Saddam Hussein, der irakische Ex-Diktator, der im April dieses Jahres von den USA gestürzt worden war, wurde gestern nahe seiner Heimatstadt Tikrit verhaftet. Die Staatsspitzen in Washington, London und aber auch in den Ländern, die vor einem Jahr aus der Allianz im „Krieg gegen den Terror“ ausgeschert waren, erfreuen sich an diesem etwas verfrühten „Weihnachstgeschenk“. Sind damit alle Probleme für die USA und ihr Besatzungsregime im Irak gelöst? Welche Perspektiven hat der irakische Widerstand nach der Verhaftung von Saddam Hussein?
Die Freude im imperialistischen Lager ist natürlich groß angesichts dieses Fangs. Der massive, von Tag zu Tag stärker werdende Widerstand gegen das US-Besatzungsregime wurde darauf zurückgeführt, dass Saddam Hussein noch immer in Freiheit ist und aus dem Untergrund die Fäden ziehen kann. Die Hoffnung bei Bush, Blair & Co. lebt, dass mit der Verhaftung des „Oberschurken“ der Widerstand zusammenbrechen könnte und endlich Ruhe und Ordnung im Irak einkehren könnten.
Dieser aus ihrer Sicht entscheidende Schlag gegen das alte Regime kam wohl zur rechten Zeit. Schön langsam hatte sich nämlich eine gewisse Kriegsmüdigkeit eingestellt. Die täglichen Nachrichten über getötete und verwundete US-Soldaten ließ Bushs Popularität in den Keller rasseln. Die Moral der US-Soldaten im Irak liegt angesichts der fehlenden Erfolge und der ständigen Lebensgefahr am Boden. Seit dem offiziellen Kriegsende sind nicht weniger als 1700 amerikanische Soldaten im Irak desertiert, 7000 wurden aus „psychologischen Gründen“ aus dem Armeedienst entlassen.
Die Besatzung des Irak schien ein Fass ohne Boden zu werden. Von Frieden und Stabilität, geschweige denn Wohlstand für die irakische Bevölkerung, konnte in den letzten Monaten keine Rede sein. Die Kosten für dieses außenpolitische Abenteuer steigen so nebenbei ins Unermessliche und belasten das US-Budget.
Die US-Truppen stoßen im Irak eindeutig an ihre Grenzen. So sehr sie auch technologisch und ausrüstungsmäßig überlegen sind, es gelingt ihnen nicht, das Land zwischen Tigris und Euphrat unter Kontrolle zu bekommen. Der Weltpolizist USA musste mittlerweile eingestehen, dass er mit seinen derzeitigen Ressourcen keine weiteren internationalen Projekte anpacken kann. Längst hat man in Washington erkannt, dass es einen Deal mit dem „alten Europa“ braucht, um das Risiko der Irak-Intervention teilen zu können. Präsident Bush ist hier gezwungen einen Rückzieher zu machen und wird dafür ein Stück vom Kuchen abgeben müssen.
Der Übergangsrat
Angesichts der augenscheinlichen Probleme als Besatzungsmacht streben die USA und ihre Verbündeten danach, möglichst bald ein überlebensfähiges Marionettenregime in Bagdad installieren zu können. Der Druck auf das Weiße Haus steigt, dass man die Grundfesten dafür legt, dass man bald schon seine militärische Präsenz im Irak aufgeben kann und statt einem neokolonialistischen Besatzungsregime auf indirektere Herrschaftsformen zurückgreifen kann.
Mit Saddams Verhaftung hofft man diesem Ziel einen großen Schritt näher gekommen zu sein. Dabei mangelt es den USA gar nicht so sehr an potentiellen Kollaborateuren. Gesammelt haben sich diese im sogenannten „Regierungsrat“, der sich im Juli unter der Schirmherrschaft der USA konstituiert hat. An der Spitze des Rates steht Ahmed Chalabi, der Anführer des Irakischen Nationalkongresses. Der ehemalige Bankier, der Tausende Sparer betrogen hatte und deshalb in den Westen flüchten musste, ist der verlängerte Arm der konservativsten Teile der US-Administration und war spielte eine wichtige Rolle im Propagandafeldzug gegen Saddams angebliches „Massenvernichtungswaffenprogramm“. Neben Chalabi stechen vor allem die Anführer der beiden wichtigsten kurdischen Parteien hervor: Jalal Talabani (Patriotische Union Kurdistans, PUK) und Massud Barzani (Demokratische Partei Kurdistands, PDK). Beide Parteien und die von ihnen kontrollierten Milizen (die Peshmerga) haben sich von Anfang an auf die Seite der USA gestellt und kontrollieren heute die wichtige nordirakische Stadt Kirkuk, eines der Zentren der Erdölindustrie. Eine wichtige Rolle in diesem Regierungsrat spielt der schiitische Klerus. 12 von 25 Mitgliedern des Rates gehören der schiitischen Volksgruppe an. Das „Who is who“ der schiitischen Prominenz, die in der Vergangenheit meist vom Iran aus operierte. Außerdem finden sich in dem Rat weitere „Kämpfer für die Freiheit“, wie sunnitische Religionsführer oder Vertreter saudischer Clans. Und als dekorativen Aufputz noch mit Sondul Chapuk, eine Vertreterin einer irakischen „Frauenorganisation“, ein paar Sprachrohre der irakischen Zivilgesellschaft und eine schiitische Spielart von Karl-Heinz Böhm.
