Ted Grant: Ein paar Bemerkungen zur Frage des Stalinismus Antwort auf David James (April 1949)

 

[nachgedruckt in: The Colonial Revolution. Juni 1974, S. 17-24, mit leichten Kürzungen in: Ted Grant: The unbroken Thread. London 1989, S. 289-305]

Das Bulletin des Genossen David James („Ein paar Bemerkungen zur Frage des Stalinismus", Februar 1949) wird einen nützlichen Zweck erfüllen, wenn es uns hilft, der notwendigen Umorientierung bei den Perspektiven direkt in die Augen zu schauen. Es sind jedoch gewisse Gefahren in diesem Bulletin enthalten, die zu einer Kapitulation vor dem Neostalinismus führen könnten, wenn ihnen nicht entgegengetreten wird. Seine grundlegende Schwäche liegt darin: er stellt den Staat abstrakt und mechanisch als direkte Widerspiegelung einer Klasse gegenüber und sieht alle, Konflikte, die in einer Gesellschaft entstehen als unmittelbare und direkte Widerspiegelung gegensätzlicher Klassen. Das führt ihn zu der irrigen Schlussfolgerung, dass Kämpfe innerhalb der stalinistischen Bürokratie notwendigerweise direkte gegensätzliche Klasseninteressen widerspiegeln müssen.

Die marxistische Methode beginnt mit einer Klassenanalyse der Gesellschaft und ihren Phänomenen und Organen, aber sie endet nicht da. Es ist notwendig, von da aus alle Gegenströmungen unter Wechselwirkungen innerhalb der gegebenen Klassendefinition zu behandeln. Bei der Behandlung von Jugoslawien und China ist es notwendig, zuerst die wesentlichen Punkte fest im Kopf zu haben. Ohne das Vorhandensein eines degenerierten Arbeiterstaats, ohne die Schwächung des Weltimperialismus als Ergebnis des Krieges hätte Osteuropa ein völlig anderes Muster angenommen. Diese Ereignisse können nur erklärt werden auf der Grundlage des Überleben Russlands mit seinen verstaatlichten Eigentumsformen; das Überleben des Stalinismus an der Spitze des massiv gestärkten Russlands als Ergebnis des Krieges. Dies führte zur Ausdehnung der Revolution in einer deformierten, stalinistischen Form auf andere Länder.

James versetzt der grundlegenden Schwäche der Position des Internationalen Sekretariats der Vierten Internationale (ISVI) Schläge, indem er auf ihr Versagen bei der Klassenanalyse der Staaten in Osteuropa hinweist. Bevor man auch nur mit der Analyse einer Partei, einer Bewegung, eines Staates oder einer Gruppe in der Gesellschaft anfangen kann, muss man bei ihrer Klassenbasis auf der Grundlage der Eigentumsformen beginnen, obwohl es eine Kluft zwischen einer Klasse und der Partei oder dem Steht geben kann, die sie zu vertreten beanspruchen.

Beim Klassencharakter der Staaten Osteuropas gibt es Übereinstimmung mit dem Genossen James. Aber genau hier stellt sich die Frage: sobald der Klassencharakter eines Staates definiert ist, muss eine ganze Reihe von vermittelnden Überbaustrukturen und anderen Faktoren berücksichtigt werden, um seine Politik gegenüber dem gegebenen Staat bzw. Partei zu bestimmen. Die bloße Klassenanalyse ist als Leitfaden nicht ausreichend. Zum Beispiel kann es verschiedene Arten von bürgerlichen Staaten geben — faschistisch, bürgerlich-demokratisch, bonapartistische Diktatur etc. —, deren Unterschiede untereinander große Bedeutung für die Bestimmung unserer Haltung haben. Die Haltung von Revolutionären gegenüber dem Arbeiterstaat unter der Führung von Lenin unterschied sich tiefgreifend von ihrer Haltung gegenüber dem Arbeiterstaat unter der Führung von Stalin.

Genosse James schreibt: „Die Revolutionary Communist Party (RCP) auf der anderen Seite war in einer Lage, in der sie die Inkonsequenzen des ISVI angreifen konnte, und machte das. Wir waren zu der Schlussfolgerung gekommen, dass die Regime in der UdSSR und den Satellitenstaaten grundlegend identisch waren, und wir sahen diesen Zusammenstoß als eine Krise innerhalb des Stalinismus selbst statt zwischen Staaten von verschiedenem Gesellschaftscharakter. Wir haben darauf hingewiesen, dass das ISVI in der Praxis gezwungen war, dies anzuerkennen, obwohl es das nicht zugab, Da hörten wir jedoch auf. Nachdem wir die Inkonsequenzen des ISVI enthüllt hatten — keine schwierige Aufgabe — scheiterten wir selbst dabei, eine Klassencharakterisierung des Tito-Regimes zu geben. Wer unseren Brief an das ISVI und unsere Broschüre über Jugoslawien noch einmal liest, dem fällt diese Tatsache ins Auge. Wir sagen, dass es ein Zusammenstoß zwischen zwei stalinistischen Bürokratien oder zwei Teilen der Bürokratie ist. Aber als Trotzki von der Möglichkeit solch eines Ereignisses sprach, beschrieb er sorgfältig die Klassenlinien entlang denen sie brechen würden: er sprach von der „Butenko-Fraktion" (bürgerlich faschistisch) und der „Reiss-Fraktion" (proletarisch internationalistisch). Dies war eine notwendige Schlussfolgerung aus seiner Haltung, dass die Bürokratie keine Klasse, sondern eine Kaste ist, deren Entwicklung durch die kämpfenden Einflüsse der zwei Gesellschaftsklassen bestimmt ist. Wir stehen auf dem selben Boden und wir müssen fragen: vertritt Tito eine Arbeiter- oder eine kapitalistische Tendenz? Indem wir diese Frage nicht stellen, geben wir selbst das Klassenkriterium, die marxistische Methode auf und stellen dadurch sicher, dass wir die Ereignisse nicht verstehen."

Wo Genosse James hier den Fehler macht, ist bei der Annahme, dass das Problem einfach sei, sobald die Klassengrundlage entschieden ist, und dass alle Tendenzen, die zum Ausdruck kommen eine direkte Widerspiegelung von Interessen entgegengesetzter Klassen sein müssen. Aber er muss sich nur die Frage stellen: Welche Klasse vertritt Stalin im Kampf gegen Tito? Und welche Klasse vertritt Tito, wenn er definitionsgemäß schon zugestimmt hat, dass die Klassengrundlagen der Regime „grundlegend identisch" sind? Gibt es einen Kampf zwischen der jugoslawischen Arbeiterklasse und der russischen Arbeiterklasse? Hier ist klar etwas falsch.

