Die Lehren von Spanien

von Alan Woods

Spaniens SozialistInnen haben bei den Parlamentswahlen am vergangenen Wochenende einen sensationellen Wahlsieg eingefahren. In Anbetracht der Umfragen, welche einen klaren Sieg der Volkspartei (PP) vorausgesagt hatten, kam dieses Ergebnis völlig überraschend. Diese Wahl brachte eine plötzliche und absolut weitreichende Veränderung der gesamten politischen Lage Spaniens. Binnen Tagen hatte sich die Stimmung in den Massenfundamental gewandelt.

Dieses Ereignis verdient unsere volle Aufmerksamkeit, weil sein wahrer Gehalt darin besteht, dass es die grundlegenden gesellschaftlichen Prozesse, welche derzeit die Welt bestimmen, für jedermann sichtbar gemacht hat. Die Tatsache, dass dieser Stimmungswandel derart plötzlich eintreten konnte, ist nichts anderes als eine Widerspiegelung der allgemeinen Krise des Weltkapitalismus, welche mittlerweile jedes Land dieser Erde auf die eine oder andere Art und Weise erfasst hat.

Die gegenwärtige Phase der Weltgeschichte ist global gesehen durch eine kolossale und bisher ungekannte Instabilität gekennzeichnet. Ihren Ausdruck findet dies auf allen Ebenen der Gesellschaft in unvorstellbaren Schwankungen in der Stimmung sowohl der herrschenden Klasse wie auch der Massen. Niedergeschlagenheit und Frustration können binnen kürzester Zeit durch Euphorie und Optimismus ersetzt werden. Politischen Pendelschlägen nach rechts folgen noch stärkere Pendelschläge nach links.

In ihrer Gesamtheit stellen diese Phänomene eine oberflächliche Widerspiegelung der organischen Krise des Kapitalismus dar. Diese Krise kann jedoch nicht mit den reinen Konjunkturkrisen der Wirtschaft gleichgesetzt werden. Im Gegensatz zu Letzterer hat die organische Krise einen universellen Charakter. Im Grunde drückt sie die Tatsache aus, dass der Entwicklung der Produktivkräfte durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln und den Nationalstaat an seine Grenzen gestoßen ist.

Die so genannte Globalisierung war der Versuch einen Ausweg aus dieser Sackgasse zu finden. Dem Kapital ist es durch diese Internationalisierungsstrategie auch anfänglich gelungen eine tiefe Wirtschaftskrise zu verhindern. Doch selbst dieser Prozess ist nun an seine Grenzen gestoßen. Das einzige was hier erreicht worden ist, war die Reproduktion aller Widersprüche des Systems in noch viel größerem Ausmaß als jemals zuvor. Die Globalisierung manifestiert sich daher nun in Form einer globalen Krise des Kapitalismus. Dies drückt sich in verschiedener Art und Weise aus: Wirtschafts-, Finanz-, Währungskrisen aber auch politische, diplomatische und militärische Konflikte.

Der Terrorismus, der längst das Ausmaß einer chronischen und scheinbar unbesiegbaren Krankheit angenommen hat, ist nur ein weiteres Symptom dieser Krise. Die Bürgerlichen versuchen nun die gesamte Aufmerksamkeit auf dieses einzelne Symptom zu lenken ohne dabei die wahren Ursachen dieses Phänomens nennen zu wollen. Dabei nutzen sie den „Kampf gegen den Terror“ zur Ablenkung von der Tatsache, dass sich ihr System längst in eine Sackgasse manövriert hat. Zur Lösung der Probleme, die aus der Krise des Weltkapitalismus erwachsen, fällt ihnen offensichtlich nur noch ein Mittel ein – rohe Gewalt.

In dem Versuch die „Ordnung“ durch den Einsatz militärischer Macht wiederherzustellen, verursachen sie jedoch zusätzliche Krisen und Turbulenzen, die sich durch einen noch gewaltigeren und barbarischeren Charakter auszeichnen. Somit hat die militärische Intervention im Irak keines der vorhandenen Probleme einer Lösung zugefügt sondern nur noch größeres Chaos und noch mehr Instabilität ausgelöst.

