Der Massenaufstand im Irak

 

Die US-amerikanisch geführten Besatzungstruppen sehen sich seit einigen Wochen einem massiven Aufstand der irakischen Bevölkerung gegenüber. Ausgehend von der südlich von Bagdad liegenden Stadt Najaf griff der Aufstand der IrakerInnen auf Fallujah, Ramadi, Nasiriya, Amara, Bagdad, Kerbala, Kut, Basra, Tikrit, Mossul, Kirkuk und Baquba über. Die Darstellung der USA, dass es sich hier um das Werk vereinzelter Extremisten handle, war im Laufe der vergangenen Wochen nicht mehr haltbar – die Besatzer sehen sich einem Massenaufstand gegenüber.

 

Die Tötung und Schändung der Leichen von vier US-amerikanischen Söldnern am 31. März in Falluja hatte eine Kettenreaktion an Ereignissen ausgelöst, die sich immer mehr zu einer gewaltigen militärischen und politischen Herausforderung für die US-Außenpolitik auswächst.

Gestreng den Gesetzen des vorbiblischen babylonischen Herrschers im Zweistromland König Hammurabi (1728-1686 v.u.Z.) galt es für die Besatzungsarmee Rache am grausamen Tod der vier Söldner zu nehmen. „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ sollte der schockierten Weltöffentlichkeit und dem US-amerikanischen Wählerpublikum die militärische Übermacht der USA gegenüber vier irakischen Jugendlichen, die alsbald als „Hauptverdächtige“ ins Visier des Imperiums gerieten, glaubhaft dargestellt werden.

 

Der „neue“ Irak: kein guter Boden für den Imperialismus

 

Der Ausgangspunkt jeder Analyse der Situation liegt in folgender Frage: Ist es den Besatzungstruppen möglich die irakische Bevölkerung unter ihre Kontrolle zu kriegen? Diese Frage kann verneint werden. Bereits vor dem Ausbruch der militärischen Eskalation der letzten Wochen wurde deutlich, dass das Besatzungsregime im Irak sich auf keine verlässliche soziale Basis stützen kann. Jede soziale Kraft, die in den letzten Monaten bereit war, sich vor den Karren US-amerikanischer Politik spannen zu lassen, durchlief in den letzten Monaten eine Serie von Krisen und Spaltungen.

Die Haupthoffnung des Imperialismus, die vom Hussein-Regime unterdrückte schiitische Geistlichkeit, konnte ihr Potential aufgrund innerer Krisen von Anfang an nicht zur Geltung bringen. Verstärkt durch den aus London eingeflogenen Kleriker Abdul Majid Koei, der sich bevorzugt mit Tony Blair und dem Union Jack in Szene setzte, sollte die Geistlichkeit die irakische Bevölkerung für das Besatzungsregime willig stimmen. Erste Probleme tauchten auf, als der Kleriker nach seiner ersten Predigt am 10. April 2003 noch im Gotteshaus mit Messerstichen selig gemacht wurde.

Nur knapp einen Monat darauf führte Moqtada al Sadr eine antiamerikanische, schiitische Demonstration durch Bagdad. Hier wurde bereits deutlich, dass es einfacher ist Menschen gegen die Besatzung auf die Straße zu bringen, als in den neuen, imperialistisch zugerichteten Irak zu integrieren. Amerikanische

Übergriffe auf ZivilistInnen, eine generelle Ablehnung der Besatzung, die Ablehnung der provisorischen „irakischen“ Verwaltung, die Wiederinkraftsetzung der von Saddam Hussein erlassenen Anti-Gewerkschaftsgesetze durch Paul Bremer, die Hungerrationen für ehemalige Armeeangehörige und Verwaltungsbeamte, der weiterhin katastrophale Zustand der zerbombten Infrastruktur (fehlende Wasser- und Stromversorgung) und die hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung (mehr als 50% der arbeitsfähigen IrakerInnen sind ohne festes Einkommen) bilden den sozialen und politischen Nährboden der antiimperialistischen Massenmobilisierung im Irak.

Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlich relevanten Kräften machte al-Sadr von Anfang an seine Ablehnung der Besatzung deutlich. Was anfangs noch als antiamerikanische Punktierung im an sich kooperationswilligen schiitischen Klerus galt, gewann auf den Straßen der irakischen Städte zunehmend Massenanhang. Diese Bewegung richtete sich in erster Linie gegen eine von der Besatzung aufgezwungene Verfassung und die Form zukünftiger Wahlen im Irak. Die amerikanische Verwaltung plant nämlich eine Art Kurienwahlrecht entlang ethnischer Grenzen und Großfamilien („Stämme“) zu etablieren. Nach dem alten Prinzip des Teile und Herrsche will die Kolonialverwaltung damit ihre Herrschaft auch in einem „souveränen“ Irak absichern. Die heute als „Terroristen“ und „Verbrecher“ für vogelfrei erklärten Oppositionellen fordern dagegen – man höre und staune – das allgemeine und geheime Wahlrecht. Dieser Forderung verliehen auch Hunderttausende Schiiten auf Demonstrationen am 19.1.2004 Nachdruck. Auch zu diesen Demonstrationen rief al-Sadr im Alleingang auf. Der ehrwürdige kooperationswillige Klerus blieb ebenso zu Hause wie die Irakische Kommunistische Partei. Die schiitische Geistlichkeit war nun offen sichtbar gespalten, und der mittlerweile weltbekannte junge Iman Moqtada al-Sadr führt unbestritten den radikalen, antiimperialistischen Massenflügel an. 

Ebenso gespalten sind die säkularen Kräfte im Irak. Allen voran muss hier die Irakische Kommunistische Partei (IKP) genannt werden. In einer sehr spezifischen Interpretation der stalinistischen „Zwei-Etappen-Theorie“ suchte sie ihr Heil ebenfalls unter dem Dach der Besatzungsmächte. Die IKP bezahlte diese Kapitulationspolitik mit politischer Bedeutungslosigkeit, internen Krisen und zig Abspaltungen.

 

Das Los der BesatzungssoldatInnen

 

Kein Regime der Welt kann sich auf Dauer allein durch militärische Repression an der Macht halten. Die irakische Bevölkerung ging davon aus, dass sich die USA nach dem Fall Saddams, und nachdem sie die Schecks für den Wiederaufbau des zerstörten Landes unterschrieben haben, sich innerhalb von Wochen wieder aus dem Irak zurückziehen werden. Von Tag zu Tag wurde es jedoch deutlicher, dass die USA sich im Irak dauerhaft einrichten, ohne aber dass politische und soziale Versprechungen eingehalten werden. Die Kolonialmacht im Irak kann so nur als Unterdrücker und Aggressor wahrgenommen werden.

Im Gegensatz zu einem konventionellen Krieg ist in der Aufstandsbekämpfung die massive technische Überlegenheit der US-Armee aber von untergeordneter Bedeutung. Die Besatzungstruppen bewegen sich seit Monaten in einem zunehmend feindlichen Umfeld. Aus diesem Grund wurden die Kasernen der Truppen meist außerhalb der Städte errichtet. Patrouillen durch die an sich bereits befriedeten Städte sind für die Soldaten reine Spießrutenläufe und werden damit militärisch sinnlos. Anstatt hier Kontakte zur Zivilbevölkerung knüpfen zu können, Aufklärungsarbeit zu leisten usw. rasen die SoldatInnen in ihren Fahrzeugen in Todesangst durch die Städte.