Zunächst wollen wir den Hinweis von James auf Trotzki in diesem Zusammenhang aufnehmen. Es stimmt, dass Trotzki argumentierte, dass verschiedene Teile der Bürokratie tendenziell Klasseninteressen widerspiegeln würden, wobei die eine Fraktion mit dem Proletariat und die andere mit der Bourgeoisie geht. Butenko lief zu den Faschisten in Italien über. Er vertrat keine Gesellschaftsgruppe innerhalb Russlands, sondern war nur ein isolierter Fall ohne Wurzeln. Reiss stellte den proletarischen Flügel und fand sich als solcher in der Vierten Internationale. Trotzki stellte sich in Zeiten der Krise die Entwicklung starker kapitalistischer Strömungen ebenso wie starker proletarischer Strömungen vor — dass es eine Spaltung in der Bürokratie unter dem Druck der Klassenkräfte geben würde. Aber die Differenzierung, die er erwartete, besonders während dem Krieg, fand nicht statt. Aber Trotzki brachte Argumente, die den Punkt viel besser trafen, indem sie klar erklärten, welche Kräfte im Kampf innerhalb der Bürokratie oder, wie in der gegenwärtigen Diskussion, zwischen zwei verschiedenen Arbeiterbürokratien. Wir beziehen uns hier auf die Ukraine.

Der Alte wies darauf hin, dass in der Ukraine nach der Säuberung der Trotzkisten und Bucharinisten neun Zehntel aller stalinistischen Funktionäre an den Spitzen der Ministerien in der nationalen Republik eingesperrt, ins Exil getrieben oder hingerichtet waren. Stellten sie eine andere Klasse als Stalin dar? Natürlich nicht! Sie spiegelten den Druck und die Unzufriedenheit der ukrainischen Massen gegen die nationale Unterdrückung der großrussischen Bürokratie wider. Die ukrainischen Massen waren nicht nur als ArbeiterInnen und BäuerInnen, sondern auch als UkrainerInnen durch die Bürokratie unterdrückt. Daher der Kampf für nationale Befreiung in der Ukraine. Dies war nicht auf die Ukraine beschränkt. Der selbe Prozess fand in allen nationalen Republiken Russlands statt, die von der russischen Bürokratie unterdrückt waren. Die stalinistischen Funktionäre in ihnen allen waren in dem einem oder anderen Grade durch die vorherrschende Stimmung des Hasses gegen die bürokratischen Zentralisierungstendenzen des großrussischen Chauvinismus mit Zentrum in Moskau beeinflusst. Laut Oberst Tokajew, der im „Sunday Express" schrieb, gab es während dem Krieg nationale Aufstände auf der Krim, im Kaukasus und einigen andren nationalen Republiken. Nach dem Krieg strafte die russische Bürokratie diese „Illoyalität" durch die Verbannung ganzer Völker von manchen der nationalen Republiken von der Krim und anderen, und die Auflösung der Republiken, wobei selbst die Papierverfassung von Stalin verletzt wurde. Das war klar als Warnung gegen die Unzufriedenheit in anderen Republiken gedacht.

Dies ist die Analogie mit Jugoslawien. Trotzki zeigte, dass es bei der Säuberung in der Ukraine nicht um einen Fall ging, bei dem verschiedene Klassen beteiligt waren, sondern verschiedene von der Bürokratie unterdrückte Nationen. Die ukrainischen Stalinisten stellten keine Butenko-Fraktion und auch keine Reiss-Fraktion dar. Was sie wollten, war mehr Autonomie und mehr Kontrolle für die UkrainerInnen (das hieß für sie selbst) über das nationale Schicksal ihrer Republik. Die Tatsache, dass ein nationaler Kampf dieses Charakters nach der proletarischen Revolution stattfinden kann, zeigt nur, wie weit die Revolution unter der stalinistischen Herrschaft zurückgeworfen wurde. (Hier wollen wir hinzufügen, dass Lenin mit seiner weitsichtigen nationalen Politik überraschender Weise im Voraus die Möglichkeit von Zusammenstößen zwischen verschiedenen Nationalitäten selbst nach der Abschaffung des Kapitalismus aufwarf. Nationale Kulturen und Bestrebungen werden bleiben, lange nachdem die proletarische Revolution — selbst im Weltmaßstab — stattgefunden hat und ein wichtiges Problem darstellen.)

Man kann sagen, dass Stalin in Jugoslawien und Osteuropa versucht hat, eine ähnliche bürokratische Politik wie in den Republiken in Russland durchzuführen. Der einzige Unterschied in Jugoslawien ist, dass die russische Bürokratie keine so feste Kontrolle über die Staatsmaschine hatte, wie sie sie in den andren Satellitenstaaten hatte. Das lag natürlich an der Tatsache, dass es zwar in anderen Ländern der Einmarsch der Roten Armee war, der den bürgerlichen Staat zerschlug und die Bewegung der Massen herbeiführte, aber in Jugoslawien Tito eine Massenbasis hatte und sogar schon unter den Deutschen eine Maschine aufbaute, die unter seiner Kontrolle stand. Die Rote Armee half bei der Befreiung Belgrads, aber zweifellos hatte Tito eine viel größere populäre Basis unter den Massen als in den anderen Satellitenstaaten. In den Augen der JugoslawInnen wurde ihre Befreiung vom deutschen Imperialismus unter der Führung von Tito und der jugoslawischen KP erreicht. So traf Stalins Versuch, Jugoslawien der Moskauer Bürokratie vollständig unterzuordnen, auf den Widerstand der örtlichen Bürokraten, die zuversichtlich waren, dass sie die Unterstützung der Massen hatten. Im Unterschied dazu fühlten die Regime in den anderen stalinistischen Staaten die Notwendigkeit, sich auf die Moskauer Bürokratie zu stützen, wegen einer Furcht vor Schwierigkeiten zu Hause im Falle eines Konflikts.

Stalin traf bei der Einführung einer ukrainischen Lösung in Jugoslawien auf Schwierigkeiten, sogar bei einer pseudo-unabhängigen Lösung wie in Polen, wo der Witz kursiert, dass Cyrankiewicz im Kreml anruft, um zu fragen, ob er abends ins Kino gehen darf. Stalins Versuche, in Jugoslawien zu intervenieren, führten zum ersten Mal zur Verhaftung seiner Marionetten statt umgekehrt. Es war, als wenn die ukrainischen Stalinisten ihre eigenen Staatskräfte und die Unterstützung der Massen gehabt hätten, die losgelöst und mächtig genug gewesen wären, sich dem russischen MWD etc. entgegenzustellen. Auf dieser Grundlage hätten sie sich den Forderungen der völligen Unterordnung unter die Moskauer Bürokratie widersetzen können.

Dies erklärt, warum Trotzki die nationale Frage für so wichtig hielt, dass er die Forderung nach einer unabhängigen sozialistischen Sowjetukraine aufstellt. Auf den ersten Blick scheint das in Konflikt mit der Strategie der Einigung ganz Europas in Vereinigten Sozialistischen Staaten zu kommen. Aus einem rein pedantischen Blickwinkel würde es scheinen, dass der Feind der ukrainischen und der großrussischen Massen der selbe ist, und dass die Aufgabe einfach in der Vereinigung ihres Kampfes für Kontrolle in einem vereinigten Staat besteht. Bloß die Klassenbasis zu finden, liefert nicht die Antwort. Die Klassenbasis der ukrainischen Bürokraten ist nicht anders als die der russischen Bürokraten. Aber sie kommen in Konflikt miteinander und der siegreiche Teil richtet den anderen brutal hin.

