Der irakische Sumpf
von Fred Weston
Bush ist momentan zum ersten Mal auf einem Staatsbesuch als US-Präsident in Großbritannien . Die Reise wurde offenbar vor langer Zeit geplant und als sie organisiert wurde, war sich Blair wahrscheinlich nicht darüber im Klaren, wie stark die Antikriegs-Stimmung in Großbritannien werden würde. Aber die ständigen Lügen von sowohl Blair als auch Bush haben sogar viele Menschen, die ursprünglich auf ihrer Seite waren, davon überzeugt, dass der Krieg vollkommen ungerechtfertigt ist. Die wirklichen Gründe für die Besetzung des Irak, der Zugriff auf das Öl und die Schaffung einer strategisch wichtigen Ausgangslage im Nahen Osten, sind deutlich zu Tage getreten.
Beide Führer sehen sich zu Hause mit einer schwächer werdenden Unterstützung konfrontiert. Blair war Anfang des Jahres in den USA und sprach vor dem gemeinsam versammelten US-Senat und -kongress. Er erhielt nicht weniger als 17 Standing Ovations. Das war zu einem Zeitpunkt, an dem in Großbritannien nur wenige Leute aufgestanden wären, geschweige denn geklatscht hätten. Jetzt ist Bush an der Reihe, um außerhalb seines eigenen Landes etwas Zuspruch zu finden. Er braucht eine Werbekampagne, um zu zeigen, dass er überall in der Welt Unterstützung erhält. Stattdessen wurde er von Tausenden Demonstranten empfangen. Am Montagabend schaffte es ein einzige 61jährige Frau oben auf die Tore des Buckingham Palastes zu klettern und die US-Flagge verkehrt herum zu entrollen. Anstatt sie lächerlich zu machen, bekundeten alle Herumstehenden ihre Unterstützung und erklärten, wie dies die Stimmung in Großbritannien widerspiegeln würde!
Bush möchte das Bild von einem Präsidenten abgeben, der um die Welt fliegt und massive Unterstützung erhält. Leider steht ihm das Land, dessen Regierung ihn bei seinen Kriegsbemühungen unterstützte, jetzt in verbitterter Opposition gegenüber. Die Bush Administration hat die Absperrung größerer Teile im Zentrum Londons gefordert. Dies wurde als Sicherheitsmaßnahme begründet. Wie kann der Mann gefährdet sein, wenn die Polizei 14.000 Beamte mobilisiert hat, um die Straßen von London zu patrouillieren, einfach nur, um ihn zu schützen. Damit war Bush nicht zufrieden und hat nicht weniger als 700 Sicherheitsbeamte und Geheimagenten mitgebracht. Es werden keine Ausgaben gescheut, wenn eine solch wichtige Figur der Weltgeschichte kommt! Kinder können verhungern, Arbeiter ihre Arbeitsplätze verlieren, im Gesundheitswesen kann gekürzt werden, aber die Millionen Dollar, die diese Operation kostet sind offenbar gut angelegt.
Vom Standpunkt der Imperialisten konnte der Besuch nicht zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen. Innerhalb des britischen Establishments gab es einige Stimmen, die vorgeschlagen hatten, den Besuch ganz zu streichen. Als Antwort erhielten sie die Mitteilung, er sei aber im "Tagebuch der Königin" fest eingeplant! Und wir können die königlichen Pläne nicht ändern. Nachdem Clinton im Lewinski-Skandal involviert war, wurde einer seiner Besuche abgesagt. Offenbar haben diejenigen, die für die Organisation des königlichen Tagebuchs zuständig sind, ihre Prioritäten richtig gesetzt!
Während diese ganze Farce an den Tag kommt, wird die Lage im Irak zu einem Albtraum. Die Gesamtzahl der amerikanischen Soldaten, die während des Krieges und seit dem offiziellen Ende gestorben sind, hat die 400 überschritten. Die Zahl der getöteten Briten liegt bei über 50. Und erst kürzlich erlitten die Italiener einen Schock durch den Tod von 19 ihrer Soldaten und Polizisten. Somit geht die Zahl der Toten aus der Koalition langsam auf die 500 zu.
Die Lage wird sich unausweichlich verschlechtern. Im so genannten "Sunniten-Gürtel" nördlich und westlich von Bagdad haben die Angriffe auf US- und andere ausländische Soldaten ständig zugenommen. Täglich finden ungefähr 30 Angriffe statt. Seit September hat sich die Zahl der täglichen Verletzten verdoppelt. Zusätzlich wurden 1500 verletzte US-Soldaten in die USA zurückgeflogen und weitere 9000 wurden aus verschiedenen anderen Gründen, unter anderem wegen "psychischer Erschöpfung" aus dem Land geflogen.
