auch die SJ mit mehr Demokratie und stellen wir die Strukturen vor Ort in den Mittelpunkt unserer Arbeit!“ können wir nur voll und ganz unterstützen.
Die SJ umfasst viele unterschiedliche politische Ansätze bis hin zu organisierten Strömungen. Die Geschichte der Organisation war immer geprägt von internen politischen Auseinandersetzungen um politische und methodische Fragen. Mit der Etablierung der linken SJ nach dem Jahr 2000 gelang es die verschiedenen Strömungen, die sich zu einer marxistischen SJ bekannten, trotz aller Differenzen zusammen in den Dienst des Aufbaus der Verbandsorganisation zu stellen. Dieser Anspruch ging spätestens mit der Ära Moitzi zu Ende. Die Angriffe auf die Funke-Strömung (2006-8) und die Marxist*in (2010) waren in Wirklichkeit Pyrrhussiege für die Mehrheitsströmung und wirkten sich auf die politische Entwicklung der SJ alles andere als positiv aus. Zu dieser Frage schrieben wir 2012: „Der Wettstreit der Ideen zwischen den verschiedenen Strömungen und politischen Ansätzen in der SJ und allgemein in den Organisationen der Arbeiterbewegung ist der beste Garant, um diese Organisationen in eine solche Richtung zu entwickeln. Demokratie hat dabei für diese Organisationen dieselbe Funktion wie Sauerstoff für das menschliche Leben. Das Recht sich in Strömungen zu organisieren und in organisierter Form an den Debatten dieser Organisationen teilzuhaben, ist historisch betrachtet eine wichtige Voraussetzung, um die Organisationen der Arbeiterbewegung lebendig zu halten. Politische Konflikte müssen politisch gelöst werden, durch theoretische Diskussionen und in der Praxis. Bürokratische Mechanismen können politische Meinungsverschiedenheiten nicht lösen, sondern werden die Organisation nur zerstören.“
Julia schreibt in ihrem Blog: „Keine Angst vor inhaltlichen Differenzen, denn wenn wir nach außen hin sagen ‚wir sind eine pluralistische Organisation’ sollten wir dies auch nach innen leben!“ Dieser Feststellung können wir uns voll und ganz anschließen.
Damit die Organisation demokratisch funktionieren kann, braucht es vor allem eine politisch geschulte Mitgliedschaft. Das Ausmaß an Demokratie hängt auch vom politischen Niveau einer Organisation ab. Bildungsarbeit ist also allein schon aus demokratiepolitischer Sicht unumgänglich. Dass Fiona in ihrem Papier wieder verstärkt marxistische Grundschulungen anbieten will, begrüßen wir. Das kann aber nur der Anfang sein. Die politische Schulung kann nicht nur Sache von 2-3 Seminaren im Jahr sein, sondern ist ein Ganzjahresauftrag. Wir leben in einer sich sehr schnell verändernden Welt. Der Marxismus ist das beste Instrument diese Welt zu verstehen, was wiederum die Grundlage ist, sie zu verändern. Aber Marxismus ist weit mehr als ein Einführungsworkshop in die Politische Ökonomie und die Grundgesetze des Dialektischen Materialismus. Politische Debatte auf der Grundlage der marxistischen Klassiker und des SJ-Grundsatzprogramms muss daher in den SJ-Gruppen und allen Strukturen der SJ zum Alltag werden.
Dass gezielt GenossInnen davon ausgeschlossen sind, bei Seminaren Referate zu halten, Artikel in den Publikationen der SJ zu schreiben, nur weil sie z.B. Teil der Funke-Strömung sind oder vielleicht in der falschen Landesorganisation oder Bezirksgruppe aktiv sind, muss endlich der Vergangenheit angehören. Wie am Beginn der linken SJ nach 2000 ist es höchst an der Zeit die gesamten Fähigkeiten, die es in unserer Organisation gibt, in den Dienst der Sache zu stellen.
SJ und SPÖ
Doch was führte eigentlich zur Einschränkung der innerorganisatorischen Demokratie? Die SPÖ sah ab 2006 mit Wiedereintritt in die Regierung zur Aufrechterhaltung des Koalitionsfriedens die Notwendigkeit, die gesamte Sozialdemokratie unter Kontrolle zu bringen. Die damaligen Proteste der SJ gegen die Umfallerpolitik der Parteispitze und gegen die Unterordnung der ArbeiterInnenbewegung unter die Bedürfnisse des Kapitals konnten nicht länger geduldet werden. Die SJ-Spitze musste sich damals entscheiden und sie entschied sich gegen die bis dahin gültige Praxis von Strömungsfreiheit und Einheit aller marxistisch orientierten Kräfte. Wolfgang Moitzi war damals der richtige Mann zur richtigen Zeit. Er verkörperte genau den Funktionärstypus, mit dem die SJ auch für die SPÖ kompatibel werden konnte. In Zeiten der Großen Koalition und der kapitalistischen Krise musste eine SJ, die ihre Opposition zur Parteispitze nur noch sehr abgeschwächt vorbrachte, einen Aderlass erleiden.
