Der Kärntner Ortstafelstreit

 

Als anfangs der 90er Jahre die barbarischen Bürgerkriege des Balkans mit ihren Massenvergewaltigungen, ethnischen Säuberungen, Hungerblockaden,... vom Zaun gebrochen wurden, waren nicht wenige Menschen erstaunt wie dünn die Tünche der Zivilisation denn sei. So was hielt man in Afrika, oder Afghanistan für möglich – nicht aber in Europa. Doch die Pogromhetzer entfalten nicht nur südlich der Karawanken ihr reaktionäres Treiben, sondern auch "im klanen Landl" selbst. Kärntens Landeshauptmann entdeckte angesichts seiner gescheiterten Bemühungen die EU-Osterweiterung mit Temelin, den Benesch-Dekreten und den Avnoj-Beschlüssen zu verknüpfen den Feind nun im eigenen Land: die Kärntner SlowenInnen.

 

Der Volksabstimmungsmythos

Am 10. 10. 1920 optierte eine Mehrheit von 59 Prozent für den Verbleib der südkärntener gemischtsprachigen Gemeinden bei der Republik Österreich. Die Haltung zu der Abstimmung ging quer durch die Volksgruppen. Knapp sechzig Prozent der SlowenInnen waren für einen Anschluss an das neugegründete Königreich der Slowenen, Kroaten und Serben (SHS-Staat). Es war vor allem die rückständige bäuerliche Bevölkerung, die die Vereinigung mit dem SHS-Staat bevorzugte, genauso wie der deutsprachige Adel und Großgrundbesitz, der im politisch rückständigeren Staat der Südslaven eine Konservierung ihrer Standesprivilegien erwartete. Die slowenischsprachigen Industrie- und LandproletarierInnen optierten in ihrer Mehrheit für die neugegründete Republik Österreich.

Ein kurzer historischer Exkurs:

Haltung der Arbeiterbewegung

Die Haltung der slowenischen KommunistInnen zur Volksabstimmung entsprach der komplizierten Entscheidung zwischen der nationalen und sozialen Befreiung der SlowenInnen. Die österreichische Republik bot bessere Aussichten für den Kampf um die soziale Emanzipation der Arbeiterklasse, das neugegründete Jugoslawien war politisch und wirtschaftlich rückständiger.

Die KommunistInnen riefen zu einer Enthaltung bei der Abstimmung auf, verbunden mit dem internationalistischen Appell und dem Aufruf zur Gründung von bewaffneten Selbstschutzeinheiten zur Abwehr von deutschnationalen Überfällen des KHD (Kärntner Heimatdienst). Das Wohl der Klasse über jenes der Nation. Dies war auch die Herangehensweise der kommunistischen Bewegung bezüglich der Frage ob das Burgenland sich Österreich oder Ungarn anschließen sollte. Solange die Republik Österreich der Ungarischen Räterepublik gegenüberstand, befürworteten KommunistInnen den Beitritt zu Ungarn. Als dort das faschistische Hortyregime wütete, war die Entscheidung klar für die österreichische Republik.

Doch die österreichische Arbeiterbewegung enttäuschte die nationalen Minderheiten völlig. Sie setzte der Assimilierungspolitik der Deutschnationalen nichts entgegen. Hier wirkt nicht nur ein spezifisch Kärntnerisches Problem, sondern auch die Nachwehen, der von Trotzki spöttisch als "k.u.k. Sozialdemokratie" bezeichneten Nationalitätenpolitik der Austromarxisten. Das Rühren an Staatsgrenzen war für die austromarxistischen Vordenker und Parteiführer undenkbar. Sie setzten sich für die kulturelle Autonomie der verschiedenen Nationen innerhalb der Monarchie ein, Kategorien wie "unterdrückte Nation" und "unterdrückende Nation" hatten und haben im sozialdemokratischen Diskurs nur dann Platz, wenn es um eine Legitimierung von imperialistischen (Kriegs)zielen geht.

Die Kärntner Sozialdemokratie verließ zwar 1924 den KHD, setzte jedoch dem Assimilierungsdruck auf die sprachliche Minderheit nichts entgegen. Nach vier Jahren Republik sank die Zahl der bekennenden SlowenInnen von 18.6 % (1919) der Bevölkerung auf nur mehr 6.6 % im Jahre 1923. Verfolgung bis hin zu politischen Morden und Zwangsenteignungen von slowenischen Bauernhöfen im Zuge der Weltwirtschaftskrise gehörten zum Alltag.

Angesichts der mehrfachen Unterdrückung als Klasse und Nation gehörten die SlowenInnen zu den aktivsten KämpferInnen gegen den Faschismus. Die slowenischen Gebiete Kärntens waren die Hochburg der Partisanenbewegung auf österreichischem Staatsgebiet. Hier konnten sich die Partisanen in ihrem Befreiungskrieg auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zählen.