Terrorismus und Krieg nähren sich gegenseitig und schaffen einen tödlichen Kreislauf von Aktion und Reaktion. Die Barbarei, die wir über Jahrzehnte in der „Dritten Welt“ erleben mussten, erreicht nun auch die entwickelten kapitalistischen Länder. Das Massaker von Madrid ist eine fürchterliche Bestätigung dieser These. Der Terroranschlag in der spanischen Hauptstadt hat nun unmittelbar eine Kettenreaktion ausgelöst, welche die gesamte Situation nachhaltig verändern wird.

Eine Lehre in Sachen Dialektik

Die Dialektik lehrt uns, dass sich Dinge in ihr Gegenteil verändern. Als Jose Maria Aznar, der bisherige spanische Ministerpräsident, die Wahlniederlage seiner rechten Volkspartei eingestehen musste, hatte er eine gute Gelegenheit darüber zu philosophieren, wie korrekt die dialektische Methode tatsächlich ist.

Noch vor einer Woche war die Stimmung in der spanischen Arbeiterklasse von Pessimismus gekennzeichnet. Jetzt ist aber alles anders! Übernacht hat sich das Stimmungsbild unter den Arbeitern und Jugendlichen grundlegend verändert. Die Berichte von den Feiern vor dem Sitz der PSOE in Madrid und dem triumphalen Autokorso der SozialistInnen zeigen dies sehr deutlich.

Wie lässt sich diese dramatische Entwicklung aber erklären? Eine entscheidende Rolle dabei spielte ganz offensichtlich der Terroranschlag vom letzten Donnerstag, der rund 200 Tote und 1500 Verletzte forderte. Dieses Ereignis mobilisierte die WählerInnen zu den Urnen. Die Wahlbeteiligung stieg gegenüber dem letzten Wahlgang im Jahr 2000 um 9 Prozentpunkte auf 74 Prozent. Damals hatte die PP noch eine absolute Mehrheit erreicht. Die Vorhersage, dieser Terroranschlag würde die PP weiter stärken, sollte sich jedoch als falsch erweisen. Die Menschen gingen zur Wahl, um die PP endlich loszuwerden. Das war ein erstaunliches Zeichen politischer Reife und Klassenbewusstseins.

Aznar und die Meinungsforschungsinstitute waren nicht die einzigen, die fix mit einem klaren Sieg der PP rechneten. Die meisten Linken waren sich ebenso sicher, dass diese Wahl nicht zu gewinnen war. Diese reaktionäre Rechtsregierung schien fest im Sattel zu sitzen. Die Stimmung in der Linken war von Pessimismus und Fatalismus geprägt. Binnen kürzester Zeit ist jetzt aber alles anders geworden.

Wie das? Man kann dies nur auf eine Ursache zurückführen, nämlich die plötzliche Eruption der Arbeiterklasse auf der politischen Bühne. Nach dem Terroranschlag von letztem Donnerstag durchmachte die spanische Gesellschaft eine ganze Palette von Gefühlen – Schock, Trauer, Konfusion, Frust und schlussendlich Zorn. Dieser traf dann mit ganzer Wucht die regierende PP.

Die PP-Regierung wusste nahezu die gesamten Massenmedien hinter sich, und sie nutzte dies mit einem erstaunlichen Zynismus und einem Hang zur Manipulation von Informationen. Eine unvorstellbare Medienkampagne voller Lügen und bewussten Verzerrungen der Wahrheit wurde in den Tagen vor der Wahl aufgezogen. Panik sollte gesät werden, um die öffentliche Meinung nach der starken Hand der Regierung rufen zu lassen. Doch ganz im Gegensatz zu der Hysterie, die von linken Intellektuellen gerne geschürt wird, dass die Kontrolle über die Massenmedien ein unbezwingbare Hürde im Kampf für eine andere Gesellschaft darstellen würde, verpuffte die ganze Medienpropaganda im Angesicht der Wahrheit. Ja, sie wirkte sogar völlig kontraproduktiv.

