Irakische Arbeiter widersetzen sich den Bossen und den imperialistischen Streitkräften
von Roberto Sarti
Als im April die Besetzung des Irak begann, betonten wir, dass die Aufgabe, das Land unter Kontrolle zu bekommen, für die imperialistischen Armeen nicht so leicht sein würde, wie der eigentliche Sieg im Krieg. Der stellvertretende US-Verteidigungsminister Wolfowitz hat gerade einen kurzen Besuch des Irak beendet. Dies war Teil eines öffentlichkeitswirksamen Werbegags des Weißen Hauses. Unglücklicherweise wurde Wolfowitz' Versuch, ein rosiges Bild von der Situation im Irak zu geben, durch den Absturz eines US-Militärhubschraubers vom Typ Black Hawk jäh unterbrochen. Die Zahl der Angriffe auf das US-Militär nimmt zu - durchschnittlich zwei Dutzend pro Tag!
Wolfowitz möchte der irakischen Bevölkerung glaubhaft machen, das US-Militär sei im Land, um zu helfen. Eine Studie des Irakischen Zentrums für Forschung und Strategische Studien hat jedoch kürzlich enthüllt, dass 67 Prozent der Iraker die von den USA und Großbritannien geführten Streitkräfte als "Besatzungsmächte" betrachten. Das sind 20 Prozent mehr als zu dem Zeitpunkt als das Regime Saddam Husseins gestürzt wurde. Je länger die Besatzung dauert, desto schwieriger wird es für die Imperialisten. Die Menschen im Irak haben sämtliche Illusionen, die sie vielleicht zu Beginn der US-Besatzung gehabt haben mögen, verloren. Sie können sehen, welche Interessen die Truppen der USA und Großbritanniens wirklich verteidigen.
Es ist nicht nur die Frage des bewaffneten Widerstands, der täglich wächst. Die Massenmedien können es nicht verhindern, dass darüber berichtet wird. Es gibt auch eine wachsende Wut unter den normalen irakischen Arbeitern, die anfängt, ihren Ausdruck in Streikaktionen zu finden.
Der Klassenkampf der irakischen Arbeiter und Arbeitslosen fängt an, erste Ausmaße anzunehmen. Und trotzdem wird diese Art der Opposition in den westlichen Medien kaum erwähnt. Der Grund ist offensichtlich: sie wollen den Menschen hier im Westen ein Bild geben, das die Iraker als Haufen unzivilisierter Barbaren und muslimischer Fundamentalisten darstellt, die sich von unserer "kultivierten", "zivilisierten" Welt weit entfernt haben. Sie wollen, dass wir glauben sollen, dass dies nicht ein Krieg zwischen Unterdrückern und Unterdrückten ist, sondern "ein Zusammenstoß der Kulturen", einer, in dem man von uns erwartet, dass wir eher geneigt sind, Partei zu ergreifen für unsere eigenen Herrscher und gegen die so genannten "fremden Kulturen". Nichts könnte der Wahrheit weniger entsprechen. Der Irak ist weit davon entfernt eine unerschlossene Region zu sein, sondern ist ein industrialisiertes Land, in dem die Arbeiter, besonders im Ölsektor, eine Schlüsselrolle spielen. Und wie Arbeiter in allen Ländern handeln sie, wenn ihre entscheidenden Interessen auf dem Spiel stehen.
In den letzten Wochen haben eine Anzahl Demonstrationen und Streiks statt gefunden. Die Arbeitslosen haben Massenzusammenkünfte und Demonstrationen in Bagdad und Basra abgehalten. Am 1. Oktober griffen in Basra Arbeitslose, die von den leeren Versprechungen die Nase voll hatten, das Rathaus an und versuchten es zu besetzen. Der Bürgermeister und die Mitglieder des Stadtrates, die zum größten Teil Mitglieder islamischer Gruppen sind, flohen aus dem Gebäude. Danach fing die Polizei an, wahllos in die Menge zu schießen, um die Demonstration aufzulösen.