Schon bald nach der Niederlage des Faschismus wurde klar, dass die Hoffnungen der Partisanen nicht in Erfüllung gehen würden. Bereits im Frühjahr 1946 wurde eine antifaschistische Kundgebung der SlowenInnen von Nazis angegriffen. Der bewaffnete Widerstand der Partisanen wurde vom offiziellen Österreich zwar gern als Beispiel für den in den Moskauer Verträgen von 1943 geforderten "eigenen" Beitrag zur Befreiung herangezogen, doch dem politischen Arm der Partisanen, der Osobodilma Fronta, wurde die Teilnahme an den Wahlen im Herbst 1945 verwehrt, sie trat für einen Anschluß Südkärtens an das neue Jugoslawien ein. Tätliche Übergriffe auf slowenische Funktionäre und Einrichtungen waren in den ersten Nachkriegsmonaten gang und gäbe. Sie kosteten drei Menschen das Leben, zahlreiche SlowenInnen wurden von britischen Militärgerichten abgeurteilt.

Zweite Republik – zweite Chance?

Im Staatsvertrag wurden im Artikel 7 den nationalen Minderheiten recht wage Zugeständnisse eingeräumt, die slowenische Sprache wurde in wenigen regionalen Nischen zugelassen, Gesamtkärnten blieb rein deutschsprachig. Erst die sozialdemokratische Alleinregierung Kreisky leitete 1972 vorsichtige Reformversuche ein. Der gemischtsprachliche Charakter Kärntens sollte auch öffentlich, durch 205 gemischtsprachige Ortstafeln repräsentiert werden. Am Tag der Anbringung der Ortstafeln kam es zum Sturm durch den (1956 wieder gegründeten) KHD auf die Ortstafeln. Kreisky stellte sich den GegendemonstrantInnen, gab aber insofern nach, dass er die Minderheitenfrage in einer Dreiparteienkoalition handhaben wollte. So kam es zum Beschluß, dass zur Zulassung der Zweisprachigkeit zuerst eine "Minderheitenfeststellung" notwendig sei. Die Quote wurde mit 25% festgelegt. Dies reduzierte die gemischtsprachigen Gemeinden auf über die Hälfte, denn aufgrund des beschrieben öffentlichen Druckes, Diskriminierung bis hin zu Übergriffen und Mordanschlägen ist ein offizielles Bekenntnis zum Slowenentum in Kärnten bis heute keine einfache Angelegenheit.

Etwas Bewegung in die Sache kam wieder Anfang der 90er. Erstmals wurden auch in Klagenfurt zwei zweisprachige Schulen zugelassen, schaut her! 45 Jahre nach dem Faschismus darf in Klagenfurt, der Kärntner Landeshauptstadt, offiziell in einem öffentlichen Gebäude slowenisch gesprochen werden! Damit scheint ein Überleben der slowenischen Sprache wieder möglich zu sein, denn vorbei scheint's mit dem Verstecken in kleinen (kulturell autonomen) Dörfern. Das sahen auch deutsch-kärntner Kreise so, und legten 1991 vor der Schule eine Rohrbombe. Und dann im Winter 2001 die nächste Verfassungsgerichtsentscheidung: die Quote für die Minderheitenfeststellung wird auf 10 Prozent heruntergesetzt.

Die Enkel der Abwehrkämpfer

Dieser erwartete Richterspruch löste bereits im Vorfeld heftige Polemiken des KHD aus. Der Grenzlandmythos ruft, die Abwehrkämpfer gegen die Slowenen, besonders gegen die kommunistischen und kryptokommunistischen, schulterten wieder ihre Fahnen und rufen zur Verteidigung der deutschen Heimat. Ein Szenario, das wie ein Wink aus der Vergangenheit erscheint.

Aber nationale Mythen werden in Kärnten gepflegt. Am 10.10.2000 nahm der Landeshauptmann die Parade zum 80jährigen Jubiläum der Volksabstimmung ab. Dabei wurde zwischen trällernden Volksgruppenchören eine Fahne mitgeführt die einen Wimpel mit dem SS-Slogan "Unsere Ehre heißt Treue" zierte. Der Träger, ein Kamerad des KHD, wurde vor wenigen Wochen vor Gericht vom Verdacht der Wiederbetätigung freigesprochen. Er habe nicht gewusst, was er hier mitführe und da bei der Fahnenweihe zahlreiche Politiker anwesend gewesen seien, hätte der Angeklagte davon ausgehen können, dass es mit dieser Fahne seine gute Berechtigung hätte. Das wollen wir dem Richter glauben. Der KHD, der von der Pflege des heimischen Liedgutes über germanophile Geschichtsfälschungen bis zu tätlichen Übergriffen auf SlowenInnen und ihre Institutionen für alles zu haben ist, zieht weite Kreise in alle Parteien – so verteidigen sogar sozialdemokratische Jugendfunktionäre das Ulrichsbergtrefffen als "Kärntner Tradition".