Ja, und last but not least, tummelt sich unter diesen Garanten der irakischen Demokratie Hamid Majid Mussa, der Generalsekretär der Irakischen Kommunistischen Partei (IKP). Die KP unterstützt also offen das Besatzungsregime und wird dafür ein wenig an der scheinbaren Macht des Post-Saddam-Regimes beteiligt. In Wirklichkeit reduziert sich die KP damit auf die Rolle eines nützlichen Idioten der Besatzer und ihrer engsten Kollaborateure.
Im Namen der Demokratie
Die IKP knüpft damit an eine gefährliche Tradition der vom Stalinismus dominierten kommunistischen Bewegung an. Das Konzept hinter solch einer Bündnispolitik mit offen reaktionären Kräften ist es, ein politisches System mitzubegründen, das der KP den Spielraum gewährt offen politisch aktiv zu sein. Nach Jahrzehnten der Repression unter der Baathpartei von Saddam Hussein mag dieser Wunsch nach legaler politischer Betätigung verständlich sein, in der Realität gibt die KP damit aber dem Besatzungsregime volle Rückendeckung in der Hoffnung irgendwann einmal demokratische Grundrechte bekommen zu können.
Diese von den Stalinisten über Jahrzehnte verfolgte „Etappentheorie“, die historisch gesehen, an die reformistische Konzeption der russischen Menschewiki anknüpft, ist ein fix fertiges Rezept für eine Niederlage der KP. An traurigen Analogien aus der Geschichte der kommunistischen Bewegung mangelt es nicht. So stellte die indische KP im Zweiten Weltkrieg zur Unterstützung des „demokratischen“ Großbritanniens gegen das nationalsozialistische Deutschland ihre Beteiligung am Kampf für die Befreiung vom britischen Imperialismus ein. Das dadurch entstandene Vakuum in der Befreiungsbewegung füllten in der Folge die indische Kongresspartei und die Muslimliga, die sich nun an die Spitze des Kampfes gegen den „Union Jack“ stellen konnten. Ergebnis dieser Politik war natürlich, dass das Streben der Massen am indischen Subkontinent nach nationaler Befreiung und sozialer Emanzipation keinen politischen Ausdruck mehr finden konnte und die Unabhängigkeit vom britischen Imperialismus in der blutigen Spaltung des Landes in die heutigen Erzrivalen Indien und Pakistan, die sich bereits 4 Kriege mit Millionen Toten lieferten, gipfelte.
Eine ähnlich katastrophale Rolle spielte z.B. die argentinische KP, die in den 1940ern die bürgerliche und proamerikanische Radikale Partei unterstützte, um die Demokratie vor dem Peronismus zu beschützen und damit einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, dass die populistische Bewegung des Peronismus bis heute in der argentinischen Arbeiterklasse eine Hegemonie hat.
Im Irak legt die KP nun mit dieser Politik die Basis dafür, dass der Kampf gegen die Besatzer von reaktionären Kräften dominiert und somit in eine Sackgasse geführt wird.
Befreiungskampf
Der Kampf gegen die Besatzer ist zweifelsohne ein Kampf für ein demokratisches Grundrecht auf nationale Selbstbestimmung. Das Problem ist nur, dass Teile der irakischen Nation diesen Kampf nicht führen wollen, sondern sich ganz im Gegenteil mit den Besatzern arrangieren und sich somit erhoffen, an der Macht beteiligt zu werden. In der herrschenden Klasse im Irak zeichnen sind die Anzeichen für einen Kompromiss mit dem Imperialismus unübersehbar. Die Hereinnahme anderer westlicher Mächte durch die USA und einer etwaigen „Legalisierung“ der Besatzung durch eine neuerliche UN-Resolution würde diese Tendenzen noch weiter stärken.
