Ted Grant: Nahostkrieg: Arbeitereinheit einzige Lösung (Oktober '73)
[Miltant Nr. 177, 19. Oktober 1973]
Übersetzung von Wolfram Klein
Der vierte israelisch-arabische Krieg begann mit dem Vorrücken der syrischen und ägyptischen Truppen auf die Golanhöhen und über den Suezkanal auf Gebiete, die die Israelis im 3. Krieg besetzt hatten.
Nach den ersten Erfolgen der arabischen Kräfte sind die Israelis über die alte Waffenstillstandslinie weiter nach Syrien vorgerückt, während in der Wüste Sinai ein vorübergehendes Patt aufrecht erhalten wurde.
Dieser Krieg wurde wohl durch einen Überraschungsangriff der ägyptischen und syrischen Kräfte begonnen, im Unterschied zum Krieg 1967, bei dem es einen Überraschungsangriff der israelischen Kräfte gab.
Klassenbewusste ArbeiterInnen jedoch kümmern sich nicht darum, wer den Krieg angefangen hat, sondern um den Klassencharakter der beteiligten Kräfte und die Motive und Ziele dieser Kräfte.
Die Lügen der Kommunistischen Partei und ihrer Zeitung, des Morning Star, die behaupten, dass dieser konkrete Krieg von der israelischen herrschenden Klasse angefangen worden sei, dient nur dazu, sie zu diskreditieren.
Aber der reaktionäre und utopische Charakter des Zionismus zeigt sich in den vier Kriegen, die durch die Politik der Stärke und das sich Verlassen auf den Imperialismus, um sich von ihm gegen die arabischen Regime im Nahen Osten stützen zu lassen, hervorgerufen worden sind. Nach dem Abschlachten von Millionen JüdInnen (und Millionen PolInnen, RussInnen, UkrainerInnen, Deutschen und anderen) durch die Nazis, suchten viele JüdInnen aus der Mittelschicht und Arbeiterklasse Sicherheit in Palästina.
Dies führte zum ersten Krieg 1948, als der britische Imperialismus abzog und die Vertreibung von hunderttausenden palästinensischen AraberInnen stattfand. So wurde die Drachensaat künftiger Kriege gesät.
Die arabischen Regime, sowohl radikale als auch traditionelle halbfeudale Autokratien fanden in dem Reizmittel der Existenz des jüdischen Staats Israels mitten unter ihnen einen Brennpunkt für die Unzufriedenheit ihrer ArbeiterInnen und BäuerInnen.
Die palästinensischen Flüchtlinge konnten nicht aufgesogen werden wegen der Schwäche der Wirtschaften und weil es in Ägypten und den anderen Ländern schon landlose Fellachen gab, die wegen dem System des Landeigentums und dem Fehlen entwickelter Industriestaaten in der Region nicht integriert werden konnten. Die Herrscher wollten die Palästinenser auch gar nicht integrieren, sondern als Waffe gegen den israelischen Staat behalten.
Israel war in seinen frühen Jahren ein Werkzeug des anglo-französischen Imperialismus, wie der 1956 im Bündnis mit ihnen geführte Krieg belegte.
Jetzt haben die anglo-französischen Imperialisten die Seiten gewechselt und geben zwar vor, neutral zu sein, sind aber zu lauwarmer Unterstützung der arabischen Staaten umgeschwenkt. Daher das unparteiische Embargo, das Israel mit seinen Centurion-Panzern und Mirage-Flugzeugen mehr als die arabischen Staaten trifft.
Das fromme Gejammer über vergossenes Blut ist völlig heuchlerisch. Sie sorgen sich mehr um Öl und Märkte.
Die Israelis sind nach der Abhängigkeit vom anglo-französischen Imperialismus völlig vom amerikanischen Imperialismus abhängig geworden in der Frage der Lieferung von Kriegsmaterialien, Zuwendungen, Subventionen und politischer Unterstützung.