Auf ähnliche Weise ist es klar, dass die bloße Tatsache, dass Tito gegenwärtig siegreich ist, ihn nicht mehr in einen unbewussten Trotzkisten verwandelt als die ukrainischen Bürokraten.

Durch die Diktatur der stalinistischen Bürokratie drückt sich indirekt die Herrschaft des Proletariats aus. Damit die Sowjetunion zu einer gesunden Grundlage zurückkehrt, ist eine neue Revolution, eine politische Revolution notwendig. Die wirtschaftliche Grundlage wird die selbe bleiben, aber natürlich werden die gesellschaftlichen Folgen zu tiefgreifenden Änderungen im allgemeinen Plan, in der Verteilung des Einkommens, der Kultur etc. führen. Wie im Fall von Frankreich — wo ein Regime der bürgerlichen Autokratie eine Revolution erforderte, bevor es eine bürgerliche Demokratie werden konnte, so wird in Russland eine Revolution erforderlich sein, um das bürokratische totalitäre Regime in ein wirklich demokratisches zu verwandeln. Die politische Revolution in Frankreich führte zu tiefgreifenden Änderungen in den sozialen Folgen — verschiedene Aufteilung der Einkommen, freiere Entwicklung der Produktivkräfte, der Kultur etc. Aber die Grundstruktur des Systems blieb die selbe. So wird in Russland die Klassengrundlage bleiben: der Überbau wird sich ändern. Darin gibt es Übereinstimmung mit James. Aber wie ist es mit Jugoslawien?

Was in den frühen Stadien der stalinistischen Degeneration in Russland ein unbewusster Prozess war, ist in Jugoslawien ein halbbewusster oder sogar bewusster Prozess. Das Regime von Tito ist dem von Stalin in der Periode 1923-28 sehr ähnlich. Nach der Erfahrung von Russland ist es klar, dass dort, wo es keine Demokratie gibt, wo keine Opposition geduldet wird, wo es ein totalitäres Regime gibt, die Entwicklung nach den selben Mustern wie in Russland ablaufen wird. Hier ist es genau nicht eine Frage der Psychologie von Tito oder Stalin, sondern der unerbittlichen Interessen der verschiedenen innerhalb der Gesellschaft wirksamen Tendenzen.

Der Staat tendiert als besondere Überbauformation, die über der Gesellschaft steht, notwendigerweise zur Bildung von Gruppen mit Denkgewohnheiten, die zu kommandieren gewohnt sind, mit Vorrechten bei Bildung und Kultur. Die Tendenz ist zur Herausbildung einer Kaste mit einem eigenen Erscheinungsbild, das von der Klasse, die sie vertritt, verschieden ist. Dies wird verstärkt, wenn der Staat die Produktionsmittel übernimmt; die Bürokratie ist die einzige befehlende Schicht in der Gesellschaft. Nicht umsonst betonten Marx und Engels, dass die Massen die Kontrolle über den Staat oder Halbstaat haben müssen, wie ohne das neue Trends und Tendenzen eingeführt werden, die ein eigenes Bewegungsgesetz haben.

Wenn man theoretisch annehmen (und das Stalin-Regime für einen Moment von den Weltbeziehungen und den internationalen gesellschaftlichen Widersprüchen abstrahieren) würde, dass solch eine Kaste sich selbst unbeschränkt aufrechterhalten könnte (die maßvolle Schätzung eines führenden sibirischen Stalinisten war 1000 Jahre) — könnte das nicht zu einer Milderung der gesellschaftlichen Widersprüche oder einem schmerzlosen Absterben des Staates in die Gesellschaft hinein führen. Alle Gesetze der gesellschaftlichen Evolution, der Entwicklung der Klassen und Kasten in der Gesellschaft sprechen dagegen. Solch eine Gesellschaft würde sich keineswegs in die Richtung des Kommunismus entwickeln, sondern sich, wenn es vom Willen der Bürokratie abhinge, unausweichlich in einen Sklavenstaat entwickeln mit einer Hierarchie von Kasten, wie ihn sich Jack London in seinem Bild der Oligarchie unter der „Eisernen Ferse" vorstellte.

Sozialismus entsteht nicht automatisch aus der Entwicklung der Produktivkräfte selbst. Wenn es rein eine Frage der automatischen Änderung in der Gesellschaft wäre, sobald sich die Produktivkräfte entwickelt haben, wären Revolutionen für die Änderung von einer Gesellschaft zur andren nicht notwendig. Wie viele Male erklärt wurde, beseitigt die Verstaatlichung der Produktivkräfte allein nicht alle gesellschaftlichen Widersprüche — sonst gäbe es Sozialismus in Russland. Sobald die Bürokratie ihre eigenen Sonderinteressen bekommt, wird sie ihre privilegierte Stellung niemals freiwillig aufgeben. Eine weitere Entwicklung der Produktivkräfte wird nur neue Bedürfnisse schaffen und neue Möglichkeiten für die Bürokratie schaffen, um über das Mehrprodukt in ihrem Interesse zu verfügen. Das zeigt sich schon durch die Entwicklung der Bürokratie als einer immer raffgierigeren und erblicheren Kaste, statt dass das mit der Entwicklung der Produktivkräfte in Russland immer weniger der Fall wäre. (Hier behandeln wir nicht die unausweichlichen Bewegungen der Revolte auf Seiten der Massen, die der bürokratischen Missherrschaft innewohnenden Widersprüche, die zu Explosionen führen müssen etc. Dieses ganze Problem erfordert weitere Ausarbeitung).

Die Degeneration Russlands war kein Zufall Wo das Proletariat Kontrolle hat, bestimmt seine Stellung in der Gesellschaft sein Bewusstsein und bestimmt die Entwicklung der Gesellschaft in die Richtung der Beseitigung des Staats und der Errichtung des Kommunismus. Wo die Bürokratie Kontrolle hat, bestimmt ihre Stellung in der Gesellschaft das Bewusstsein und bestimmt die Entwicklung der Gesellschaft nicht zu ihrer freiwilligen Beseitigung und zum Kommunismus, sondern zu ihrer eigenen Verstärkung. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und die Methoden, die Organisation, das Erscheinungsbild und die Ideologie von Tito und Mao sind die selben wie die der russischen Stalinisten: sie stützen sich nicht auf demokratischen Zentralismus, sondern auf sein Gegenteil — totalitäre Bürokratie. Die Kritik der Kominform am „türkischen Terror" der jugoslawischen KP ist wohlbegründet. Alles was Tito als Antwort auf die Anklagen sagen konnte, darauf, dass die Diskussion für den Parteikongress eine Farce war; dass aus Angst vor sofortiger Verhaftung niemand wagte, die Resolution des Zentralkomitees abzulehnen oder gar gegen sie zu stimmen; dass es in der Partei und im Lande eine Diktatur gebe — alles, was er antworten konnte, war, die Kritik der Kominform mit der der Linken Opposition auf dem Kongress der KPdSU 1927 gleichzusetzen. Fast Wort für Wort war die Beschreibung der Lage die selbe, außer dass es in Russland 1927 als nachklingendes Überbleibsel der Vergangenheit mehr Demokratie gab als in Jugoslawien heute. Zumindest bis zu ihrem Ausschluss konnte die Opposition ihre Position auf dem Kongress vertreten und Stalin hatte die vollständige totalitäre Unterdrückungstechnik noch nicht entwickelt. Es gab noch die Fraktion von Bucharin etc. in der Partei. Stalin hatte noch keine Vorstellung, welchen Weg er gehen würde. Tito hat die Organisation, die Ideologie, die Technik der bonapartistischen Herrschaft als ganze übernommen.