Der sogenannte Regierungsrat ist der institutionelle Ausdruck dafür. Doch auch in den Reihen des alten Baath-Regimes gibt es Anzeichen dafür, dass ein Teil der ehemaligen Staatspartei die Zusammenarbeit mit den USA wünscht. Teile der Bürokratie, der Armee und der Polizei von Saddam stellen sich nun in den Dienst der Besatzer, die wiederum jeden nehmen, den sie zur Stabilisierung ihrer Herrschaft benutzen können.
Mit anderen Worten: Durch die irakische Gesellschaft zieht sich ein gewaltiger Riss. Millionen erleben tagtäglich die Besatzung als nationale Erniedrigung. Die Brutalität und Arroganz, mit denen die US-Truppen im Irak vorgehen, bestärken dieses Gefühl immer mehr. Das ist die Quelle, aus dem sich der nationale Widerstand nährt. Verstärkt wird dies durch die soziale Not. Massenarbeitslosigkeit, nicht ausbezahlte Löhne, eine durch den Krieg und das jahrelange Wirtschaftsembargo zerstörte Infrastruktur prägen das Leben der irakischen Massen.
Hier liegen auch die Verknüpfungspunkte zwischen dem demokratischen Kampf für die Befreiung des Irak von den Besatzern und der Lösung der sozialen Frage. Ersterer kann nur dann erfolgreich sein, wenn er sich zu einem Kampf für die soziale Emanzipation weiterentwickelt.
Perspektiven des Widerstands
Die ständigen Anschläge auf US-Soldaten, ihre Verbündeten und auf Kollaborateure (man schätzt rund zwei Dutzend pro Tag) zeigen, dass dieser Konflikt selbst militärisch für die USA noch längst nicht gewonnen ist. Die Verhaftung Saddam Husseins wird daran auch nicht allzu viel ändern.
Diese Politik der Nadelstiche wird aber nicht ausreichen, um die USA aus dem Irak zu vertreiben. Mit rein militärischen Mitteln kann dieser nationale Befreiungskampf nicht gewonnen werden. Die USA verfolgen mit dieser Intervention aus ihrer Sicht strategisch ganz zentrale Ziele. Der Irak nimmt auf der Prioritätenliste der US-amerikanischen Außenpolitik eine äußerst bedeutende Rolle ein. Ein Szenario, dass sie sich wie einst im Libanon oder in Somalia angesichts einiger toter US-Soldaten zurückziehen könnten, ist auszuschließen. Die Bush-Administration hat bereits zuviel in diesen Konflikt investiert, hat ihre ganze Macht aufgebracht, um diesen Krieg zu führen, das ganze Prestige dieses Präsidenten hängt an dieser Intervention.
Der irakische Widerstand wird weitergehen. Und er wird auch mit Waffen geführt werden. Dieser militärische Konflikt kann aber nur durch politische Faktoren entschieden werden. Der bewaffnete Kampf kann nur als Teil einer echten sozialen Massenbewegung erfolgreich sein. Eine Perspektive hat der Widerstand dann, wenn es den USA nicht gelingt, das Land unter Kontrolle zu bekommen. Wenn der Irak mit einem Besatzungsregime, das sich auf 170.000 Soldaten stützt, nicht zu beherrschen ist und die Kosten für die Okkupation weiter explodieren, dann wird dies vor allem in den USA selbst für politische Unruhe sorgen. Die Heimatfront könnte dann bröseln.
Dies wird aber nicht zuletzt davon abhängen, mit welchen Mitteln der Widerstand gegen die Besatzung geführt wird. Verrückte islamische-fundamentalistische Terrorgruppen, die sich in der Hoffnung, ein, zwei Amis mit den Tod zu reißen, in die Luft jagen, werden den Irak nicht in ein zweites Vietnam verwandeln können.
Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung
Die USA und ihr Besatzungsregime wollen den Irak in den Weltkapitalismus integrieren. Natürlich als ihre Einflusszone. Der „regime change“ hat das Ziel, für die eigenen Konzerne günstige Bedingungen der Kapitalverwertung herzustellen. Ein zentrales Projekt für die Besatzungsbehörde Coalition Provisional Authority (CPA) ist die Vorbereitung der Privatisierung der rund 200 staatlichen Holdings, die rund 700.000 ArbeitnehmerInnen beschäftigen. Um diese Unternehmen profitabel führen zu können, sollen rund die Hälfte dieser Beschäftigten entlassen werden. Schon jetzt setzen die USA auf eine Politik der Arbeitsmigration, um „unzuverlässige“, aufmüpfige irakische durch willige, rechtlose Arbeitskräfte aus Pakistan, Nepal oder den Philippinen zu ersetzen.