Die jetzt beklagte Entpolitisierung oder die Weigerung, sich in Fragen politisch zu positionieren, wo man fundamental gegen die Parteilinie Stellung beziehen hätte müssen (siehe die Bundesheerdebatte), sind das Ergebnis der (aufgezwungenen oder selbstgewählten) Unterordnung der SJ unter die Vorgaben der Parteispitze. Die Stellung der SJ zur SPÖ ist daher in der Tat eine von grundsätzlicher Bedeutung. Auch hier schlagen beide Kandidatinnen einen sehr kritischen Kurs ein. Julia schreibt: „Wir müssen es daher schaffen, durch die Vernetzung dieser fortschrittlichen Kräfte in einem linken Parteiflügel für Diskussionen in der Partei zu sorgen (als Positivbeispiel: Vermögenssteuern) und Bruchlinien zu erzeugen.“ Fiona schreibt „SPÖ-Linke mit aufbauen“. Sie geht sogar weit, dass sie die Perspektive in den Raum stellt, dass „sich die Sozialdemokratie zu einer für uns nicht unterstützenswerten Bewegung entwickeln kann, so etwa die PASOK in Griechenland“.
Wolfgang Moitzi hat sehr wohl versucht in der SPÖ eine kritische Stimme zu sein, aber er hat es aus unserer Sicht mit der falschen Perspektive gemacht. Die Orientierung auf eine innerparteiliche Initiative für eine Urabstimmung über den Koalitionsvertrag (ohne aufzuzeigen, worin der soziale Inhalt der „neuen“ Großen Koalition liegt) oder auf die kommende Parteiprogrammdebatte halten wir für völlig falsch. Aus unserer Sicht braucht es reale gesellschaftliche Kämpfe, bedeutende soziale Bewegungen und Arbeitskämpfe, um die SPÖ zu verändern. Eine Regeneration der SPÖ aus sich selbst heraus rund um Debatten der innerparteilichen Demokratie ist angesichts der Entwicklung in der Vergangenheit nicht mehr möglich.
Die SJ hat unter diesen Vorzeichen vor allem die Aufgabe, eine konsequente Opposition gegen die Politik der Regierung (inkl. der SPÖ-Spitze) darzustellen und Jugendliche im Kampf gegen die Zerstörung unserer Lebensperspektiven zugunsten von Profitinteressen zu organisieren.
(Selbst-)Finanzierung
Mit der Frage der Beziehung zur SPÖ eng verbunden ist die Frage der Finanzierung der SJ. Fiona bringt das Problem in ihrem Programm klar auf den Punkt. Die finanzielle Abhängigkeit von der Sozialdemokratie erklärt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil die Organisationsentwicklung der letzten Jahre. Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht. Um an zusätzliche Finanzmittel zu kommen, macht man Wahlkämpfe und eigene Jugendkulturinitiativen, die die realen Kräfte, welche die Organisation zur Verfügung hat, bei weitem überschreiten. Diese Form der Aktivitäten ging in der Vergangenheit zwangsläufig auf Kosten der Bildungsarbeit und der politischen Debatte und Aktion. Wir lehnen weder Wahlkämpfe noch derartige Jugendkulturinitiativen per se ab. Sie können wichtige Instrumente im Aufbau der SJ sein. Begründet werden sie oft mit dem Anspruch eine Massenorganisation sein zu wollen. Wir müssen aber der Realität ins Auge sehen. Wir sind weit davon entfernt eine wirkliche Massenorganisation zu sein. Unsere Strukturen sind sehr schwach, relativ wenige GenossInnen tragen die Organisation. Mit solchen Aktionsformen boxen wir in Wirklichkeit ständig über Gewicht. Die Folge ist, dass die von beiden Kandidatinnen gewünschte stärkere Einbindung der Strukturen und Mitglieder zwangsläufig auf der Strecke bleiben muss. Ja, es besteht sogar die Gefahr, dass die Organisation in einen Teufelskreis gerät, wo bestimmte Aktivitäten vor allem gesetzt werden, um an Finanzmittel ranzukommen, mit dem Hintergedanken so den eigenen Apparat zu stärken, um dann umso leichter Strukturen aufbauen zu können. Letztlich geht die eigentliche Bestimmung der SJ als politisches Sprachrohr und Kampfinstrument der lernenden und arbeitenden Jugend dadurch aber völlig verloren.