Aznar versuchte dieses Massaker zynisch für die eigenen wahlkampftaktischen Überlegungen zu nutzen. Auf der Grundlage „Krieg gegen den Terror“ sollten die WählerInnen hinter der PP mobilisiert werden. Die Behörden verbreiten bewusst Lügen und hielten Fakten zurück, um die Bevölkerung im Glauben zu lassen, die ETA sei für diese Tat verantwortlich. Mit allen Mitteln sollte verschwiegen werden, dass die Al-Kaida in dieses Verbrechen involviert gewesen ist, weil dies natürlich die Unterstützung der PP für Bushs Irakkrieg in ein schiefes Licht setzen würde.

Die Führer der PSOE und der Vereinigten Linken (IU) hatten nichts Besseres zu tun als auf die Regierungslinie einzuschwenken und den Ruf nach „nationaler Einheit“ mit zu tragen. An den Massendemos, die letzten Freitag in ganz Spanien abgehalten worden waren, beteiligten sich rund 12 Millionen Menschen (allein 2 Millionen in Madrid). Doch selbst bei diesen Demos, die eben als Ausdruck der „nationalen Einheit“ gedacht waren, gab es bereits erste Zeichen der Spaltung in der Gesellschaft. Beim Auftritt von Aznar neben dem Prinz von Asturien wurde er von einem Teil der Demo mit Pfiffen empfangen.

Je mehr Zeit verging, desto klarer wurde es, dass es sich hier durchaus auch um einen Anschlag der Al-Kaida handeln könnte. Die Regierung hielt trotzdem eisern an der Meinung fest, es wäre ein Anschlag der ETA gewesen. Überall wurde nun die Frage gestellt, wer für dieses Verbrechen verantwortlich sei.

Einmischung der Massen

Die Differenzen, die sich bereits bei den Freitagsdemos manifestierten, spitzten sich nun immer mehr zu. Bei den unzähligen Demos und Kundgebungen im Zuge des Wochenendes kam es immer öfter zu Spannungen zwischen den TeilnehmerInnen. In dieser Massenbewegung begann sich eine Differenzierung entlang von Klassenlinien zu entwickeln.

Der Terroranschlag vom 11. März war ein Schlag gegen die Arbeiterklasse. Die betroffenen Bezirke waren nicht das bürgerliche Barrio de Salamanca sondern die Arbeiterviertel Vallecas und Pozo. Die Terroropfer waren keine Banker und Börsenspekulanten sondern ArbeiterInnen auf dem Weg in die Arbeit und Arbeiterkinder, die zur Schule fuhren. Bei den Begräbnissen sah man wenige Anzüge und Krawatten. Die trauernden Gesichter waren die Gesichter ganz normaler Menschen aus der Arbeiterklasse. Das waren Menschen, die einen fürchterlichen Preis für etwas bezahlen mussten, für das sie nichts konnten.

Normalerweise interessieren sich diese Menschen wenig oder gar nicht für Politik. Sie interessieren sich nicht für Ereignisse der großen Weltpolitik, weil sie ihnen fern und unbegreifbar erscheinen. Diese internationalen Geschehnisse und Entwicklungen scheinen irrelevant für ihr Alltagsleben und das ihrer Familien. Doch plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, explodierte die internationale Krise mitten in ihrer kleinen Welt und erschütterte ihr Leben.

Der Hauptgrund dafür, dass die spanische Bevölkerung so entschieden dafür votierte, die PP aus dem Amt zu jagen, liegt in dem völlig korrekten Gedankengang, dass Spanien durch Aznars sklavische Unterstützung für George Bush und dessen “Krieg gegen den Terror” zu einem vorrangigen Ziel für radikale Islamisten geworden ist. Aznars Außenpolitik im Zuge des Irakkriegs ist direkt für den Terroranschlag in Madrid verantwortlich. Ohne die direkte Einmischung der Massen wäre es jedoch niemals zu diesem Wahlergebnis gekommen.

Die Demos, zu denen die PP aufgerufen hatte, verwandelten sich überall in Demos gegen die PP. Am Samstag richtete sich die Bewegung sogar direkt gegen die PP. Die Menschen sahen, dass Aznar und seine Regierung aus wahltaktischen Gründen Informationen über die Rolle der Al-Kaida an diesen Anschlägen zurückzuhalten versuchte. Dies ließ die Situation explodieren, was sich am Samstag in wütenden Demonstrationen vor den Parteihäusern der PP manifestierte.