Was momentan im Irak passiert, deutet darauf hin, dass die USA und ihre Alliierten anfangen in einem Sumpf stecken zu bleiben. Die US-Militärmaschinerie erwies sich bei der Besetzung des Irak als gut. Nach den Kriterien eines konventionellen Krieges haben sie eine unschlagbare Armee. Aber das Ende der Geschichte sieht anders aus. Es ist eine Sache, einen Krieg zu gewinnen, eine andere aber, ein ganzes Volk niederzuhalten. Die Opposition gegen die Anwesenheit ausländischer Truppen in ihrem Land wächst unter der irakischen Bevölkerung. In der offiziellen Version heißt es, die Angriffe würden von versprengten Saddam-Anhängern verübt. Dies ist eine Lüge, um das Gewissen der Leute zu Hause zu beruhigen. Und es wird immer schwieriger, diese Version als Realität zu verkaufen. Es wird immer deutlicher, dass die Widerstandsbewegung ständig wächst und immer selbstbewusster wird.
Wenn es nur eine Frage der Waffenüberlegenheit wäre, könnten die USA eine längere Zeit bleiben, solange wie sie es für nötig hielten. Aber eine Armee besteht aus normalen Männern und Frauen, zu meist aus jungen Leuten aus der Arbeiterklasse, die nicht zur Armee gegangen sind um getötet zu werden, sondern um einen Arbeitsplatz zu finden.
Es ist klar, was die Widerstandsbewegung im Irak erreichen will. Sie zeigt die andere Seite des US-Militärs, seine Unfähigkeit mit einer Guerillabewegung fertig zu werden. Das alte "Vietnam-Syndrom" kehrt zurück. In Vietnam besaßen die USA die militärischen Mittel, das Land zehn Mal zu zerstören. Aber sie wurden aus dem Land geworfen, weil die US-Soldaten nicht mehr dort sein wollten. Die Moral der US-Armee brach zusammen.
Die US-Imperialisten sehen sich heute im Irak einem ähnlichen Szenario gegenüber. Die Tatsache, dass eine große Zahl von 9000 Soldaten aus "psychischer Erschöpfung" aus dem Irak geflogen wurde, ist ein Zeichen für das, was passiert.
Das alles fängt an, Auswirkungen zu haben, vor allem zu Hause in den USA. Der Widerstand gegen die weitere Besetzung des Irak wächst. Millionen normaler Amerikaner wird die tatsächliche Lage immer bewusster. Von ihnen wird verlangt, dass sie eine Militäraktion unterstützen, die Milliarden Dollar kostet, während im eigenen Land Arbeitsplätze abgebaut werden und sie viele starke Einschnitte bei ihrem Lebensstandard erleiden.
Während die USA vom militärischen Standpunkt aus ihre Operationen noch eine Zeit lang weiterführen könnten, ist es die politische Lage daheim, die beginnt, Bush zu beunruhigen.
Er möchte wieder gewählt werden. Er hatte angenommen, ein schneller, heftiger und erfolgreicher Krieg würde sich bei den Wahlen auszahlen und ihn leicht wieder wählbar machen. Jetzt wacht sogar der beschränkte Präsident auf, nachdem die Fakten sich als nicht so einfach erwiesen haben.
Statt der "Schock- und Ehrfurcht-Strategie" (erinnert sich noch jemand daran?), die jeglichen Widerstand im Irak von vornherein einschüchtern sollte, kommt ein vollkommen anderes Szenario an den Tag. Kurz nach der erfolgreichen Besetzung des Irak durch die USA (und besonders, nachdem aus der irakischen Armee kaum Widerstand geleistet wurde) war die Stimmung unter den arabischen und muslimischen Massen düster. Es schien, als ob niemand den US-Moloch aufhalten könnte. Jetzt wird immer häufiger die Meinung vertreten, die USA könnten mit der Zeit wirklich besiegt oder zumindest in einer nichtgewinnbaren Operation festgehalten werden, falls die Widerstandsbewegung ihren Druck aufrecht erhält.