Es gibt auch Berichte von einem eintägigen Streik in der größten Raffinerie des Landes in Basra Anfang Oktober, obwohl dessen Ergebnis unklar ist. In der Daura Ölraffinerie in Bagdad fanden drei Streiks in zwei Wochen statt. Der Generaldirektor der Raffinerie Dathar Khasbab erklärte, wie er mit dem Streik umging: "Ich wünschte, ich hätte den Protest mit friedlichen Mitteln lösen können, aber ... wir können uns keine Unterbrechungen mehr leisten. Weitere Unterbrechungen fügen dem Land Schaden zu."
Dieses brutale frühere Mitglied der Ba'ath Partei und jetzige frenetische Unterstützer der Besatzungstruppen enthüllte einem freiberuflichen Journalisten (einem Mitglied der Occupation Watch Delegation der Organisation US Labor Against War) gegenüber viel über die Haltung der neuen Machthaber. Er erklärte ihm: "Die Privatisierung [der irakischen Ölindustrie] ist gut, weil sie bei den Arbeitern Angst erzeugt. Sie erzeugt bei den Arbeitern Angst um ihre Arbeitsplätze. Jeder Arbeiter hier weiß, dass ich sein Leben kontrolliere. Wenn ich ihn entlasse, ruiniere ich sein Leben und das seiner Familie."
Die angloamerikanische Bourgeoisie mag diese neue Art Manager. Der Sturz Saddam Husseins war für die irakischen Arbeiter ein Sturz von der Bratpfanne ins Feuer.
1987 verabschiedete die Ba'ath Partei ein Gesetz, das Streiks verbot und auch die Existenz der "Arbeiter" im Irak offiziell aufhob. Sie wurden alle "staatlich Beschäftigte". Es ist kein Zufall, dass der Provisorische Rat sich bewusst entschieden hat, dieses Gesetz nicht aufzuheben. Es scheint, dass nicht alle Gesetze Saddams schlecht waren. Es offenbart auch, dass die Zielsetzung des Saddam-Regimes und die der angloamerikanischen Imperialisten die gleichen waren und sind, wenn es um den Umgang mit der Arbeiterklasse geht. Dank Saddam, Bremer und Konsorten glauben sie, freie Hand im Umgang mit den irakischen Arbeitern zu haben.
Die Arbeitsbedingungen der großen Mehrheit der irakischen Arbeit sind erschreckend. Derselbe freiberufliche Journalist besuchte Nahrawahn in der Nähe von Bagdad, einen Komplex mit 150 Fabriken, in denen 15.000 Arbeiter beschäftigt sind und täglich Tausende von Ziegelsteinen am laufenden Band produzieren. Dort arbeiten Männer, Frauen und Kinder 14 Stunden am Tag für einen Lohn von $1,50 (oder 50 Cents für die Kinderarbeit). Es gibt natürlich kein Krankengeld, kein Urlaubsgeld, keine Sicherheitsbestimmungen und keine medizinische Hilfe bei Verletzungen.
Der Reporter zeigte auf, dass alle Arbeiter eine Grenze haben, über die sie nicht gehen können. Wenn diese Grenze erreicht wird, haben sie keine andere Alternative, als zurückzuschlagen.
"Am Samstag, den 11. Oktober entschieden 75% der Arbeitskräfte, genug war genug und streikten. 300 bis 400 Arbeiter marschierten zum Büro des Besitzers und verlangten soziale Sicherheit, eine Altersrente, medizinische Einrichtungen in der Firma, Arbeitsverträge und Lohnerhöhungen. Der Besitzer hatte keine Ahnung, dass die Arbeiter eine Gewerkschaft gebildet hatten und erklärte ihnen: 'Schön, streikt nur und geht, ich werde Euch entlassen und andere werden kommen, die Eure Arbeitsplätze übernehmen werden.' Die Arbeiter reagierten, gingen nach Hause, holten ihre Gewehre und bildeten spontan eine bewaffnete Streikpostenkette. Mit Maschinengewehren und Kalaschnikows ausgerüstet, bewachten die Arbeiter ihre Fabrik und verteidigten ihren Streik gegen die Zerschlagung durch Streikbrecher."