Bis zum Aufstand der Mahdi-Miliz anfangs April machten die Besatzungsarmeen kaum die Erfahrung von koordiniertem und geplantem Widerstand. Dies änderte sich in den vergangenen Wochen schlagartig. Die Angreifer verwickeln amerikanische Einheiten in stundenlange Gefechte und stellen vor allem entlang der Nachschublinien ausgeklügelte Fallen auf. Dabei sollen vermehrt auch irakische Polizisten oder zumindest Menschen die solche Uniformen tragen, zum Einsatz kommen. Sie winken die Konvois in Sackgassen oder auf Brücken, wo sie dann von Angreifern angegriffen werden. Solche Vorfälle machen deutlich wie tief die Besatzungstruppen in den Sümpfen des Zweistromlandes stecken: Die Besatzer sind auf sich alleine gestellt und können sich nicht mal mehr auf die von ihnen selbst geschaffenen Repressionsapparate verlassen. Die irakische Polizei bekämpft Aufständische nur wenn sie selbst den Gewehrlauf ihres Herrn im Nacken spüren.

Das scheint auch für die ebenfalls neu geschaffene irakische Armee zu gelten, die sich weigerte, dem amerikanischen Befehl zur Rückeroberung Fallujahs nachzukommen. Wie tief die Hoffnung der USA, einen bürgerlich-demokratischen Irak aufzubauen, bereits gesunken ist, sieht man nun unter anderem auch daran, dass die südafrikanisch-britische Söldnerfirma Erinys einen 100 Millionen-Dollarvertrag erhalten hat, um eine 14.000 Mann starke private irakische Söldnertruppe zusammenzustellen.              

Die verzweifelte Lage der Besatzungstruppen lässt sich an der Namensgebung der aktuellen militärischen Operationen erahnen: Die seit drei Wochen andauernden Versuche Fallujah zurückzuerobern laufen unter dem Kodenamen „Wachsamer Entschluss“, die Gesamtoperation gegen die schiitische Mahdi-Miliz, Hauptträgerin der aktuellen Kämpfe auf irakischer Seite hört auf den Namen „Resolutes Schwert“.

Die simultanen Aufstände in zahlreichen Städten stellen die Besatzer vor große Probleme, was als militärische „Überdehnung“ bezeichnet wird. Die 130.000 US-amerikanischen SoldatInnen reichen nicht aus um einen flächendeckenden Krieg im Irak zu führen. Daher entschloss sich das Oberkommando Truppen aus Mossul und Tikrit zurückzuziehen. Im Zweiten Weltkrieg nannte man dies beschönigend „Frontbegradigung“.

Nachdem die Heimkehr von Tausenden Soldaten schon monatelang verzögert worden ist, müssen SoldatInnen, wie etwa jene des 1. Marineexpeditionschor und der 82. Panzerdivision nochmals für mindestens drei Wochen unfreiwillig im Irak bleiben. Dabei wird’s nicht bleiben. Der britische Kommandeur im Irak glaubt, dass das imperialistische Manöver noch einige zusätzliche Jahre in Anspruch nehmen wird: „Für einige Jahre noch werden westliche Kräfte im Irak bleiben müssen – dabei gehe ich von einem Zeitraum von zwei, drei, zehn Jahren aus.“ 

Dies werden die US-amerikanischen und britischen Armeen, die ja auf „Freiwilligkeit“ beruhen, nicht aufbringen können. Stipendien, Urlaube und billige Krankenversicherungen werden nicht mehr ausreichen die Armen Amerikas in die Armee zu locken. Momentan versucht die Kolonialmacht durch das Engagement von Söldnern („Mitarbeitern von Sicherheitsfirmen“) – 15 bis 20.000 sollen es momentan sein - Abhilfe zu schaffen. Langfristig wird aber die Diskussion zur Wiedereinführung der Wehrpflicht aktuell werden. Dies wird einen heftigen Impuls für den amerikanischen Klassenkampf – in der Armee und an der Heimatfront - bedeuten.

Während die befreiten Städte Kut, Nasiriya und einzelne Stadtteile in Bagdad (etwa Sadr-City mit über zwei Millionen Einwohnern) innerhalb einer Woche wieder zurückerobert werden konnten, finden die entscheidenden Auseinandersetzungen momentan um Fallujah und Najaf statt.

