Interview mit Alan Woods:

Was tun gegen die drohende Konterrevolution in Venezuela?

Lässt sich die Reaktion durch Mäßigung besänftigen?

 

Alan Woods, Redakteur von www.marxist.com und Initiator des internationalen Aufrufs "Hände weg von Venezuela" ist in den letzten Tagen in Venezuela auf mehreren Großveranstaltungen zum Jahrestag des gescheiterten Putschversuchs vom April 2002 als Redner aufgetreten. Er hat dabei auch mit Präsident Hugo Chávez über die Perspektiven der venezolanischen Revolution gesprochen. Eine leicht gekürzte Fassung dieses Interviews erschien am 21. April 2004 in der Tageszeitung "junge Welt".

 

Das revolutionäre Venezuela hat sich gegen den Druck des Imperialismus behauptet. Wie schätzt Du nach den jüngsten Ereignissen im Irak und in Haiti die weltpolitische Lage und die Stärke der USA ein?

 

Der US-Imperialismus ist fraglos die mit Abstand stärkste Wirtschafts- und Miltärmacht. Doch die Allmacht der USA hat ihre Grenzen, wie sich jetzt zeigt. Die Irak-Invasion und die Zerschlagung der irakischen Armee war relativ leicht und war auch nicht überraschend. Aber jetzt zeigt sich, daß es auf einem ganz anderen Blatt steht, ein Land auf Dauer gegen den Widerstand des Volkes zu besetzen. Dies haben die britischen Imperialisten schon in der Vergangenheit erfahren müssen.

Der Irak-Krieg war von Anfang an reaktionär und hat im letzten Jahr massiven Widerstand in Europa, den USA und anderswo hervorgerufen. Die Menschen sehen, daß das Gerede von den Massenvernichtungswaffen von Anfang an verlogen und erfunden war. Entgegen der Propaganda vom "Krieg gegen den Terror" breitet sich der Terrorismus wie eine Epidemie aus. Staatsterrorismus und individueller Terrorismus schaukeln sich gegenseitig hoch. Vergessen wir nicht: al Qaeda war ein Werkzeug der CIA im Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan.

Ohne Stabilität im Irak kann der Imperialismus nicht einmal die riesigen Ölreserven richtig ausbeuten. Solange Pipelines sabotiert und US-Zivilisten getötet werden, ist das Klima für massive US-Investitionen alles andere als günstig. So könnte die Besatzung für die USA am Ende sogar sehr teuer werden.

 

Du hast in Venezuela viele Gespräche geführt und Eindrücke gewonnen. Wie siehst Du den aktuellen revolutionären Prozeß?

 

Die USA betrachten Lateinamerika als ihren "Hinterhof" und haben eine tödliche Angst vor dem revolutionären Prozeß in Venezuela, weil dieses Beispiel auf dem ganzen Kontinent Schule machen könnte. Daher versuchen sie alles, um die demokratisch gewählte Regierung von Hugo Chávez zu stürzen.

Diese Regierung hat viel Positives zustande gebracht, Reformen im Interesse der Arbeiter und Bauern durchgeführt, den ärmeren Massen ihre Würde zurückgegeben und dem äußeren und inneren Druck der Konterrevolution standgehalten. Aber die Revolution darf nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Die wirtschaftliche Macht ruht immer noch in den Händen der Großgrundbesitzer und Kapitalisten, die sich mit der Revolution nie abfinden und aussöhnen werden. Sie werden weiter alles unternehmen, um die Errungenschaften der Revolution wieder zu liquidieren, die Regierung zu stürzen und das Volk von Venezuela wieder voll und ganz zu unterjochen.

 

Zeigt nicht die Erfahrung in Haiti, daß auch Venezuela eine Invasion drohen könnte?

 

Die Entwicklung in Haiti ist kein Zufall. Die USA setzten auf den Sturz Aristides, weil sie ihm nicht mehr trauten, denn er war noch zu sehr bereit, auf die Belange und Forderungen der armen Haitianer Rücksicht zu nehmen. Sie wollen auch Hugo Chávez stürzen, obwohl ich derzeit nicht damit rechne, daß sie in Venezuela direkt militärisch intervenieren werden. Sie sind zu sehr im Irak gebunden und würden in Venezuela auf erbitterten Widerstand stoßen. Venezuela ist nicht Haiti. Aber neue, von den USA gelenkte konterrevolutionäre Umsturzversuche von innen sind in Venezuela akut zu befürchten.

 

Wie sollte Sich die venezolanische Revolution vor der imperialistischen Einmischung schützen?

 

Die Massen in Venezuela haben schon zweimal konterrevolutionäre Umsturzversuche abgewehrt. Aber mit dem Sieg in zwei Schlachten ist der Krieg noch nicht beendet. Zweimal waren die Konterrevolutionäre desorientiert und demoralisiert. Aber dann konnten sie sich wieder aufrappeln und neue konterrevolutionäre Offensiven vornbereiten.

Angriff ist die beste Verteidigung. Die Revolution muß weitergetrieben und vollendet werden. Der Würgegriff der Kapitalisten und Großgrundbesitzer muß beseitigt werden. Großbetriebe, Banken und Großgrundbesitz gehören in öffentliches Eigentum und unter demokratische Arbeiterkontrolle und -verwaltung. Es geht natürlich nicht darum, jede Klitsche zu verstaatlichen; dies ist weder wünschenswert noch nötig. Wir sollten den Mittelschichten vielmehr klarmachen: Euer Feind ist der Großkapitalist und Großgrundbesitzer.

 

Aber manche warnen, ein solch radikales Vorgehen würde erst recht den Imperialismus und die Reaktion auf den Plan rufen?

 

Manche meinen in der Tat, dadurch würde man die Reaktion provozieren. Aber dies ist absurd. Die Imperialisten und Reaktionäre haben schon hinreichend unter Beweis gestellt, daß sie keine Provokation mehr brauchen. Eine siegreiche Konterrevolution würde sich an den Revolutionären furchtbar rächen. Nicaragua in den 80er Jahren zeigt: auch eine halbe Revolution ist für Reaktion und Imperialisten nicht akzeptabel. Die Vorstellung, durch eine "gemäßigte" Politik im Lager der Revolution könnte man die Konterrevolution besänftigen, ist höchst gefährlich. In Wahrheit werden sie dadurch nur erst recht umso frecher und aggressiver.

Die bolivarische Bewegung hat Millionen Arbeiter, Bauern und andere unterdrückte Schichten mobilisiert und ihnen Selbstbewußtsein gegeben. Jetzt braucht diese Bewegung marxistische Ideen und Perspektiven, um den Klassenfeind endgültig zu besiegen.

 

Interview: Hans-Gerd Öfinger