TV-Berichte zeigten unglaubliche Szenen, wo Menschen (teilweise sogar Pensionisten) die Sicherheitskräfte attackierten. Sondereinheiten der Polizei gingen sogar mit Schlagstöcken gegen DemonstrantInnen vor. In mehreren Fällen zielten sie sogar mit ihren Gewehren auf die entrüstete Menge. Ein ernstzunehmender Clash lag in der Luft. Angesichts von rund 10.000 DemonstrantInnen sah sich die Polizei letztlich aber gezwungen zurück zu stecken.

Regierungssprecher erklärten, dass diese Demos “illegal” seien, da sie am so genannten “Tag der Reflexion” abgehalten worden waren (das ist der Tag vor einer Wahl, wo per Gesetz keine politischen Veranstaltungen stattfinden dürfen). Dies zeigt, wie sehr sich die Führer der Rechten von der Stimmung der Massen bereits entfernt hatten. Unter solchen Umständen war es eine völlig absurde Vorstellung zu glauben, die Menschen würden einfach zu Hause bleiben. Wer nur ein wenig von den Traditionen der spanischen Arbeiterklasse versteht, konnte von den Ereignissen vom letzten Samstag nicht überrascht sein.

Der Versuch, diese Demos zu kriminalisieren, war aber ein Schuss, der nach hinten losging. Die Demonstranten schrieen unmissverständlich: „Was das Volk macht, ist nicht illegal!“ bzw. „Verbietet die PP!“ Die Menschen riefen „Lügner!“, „Mörder!“, “Sagt uns die Wahrheit!” und immer wieder “Nieder mit dem Krieg!”

Der Unmut der Massen wurde auch in Barcelona offensichtlich. Dort wurden zwei Spitzenpolitiker der PP gewaltsam aus der Demo getrieben. Ähnliches spielte sich in ganz Spanien ab. In der Regierungspartei machte sich Panik breit. PP-Politiker appellierten an die Wahlbehörde, die Oppositionsparteien zu beschuldigen, sie würden absichtlich diese Attacken auf die PP-Lokale schüren.

Die Wahlbehörde lehnte dies jedoch ab. Ganz einfach deshalb, weil es dafür keinerlei Beweise gab. Niemand hatte diese Demos organisiert. Die ArbeiterInnen und Jugendlichen, die vor den Parteizentralen der PP protestierten, taten dies völlig spontan in den besten Traditionen der spanischen Arbeiterklasse. Die Führer der Opposition waren dabei nirgends zu sehen.

Diese spontane Bewegung der Massen und sonst rein gar nichts legte den Grundstein für den historischen Wahlsieg der Sozialistischen Partei.

Entscheidende Rolle der Jugend

Ein weiteres wichtiges Element in dieser Situation war die Jugend, die sowohl bei den Demos wie auch bei den Wahlen eine entscheidende Rolle spielte. Die Wählerschaft wurde durch 2 Millionen ErstwählerInnen verstärkt. Die spanische Jugend hatte das Image unpolitisch und apathisch zu sein, trotzdem beteiligte sie sich massiv an diesen Wahlen und stimmte mit überwältigender Mehrheit für die PSOE.

Das Wiedererwachen der Jugend war ein zentraler Faktor in der gesamten Situation. Eine Schlüsselrolle bei der Organisierung, Mobilisierung und Politisierung der Jugend spielte die von der marxistischen Tendenz geführte Schüler- und Studentengewerkschaft Sindicato de Estudiantes (SE). Die SE reagierte prompt und entschieden auf die neue Entwicklung und stellte sich an die Spitze der Mobilisierungen.

Am Tag nach dem Massaker rief die SE zu Streiks und Demos auf, welche in ganz Spanien massiv befolgt wurden. Die SE war die einzige politische Kraft in Spanien, welche das revolutionäre Potential der Jugend sah. Ohne die entschiedene Intervention der SE wäre es durchaus möglich gewesen, dass rechte und sogar faschistische Elemente zumindest am Beginn, als noch Verwirrung in den Köpfen vorherrschte, ihren Einfluss stärken hätten können.