Der einzige Unterschied zwischen den Regimes von Stalin und Tito ist, dass letzteres immer noch in seinen frühen Stadien ist. Es gibt eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen dem ersten Überschäumen der Begeisterung in Russland, als die Bürokratie den Ersten Fünfjahresplan einführte, und der Begeisterung in Jugoslawien heute.

Stalin kann nur durch immer hemmungsloseren Terror herrschen, während Tito wahrscheinlich gegenwärtig die Unterstützung der großen Mehrheit der Bevölkerung in Jugoslawien besitzt. Aber dies ist kein grundlegender Unterschied. Es ist eine Frage des Tempos und der Erfahrung der Massen.

Wenn heute der Unterschied im Lebensstandard zwischen der Bürokratie und den Massen in Jugoslawien (wie in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn Rumänien etc. — vergessen wir das nicht) unvergleichlich kleiner als in Russland heute ist, liegt das daran, dass es wegen dem Aufruhr, an dem die Massen teilgenommen haben, unmöglich wäre, ungeheure Ungleichheiten sofort einzuführen. Wie die Bürokratie es ausdrücken würde: „Der Sozialismus ist noch nicht verwirklicht", nämlich ihre vollständige und ungehinderte Herrschaft hat sich noch nicht herauskristallisiert; ihre Existenzweise hat noch keine ziemlich stabile Lage erreicht. Und darüber hinaus sind auf der Grundlage einer rückständigen Wirtschaft (abgesehen von der Tschechoslowakei) die Produktivkräfte noch nicht ausreichend, um sowohl die Bedürfnisse einer sich ausdehnenden Wirtschaft und die aufgeblähten Luxusstandards für die herrschende Schicht zu befriedigen. In Russland erforderte es eine gewaltige Entwicklung der Wirtschaft, bevor die Grundlage für die Differenzierung geschaffen war, die sich mit der Entwicklung der Wirtschaft selbst ständig gesteigert hat.

So kann man in Jugoslawien vorhersagen, dass sich erst mit der Industrialisierung des Landes und der Erhöhung des Niveaus der Produktivkräfte von dem traurig niedrigen Niveau die Differenzierung zwischen der Bürokratie und den Massen gemäß ähnlichen Linien entwickeln wird. Wenn Tito oder irgend eine andere Person versuchen würde, diesen Prozess aufzuhalten, würde er auf die eine oder andere Weise entfernt werden, wie die alten Bolschewiki in Russland entfernt wurden. Ihr Schicksal war kein Zufall. Die bürokratische Kaste brauchte Leute, die sich nicht auf das Proletariat stützten, sondern auf eine neue Schicht. Die „Theorien" von Tito sind Fleisch vom Fleisch der bonapartistischen Clique im Kreml, die ihn schulten und ausbildeten. Selbst mit seiner Marschall-Uniform spiegelt er sklavisch die Ideologie und die Methoden seiner Lehrer wider. Die persönliche Herrschaft, de ganze Methode der jugoslawischen Bürokratie spiegelt die selbe byzantinische Lobhudelei und Methode wie im Kreml wider, vielleicht genauer als in einem anderen osteuropäischen Staat. Anders als Stalin 1927 hat Tito ein fertiges Modell und die Differenzierung und Exzesse, die autokratischer Staatsdiktatur notwendig folgen, werden wahrscheinlich viel schneller stattfinden.

Zwischen Tito und Stalin gibt es keinen prinzipiellen Unterschied. In der Tat war vielleicht eine der amüsantesten und unterhaltendsten Episoden in diesem Kampf das Schauspiel, als Tito das Banner des „Sozialismus in einem Lande" entrollte und die Stalinisten das Banner des „Internationalismus". In der Perspektive von Tito zeigt nichts, dass nur ein Sieg des Proletariats in den fortgeschrittenen Ländern die Probleme der russischen und jugoslawischen Massen durch die internationale Arbeitsteilung, die Verflechtung der Wirtschaften lösen kann; nichts zeigt, dass Tito versucht, Arbeiterdemokratie und -kontrolle einzuführen. In der Tat hat er für das, was Stalin in Russland macht, nur Lob. Alle seine Handlungen und Äußerungen (und wir bitten David James, sich daran zu erinnern) spiegeln die Interessen einer bonapartistischen Bürokratie wider. Seine „Vorliebe für prachtvolle Uniformen" ist nicht nur eine „Schattenseite", sie ist symptomatisch für sein Regime. Es spiegelt weit mehr als Stalin 1927 persönliche Herrschaft wider — die Diktatur der Bürokratie widergespiegelt in einem Individuum.

Die Ereignisse in Jugoslawien wiederholen verblüffend die Phasen, durch die die stalinistische Bürokratie hindurchging, bis hin zum Opportunismus in Bezug auf die BäuerInnen, gefolgt von Panikmaßnahmen gegen die Kulaken und die Kleineigentümer in den Städten. Schon haben die ersten „Sabotage"-Prozesse stattgefunden, bei denen Tito seinen Gegnern die Verantwortung für alle Mängel des Plans aufbürdet. Ähnlich haben wir das Muster der russischen „Geständnis"-Prozesse im kleineren Maßstab. Die vertrauten Umrisse eines stalinistischen Polizeistaats sind klar zu sehen. Die Unterschiede sind oberflächlich; die grundlegenden Züge sind die selben.