Der Nahe Osten wurde einer der Schlüsselregionen der Welt - strategisch - und beim Öl, ohne das die Industrie in Europa, Japan und Amerika stillstehen würde.
Die russische Bürokratie hat bei der Errichtung Israels geholfen - als Schlag gegen den britischen Imperialismus - ist aber nach dem Sturz der traditionellen Herrscher in Ägypten, Syrien und Irak zur Unterstützung der arabischen Regime - besonders der radikalen Regime - umgeschwenkt.
So hat, während der amerikanische Imperialismus hauptsächlich Israel mit modernen Kriegswaffen versorgt hat, die russische Bürokratie diese arabischen Staaten mit Panzern, Flugzeugen und Raketen versorgt.
Auf beiden Seiten sind ungeheure Summen, für diese schwachen Volkswirtschaften, für Waffen vergeudet worden. Israel verwendet etwa 30% des Bruttosozialprodukts (BSP), mehr als 50% des Staatshaushalts für Waffen. Ägypten gibt ähnliche Beträge aus.
Das ist im Verhältnis zum BSP mehr als dreimal so viel, wie die riesigen Industriestaaten Britannien und Frankreich, Amerika und Deutschland ausgeben; 15mal so viel wie Japan.
So sind die stattfindenden Schlachten, die Panzer, Flugzeuge und Geschütze zu Schrott machen, was das Material betrifft größer als die Schlachten in der Region von Britannien, Italien und Deutschland im Zweiten Weltkrieg.
Ein großer Teil des von den arabischen und jüdischen ArbeiterInnen erzeugten Mehrwerts wird so für Kriegsmaterialien vergeudet, abgesehen davon, dass die Blüte der Jugend getötet und verwundet wird.
Syrien wird von den Imperialisten besonders gehasst, weil sie Großgrundbesitz und Kapitalismus abgeschafft haben - wenn auch mit einem totalitären Militär- und Polizeistaat wie dem in Russland, statt nach dem Vorbild wirklicher Arbeiterdemokratie.
Deshalb wäre es den Imperialisten nicht unwillkommen, dessen Gesellschaftssystem durch die israelischen Armeen zerstört zu sehen. Alle SozialistInnen würden daher Syrien in diesem Krieg trotz seiner bürokratischen Herrscher unterstützen.
Im Unterschied dazu sind die Ziele aller anderen Teilnehmer völlig reaktionär. Ägypten und Israel und die anderen Regime stützen ihre zerbrechlichen Strukturen, indem sie auf die Gefahr durch den Feind von außen hinweisen.
Auf diesem Weg gibt es keine Lösung für die Probleme der israelischen, ägyptischen und anderen arabischen Völker.
Die instabile und zerbrechliche Entspannung zwischen den amerikanischen Imperialisten und der russischen Bürokratie hat beim ersten Test Zeichen des Zusammenbrechens gezeigt.
Sie liefern ihren jeweiligen Klienten schnell Nachschub an Panzern, Flugzeugen und Geschützen - der modernsten Art - und Raketen und Geschosse.
So wird das blutige Spiel der Machtpolitik in der Wüste gespielt, mit den israelischen ArbeiterInnen und arabischen ArbeiterInnen und BäuerInnen als Bauernopfer.
Die Illusionen der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, dass Abkommen und Kuhhändel den Völkern der Welt Ruhe und Frieden bringen können, zerbrechen erneut bei der ersten Berührung mit der Wirklichkeit.
Die Vereinten - in Wirklichkeit veruneinten - Nationen waren wie in jedem kleinen Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg gelähmt und unfähig. Der Sicherheitsrat wird durch die Widersprüche zwischen den Groß- und Supermächten des bürokratischen Russlands, imperialistischen Amerika, bürokratischen China und imperialistischen Frankreich und Britannien blockiert.
Sie sorgen sich nicht im mindesten um Frieden, sondern nur um ihre eigenen althergebrachten Interessen - Prestige, Macht, Privilegien und Einkommen, im Fall von Britannien, Frankreich und Amerika den kapitalistischen Interessen.