Dies alles mag erklären, warum es der oberste US-Verwalter im Irak, Paul Bremer, so eilig hatte zu Gesprächen mit dem Präsidenten in die USA zu fliegen. Offenbar war eine der diskutierten Optionen die schnelle Machtübergabe an eine "irakische Regierung". Ursprünglich hatten sie geplant, zuerst eine Verfassung zu entwerfen und dann Wahlen folgen zu lassen. Jetzt denken sie sogar darüber nach, Wahlen abzuhalten, ohne dass eine Verfassung existiert. Das enthüllt ihre Verzweiflung.
Die US-Geheimdienste versuchen herauszufinden, wie stark die Widerstandsbewegung ist. Die Schätzungen variieren von einigen tausend Mitgliedern bis zu vielleicht einigen zehntausend. Niemand kann das wirklich sagen. Dies ist jedoch nicht der entscheidende Punkt. Der wirklich wichtige Punkt ist, dass eine überwältigende Mehrheit der Iraker kein US-Militär in ihrem Land haben will. Und ein ganzes Volk kann nicht gegen seinen eigenen Willen niedergehalten werden. Unter den gegebenen Bedingungen fällt die Widerstandsbewegung auf fruchtbaren Boden und kann mit der großen Unterstützung vieler Menschen operieren. Die Schwierigkeiten, mit denen die US-Imperialisten im Irak konfrontiert werden, zwingen sie nach einem anderen Ausweg zu suchen, um das Land zu unterdrücken. Eine ihrer Vorstellungen geht dahin, eine irakische Armee und Polizei aufzubauen, welche die Amtsgewalt übernähme und es der US-Armee gestatten würde sich zurückzuziehen oder zumindest die Zahl der Soldaten, die sie im Land stationieren müßte, drastisch zu reduzieren.
Das Problem hierbei besteht darin, eine politische Kraft mit genügend Autorität zu finden, die in der Lage ist, die verschiedenen Interessensgruppen im Land zu vereinen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Der gegenwärtige Regierungsrat (die Marionettenregierung, die mit Unterstützung der USA errichtet wurde) besitzt keine Autorität im Land. Seine Mitglieder werden ausschließlich als Marionetten des US-Imperialismus betrachtet. Sie sind eher bekannt für ihre internen Machtkämpfe, Korruption und Vetternwirtschaft.
Wie sehr der so genannte Regierungsrat die wahren Bedürfnisse der Menschen im Irak in Betracht zieht, kann man anhand der ökonomischen Maßnahmen, die er im September verkündete, nachvollziehen. The Economist (27.September 2003) führte dazu aus: "Wenn diese Maßnahmen ausgeführt werden, werden sie eine Art Wunschliste darstellen, von der ausländische Investoren und Entwicklungshilfeagenturen für neu entstehende Märkte nur träumen. Investoren auf allen Gebieten, außer der wichtigen Ölproduktion und -verarbeitung, würde ein 100% Besitz an irakischem Besitz gestattet, die Profite dürften vollständig ins Ausland zurückgeführt werden und eine gesetzliche Gleichstellung mit lokalen Firmen würde garantiert. Ausländische Banken würden willkommen geheißen und dürften sofort Niederlassungen aufbauen oder irakische Unternehmen aufkaufen. Die Einkommens- und Körperschaftssteuern würden 15% betragen. Die Zolltarife würden auf eine allgemeine Rate von 5% reduziert werden ..."
Dieses Programm bedeutet eine totale Kapitulation vor den Imperialisten, besonders vor den US-Imperialisten. Es offenbart besonders, was die wichtigsten kapitalistischen Institutionen mit den so genannten "Entwicklungsländern" machen möchten. Sie wollen freie Hand bei der Ausbeutung der Völker dieser Welt, um den letzten Cent aus dem Schweiß der Arbeiter dieser schon verarmten Länder herauszuquetschen. Es ist kein Wunder, dass der irakische Regierungsrat nur wenig Unterstützung im Land hat. Sogar viele irakische Geschäftsleute zeigten sich von einem solchen Programm überrascht. Was würde von ihnen übrig bleiben, wenn die Imperialisten alles übernähmen?