In Madrid sah man zu Beginn der Demos schon erste Gruppen von Faschisten mit ihren spanischen Fahnen. Diese wurden jedoch sehr schnell von den Mitgliedern der SE mundtot gemacht. Mit Megaphonen und Lautsprechern riefen die AktivistInnen der SE „Arbeiter und Schüler – gemeinsam sind wir stark!“. Als das Statement der SE verlesen wurde, hörten die Menschen fast schon andächtig zu, nur um dann in lauten Applaus auszubrechen.

Die Demos der SE wurden in ganz Spanien abgehalten. 50.000 in Barcelona, 20.000 in Madrid, 10.000 in Salamanca, 10.000 in Gijon, 8.000 in Bilbao. Die marxistische SE sprach der kämpferischen Bewegung regelrecht aus dem Herzen. Überall wurden die Kommuniques der SE enthusiastisch aufgenommen.

Die Rolle des Reformismus

Wenn die Massen in Bewegung geraten, dann drücken sie sich fast schon gesetzmäßig in der ersten Phase durch die traditionellen Massenorganisationen der Arbeiterbewegung aus. Sollte jemand daran zweifeln, der soll doch einen Blick auf die jüngsten Ereignisse in Spanien werfen. Obwohl die Spitzen der PSOE absolut keine Rolle in dieser Massenbewegung gegen die PP spielten, wählten die ArbeiterInnen auf der Suche nach einer Alternative massiv für die PSOE. Selbst im Baskenland legte die PSOE zu und wurde hinter der nationalistischen PNV die zweitstärkste Kraft.

José Luis Rodriguez Zapatero, der künftige Ministerpräsident Spaniens, gewann mit 43 Prozent der Stimmen. Die PSOE hält nun 164 der 350 Parlamentssitze. Dank der Unterstützung durch andere linke und regionale Parteien kann sie sich der zur Regierungsbildung nötigen Parlamentsmehrheit sicher sein.

Die Unterstützung für die SozialistInnen ist sogar weit größer als es das Wahlergebnis suggerieren würde. Wahlen geben nur einen kleinen Einblick in den tatsächlichen Bewusstseinsstand der Massen. Sie stellen nur eine Momentaufnahme dar, wobei die Stimmung der Massen ständig einer Veränderung unterworfen ist. Im Falle Spaniens kam es über Nacht zu einem Stimmungsumschwung gegen die Regierung.

Diese Wahlen fanden nur wenige Tage nach dem Terroranschlag von Madrid statt. Die Stimmung war noch sehr konfus. Die Massenmedien versuchten noch immer die öffentliche Meinung zu manipulieren. Falls schon am Wahltag die Verantwortung der Al-Kaida für diesen Anschlag klar gewesen wäre, dann wäre der Sieg der SozialistInnen noch deutlicher ausgefallen, weil die PP dann völlig demaskiert da gestanden wäre.

In Wirklichkeit war niemand mehr über diesen Wahlausgang überrascht als die Führer der PSOE selbst. Die reformistischen Führer haben kein Vertrauen in die Arbeiterklasse, und sind immer überrascht, wenn ihnen die Massen die Macht übergeben. Im selben Ausmaß waren die Führer der spanischen Gewerkschaften völlig erstaunt angesichts der massiven Beteiligung der ArbeiterInnen am letzten Generalstreik.

Um es klar zu sagen: die Niederlage der PP ist auf keinen Fall durch die Politik der PSOE zu erklären. Zabatero & Co. haben nichts dafür unternommen, dass die PP die Macht abgeben muss. Im Gegenteil, sie folgten umgehend dem Aufruf Aznars nach „nationaler Einheit“ gegen den Terror. Sie spielten damit den Rechten direkt in die Hände. Ginge es nach ihnen wäre die PP noch immer an der Macht. Die Wende ist einzig und allein auf die spontane Bewegung der Arbeiterklasse von unten zurückzuführen.

Mit zitternden Händen hat Zabatero die Macht akzeptiert, die im völlig überraschend die Arbeiterklasse übergeben hat. Er sagte nach seinem Wahlsieg: „Heute haben die SpanierInnen mit mächtiger Stimme gesprochen. Sie sagten, sie wollen eine Regierung der Veränderung. Danke für dieses Vertrauen.“ Damit liegt er ganz richtig. Die Arbeiterklasse gab Zabatero ihre Stimmen und ihr Vertrauen. Dieses Vertrauen basiert aber auf der Idee, dass eine sozialistische Regierung mit dem US-Imperialismus brechen und die spanischen Truppen aus dem Irak abziehen wird.

