Die Geschichte der Verstaatlichten

 

"Mehr privat - weniger Staat" - dieser Slogan gehört zu den Standardsprücherln jedes bürgerlichen Politikers, egal ob von ÖVP, FPÖ oder dem LiF. Die schwarz-blaue Regierung plant nun auch die totale Privatisierung dessen, was in Österreich einmal als "Verstaatlichte" bekannt war. Ihr Argument: Der Staat sei ein schlechter Unternehmer und erwirtschafte nur einen Berg an Schulden. Ein Blick in die Geschichte soll die wahren Hintergründe für die Krise der Verstaatlichten zeigen.

Die Existenz eines riesigen verstaatlichten Sektors war ein prägender Faktor, ein Stützpfeiler für das politische System der Zweiten Republik.

Die Anfänge der Verstaatlichten

Daß nach 1945 überhaupt Schlüsselbereiche der österreichischen Wirtschaft verstaatlicht wurden, hing stark mit der ökonomischen Situation nach Kriegsende zusammen. Im Dienste der Kriegsproduktion kam es unter den Nazis zu einer weitreichenden Modernisierung der Industrie, was in der Gründung der "Eisenwerke Oberdonau" in Linz, dem späteren VOEST-Werk (wo übrigens unzählige ZwangsarbeiterInnen zur Sklavenarbeit eingesetzt wurden), seinen anschaulichsten Beweis fand. Mit der Befreiung vom Faschismus verschwanden die Nazis zuerst mal von der Bildoberfläche, was dazu führte, daß weite Teile der Wirtschaft plötzlich ohne Eigentümer und Direktor dastanden.

Österreichisches Privatkapital war in diesen Tagen zum Wiederaufbau der Großbetriebe in der Schwer- und Grundstoffindustrie nur unzureichend vorhanden. Somit stellte sich sehr rasch die Frage, was mit dem sogenannten "Deutschen Eigentum" passieren sollte. Die Sowjetunion bekundete ganz offen, daß sie auf diese Betriebe und Vermögenswerte Anspruch erhebt. Die Führung des neuen österreichischen Staates sah unter diesen Bedingungen in der Verstaatlichung des "Deutschen Eigentums" den einzigen Weg, mit dem man den sowjetischen Forderungen entkommen konnte. Die USA und die westlichen Alliierten hatten dagegen nichts einzuwenden, da sie mittels Niederlassungen und diversen Produktionsaufträgen ihre eigenen ökonomischen Interessen bereits abgesichert.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Haltung der ÖVP zur Verstaatlichungsdebatte in den ersten Nachkriegsjahren. In der Frage des "Deutschen Eigentums" sahen die Bürgerlichen auch eine nette Begleiterscheinung: Um sich diese Teile der Wirtschaft unter den Nagel reißen zu können, mußte man Österreich natürlich als "Opfer der Nazis" präsentieren, womit lästige Diskussionen über die aktive Rolle von ÖsterreicherInnen im NS-Regime tunlichst unter den Tisch gekehrt werden konnten. Dies hätte ja den Wiederaufbau behindert.

Druck aus den Betrieben

Gänzlich anders motiviert waren die Forderungen nach Verstaatlichungen, die in den Reihen der Arbeiterbewegung laut wurden. Vor allem in den steirischen Industriebetrieben entstand 1945 eine massive Bewegung, deren Ziel es war, die Schlüsselbereiche der Wirtschaft in öffentliches Eigentum zu überführen. In unzähligen Betrieben waren es die ArbeiterInnen selbst, welche aus Eigeninitiative und unter schwierigsten Bedingungen (unbezahlte Überstunden, Sonderschichten), ohne ausreichende Ernährung, mit den Wiederaufbau- und Instandsetzungsarbeiten begannen. Ohne die ehemaligen Unternehmensleitungen, die fast zur Gänze die Faschisten unterstützt hatten, begannen sie wieder mit der Produktion. Ihr Tenor: "Die obersteirischen Arbeiter wollen für alle Zeiten davor bewahrt bleiben, für das skrupellose Profitinteresse anonymer Spekulanten schuften zu müssen."

Geprägt durch die schmerzhaften Erfahrungen mit dem Faschismus stellten viele ArbeiterInnen die kapitalistische Logik überhaupt in Frage. So war es auch nicht überraschend, daß die Forderung nach Verstaatlichungen mit jener nach Wirtschaftsplanung und Betriebsdemokratie verbunden wurde. Mit Betriebsrätekonferenzen, Versammlungen und auch Streiks machten die ArbeiterInnen Druck.

Während die ÖVP klipp und klar darauf pochte, daß nur dort verstaatlicht werden dürfe, wo es für die Privatwirtschaft unmöglich sei, die Betriebe erfolgsversprechend zu führen, wollte die Arbeiterbewegung auch die Lebensmittel- Auto- und Zementindustrie in öffentlicher Hand sehen. SPÖ und ÖGB waren aber nicht wirklich bereit, ernsthaft für die Ausweitung der Verstaatlichungsgesetze auf diese Bereiche zu kämpfen.