Der riesige amerikanische Imperialismus stümpert in der Politik des Öls - und Bluts - herum.
Die Bürokratie Russlands spielt auch das tödliche Spiel der Machtpolitik. So schlägt das Feuer der Geschütze und Raketen im Nahen Osten die Illusionen der unbefristeten friedlichen Koexistenz zwischen kapitalistischen und Arbeiterstaaten in Trümmer. Wie deformiert letztere auch sind, die Beseitigung von Großgrundbesitz und Kapitalismus stellt langfristig eine schreckliche Bedrohung für den Kapitalismus dar.
Die Vergeblichkeit der UNO zeigt sich daran, dass sie nur drittrangige Meinungsverschiedenheiten zwischen zweitrangigen Mächten und kleinen Staaten lösen kann, die um die riesigen Supermächte kreisen. Wo deren Interessen betroffen sind, kann sie nicht einmal zweitrangige Probleme lösen, ganz zu schweigen von größeren Interessenkonflikten.
In den Flammen des Kriegs im Nahen Osten wurden alle Politiken und Lehren des Sozialismus getestet.
Der anglo-amerikanische und westdeutsche Imperialismus sorgen sich nicht um moralisches Recht oder Unrecht des Krieges, sondern um die Politik von Öl und Märkten. So haben sie in den Jahren seit 1956 mit großem Zynismus die Achse ihrer Beteiligung verschoben.
Die Echos des Nahostkriegs haben enthüllt, was für die marxistische Strömung eine Selbstverständlichkeit ist - dass jeder Winkel der Erde jetzt mehr von anderen abhängig ist als je in der Geschichte.
Deshalb muss die Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung in allen Fragen national und international eine Klassen- und internationalistische Position haben.
Selbst wenn sie einen Sieg erringen und einen Teil das ihnen von den Israelis geraubten Gebiets zurückbekommen, wird das die Probleme der ÄgypterInnen und SyrerInnen und auch nicht der arabischen Völker lösen.
Selbst wenn die Israelis siegreich sind, werden sie nur eine vorübergehende Atempause erreicht haben - bis zum nächsten Krieg in fünf oder zehn Jahren. Es gibt 100 Millionen AraberInnen gegen 3 Millionen JüdInnen und sie entwickeln langsam eine Industrie.
Israel ist eine riesige Falle für die jüdischen ArbeiterInnen und das jüdische Volk. Es liefert auf kapitalistischer Grundlage nur eine Illusion von Sicherheit. Indem es die palästinensischen BäuerInnen vertrieben hat, hat es ihren nicht verschwindenden Hass erzeugt.
Die AraberInnen, die bleiben, werden nur als zweitklassige BürgerInnen behandelt, die in dem Land ihrer Geburt diskriminiert werden.
Auf kapitalistischer Grundlage kann es weder Frieden noch Stabilität geben. Die Siege der israelischen herrschenden Klasse - das Preußen des Nahen Ostens - schaffen bloß die Grundlage für endlose Kriege.
Auf der gegenwärtigen sozialen Grundlage kann keine Seite für die Massen der feindlichen Seite Anziehungskraft haben. Sie könne auch nicht die Massen der Welt zu ihrer Unterstützung anstacheln.
Die Interessen der ArbeiterInnen überall liegen in der - kritischen - Unterstützung Syriens, wegen der sozialen Grundlage des Regimes.
Es kann jedoch keinen Frieden im Nahen Osten geben ohne soziale Umgestaltung der Gesellschaft des Nahen Ostens. Dies würde eine arabische Revolution und die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft beinhalten. Es würde den Sturz des kapitalistischen Regimes in Israel beinhalten.
Auf einer sozialistischen Grundlage könnten jüdische und arabische ArbeiterInnen und BäuerInnen einander die Freundschaftshand reichen. Eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens mit einem autonomen Israel in ihr - mit dem Recht auf Rückkehr für alle, die sie erstreben - ist die einzige Lösung im Interesse der Völker des Nahen Ostens und der Weltarbeiterklasse.