Die Jugend stimmte aus genau diesem Grund für die SozialistInnen. Dazu kommen jene AnhängerInnen der PSOE, die beim letzten Mal aus Enttäuschung über die Politik und das Verhalten ihrer Führung zu Hause blieben und nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten, diesmal aber zahlreich und entschlossen der rechten Regierung eine Lektion erteilen wollten. Es war also weniger ein Ausdruck des Vertrauens in die sozialistische Führung, wie Zabatero glauben mag, sondern eine Protestwahl gegen die rechte Regierung, die für ihre Zusammenarbeit mit dem US-Imperialismus und den kriminellen Irakkrieg bestraft wurde.

Eines der wichtigsten Wahlversprechen Zabateros war jenes nach dem Rückzug der 1300 spanischen Soldaten aus dem Irak. Diese Position wird von allen zur PP in Opposition stehenden Parteien geteilt. Diese Frage steht nun ganz oben auf der Tagesordnung. Die ArbeiterInnen und Jugendlichen, welche den politischen Wandel eingeläutet haben, werden nun von der PSOE verlangen, dass diese ihr Versprechen nun auch hält.

Werden die sozialistischen Führer dieses Versprechen halten? Zabateros Rede nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses war diesbezüglich nicht sonderlich verheißungsvoll. Sein Auftreten war nicht sonderlich typisch für jemand, der gerade einen fulminanten Wahlsieg eingefahren hat. Viel eher schien er eingeschüchtert angesichts der neuen Macht in seinen Händen. Sein Hauptliegen liegt nun wohl darin, die Erwartungen seiner UnterstützerInnen schnell wieder zu dämpfen. Er meinte, er wolle einen „ruhigen Wandel“, was sich ganz so anhörte als ob er gar keine Veränderung wolle.

So meinte der Independent: “Mister Zabatero war gegenüber seinem Gegner, Mariano Rajoy, äußerst konziliant und beschrieb ihn als ‚würdigen Rivalen'. Der neue Ministerpräsident sagte, dass dieses Ergebnis ein ‚Sieg für uns alle' sei.“ Zabatero machte klar, dass er genauso fest am Kampf gegen den Terror weiterarbeiten würde wie sein Vorgänger Aznar. Er sagte, er strebe „maximale Einheit aller politischen Kräfte in diesem Kampf“ an. Das sind sicher nicht die Worte, die Millionen ArbeiterInnen, die für die PSOE gestimmt hatten, hören wollen!

Die internationalen Folgen

Die Ursachen des Wahlergebnisses in Spanien können nicht in Spanien selbst gesucht werden. Sie sind die Folge der turbulenten Entwicklungen in der Arena der Weltpolitik. Und die Nachwirkungen der Ereignisse in Spanien von vergangener Woche lassen sich nicht auf Spanien begrenzen sondern werden international spürbar sein.

Diese Wahl brachte nicht nur für die rechte PP und seine Führer sondern auch für Bush und Blair eine verheerende Niederlage. Aznar hoffte, er könne ohne große Probleme die Macht an seinen von ihm selbst ausgewählten Nachfolger, Rajoy, übergeben. Wie einst Franco dachte er, es wäre alles in bester Ordnung. Er sollte aber Unrecht haben. Bush und Blair müssen nun ernsthaft besorgt sein, dass es in ihren Ländern zu ähnlichen Prozessen kommen könnte. Die Massen in Großbritannien und den USA werden mit großem Interesse die Ereignisse in Spanien verfolgen.

Die Massen bestraften die PP-Regierung für ihre Unterstützung des Irakkriegs. Das hat in London und Washington die Alarmglocken schrillen lassen. Bush und Blair haben ihren engsten Verbündeten am europäischen Kontinent verloren. Mit Ausnahme von Italiens Premier Berlusconi ist Blair in Europa nun weitgehend isoliert. Er muss fürchten, dass schon bald seine Mehrheit wie jene von Aznar dahin schmilzt. Blair und sein Freund aus dem Weißen Haus werden die Lehre aus diesen Ereignissen nicht so schnell wegschieben können.