Dass sich gerade Fallujah zu einem Zentrum des Widerstandes entwickelte, ist kein Zufall. Bereits während des konventionellen Krieges gegen Hussein kam es in und rund um diese Stadt zu schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Invasionsarmee. Dabei soll auch die persönliche Profilierungssucht einzelner US-Kommandanten eine Rolle gespielt haben, die ohne Rücksicht auf die zivile Bevölkerung als auch auf die eigenen SoldatInnen sich ein Wettrennen nach Bagdad lieferten. Im Zuge dieser militärisch sinnlosen Manöver musste das Oberkommando bereits während des Krieges durch Kommandoenthebungen eingreifen. Auch nach dem Fall Saddams blieb die Situation in Fallujah permanent angespannt, was schließlich am 24. März dazu führte, dass die im Umgang mit der Bevölkerung etwas „ruppige“ 82. Luftlandedivision durch eine Marines-Division ersetzt wurde. Diese Maßnahme war aber zu wenig und kam viel zu spät. Die anfangs großspurig verkündeten Rückeroberungspläne ziehen sich nun bereits über Wochen. In den ersten drei Wochen schafften es die Marines gerade mal zwei Kilometer in die Stadt einzudringen – um sich dort dann einzuigeln. Mittlerweile sind die Belagerer dazu übergegangen über acht Kilometer lange Befestigungen am Stadtrand zu bauen, um die Größe der Belagerungsarmee – etwa 20.000 Soldaten sind rund um Fallujah gebunden – verringern zu können.

Etwa vierzig verschiedene Milizen kämpfen militärisch gegen die Besatzer – davon ist nur eine absolute Minderheit dem Al-Kaida Terror zuzuordnen. Die Mehrheit der Kämpfer sind arme und entwurzelte IrakerInnen. Die zahlenmäßig stärkste Miliz – jene al-Sadrs – wird auch „Armee der Armen“ genannt. Hier organisieren sich v.a. Jugendlichen aus den heruntergekommenen Vorstädten Bagdads und der südlichen irakischen Städte. Militärische Erfahrung bringen besonders Einheiten mit, die aus ehemaligen Republikanischen Garden gebildet werden. Der Großteil dieser Einheiten nahm durch den Verrat ihrer Generalität gar nicht an den konventionellen Kämpfen gegen die Invasion teil. Gegen die Zusicherung ihrer Freiheit (und wahrscheinlich auch durch eine keine geringe Summe Trinkgeld) verzichtete der kommandierende General der „Spezial Republikanischen Garden“, ein Cousin Saddam Husseins, auf die Verteidigung Bagdads. Nun kehren die KämpferInnen zurück – hochmotiviert wie die amerikanischen SoldatInnen leidvoll erfahren müssen.

Dabei sind die organisierten und trainierten Milizen nicht das zentrale Problem, dem sich die Kolonialisten gegenüber sehen. Bornales, ein Kommandant einer Einheit über seine Erfahrungen im Straßenkampf: „In gewissen Gebieten waren es gut koordinierte Attacken, aber in anderen scheinen es nur normale, frustrierte Menschen, die ein paar Schüsse auf Amerikaner abgeben wollten, gewesen sein. Es ist hart die Spreu vom Weizen zu trennen.“ Die Truppen beschweren sich daher häufig über die „Feigheit ihrer GegnerInnen“. Sie würden sich hinter ZivilistInnen verstecken etc., sind stereotype Erklärungen für den hohen Blutzoll den die amerikanischen Operationen fordern. Allein in Fallujah sollen bereits über 700 ZivilistInnen getötet worden sein. Zahlreiche Berichte, die später in der Negation der Negation auch durch die Besatzer selbst bestätigt wurden, klären zweifelsfrei, dass die Marines in Fallujah den Zugang zu den Spitälern versperrten und Ambulanzen systematisch beschossen. Durch die seit Anfang April verhängte Hungerblockade über Fallujah soll die Zivilbevölkerung aus der Stadt gezwungen werden, damit auch angesichts der Weltöffentlichkeit auf alles geschossen werden kann, was sich bewegt. Dies ist die militärische Antwort auf den Dschungelkrieg in den Städten Iraks, und dies ist nichts anders als der brutalste Ausdruck der imperialistischen Zurichtung der irakischen Bevölkerung – politisch, wirtschaftlich und eben auch militärisch.