Titos „Neigung" zur Ermordung von TrotzkistInnen ist nicht bloß ein betrübliches Nebenergebnis. Warum ermordet er Trotzkistinnen? Weil er den Namen Leo Trotzki hasst? Offensichtlich, weil sie das Proletariat vertreten; weil der Kampf für Arbeiterdemokratie, für wirkliche Wahlen, für Internationalismus, für alle Grundelemente des Programms des internationalen Kommunismus dem bürokratischen Absolutismus entgegenstehen. Hier geht es nicht darum, das jemand seine Gegner ermordet und dann das Programm der zu Märtyrern gemachten übernimmt. Trotzki antwortete denen, die so argumentierten, als eine ganze Schicht von alten Bolschewiki nach Stalins Einführung des Fünfjahresplans (der ursprünglich von der Opposition gefordert wurde) und des Beginns einer Kampagne gegen die Kulaken und kapitalistischen Elemente kapitulierten. Die Linke Opposition zeigte, wie Stalin die Opposition vernichtete und dann ihr Programm auslieh, dass er auf verzerrte Weise durchführte. Sie folgerten daraus nicht, dass Stalin ein unbewusster Leninist sei. Sie warnten, dass es nicht nur darum gehe, was getan wird, sondern auch, wer es tut, in wessen Interesse und aus welchen Gründen. Das war die entscheidende Frage! Die Ereignisse zeigten, dass nicht die Kapitulanten gegenüber Stalin, sondern Trotzki Recht hatte, als er sagte, dass der Stalinismus trotz der Einführung des Fünfjahresplans Russland nicht zum Sozialismus führen könne. Kamenjew, Sinowjew, Rakowski, Bucharin & Co kapitulierten vergeblich Schließlich bezahlten sie mit ihrem Leben, weil sie sich nicht mit der bonapartistischen Clique versöhnen konnten

Stalins Wendung von 1927 und sein Angriff auf die Bourgeoisie in Stadt und Land bekam zwar die begeisterte Unterstützung durch das Proletariat, war aber durch die Selbsterhaltungsinteressen der Bürokratie bestimmt. Wie Trotzki es ausdrückte, wollte die Bürokratie den staatlichen Fresstrog für sich und wollte ihn nicht mit der Bourgeoisie teilen oder ihre Stellung bei der Verfügung über das vom Proletariat erzeugte Mehrprodukt durch die Bourgeoisie beschränkt haben. Aber ihr Angriff auf die Bourgeoisie führte nicht zu einer freieren und breiteren Demokratie für das Proletariat; oder zur Verminderung der Differenzierung zwischen Bürokraten und Proletariat. Schließlich verhinderte er nicht die Einführung der Sklaverei in Russland.

Ähnlich hat Tito zweifellos die Unterstützung der jugoslawischen Massen in seinem Kampf gegen die russische Bürokratie. Im Kampf für die Verwirklichung des Fünfjahresplans gab der bolschewistische Flügel der Bürokratie kritische Unterstützung gegen die Bourgeoisie. Die Vierte Internationale muss der jugoslawischen Bürokratie genauso kritische Unterstützung geben, weil sie in ihrem Kampf einen fortschrittlichen Schritt vorwärts darstellt, indem sie hilft, die russische Bürokratie zu schwächen und vor allem, weil wir das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts unterstützen. Auf die gleiche Weise hätten wir den Kampf der ukrainischen Stalinisten gegen die russische Bürokratie unterstützt. Sobald sie das Recht auf Selbstbestimmung erreicht hätten, würden wir die Vereinigung einer unabhängigen Ukraine in einer Föderation mit Russland befürworten.

Wir können und dürfen jedoch nicht vor diesen Ereignissen kapitulieren oder irgendwelche Illusionen in die Motive, die Ziele und Methoden der jugoslawischen Bürokratie haben. Genauso wie Stalin durch seinen Kampf gegen die Bourgeoisie nicht in einen bewussten oder unbewussten Trotzkisten verwandelt wurde, wird Tito kein unbewusster Trotzkist, weil er mit dem Kreml gebrochen hat und richtige Argumente in der nationalen Frage und zum Selbstbestimmungsrecht verwendet.

Für Tito ist diese Periode nicht eine Stufe zum Sozialismus. Es ist eine Stufe zur Festigung seiner Herrschaft. Sein Ziel ist „Sozialismus" nach dem Muster von Russland. Die Bürokratie spielt zwar eine verhältnismäßig fortschrittliche Rolle bei der Entwicklung der Produktivkräfte auf der Grundlage des verstaatlichten Eigentums und bereitet die materielle Grundlage für die Zukunft. Gleichzeitig werden die gesellschaftlichen Widersprüche wachsen. Die Bürokratie, die unter den gegebenen Umständen eine verhältnismäßig fortschrittliche Rolle spielt, wird völlig reaktionär werden. Die Unterdrückungskräfte des Staates werden keineswegs absterben, sondern verstärkt werden. Die Aufgaben des Proletariats sind ähnlich denen des russischen Proletariats, des bulgarischen und tschechischen Proletariats.

Material für die Vierte Internationale?

Aus der Tatsache, dass die Revolution — und zweifellos findet eine Revolution in China statt — aus den „innersten Bedürfnissen des Landes" entspringt und nicht bloß ein Geschöpf Moskaus ist, zieht Genosse James die Schlussfolgerung, dass Mao daher ein unbewusster Trotzkist sein müsse.

„Die Strömungen sind dann folgendermaßen. Das ISVI hat eine neostalinistische pro-Tito-Position. Die Position der RCP ist viel unbestimmter, aber wir können sagen, dass sie Stalin und Tito auf die selbe Ebene stellt und den Sturz von beiden für den sozialistischen Fortschritt für notwendig hält. Sehen wir, wie dies den Test der frischen Ereignisse besteht, den Sieg des Stalinismus in China.

Die neostalinistische Haltung wird diesen Test bestehen. Wie ich vorher bemerkte, scheint die jugoslawische Revolution den innersten Bedürfnissen des Landes entsprungen zu sein und nicht von Moskau aufgezwungen worden zu sein, aber im Fall von China ist kein Zweifel möglich. Die Revolution ist klar in erster Linie eine einheimische Angelegenheit, folglich ist Mao wie Tito, ein wirklicher Revolutionär, ein „unbewusster Trotzkist" und passendes Material für die Gewinnung zur Vierten Internationale. (Zweifellos bereitet das IS einen Brief nach diesen Grundgedanken vor.) Wenn das ISVI auf der andren Seite darauf beharrt, das chinesische Regime wie Jugoslawen als degeneriert zu betrachten, stehen wir wieder vor der Frage, was die Quelle dieser frühen Degeneration ist?

Auf der anderen Seite bricht die Haltung der RCP schließlich zusammen. Durch keine Strapazierung der Vorstellungskraft kann man Rotchina als russisches Geschöpft betrachten. Wenn wir Mao wie Tito als genauso schlecht wie Stalin betrachten, müssen wir anerkennen, dass die Merkmale, die uns diese Haltung einnehmen lassen, der Revolution innewohnen. Das heißt, es ist kein degenerierter Arbeiterstaat, sondern ein bürokratischer Klassenstaat, das heißt, wir würden bei Shachtmans Haltung ankommen."

Es ist in der marxistischen Bewegung eine Selbstverständlichkeit, die David zweifellos akzeptieren wird, dass man ein Phänomen nicht in Isolation betrachten darf, sondern mit seinem Ursprung, seinem Bewegungsgesetz und seiner Perspektive. Aber es ist eine Sache, das in Worten zu akzeptieren; es ist eine andere, es anzuwenden. James sagt praktisch, dass eine Revolution in China stattfindet, daher ist es das selbe wie die Oktoberrevolution. Mao führt diese Revolution, daher ist Mao ein chinesischer Leninist oder Trotzkist. Die chinesischen Stalinisten führen die Revolution, wozu braucht man dann noch die Vierte Internationale?