Deshalb ist der irakische Regierungsrat nicht die richtige Option. Die andere Alternative wäre die Anlehnung an eine der mächtigen Gruppen im Land zum Nachteil der anderen. Saddam Husseins Regime basierte tatsächlich auf eine sunnitische Minderheit. Die Schiiten, die unter Saddam Hussein auf das Schrecklichste unterdrückt wurden, stellen die Mehrheit der Iraker. Sie stehen jedoch auch aus eigenen Gründen in Gegnerschaft zu den USA. Auch sie wollen nicht von einer ausländischen Macht regiert werden. Noch schlimmer ist jedoch, dass die schiitischen Geistlichen das iranische Modell für den Irak übernehmen wollen. Das genau wollen die USA nicht. Erinnern wir uns an das Jahr 1991, als die Schiiten aus dem Süden sich gegen Saddam erhoben und die USA zusahen, wie das Regime sie niederschlug. Die USA befürchteten im Süden des Irak eine ähnliche Entwicklung wie im Iran.
Die andere Gruppe sind die Kurden im Norden, auch sie bieten keine Lösung für das Machtvakuum, was sich eröffnet hat. Sie wären nicht in der Lage das Land zu regieren.
Wenn die USA und ihre Alliierten sich in der gegenwärtigen Situation aus dem Irak zurückziehen müssten, würden sie das Auseinanderbrechen des Landes riskieren, wobei die Macht an Kräfte gehen würde, die den USA feindlich gesinnt sind. Sie können nicht zulassen, dass dies passiert. Das bedeutet, sie sitzen in der vorhersehbaren Zukunft im Irak fest.
Das erklärt die verzweifelten Maßnahmen, welche das US-Militär in der vergangenen Zeit durchgeführt hat. Sie haben die Gebäude der ehemaligen Republikanischen Garden bombardiert. Sie haben ihre Militäroperationen gegen die Guerillakämpfer verstärkt. Es liegt in der Natur der Guerillabewegung, dass man sie nicht niederhalten kann. Sie hat keine Standorte. Es existiert keine Frontlinie, an der sich die gegnerischen Kräfte gegenüberstehen. Guerillas greifen an und verschwinden dann. Aber die Beschränktheit des US-Militärs kennt keine Grenzen. Generalleutnant Ricardo Sanchez, der oberste General im Irak gab kürzlich eine Stellungnahme ab, in der er sagte: "Die wichtigste Botschaft lautet, dass wir alle ziemlich abgebrüht werden und das wird notwendig sein, um den Feind zu besiegen und wir sind garantiert nicht zurückhaltend, das zu tun, wenn es nötig ist." Deshalb sehen wir die Szenen auf unseren Fernsehschirmen, wo US-Soldaten in Häuser von Zivilisten eindringen, Frauen gewaltsam anpacken, erschrockene Männer in Handschellen legen und Bilder von verwirrten Kindern, die draußen vor ihren Häusern hocken, während ihre Eltern auf diese barbarische Weise behandelt werden.
Das US-Militär mag beschränkt sein, aber wenigstens einige CIA-Beamte haben einen klareren Blick für das, was geschieht und verstehen auch die Auswirkungen, die all das haben könnte. Kürzlich aktualisierte Zahlen haben enthüllt das zwischen 11.000 und 15.000 Iraker während des "Krieges" umgekommen sind. Jeder darf raten, wie beliebt das die Imperialisten beim irakischen Volk gemacht hat. Je mehr Angriffe stattfinden, desto mehr wird der Widerstand an Zustimmung bei den normalen Irakern gewinnen.
Die CIA-Beamten verstehen das und nehmen wahr, dass die Unterstützung für den Widerstand im Irak wächst. Ein kürzlich erstellter CIA-Bericht kommt zu dem Schluss, dass eine Zunahme der Operationen gegen die Guerillakämpfer noch mehr Verletzte in der Zivilbevölkerung zur Folge haben und mehr und mehr Iraker dazu bringen könnte, den Widerstand gegen die USA zu unterstützen. Das passiert tatsächlich schon.
Die gesamte Situation im Irak schlägt in das Gegenteil von dem um, was Blair und Bush beabsichtigt hatten. Sie ist zu einem Sumpf geworden. Die beiden glaubten als große Kriegsführer in die Geschichte einzugehen. Stattdessen wird man sich an sie als zwei der meist gehassten Männer in der Geschichte erinnern. Nichts kann sie vor diesem Schicksal retten. Das gesamte Staatsbrimborium, der gesamte Pomp und die Zeremonien anlässlich des gegenwärtigen Staatsbesuchs werden sie nicht retten. Sie werden in der arabischen und muslimischen Welt gehasst. Millionen Europäer hassen sie. Und was noch wichtiger ist, sie werden von vielen in ihrem eigenen Land gehasst. Bush und Blair werden ihr Irak-Abenteuer noch bereuen.
18.November 2003