Gegen die Durchsetzung der sehr weitreichenden Forderungen nach planwirtschaftlichen Konzepten der Industriearbeiterschaft bezog aber die ÖVP klar Stellung. Diese stand "unverrückbar auf dem Grundsatz der freien Wirtschaft, der unbeschränkten Entfaltung der privaten Initiative und der Unverletzlichkeit des wohlerworbenen (?) Eigentums". Die Verstaatlichungen waren aus der Sicht der Konservativen nur "vorübergehende Maßnahmen", die "zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgebaut würden". Staatliche Interventionen sah man lediglich als Mittel, um schneller "das aus dem Gleichgewicht geratene Verhältnis von Angebot und Nachfrage wieder herzustellen". Die Bürgerlichen glaubten auch 1945 ungebrochen an den Markt. Die reale politische Situation zwang sie aber zu Kompromissen. Ein deutlicher Ausdruck für die Schwäche des rot-weiß-roten Kapitals, das sich außerstande sah, gegen die Arbeiterbewegung zu regieren.

Motor des Wiederaufbaus

Mit den Verstaatlichungen Ende der 40er wurden Schlüsselbreiche der Grundstoff- und Schwerindustrie, der Elektrizitätswirtschaft sowie drei Großbanken in öffentliches Eigentum überführt. Von Anfang an und vor allem mit Ausbruch des "Kalten Krieges" war jedoch klar, welche Aufgabe die Verstaatlichte nun zu spielen habe. Sie wurde nun zu einem Motor der kapitalistischen Rekonstruktion. Die SPÖ akzeptierte diesen Kurs auch. Die Rolle der Verstaatlichten als ökonomischer Stützpfeiler für den kapitalistischen Wiederaufbau war nur möglich, indem die Arbeiterbewegung auf eine sozialistische Perspektive verzichtete. Von Sozialisierung und Planwirtschaft war nun keine Rede mehr.

Egal ob das zuständige Ministerium nun "schwarz" oder "rot" geführt wurde, die wirtschaftspolitische Ausrichtung blieb in sozialpartnerschaftlicher Einigkeit darauf ausgerichtet, das schwachbrüstige Privatkapital aufzupäppeln.

1955/56 ging die ÖVP bereits vehement daran, die Privatisierung voranzutreiben. Ihr Konzept lautete "Volksaktie". Entgegen der propagierten breiten Vermögensstreuung konnten sich dabei mit der Ausgabe der Aktien unter dem Wert ein paar Kapitalisten um ein Butterbrot in interessante Unternehmen einkaufen.

Um und Auf der Verstaatlichtenpolitik der 50er war allerdings das sogenannte Duale Preissystem. Die verstaatlichten Betriebe mußten dadurch der heimischen Privatindustrie kräftige Preisvorteile zugestehen. Die Privaten konnten somit unter dem Weltmarktpreis Vorleistungen und Rohstoffe einkaufen, was in der Verstaatlichten zu einer mangelnden Kapitalausstattung führte. 12 Mrd. Schilling mußte sie (auf Wertbasis der 50er) direkt für den Wiederaufbau aufbringen: davon 8.400 Mio. durch Preisvorteile für die Privatwirtschaft, 300 Mio. in Form der Milchpreisstützung (!) durch die Mineralölverwaltung, 90 Mio. durch Entschädigungen an Vorbesitzer. Später profitierte die Privatwirtschaft auch sehr stark von den Zulieferaufträgen und der Schrittmacherfunktion der Verstaatlichten bei der Expansion auf den internationalen Märkten - allen voran beim Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen nach Osteuropa.

Der Verstaatlichtenholding standen mit Igler und Taus zwei offene Vertreter der Privatindustrie vor. Diese Praxis sollte sich aber auch unter der SP-Alleinregierung nicht ändern, als ein Manager der VOEST-Konkurrentin Rheinstahl AG in eine leitende Funktion kam.

Von der Aushöhlung...

Die ÖVP hielt mit ihren wahren Absichten bezüglich Zerschlagung der Verstaatlichten auch gar nicht hinter den Berg (siehe Kasten). Angesichts der politischen Kräfteverhältnisse in den 70ern mußten sich die Bürgerlichen aber erst Vorarbeit leisten. Ein wichtiger Schritt dabei war der Plan, die diversen Einzelkonzerne zu fusionieren. Mangels Kapitalaufstockung durch die öffentliche Hand waren die betroffenen Unternehmen gezwungen, sich auf den internationalen Finanzmärkten Kredite zu holen, was sich gerade für die VEW noch vor Ausbruch der Stahlkrise als schwere Hypothek für die Zukunft erweisen sollte.

