Italien – Streik im öffentlichen Nahverkehr legt Städte lahm

Nachdem bereits am 1. Dezember Streiks in allen größeren Städten Italiens den öffentlichen Nahverkehr lahmgelegt haben, planen die Gewerkschaften für den 15. Dezember neuerliche Streiks gegen die im neuen Budget vorgesehenen Einsparungen, die zur Vorbereitung der Privatisierung getroffenen Umstrukturierungen, die schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Gehälter. Ein Arbeitskampf mit Vorbildcharakter.

Der öffentliche Nahverkehr ist seit langem schon in der Krise. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich der Staat aus diesem Sektor immer mehr zurückziehen will und die öffentlichen Transportunternehmen finanziell regelrecht aushungert. Die Ausgaben der öffentlichen Hand für diesen Bereich gehen seit Jahren zurück und das neue Budget der Rechtsregierung sieht weitere Einsparungen vor. Und längst droht die Privatisierung des öffentlichen Verkehrs. Die dazu notwendigen Vorbereitungen laufen auf Hochtouren: Umstrukturierungen, Verschlechterungen bei den erbrachten Dienstleistungen sowie bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.

Vor diesem Hintergrund sind auch die jetzigen Streiks zu sehen. Der lange aufgestaute Unmut bei den ArbeiterInnen hat sich nun explosiv entladen und die Gewerkschaften so unter Druck gesetzt, dass diese den offenen Arbeitskampf ausrufen mussten. In Mailand standen am 1.12, alle U-Bahnen, Trams und Busse. Von Bologna über Neapel, Rom bis nach Kalabrien und Sizilien wurde der Streik überall von mehr als 90% der Beschäftigten aktiv unterstützt.

Der militante Charakter des Streiks hat die Bürgerlichen sichtlich alarmiert. Seither sind die Medien voll von Polemiken gegen die „unzivilisierten“ Streiks.

Aber ein etwas genauerer Blick auf die Arbeitsbedingungen der 120.000 Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr zeigt, wer da wirklich für unzivilisierte Umstände verantwortlich ist. Unzivilisiert ist es, wenn man permanent Schichtdienst machen muss, wobei nicht selten zwei Schichten hintereinander zu fahren sind. Unzivilisiert ist es, wenn man 18 Monate mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag arbeiten muss und zwei weitere Monate mit einem „Ausbildungsvertrag“, obwohl man seine Arbeit schon voll beherrscht. Es ist unzivilisiert wenn mangels Beschäftigten die viel zu kleine Belegschaft permanent Überstunden machen muss. Es ist unzivilisiert, wenn man im Monat gerade mal 800 Euro verdient, eine durchschnittliche Miete in Mailand aber 500-600 Euro ausmacht.

Seit zwei Jahren warten die Beschäftigten schon auf eine Bruttolohnerhöhung von 106 Euro, wobei seit einem Jahrzehnt die Kaufkraft der Lohnabhängigen sinkt.

Angesichts der berechtigten Wut unter den ArbeiterInnen erklärt sich auch warum die Streiks vom 1.12. ein Ausmaß angenommen hatten, das selbst die Gewerkschaften nicht vorgesehen hatten. Die ArbeiterInnen entschieden sich ganz einfach spontan den Streik über den ganzen Tag hinweg zu verlängern und auch das gesetzlich vorgesehene Minimum an Dienstleistungen nicht zu erbringen. 

Wann immer die Beschäftigten öffentlicher Verkehrsunternehmen für ihre Interessen kämpfen, marschiert sofort eine Armada von bürgerlichen Schreiberlingen und PolitikerInnen, die vom Kampf einer kleinen Minderheit zur Verteidigung ihrer Privilegien auf Kosten der restlichen Bevölkerung spricht. Es ist die reinste Heuchelei, wenn jene, die den öffentlichen Verkehr zerstören wollen, um die lukrativsten Häppchen ihren Freunden von der Wirtschaft mundgerecht zu servieren, sich plötzlich als die Schutzpatrone derer aufspielen, die ein funktionierendes öffentliches Verkehrssystem brauchen würden.

Diese Politik gefährdet das gesamte öffentliche Verkehrssystem: den Nahverkehr, die Eisenbahn, den Flugverkehr usw. Von dieser Politik der Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen sind in Wahrheit alle ArbeitnehmerInnen massiv betroffen

Der öffentliche Verkehr ist ein für das Kapital strategischer Bereich, und um die ArbeiterInnen hier zu schlagen, versuchen die Bürgerlichen seit geraumer Zeit schon die Gewerkschaften zu entwaffnen und sie ihres wichtigsten Kampfmittels zu berauben – dem Streik!

Die italienische Gesetzgebung sieht massive Einschränkungen des Streikrechts vor. Es gibt erzwungene Fristen, die eingehalten werden müssen, bis der Streik ausgerufen werden kann, es müssen Mindeststandards der jeweiligen Dienstleistung aufrecht erhalten werden, die Strafen und Disziplinarmaßnahmen gegen Gewerkschaften und Streikende wurden drastisch verschärft. Diese gewerkschaftsfeindlichen Gesetze müssen weg!

Dazu setzen die Bürgerlichen noch auf andere Mittel. So proklamieren im Flugverkehr immer wieder „gelbe“ Gewerkschaften Streiks, die sie dann gar nicht abzuhalten gedenken, und blockieren somit für kämpferische Gewerkschaften den Weg, durch Streiks für die Interessen der Beschäftigten zu kämpfen. Schon die Blockade eines Transportmittels wird als Verbrechen eingestuft. So ist es auch dem streikenden Reinigungspersonal bei den Staatsbahnen FS gegangen, welche die Gleise am Mailänder Bahnhof blockiert hatten und dafür sich nun vor Gericht verantworten müssen. Dasselbe könnte nun auch den FIAT-ArbeiterInnen blühen, die letztes Jahr Gleise sowie die Fährverbindung nach Sizilien blockiert hatten.

Das sind eindeutige und politisch motivierte Angriffe gegen unser Streikrecht.

Die ArbeiterInnen im öffentlichen Nahverkehr lassen sich aber von diesen Disziplinierungsversuchen nicht mehr bremsen. Sie wollen diesen Kampf für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Gehälter aufnehmen. Die Streiks vom 1.12. waren erst der Anfang.

Die Gewerkschaften sind bisher noch sehr zögerlich. Umso wichtiger ist es jetzt, dass der Druck von unten organisiert wird, dass in den Dienststellen Versammlungen abgehalten werden, wo alle ArbeiterInnen darüber mitdiskutieren können, wie der Kampf geführt werden soll und was die Ziele des Kampfes sind. Über diese Versammlungen und die demokratische Wahl von Streikkomitees, die den Kampf organisieren und die Verhandlungen mit den Unternehmen führen, können wir sicherstellen, dass der Wille der Beschäftigten in diesem Arbeitskampf auch tatsächlich seinen Ausdruck finden kann.

Die Selbstorganisierung von unten ist das wichtigste Mittel um die unzureichende Kampfbereitschaft unserer Gewerkschaftsführung zu überwinden und diesen Arbeitskampf um einen neuen Kollektivvertrag zu gewinnen.

Unsere Stimme – ArbeiterInnen und BetriebsrätInnen für eine demokratische und klassenkämpferische Gewerkschaft

Mailand, 4.12.2003