Die Administration Bush muss noch viel starker besorgt sein als Blair. Bush steht kurz vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, und die öffentliche Meinung in den USA wendet sich langsam aber sicher gegen einen nicht enden wollenden Krieg. Die USA befürchten, dass sich Spanien nun aus dem Irak zurückziehen wird. Dass würde auch in den USA jene Stimmen stärken, die einen Abzug der US-Truppen aus dem Irak verlangen.

Zabatero hat bereits angekündigt, dass Spanien seine Truppen abziehen würde, falls sich bis Juni im Irak nichts zum Positiven ändern sollte. Die Einhaltung seines Wahlversprechens macht er jedoch von einigen Bedingungen abhängig, womit er sich ein Hintertürchen offen lassen will.

Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Vereinten Nationen ein neuerliches Manöver starten könnten. So könnte mit einer UN-Resolution die Besatzung des Irak „legalisiert“ werden. Dann hätte Zabatero ein Argument die spanischen Truppen doch im Irak belassen zu können. Die spanischen ArbeiterInnen und Jugendlichen müssen daher auf der Hut sein! Sobald die Regierung in die Knie geht, braucht es wieder Massenmobilisierungen.

In den nächsten Wochen werden Washington und London enormen Druck auf die Regierung in Madrid ausüben. Schon vor die Regierung angelobt wurde, kommen die Führer der PSOE unter den Druck der herrschenden Klasse und des Imperialismus. Zabatero hat mit Sicherheit schon Anrufe aus London und Washington erhalten, indem ihm zum Wahlsieg gratuliert worden ist, in denen er aber auch an seine „internationalen Verpflichtungen“ erinnert worden ist. Selbst vor der Wahl haben Rumsfeld und Powell die spanischen SozialistInnen gewarnt, dass sie auf keinen Fall die spanischen Truppen aus dem Irak abziehen dürften und dass sie den „Krieg gegen den Terror“ weiter unterstützen müssen. Ein weiteres Beispiel für die unvorstellbare Arroganz der politischen Elite in den USA.

Die US-Imperialisten haben die Vorstellung, sie hätten das von Gott gegebene Recht, über jede Regierung der Welt zu diktieren. Zu schwachen Ländern, die sich nicht wehren können, sagen sie: „Macht das, was wir wollen, sonst bomben wir euch nieder und besetzen euer Land!“ Länder wie Kuba oder Venezuela werden auf das Ärgste bedrängt. Nun ist scheinbar Spanien an der Reihe. Das wird unter den spanischen Massen aber enormen Ärger provozieren.

Für die sozialistische Parteiführung wird es aber nicht so einfach sein, die Wünsche ihrer UnterstützerInnen zu ignorieren. Diese Wahl fand unter dem Vorzeichen großer Massenmobilisierungen statt. Es wird nicht einfach sein, die Massen wieder ruhig zu halten. Die Regierung wird sicherlich ein wenig Zeit zum Handeln bekommen. Zabatero hat aber mit Sicherheit keinen Blankoscheck ausgestellt bekommen. Sollte er die Truppen nicht zurückziehen, dann wird er mit gewaltigen Massenmobilisierungen konfrontiert sein. Jedes Anzeichen, dass die neue Regierung vor Washington und London in die Knie gehen wird, wird eine soziale und politische Explosion auslösen. Bald schon werden sich die Spitzen der PSOE zwischen zwei Mühlsteinen wieder finden.

Was auch immer passieren wird, das wird keine ruhige Periode sein. In der nächsten Zukunft werden wir die Bedingungen für einen massiven Linksruck sehen.

Die Lehren der vergangenen Tage in Spanien sollte von allen studiert werden, die ein Verständnis bezüglich des Charakters der gegenwärtigen Periode bekommen wollen. Was jetzt in Spanien passiert ist, kann morgen schon in Großbritannien, den USA oder jedem anderen Land eine Wiederholung finden. Darauf müssen wir uns vorbereiten!

London, 15. März 2004