 

Militärpolische Ökonomie

 

Die militärische Besatzung des Irak kostet monatlich 4-5 Mrd. Dollar (insgesamt belaufen sich die angehäuften Kosten der US-Armee auf 143 Mrd. Dollar), ein etwa gleich hoher Betrag wird für Sicherheitsmaßnahmen in den USA selber aufgebracht. Dagegen sind für die Fiskalperiode 2003-2005 nur 18,7 Mrd. Dollar für den Wiederaufbau des Iraks vorgesehen. Davon sind wieder bis zu 20% für Sicherheitsaufgaben reserviert. Wiedererrichtet werden bevorzugt Kommunikationslinien, Transitstraßen, Kasernen und Erdölinfrastruktur.

Im Zuge der Vertragsvergaben wird regelmäßig von Korruption berichtet. Der US-Konzern Bechtel etwa lukrierte einen Auftrag über 1 Mrd. Dollar zur Wiedererrichtung der Wasserversorgung in zahlreichen Städten. In der Auftragsvergabe war etwa ausgeschrieben, dass die Wasserversorgung im südlichen Irak innerhalb von 60 Tagen herzustellen sei. Nun fast ein Jahr später ist diese Aufgabe noch immer nicht erfüllt. Das gleiche gilt für Städte wie Najaf oder Sadr City. Statt sauberem Trinkwasser breiten sich Durchfall, Cholera etc. aus. US-Bürgerrechtsorganisationen gehen davon aus, dass Bechtel die Verzögerung der Wasserversorgung bewusst betreibt, um bei der künftigen Privatisierung des Wassers in einer besseren Ausgangsposition zu sein.

Auch gesellschaftspolitisch haben die Kolonialmacht und ihre korrupten Helfer der provisorischen irakischen Verwaltung nichts anzubieten. So wurde nun die Scharia in Eheangelegenheiten eingeführt. Die Unterdrückung der Frau gilt der Besatzung als geeignete Maßnahme mit dem Klerus wieder bessere Beziehungen zu pflegen.

 

Alle Truppen raus!

 

Viele Menschen, auch jene die gegen den Krieg waren, stellen sich angesichts der eskalierenden Situation die Frage, ob nicht alles schlimmer werden würde, wenn die Besatzer nun abziehen. Diese Frage kann aber nur verneint werden. Sowohl im politischen, als auch im wirtschaftlichen und militärischen Gebaren der Besatzung wird deutlich, dass hier keine demokratische Entwicklung eingeleitet werden soll. Der Irak soll allein auf die wirtschaftlichen Interessen des Westens ausgerichtet werden. Eine Mischung aus Kalifat, Privatisierung und direkter militärischer Unterdrückung wird den IrakerInnen nie eine Zukunft bieten können. Die Besatzungstruppen müssen raus!

 „Die Idee, dass die UNO der Besatzung helfen könnte, aus dem tiefen Loch wieder herauszukommen gewinnt zunehmend an Attraktivität“ So berichtet die BBC am 16. April. Deutlicher kann man die Rolle der UNO eigentlich gar nicht beschreiben. Weiter der britische TV-Sender: “Ein Beschluss des Sicherheitsrates würde einer multilateralen militärischen Kraft eine neue Autorität geben. Diese würde weiter unter amerikanischem Kommando stehen, aber für die internationale Meinung akzeptabler sein.“

Die UNO ist nichts als der akkordierte Schiedsrichter der imperialistischen Räuber. Da sich die Räuber aber nicht gern an Regeln halten, hat die UNO in der Geschichte noch keinen einzigen Konflikt lösen können. Condoleezza Rice, kaum verdächtig auf dem Mund gefallen zu sein, bezeichnete die europäische Haltung, dass die Gewalt (i.e. der Widerstand) im Irak erst aufhören würde, wenn statt dem Sternenbanner die blaue Flagge der UNO wehen würde, als Dummheit, und sie hat damit eindeutig Recht.