 

Der latente antislowenische Grundkonsens herrschender kärntnerischer Gesinnung – in universitären Instituten intellektualisiert, in den Wirtsstuben konkretisiert – trifft nun auf eine politische Konstellation, die fruchtbarer nicht sein könnte. Während der wirtschaftsliberale Flügel der FPÖ sich in der Koalition wohl zu fühlen scheint, und "Schüssels-Coup" zur Beendigung der Temelinfarce unterstützt, schwammen damit der "populär-FP" die Felle weg. Nun standen Haider, Westenthaler und die Krone in der politischen Sackgasse: neokonservative Gesellschaftspolitik kann nicht mehr durch völkische Mobilisierung übertüncht werden. Und seht her: nach Temelin wird nun eine neue Gefahr ausgemacht: ORTSTAFELN bedrohen uns alle.

 

Und wieder ein lange Sommer

Verlassen wir nun südösterreichische Untiefen und verallgemeinern wir die traurige Ortstafelaffäre. Denn eigentlich ist ein solches Thema austauschbar. In der Medienwelt wird so etwas "Sommerloch" genannt. Dass das Sommerloch nicht auf die warmen Monate beschränkt blieb, dafür sorgte der ÖGB. Freudig konnte man beobachten, wie allein die angekündigte Urabstimmung die Regierung in die Defensive trieb. Doch was als heißer Herbst angekündigt wurde, endete im kalten Schauer sozialpartnerschaftlicher Klassenkollaboration. "Die wichtigen Fragen, die uns alle betreffen" werden jetzt irgendwo diskutiert, vielleicht. Wahrscheinlicher ist, dass Verzetnitsch glaubt mit der Aufforderung, dass "die Regierung das ernst nehmen und umsetzten solle" (ha ha ha) seine Aufgabe als beendet sieht. Der Rückzug hinter die gepolsterten Türen lässt uns in der Kälte stehen, bereit die Angst vor der Krise, dem Verlust des Arbeitsplatzes, des Ärgers über die steuerliche Belastungen und Gebühren, die Erhöhung des Pensionsalters und des Umbaues der Sozialversicherung, vor einen anderen Karren spannen zu lassen, Ortstafeln etwa. Aber das lange Sommerloch kann auch mit anderen Themen gefüllt werden, nicht jedes Bundesland ist von fremdsprachigen Landsleuten bedroht. Der Vorarlberger Medienmonopolist z.B. hält seit Wochen eine öffentliche Diskussion über eine Krähe, die eigentlich zahm war, aber für tollwütig gehalten und daher erschossen wurde, am köcheln. Ist ja wenigstens mal ein neues Thema...

Der Verfassungsgerichtshof

Landauf, landab spielt die Gewerkschaftsbürokratie auf der gleichen Pfeife: "der Verfassungsgerichtshof muss das entscheiden". Und für diese Entscheidung braucht er meist Monate wenn nicht Jahre, und was die Richter an "Erkenntnis" liefern das gilt. Nun sind Verzetnitsch & Co schlichtweg der Lüge überführt. Die Verfassung ist genauso wie jedes Gesetz der in Worte gefasste Wille der herrschenden Klasse. Und wenn die Verfassungsrichter eine Bestimmung durchleuchten, dann ist das meist eine sehr komplizierte und selten einstimmige Interpretationsangelegenheit. Schlicht als "Schiedsrichter" bezeichnet sie der Bundeskanzler. Und anstatt seine Mannschaft auf dem Spielfeld eintrudeln zu lassen, rennen unsere Gewerkschafter immer gleich zum Schiedsrichter um das Ergebnis des Matches auszuverhandeln. Mit dieser Methode wird die Meisterschaft nur schwer gewonnen werden. Und während die unsrigen Funktionäre "hart verhandeln" und "den bestmöglichen Abschluss erreichten" dürfen wir Dummerchen pausenlos auf der Tribüne sitzen und uns die Pausenfüller vom Haider anschauen.

Der Kärntner Volkstribun und sein Wiener Einpeitscher haben weniger vorgetäuschte Skrupel. Die wollen jetzt die Richter austauschen (wird eh passieren im nächsten Jahr, seien wir schon mal gespannt wie der schwarz-blaue Verfassungsgerichtshof dann ins ÖGB/SP-Konzept passt). Aber was viel interessanter ist: Haider bezeichnet dieses Urteil als politische Kampfansage, nicht als Beschluss!

"Die Krise der Menschheit ist die Krise der Führung der Arbeiterbewegung", meinte Trotzki. Und ein solches Drama spielt sich nun wieder ab. Wenn der Hass auf die Regierung und die Prinzhorns sich nicht entlag von Klassenkonflikten entwickeln kann, dann ist die Arbeiterklasse weiter das Rohmaterial für die geistige Ablenkung, intellektuelle Verdummung und plebiszitäre Mobilisierung durch reaktionäre Volkstribunen und den Boulevard.

Emanuel Tomaselli