Man kann die Entwicklung der stalinistischen Degeneration in Russland durch die vorhergehenden Weltentwicklungen erklären, das Scheitern der Revolution im Westen etc. Ähnlich kann man die Ereignisse in China erklären, zuerst durch das Vorhandensein eines starken, aber degenerierten russischen Arbeiterstaat; durch die Schwäche des Weltimperialismus, der es unmöglich fand, in China wirksam zu intervenieren, wie er es 1925-27 machte; durch den inneren Niedergang der chinesischen Gesellschaft und die Geschichte und Entwicklungen der chinesisches stalinistischen Bewegung.

Es ist in der Geschichte des Marxismus beispiellos, dass eine Revolution, die zur Verstaatlichung des Eigentums und der Aufteilung des Landes führt, unter der Bauernschaft und nicht der Arbeiterklasse anfangen sollte. Wie kann das erklärt werden?

Paradoxerweise ist diese Bauernbewegung ein Spross der besiegten Revolution von 1925-27. Mit der Niederlage des Proletariats verlegten die chinesischen Stalinisten ihre Basis vom Proletariat in die Bauernschaft. Sie schnitten sich selbst von den Städten ab und führten einen Bauernkrieg. Ihre ganze gesellschaftliche Grundlage, die Psychologie ihrer Führung, die mehr als 20 Jahre in den Bergen und ländlichen Gebieten war, wurde von der Arbeiterklasse und ihrem Erscheinungsbild getrennt. Die Psychologie dieser Gruppe war notwendig durch ihre Lebensbedingungen bestimmt. Der anfängliche Kern, der die Führung und den Stab dieser Bewegung bildete, bestand aus einem kleinen Teil von ehemaligen ArbeiteraktivistInnen, Banditen, Ex-BäuerInnen, Abenteurern und Intellektuellen. In diesem Sinne war er eine klassische bonapartistische Gruppe. Sie verschmolz sich selbst zu einer Armee.

Selbst in der Morgendämmerung des Bauernkrieges, zu einer Zeit, als die Stalinisten einen ultralinken Kurs verfolgten und die Verbindungen mit den Städten noch nicht völlig abgebrochen waren, wurde schon durch die ganze Umgebung die unausweichliche Psychologie einer bonapartistischen Armee erzeugt. Die Komintern und die Chinesische Führung — die damals noch nicht völlig degeneriert waren — betrachteten diesen Prozess selbst in den niederen Rängen mit bösen Vorahnungen. Zum Beispiel wurden in den sogenannten „Sowjet"bezirken in jenen Tagen „Gewerkschaften" gebildet. Isaacs schrieb in seiner „Tragedy of the Chinese Revolution":

„Aber der Charakter dieser Gewerkschaften war, egal wie groß ihre Zahl war, so zweifelhaft, dass sich selbst das Gewerkschaftszentrum der Partei beschweren musste. In seinem Bericht für 1931 sprach es vom Vorhandensein von „Ladenbesitzern und reichen Bauern" in den Gewerkschaften. Das nächste Jahr schrieb es einen vernichtenden Brief an die Gewerkschaftsfunktionäre in Kiangsi, in dem es sie beschuldigte „Bauern, Priester, Ladenbesitzer, Vorarbeiter, reiche Bauern und Großgrundbesitzer" zuzulassen, während „gleichzeitig beträchtlichen Teilen der Landarbeiter, Kulis, Angestellten und Handwerkern unter verschiedenen Vorwänden die Mitgliedschaft vorenthalten wird". Die an dieser Arbeit beteiligten Parteigenossen wurden beschuldigt „verächtlich gegenüber den Arbeitern und anmaßend ihnen gegenüber" zu sein. Der Brief beschrieb die Gewerkschaften als „in ihrem Charakter antiproletarisch, sie vertreten mehr die Interessen der Großgrundbesitzer, reichen Bauern und Arbeitgeber"."

Genosse James übersieht die Beziehung der Klassen, Gruppen und Kasten in der Gesellschaft. Zum Beispiel ist es eine unbezweifelte Tatsache, dass Trotzki 1923 bei der ganzen Roten Armee und unter den Massen populär war und einen Putsch organisieren und die Kontrolle über die Staatsmaschine übernehmen konnte. Eastman, der den Prozess nie verstand, geißelte Trotzki wehmütig, dass er so ein Einfaltspinsel war. Warum machte er das nicht? Der Grund war, dass die Armee, nachdem sie an die Macht gekommen wäre, ein eigenes spezifisches Gewicht in der Gesellschaft ausgeübt hätte. Die Offizierskaste wäre von der Idee erfüllt gewesen, dass sie die Herren sind. Es hätte die bonapartistische Degeneration nicht verhindert, sie hätte nur eine andere Form angenommen. Wenn Trotzki versucht hätte, sich dem Prozess der Degeneration zu widersetzen, wäre er entweder ein Gefangener der Offizierskaste gewesen oder wäre entfernt worden. Trotzki versuchte, sich auf das Bewusstsein und die Kontrolle des Proletariats zu stützen als die einzige Kraft, die zu einer klassenlosen Gesellschaft führen konnte. Er wusste, dass die ArbeiterInnen andernfalls die ZuschauerInnen gewesen wären, die Armee der entscheidende Faktor mit tödlichen Folgen für die Entwicklung der Revolution.

Deshalb geht die ganze Frage des Genossen James, ob die Degeneration in der Revolution von Anfang an enthalten sein muss, am Problem vorbei. Es ist genau eine Frage der Psychologie, des Bewusstseins der Bewegung des Proletariats, die für die sozialistische Revolution notwendig sind. Sollen wir annehmen, dass David nicht die Notwendigkeit der bewussten Beteiligung des Proletariats bei der Schaffung eines gesunden Arbeiterstaates sieht?

Die Revolution in China beginnt mit einer bonapartistischen Deformation, nicht weil es in den Notwendigkeiten der Revolution innewohnen würde, sondern im Gegenteil wegen den besonderen nationalen und internationalen gesellschaftlichen Umständen, die wir behandelt haben. Es hat viele Bauernkriege in China geben und was normalerweise passiert wäre, wäre, dass die Führung sich mit der Bourgeoisie verschmelzen würde, sobald sie in den Städten einrückt, und es eine klassische kapitalistische Entwicklung geben würde. Der Marxismus lehrt, dass die Bauernbewegung eine Führung in den Städten entweder in der Bourgeoisie oder im Proletariat finden muss. Wo es die Bourgeoisie ist, dann haben wir natürlich eine kapitalistische Entwicklung. Wo das Proletariat die Führung übernimmt, haben wir die sozialistische Revolution. Hier haben wir eine merkwürdige Variante von letzterem, weil die Bauernbewegung eine zentralisierte Führung in der Form der stalinistischen Partei hat, die ihre Wurzeln in Moskau hat. Indem sie sich auf die Bauernschaft stützt, rückt sie in den Städten ein, nicht mit dem Ziel und dem Erscheinungsbild einer wirklichen kommunistischen Partei, sondern mit dem Ziel, ihre Macht durch Manövrieren zwischen den Klassen zu errichten. Sie macht das, indem sie ihre soziale Basis in das Proletariat verlagert — nicht als die direkte Vertreterin des Proletariats wie bei einer bolschewistischen Partei — sondern auf bonapartistische Weise.