Fakt ist, dass ausländischen Truppen militärische und strukturelle Gewalt bedeuten – egal welche diplomatischen Winkelzüge damit verbunden sind. Die europäischen Räuber machen hier keinen Unterschied, sie wirken „pazifistisch“, weil sie der US-amerikanischen Militärmacht nichts entgegenzusetzen haben – wo sie allerdings ihre militärische Macht einsetzten, etwa in Schwarzafrika (Ruanda, Kongo, Liberia,...) wächst lange kein Gras über die Tausenden Gräber europäischer „Friedenssicherung“. 

Eine UNO-Lösung muss von der Antikriegsbewegung unmissverständlich abgelehnt werden. Diese scheinbar „realistische“ Alternative zum imperialistischen Krieg ist in Wirklichkeit nur eine utopistische Nebelgranate.

Die spanische ArbeiterInnenbewegung zeigt uns hier die einzige reale Möglichkeit dem Imperialismus die Zähne zu ziehen: Die militaristischen Regierungen wegdemonstrieren und wegstreiken. Angesichts der breiten und tief empfundenen Ablehnung des militärischen Engagements war der neue Regierungschef Zapatero sogar gezwungen die Truppen sofort zurückzuziehen, sonst würde der eben an die Regierungssitze gewählte Chef der PSOE von vorneherein mit Massendemos konfrontiert sein.

Zapateros Rückzugsbefehl ist auch ein Indiz dafür, dass es keine UNO-Lösung geben wird, die der Antikriegsstimmung in den europäischen Ländern auch nur annähernd entsprechen könnte. Condoleezza Rice kann momentan gut mit den Vorschlägen des UNO-Beauftragten Brahimi leben, weil „keine vitalen Interessen ihrer Nation“ davon betroffen seien.

Was wird sich ändern? Der korrupte Haufen, der momentan unter dem Firmenschild „Provisorischer Verwaltungsrat“ seinen schmutzigen Geschäften nachgeht, wird dann „Provisorische Irakische Regierung“ heißen. Die amerikanischen Interessen werden nicht mehr vom überforderten Paul Bremer sondern von Carlo Negroponte vertreten. Dabei war nicht von vorneherein klar was der offizielle Titel von Negroponte sein wird. Zuerst war „UNO-Verwalter“ im Gespräch und jetzt ist es fix: „Botschafter der Vereinigten Staaten“. Eine multinationale Ausbeutungsverwaltung wird bis Juni nicht zustande zu bringen sein. Das letzte Risiko für Negroponte: Wird seine Botschaft fertig werden, angesichts der Tatsache, dass momentan nur etwa die Hälfte der irakischen Bauarbeiter auf ihrem Arbeitsplatz erscheinen?

 

Nur durch die Unterstützung der internationalen ArbeiterInnenbewegung und durch die Überwindung religiösen und ethnischen Sektierertums im Irak selber wird es möglich sein die Besatzer loszuwerden. Der Aufstand gegen die Besatzung hat erstmals Ansatzpunkte dafür geliefert, und dies sowohl auf militärischer als auch auf politisch-humanitärer Ebene. Angesichts der Belagerung Fallujahs waren Tausende IrakerInnen unter dem Slogan „Nein zum Schiitentum, Nein zum Sunnitentum, ja zum einigen Irak“ nach Fallujah gezogen.

Es ist unsere Aufgabe, im Irak und im ganzen Nahen Osten den Aufbau einer echten marxistischen Alternative zu unterstützen, welche ein für allemal in dieser Region mit Ausbeutung und Unterdrückung Schluss machen kann. Der Kampf gegen die imperialistische Besatzung des Irak kann der erste Schritt hin zu einem solchen revolutionären Prozess sein.

 

Wien, 21.4.2004