Zum jetzigen Zeitpunkt hat sich nur Fiona zu diesem Problem geäußert. Sie sieht in der Drittmittelfinanzierung (staatliche Fördertöpfe, EU-Gelder) einen Ausweg. Wirkliche politische Unabhängigkeit setzt aber voraus, dass wir unsere politische Arbeit weitgehend durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, Verkauf unseres politischen Materials oder kulturelle Veranstaltungen selbst finanzieren. Dieses Element müssen wir in Zukunft massiv stärken.
„Mut zur Positionierung“
In ihrem Programm ruft Fiona dazu, für und mit unseren Zielgruppen zu arbeiten, mit dem Ziel unserem Anspruch einer Massenorganisation gerecht zu werden. Diese Aussage können wir voll und ganz unterstützen. Vor allem die Hinwendung zur ArbeiterInnenjugend in Betrieb und Schule (unabhängig von Geschlecht und nationaler Herkunft) sollte oberste Priorität für uns haben. Hier hat die SJ noch großen Aufholbedarf. In den wichtigsten Arbeitskämpfen der letzten Jahre war die SJ mit Ausnahme von Solibotschaften nicht präsent, eine regelmäßige, von der Organisation angeleitete Betriebsarbeit gibt es nicht. Und die größten SchülerInnenproteste seit fünf Jahren hat man ebenfalls ignoriert. Die AKS, die sich im Laufe der Proteste an die Spitze der Bewegung gesetzt hatte, nutzte diese Position nicht für eine Verbreiterung und Entwicklung der Bewegung und wirkte durch ihre Perspektivlosigkeit letztendlich sogar als Bremsklotz.
Es sind diese Situationen, wo die SJ (und die AKS) in der Praxis zeigen müssen, ob sie wirkliche Massenorganisationen sein können. Wir sind überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren noch sehr oft einem solchen Praxistest unterzogen werden. Darauf gilt es die Organisation politisch vorzubereiten.
Fionas Appell, als SJ „Mut zur Positionierung“ zu beweisen, sowie Julias inhaltliche Vorstöße z.B. in der Frage „Hypo Pleite gehen lassen“ usw. sind vollkommen richtig. Wir feiern heuer das 120jährige Bestehen der sozialistischen Jugendbewegung. Wir blicken auf eine Geschichte des aktiven Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Krieg und Faschismus zurück. Junge SozialistInnen standen immer an der Spitze von Kämpfen um soziale und demokratische Reformen und für den Sozialismus. Dieses Erbe gilt es heute wieder mit Leben zu füllen. Der Charakter der kapitalistischen Krise macht das zu einer absoluten Notwendigkeit.
Wir sind optimistisch, dass die jetzige Debatte über die Zukunft der SJ es möglich macht, am Verbandstag die Weichen richtig zu stellen. Die Funke-Strömung wird alle Bemühungen, die Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu überwinden und die SJ wieder zu einer klassenkämpferischen, demokratischen Organisation der arbeitenden und lernenden Jugend zu machen, mit voller Energie unterstützen. Bis zum Verbandstag haben wir noch rund zwei Monate Zeit, die dafür notwendigen politischen Debatten zu führen. Wir hoffen, dieser Wettstreit der Ideen wird auf eine solidarische Art und Weise geführt, und es kann wieder eine Kultur im Umgang zwischen den unterschiedlichen Strömungen geschaffen werden, wie sie am Beginn der linken SJ nach dem Jahr 2000 schon bestanden hat. Wir sind überzeugt, dass dies gemeinsam mit dem Willen, die anstehenden politischen und organisatorischen Baustellen anzugehen, die Bedingungen schaffen wird, um eine starke, marxistische Sozialistische Jugend aufzubauen.
Unsere Strömung wird sich an den kommenden Debatten solidarisch beteiligen und sich genau anschauen, wie sich die beiden Kandidatinnen inhaltlich und in der Praxis positionieren und ob sie sich für die Einhaltung grundlegender demokratischer Rechte einsetzen werden (wobei der Fall Michael P. dabei eine Nagelprobe darstellen wird). Davon werden wir abhängig machen, für welche der beiden Genossinnen wir letztendlich Partei ergreifen.