Hier braut sich Widerstand zusammen. Da kommt dem Besatzungsregime die repressive Arbeitsgesetzgebung aus den Zeiten von Saddam Hussein sehr recht. An Streikverbot und dem 1987 dekretierten Verbot für Angestellte aus dem öffentlichen Sektor sich gewerkschaftlich zu organisieren wollen die USA und ihre Verbündeten nichts ändern. Im Gegenteil: Am 5 Juni 2003 unterzeichnete der amerikanischer Verwalter Paul Bremer ein Dekret, das für „Anstiftung zu ziviler Unordnung, Aufruhr, und Schaden an Eigentum“ die sofortige Verhaftung und Inhaftierung als Kriegsgefangener vorsieht.
In den letzten Monaten erlebte die Gewerkschaftsbewegung im Irak jedoch einen echten Aufschwung. In immer mehr Betrieben gründen sich Gewerkschaften. In der Erdölindustrie tun sich amerikanische Firmen schwer überhaupt die Anlagen zu betreten. Die südlichen Erdölfelder rund um Basra werden bereits als „no-go zones for Halliburton“ bezeichnet. Die ArbeiterInnen der Southern Oil Company verhinderten bisher etwa, dass importierte „Willig“arbeitskräfte und amerikanische Techniker und Manager Betriebsgelände betreten. Sie nehmen alle Reparaturarbeiten selber vor und haben nach eigenen Angaben „kein Problem“ mit dem Management, das viele Vorlagen der Gewerkschaft einfach unterzeichnet. Schon im Juni gab es in Bagdad ein erstes Vernetzungstreffen, an dem 400 Gewerkschafter teilnahmen. Im Mittelpunkt der Arbeit steht der Kampf um höhere Löhne und um die Einführung eines Arbeitslosenunterstützung. Die hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung (im Landesschnitt 50 Prozent, in manchen Regionen bis zu 70 Prozent) birgt enormen sozialen Sprengstoff in sich. Solange aber die alten Gesetze gelten, können keine Tarifverträge abgeschlossen werden, um die Hungerlöhne anzuheben.
Immer wieder kommt es zu Streiks und Demos, wobei die Besatzer eindeutig gegen die ArbeiterInnen und Arbeitslosen Stellung beziehen. So wurde z.B. in Nassirya die Parteizentrale der Kommunistischen Arbeiterpartei, die eine wichtige Rolle bei der Organisierung von Arbeitslosenprotesten spielt, von italienischen Besatzungssoldaten einfach besetzt und beschlagnahmt. Seit Juni wurden mehr als 50 GewerkschafterInnen zeitweise in Haft genommen.
Von der nationalen Befreiung zur sozialen Revolution
Seit rund 20 Jahrzehnten sinkt der Lebensstandard der Massen im Irak wie auch im gesamten Nahen Osten und der arabischen Welt. Die Lösung der brennenden sozialen Frage muss der Ausgangspunkt im Kampf gegen den Imperialismus sein. Hier steckt in Wirklichkeit das Potential zur Mobilisierung der Massen gegen die imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung.
Die sozialen Probleme im Irak und im Nahen Osten können nur dann gelöst werden, wenn die Arbeiterklasse und die Bauernschaft die Kontrolle über die wichtigsten Ressourcen (Erdöl, Wasser, Land,...) der Region ausüben kann. Dies kann aber nur dann gelingen wenn es den Massen gelingt, die imperialistischen Raubritter zu verjagen. Die Verfügungsgewalt der Konzerne über diese Ressourcen muss gebrochen werden. Dieser Kampf muss sich aber gleichzeitig gegen die eigene herrschende Klasse richten. Letztere hat sich im antiimperialistischen Kampf als unfähig erwiesen. In Wirklichkeit hat sich mit ihrer Rolle eines verlängerten Arms des Imperialismus längst abgefunden und versucht dabei möglichst viel für sich selbst herauszuschlagen. Die Bourgeoisie dieser Länder ist völlig parasitär und lebt davon, die Massen für den Imperialismus – im Regelfall mit staatlicher Repression und reaktionären Ideologien - unter Kontrolle zu halten.
Der Kampf gegen Besatzung und um Selbstbestimmung muss daher ein Kampf für die soziale Revolution werden, welche die gesamte Region erfassen muss. Die Perspektive des antiimperialistischen Kampfes kann nur eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens sein.
Gernot Trausmuth