In der Vergangenheit hat Bonapartismus immer eine Tendenz dargestellt die zwar mit der Bourgeoisie verbunden war, sich aber trotzdem über die Klassen erhob und zwischen der Bourgeoisie, dem Kleinbürgertum und dem Proletariat manövrierte, sich manchmal auf letzteres stützte und der herrschenden Klasse sogar Schläge versetzte. In Russland stützte sich die Bürokratie als bonapartistische Clique in den frühen Tagen der Herrschaft auf die Wirtschaft des Arbeiterstaats und es ist gut bekannt, dass sie zwischen den Kulaken, den NEP-Leuten und den ArbeiterInnen manövrierte. Im kapitalistischen Staat pendelt die Sozialdemokratie, die sich auf die Arbeiterklasse stützt, tendenziell zwischen den ArbeiterInnen und der Bourgeoisie hin und her, je nach dem Druck der Bewegung. Wenn sie keine wirklich unabhängige Rolle spielen, liegt das daran, dass sie letztlich von der Bourgeoisie abhängen. Der bürgerliche Bonapartismus dreht sich zwar zwischen den Klassen und spielt die eine gegen die andere aus, vertritt aber letztlich die Bourgeoisie, weil ihre Profite und Privilegien aus den Institutionen des Privateigentums entstehen. Damit soll nicht bestritten werden, dass er mit seinen Lasten und Forderungen eine sehr große Belastung für die Bourgeoisie ist.

Stalinismus ist ein Bonapartismus, der sich auf das Proletariat und die Institutionen des Staatseigentums stützt, aber er unterscheidet sich von der Norm eines Arbeiterstaates, wie sich Bonapartismus oder Faschismus von der Norm der bürgerlichen Demokratie unterscheidet, die der freieste Ausdruck der wirtschaftlichen Macht und Herrschaft der Bourgeoisie ist.

Der Stalinismus kann unter bestimmten Bedingungen, indem er zwischen den einander entgegengesetzten Klassen manövriert, sich auf das Proletariat stützen und es zu seinen eigenen Zwecken stärken. Wir haben gesehen, wie dies in Osteuropa erreicht wurde. Wir sehen jetzt eine ähnliche Entwicklung in China vor unseren Augen stattfinden. Es wäre zwar für die revolutionäre marxistische Tendenz unmöglich, eine Koalition mit der Bourgeoisie zu machen, gerade wegen der Notwendigkeit, die unabhängige Selbstmobilisierung der Massen im Kampf für den Sturz der Bourgeoisie sicherzustellen, Stalin aber braucht keine solchen Einschränkungen. Der Stalinismus macht eine Koalition unter Bedingungen, wo das Rückgrat der Bourgeoisie gebrochen ist, um die Bourgeoisie gegen die Gefahr eines aufständischen Proletariats auszuspielen. Daher wird die Koalition, die die Stalinisten in China vorschlagen, nicht den Sieg oder auch nur das Überleben der Bourgeoisie bedeuten. Sie wird verwendet werden, um eine Atempause für die Organisierung einer stalinistischen, bonapartistischen Staatsmaschine nach dem Vorbild von Moskau zu erhalten. Überhaupt kein Staat oder Halbstaat, wie ihm sich die MarxistInnen vorstellten — als die freie und bewaffnete Organisation der Massen —, sondern eine von den Massen abgesonderte und getrennte Staatsmaschine, die von ihnen völlig unabhängig ist und als Unterdrückungsinstrument über ihnen thront.

Es ist deutlich, dass die chinesische Bewegung ihre Lebensfähigkeit aus den „innersten Bedürfnissen der Wirtschaft" zieht. Aber während eine wirkliche revolutionäre, eine trotzkistische Führung in einem rückständigen Lande ihre Stärke aus dem Proletariat ziehen würde, das die bäuerlichen Massen an sich schweißt, stützt sich Mao auf die Bauernschaft und stützt sich in diesem Stadium nicht nur auf die Passivität des Proletariats, sondern unterdrückt rücksichtslos alle ProletarierInnen, die es wagen, Maßnahmen gegen die Bourgeoisie auf der Grundlage von unabhängiger Klassenaktion zu ergreifen. In einem späteren Stadium wird sich Mao auf das Proletariat stützen, wenn er es gegen die Bourgeoisie braucht, um es später zu verraten und brutal zu unterdrücke. In dieser Hinsicht wäre es viel richtiger zu sagen, dass Mao wie Tito ein bewusster Stalinist ist, der bewusst viele der bonapartistischen Manöver durchführt, die Stalin empirisch anwenden musste.

Während die Armee der Kuomintang angesichts des revolutionären Agrarprogramms und der Propaganda der Stalinisten — „Land für den, der es bebaut" — dahinschmelzen, ist eines klar: das Propagandaprogramm von Mao ist nicht auf die revolutionäre Mobilisierung des Proletariats und die Organisation von Sowjets oder den Sturz des Kuomintang-Regimes in den Städten durch die bewusste Initiative und Bewegung der ArbeiterInnen gerichtet. Im Gegenteil ist es seine Politik, jede Bewegung in diese Richtung brutal zu zerschlagen. Die Weigerung, die Massen zu mobilisieren, ist kein Zufall. Sie drückt die Furcht vor der Massenbewegung in den Städten in diesem Stadium aus. Der Unterschied zwischen Trotzkismus und Stalinismus kann nicht schlagender gezeigt werden als durch diese Tatsache. Es gibt eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem Marxismus, der sich auf die bewusste Bewegung der Massen stützt, vor allem des Proletariats, und dem bonapartistischen Stalinismus, der zwischen den Klassen manövriert und die revolutionären Instinkte der Massen im Interesse dieser neuen Kaste nutzt.

Maos Regime wird dem Muster der anderen stalinisierten Regime folgen. Nachdem es sich gefestigt hat, wird es eine Militär- und Polizeidiktatur mit allen anderen bösartigen Merkmalen des russischen Regimes werden. Die Zeichen sich schon sichtbar.

Genosse James behauptet, dass wir es zu einer Frage von Maos „Psychologie unabhängig von jeder gesellschaftlichen Basis" machen, wenn wir sagen, dass Mao den Spuren von Stalin folgen und bestenfalls noch barbarischer sein wird. Es ist nicht eine Frage der individuellen Neigungen Maos. Es ist genau eine Frage der Psychologie der chinesischen Armee- und später Zivilbürokratie. Ein unkontrollierter Totalitarismus hat im stalinistischen Russland gezeigt, was er tun kann. In China, das noch viel rückständiger als Russland ist, wo Leben und Freiheit nie viel wert waren, werden die sozialen Widersprüche zu den selben Folgen wie in Russland führen, mit diesem Unterschied: obendrauf auf die stalinistische Barbarei werden die Traditionen der asiatischen Barbarei kommen. Wenn Mao die Funktion nicht erfüllen wird, die die triumphierende Militär- und Zivilkaste fordern wird, wird er entfernt werden und ein anderer Bonaparte wird seinen Platz einnehmen.