"Der überwältigte Besitzer gewährte den Arbeitern am Ende eine Erhöhung von 500 Dinar (25 Cent) und stimmte Verhandlungen über soziale und gesundheitliche Verbesserungen zu. Der Streik wurde insgesamt als großer Erfolg betrachtet."
"Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, die durch diesen Sieg angespornt wurden, haben Vorstellungen entwickelt, wie ihre Bedingungen verbessert und die Fabrikbesitzer in Schach gehalten werden können. 'Die Gewerkschaften müssen den Brennstoff in den Öfen kontrollieren. Dann werden die Besitzer uns gehorchen', sagt Farhan (einer der interviewten Arbeiter)."
Diese Episode ist nur ein Vorgeschmack auf das, was wir in Zukunft im Irak zu hören bekommen. Sogar unter den extrem schweren Bedingungen im Irak fangen die Arbeiter an, sich zu erheben. Dabei werden die Kämpfe zwischen den Bossen und den Arbeitern zuweilen einen brutalen Charakter annehmen. Das hat mit der Natur der imperialistischen Besatzung und der Brutalität der einheimischen und ausländischen Bourgeoisie zu tun. Deshalb sind Selbstverteidigungskomitees bei den Streikposten absolut notwendig. Die Arbeiter in dem oben genannten Konflikt haben das mehr als deutlich verstanden als sie nach Hause gegangen sind und ihre Waffen geholt haben!
Allerdings müssen wir begreifen, dass Waffen und Gewehre immer nur die organisierten Aktionen der Arbeiterklasse hilfreich unterstützen können. Es sind die Massenaktionen, die stets entscheidend sind. Die Arbeiter in dem beschriebenen Fall siegten in erster Linie und hauptsächlich, weil sie entschlossen und vereint waren, die Frage der Bewaffnung war zweitrangig (obwohl offensichtlich wichtig). Von einem reinen militärischen Standpunkt aus betrachtet, hätte die US-Armee den Streik zu jeder Zeit zerschlagen können, falls sie es gewollt hätte. Es wäre ihr aber nicht gelungen, den Geist der Solidarität unter den Arbeitern und ihre Bereitschaft zum Kampf zu zerstören.
Die Arbeiterklasse bildet zusammen mit den Arbeitslosen und den armen Bauern die überwiegende Mehrheit der irakischen Bevölkerung. Sie könnte, wenn sie in einer revolutionären Partei organisiert wäre, jede Besatzungsarmee besiegen. Dies ist besonders in einer Situation der Fall, in der die US-Soldaten nicht besonders glücklich darüber sind, im Irak zu sein. Laut einer Umfrage, die von der Zeitung Stars and Stripes durchgeführt wurde, beschweren sich schon ein Drittel der Befragten über das Fehlen klarer Definitionen ihrer Mission und sie charakterisieren den Krieg als wenig sinnvoll oder nutzlos. Ganze 40 Prozent erklärten, ihre Tätigkeiten hätten nur wenig oder gar nichts mit ihrer Ausbildung zu tun. Insgesamt 49 Prozent der Befragten sagten, es sei "sehr unwahrscheinlich" oder "wenig wahrscheinlich", dass sie nach Beendigung ihrer jetzigen Verpflichtung beim Militär bleiben würden. (The Washington Post, 19.10.2003)
Da sich die Bedingungen verschlechtern, werden die irakischen Arbeiter zwangsläufig zu den Mitteln des Klassenkampfes, einschließlich Streiks, Betriebsbesetzungen, Generalstreiks und Massendemonstrationen, greifen. Eine derartige Massenbewegung könnte eine große Wirkung auf die schon unzufriedenen amerikanischen Soldaten haben. Sie würde überdeutlich klar machen, dass sie nicht "das Volk befreien", sondern ihre Brüder und Schwestern aus der irakischen Arbeiterklasse unterdrücken.
Eine Massenbewegung würde auch den islamisch-fundamentalistischen Schleier durchtrennen, der benutzt wird, um die Arbeiter irrezuführen und sie würde als Leuchtfeuer von allen Arbeitern und Jugendlichen im Nahen Osten betrachtet werden.
28.10.2003