Als Mitte der 70er die internationale Wirtschaftskrise auch in Österreich Spuren hinterlassen sollte, wurde der Verstaatlichten die Rolle eines arbeitsmarkt- und regionalpolitischen Puffers zugeteilt. Durch diese Form staatlicher Interventionen sollten die Auswirkungen der kapitalistischen Krise möglichst gering gehalten werden.

Noch viel schwerwiegender sollte jedoch die sich ausbreitende Krise auf den Stahlmärkten im Zuge der Rezession erweisen. Das Übergewicht der Grundstoff- und Schwerindustrie in der Verstaatlichten, was durch das politische Verbot, in die Finalproduktion zu expandieren, lange Zeit konserviert wurde, wog nun wie ein Mühlstein am Hals. Die (meist private) Konkurrenz aus der Europäischen Gemeinschaft erhielt im Vergleich zur VOEST-Alpine aber mehr als doppelt so viel an staatlichen Subventionen, wodurch sie auf den internationalen Märkten weit billiger anbieten konnte. Bei der Preisfestsetzung hatte die österreichische Stahlindustrie aber durch ein Assoziierungsabkommen mit der EG auch keinen Spielraum.

In den 80ern wurde die Verstaatlichte voll von Preisverfall und Überkapazitäten im Zuge der internationalen Stahlkrise getroffen. Den Ausweg sieht man in der Expansion in neue Bereiche. Intertrading und Bayou sind seither Beweis dafür, daß diese Strategie ins Debakel führte. Milliardenverluste bei Spekulationsgeschäften und bei Auslandsinvestitionen wurden so zum Signal, daß nun die Zeit reif war, eine massive Privatisierungswelle zu starten. In den Medien wurde nun eine regelrechte Hetzkampagne gegen die "rote Mißwirtschaft" gestartet (siehe Profil-Zitat).

Die Beschäftigten in der Verstaatlichten mußten einen schmerzlichen Sozialabbau über sich ergehen lassen. Durch die Kooperation mit internationalen Multis wie IBM, ITT usw. stieg der Druck auf die Belegschaften enorm. Es wurde nur noch der KV bezahlt, IBM stellte sogar eine eigene Werkspolizei auf. Die Löhne und Gehälter lagen übrigens in der Verstaatlichten nur geringfügig über dem Durchschnitt der österreichischen Industrie. Zehntausende Arbeitsplätze wurden nun abgebaut. Der soziale Kahlschlag in der Verstaatlichten leitete auch in der Privatwirtschaft massive Rationalisierungen auf Kosten der Beschäftigten ein.

...zur Zerschlagung

Daß es hier nicht um eine wirtschaftliche Notwendigkeit ging, sondern um rein ideologisch motivierte Interessen der Bürgerlichen, zeigen folgende Fakten: So erhielt die VOEST bis 1981 keine Subventionen, zwischen 1981 und 1986 hat die Verstaatlichte das Budget um 7,478 Mrd. Schilling belastet. Im Vergleich dazu wurde die Landwirtschaft im Zeitraum 1980-86 um jährlich zwischen 7,5 und 11 Mrd. gefördert. Die österreichische Privatwirtschaft, allen voran die Großindustrie, holte sich vom Staat zwischen 1970 und 1982 über 100 Mrd. an Förderungen (exklusive Tourismus und den Geldern, die von Ländern und Gemeinden ausgeschüttet wurden). Dem stehen Steuerleistungen und Dividendenzahlungen an die öffentliche Hand in der Höhe dreistelliger Milliardenbeträge gegenüber. Die Melkkuh der Nation sollte nun ganz geschlachtet werden. Privatisierung war angesagt - aber natürlich nur für die Bereiche, die Gewinne bringen, was nicht einmal die ÖVP bestritt.

SPÖ und ÖGB standen der bürgerlichen Offensive und den Privatisierungsplänen hilflos gegenüber. Die Belegschaften wurden ruhig gehalten und vertröstet.

Wo es Widerstand gab, wie in der Obersteiermark, wurde er von oben kanalisiert. Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis verschob sich in der Folge merklich zuungunsten der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen.

Die Geschichte der Verstaatlichten zeigt deutlich, daß es auf Dauer nicht möglich ist, gegen die Gesetze des Kapitalismus "rote Inseln" zu halten, wo die Arbeiterbewegung eine sozialpolitische Offensive starten kann. Es ist eine Illusion zu glauben, die Überführung zentraler Wirtschaftsbereiche in staatliches Eigentum allein wäre aller Probleme Lösung. Ohne eine sozialistische Perspektive, ohne ein System der Arbeiterkontrolle und -verwaltung, war der Weg der Zerstückelung und des Ausverkaufs der Verstaatlichten vorgezeichnet.

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