Die Tatsache, dass die Generäle und Offiziere in den Bergen und ländlichen Gebieten ein einfaches und karges Leben geführt haben, hat hier keine Bedeutung. Napoleon ging in der revolutionären Armee in Frankreich durch eine ähnliche Phase. Aber sobald sie an der Macht war, umgab sich die Kaste mit Pomp und Privilegien, bis hin zu „prachtvollen Uniformen". Bürgerliche Beobachter, die den Unterschied zwischen der korrupten und bestechlichen Verwaltung und Offizierskaste der Kuomintang und der sehr einfachen und ehrlichen Verwaltung und Organisation der Armee und der Gebiete, die von den Roten kontrolliert werden, kommentierten, wiesen darauf hin, dass man warten müsse, bis die Roten die glitzernde Beute der Städte in Nord- und Südchina übernommen hätten. Auf einer niedrigen landwirtschaftlichen Grundlage würde keine große soziale Differenzierung stattfinden. Um es zu wiederholen, es ist keine Frage der „Psychologie" von Individuen unabhängig von jeder gesellschaftlichen Basis, sondern das notwendige Erscheinungsbild und die Psychologie von Gesellschaftsgruppen in der Gesellschaft

Ein weiterer Tito?

Die Tatsache, dass Mao eine wirkliche Massenbasis unabhängig von der russischen Roten Armee hat, wird aller Wahrscheinlichkeit nach zum ersten Mal eine unabhängige Basis für den chinesischen Stalinismus liefern, der nicht länger direkt von Moskau abhängen wird. Der chinesische Stalinismus entwickelt mit Mao, wie bei Tito, eine unabhängige Basis, trotz der Rolle der Roten Armee in der Mandschurei. Wegen der nationalen Bestrebungen der chinesischen Massen, dem traditionellen Kampf gegen fremde Vorherrschaft, den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Landes und vor allem der mächtigen Basis eines unabhängigen Staatsapparates ist die Gefahr eines neuen und wirklich gewaltigen Tito ein Faktor, der in Moskau Sorge verursacht. Die Titoisten haben wegen der Ähnlichkeit zur Bewegung in Jugoslawien schon die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung vorausgesagt.

In der Mandschurei, wo die Russen Kontrolle über die Ostchinesische Eisenbahn und Basen in Port Arthur und Dairon haben, lassen sie schon ihre Marionette Li-Li San kontrollieren. Li-Li San ist ein diskreditierter stalinistischer Funktionär, der die ultralinke Politik Stalins in der Dritten Periode in den frühen dreißiger Jahren durchführte und ein traditioneller Gegner Maos und kontrolliert als verlässliche Marionette die Mandschurei. Bemerkenswerterweise hat er Jahre im Exil in Russland verbracht. Durch die Kontrolle der Mandschurei, das früher den Großteil der chinesischen Industrie umfasste, hofft der Kreml, eine Basis aufrechtzuerhalten. In Sinkiang hat Stalin eine Unterstützungsbasis durch Verhandlungen mit der bürgerlichen Regierung der Kuomintang errichtet.

Die Unterordnung der chinesischen Wirtschaft zum Nutzen der russischen Bürokratie mit dem Versuch, Marionetten die Kontrolle zu geben, die Moskau völlig untergeordnet sind — mit anderen Worten die nationale Unterdrückung der ChinesInnen — wird die Basis für einen Zusammenstoß mit dem Kreml von gewaltiger Größe und Bedeutung schaffen. Mao wird mächtige Unterstützungspunkte gegen Moskau haben mit einem unabhängigen und mächtigen Staatsapparat, mit der Möglichkeit des Manövrierens mit den Imperialisten des Westens, die mit China wegen Handel verhandeln und einen Keil zwischen Peking und Moskau zu treiben versuchen werden, mit der Unterstützung der chinesischen Massen als siegreicher Führer gegen die Kuomintang.

Gerade Stalins Versuche, diese Entwicklung abzublocken, wird die Feindseligkeit und den Konflikt tendenziell beschleunigen und verstärken. Wenn Mao mit Stalin bricht, wird ihn dies nicht in einen Trotzkisten verwandeln. Wir werden Mao gegen Stalin kritische Unterstützung geben, so wie Tito. Aber gegen beide werden wir weiterhin die internationalistische marxistische Position vertreten.

Der letzte und am sachdienlichste Punkt betrifft die Rolle der Vierten Internationale. Genosse James sagt: „Inzwischen „errichten" die Stalinisten eine Revolution, in der die TrotzkistInnen keine erkennbare Rolle spielen. Grants Hinweise auf die stalinistische Perversion des Marxismus und die kommende Rolle der TrotzkistInnen haben sichtlich eine rein rituelle Bedeutung, die aus einer früheren Vorstellung des Stalinismus abgeleitet ist, die Grant selbst fallengelassen hat."

Und nachdem er aus „World News and Views" zitiert hat, wo Mao sagt „die Revolution der großen Masse des Volkes unter der Führung des Proletariats…", kommentiert James wieder: „Wenn dies wahr ist, müssen wir es unterstützen, mit Kritik, aber jede Idee an eine unabhängige Rolle der chinesischen TrotzkistInnen aufgeben." Wenn die Revolution vom Proletariat geführt würde, warum dann „mit Kritik" unterstützen? Ohne Kritik, Genosse! Wir würden uns bei Mao einreihen.

Wir denken, wir haben oben die Deformationen der chinesischen Revolution und ihre Wurzeln gezeigt. Wir unterstützen die fortschrittlichen Maßnahmen, die die Stalinisten ergreifen auf die gleiche Weise, wie wir sie in Finnland und Polen unterstützt haben, aber wir warnen vor der unausweichlichen Korruption wegen der beteiligten Gesellschaftskräfte. Also ist die Rolle der chinesischen Trotzkistinnen klar. Sie unterstützen, ja preisen, die eingeführten fortschrittlichen Maßnahmen; gleichzeitig erklären sie die Notwendigkeit von Sowjets, von demokratischer Kontrolle durch die Massen etc. und lehnen alle reaktionären Maßnahmen im Interesse der Bürokratie gegen die Massen ab. Sie haben keine leichte Aufgabe. Die Opposition wurde in Russland praktisch ausgelöscht; heißt das, dass es keine Rolle für Trotzkistinnen in Russland gibt? Wir setzen unser Vertrauen in den chinesischen Trotzkismus, nicht als bloßes Ritual, sondern weil wir Vertrauen in die Zukunft des Sozialismus haben. Aus eigener Willenskraft wird China nie vom bürokratischen Würgegriff befreit werden.