70 Jahre Februar 1934

Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren

Vor 70 Jahren erlitt die österreichische ArbeiterInnenbewegung eine historische Niederlage. Sie wurde in einem spontanen Abwehrkampf, der nicht von der Sozialdemokratie als Ganzes sondern von den im Schutzbund konzentrierten oppositionellen Elementen, in allerletzter Minute geführt wurde, blutig besiegt. Der Februar 1934 ist aber nicht nur von historischem Interesse.

Die Organisationen der österreichischen Arbeiterschaft wurden im Zuge dieser Niederlage aufgelöst, die Gewerkschaften und Kulturvereine verboten, die Arbeiterheime von Polizei und uniformierten Banden besetzt und die Organisationsgelder eingezogen. Über dem Rathaus des ehemals roten Wiens wehte die Kruckenkreuzfahne und ein Regierungskommissär führte die Geschäfte. Tausende Funktionäre wurden verhaftet und die Standgerichte arbeiteten hemmungslos. Die Reaktion hatte gesiegt und sie triumphierte!

Geschlagene Armeen lernen gut – damals…

Es heißt, dass geschlagene Armeen gut lernen. Doch sehen wir uns an, ob dies auch auf die österreichische Sozialdemokratie – die geschlagene Armee dieses Bürgerkrieges – zutrifft. Am 25.Februar 1934 erschien im Exil die Nr.1 der neuen, illegalen „Arbeiter-Zeitung“. Der Leitartikel zeigt, dass die Austromarxisten um Otto Bauer und Julius Deutsch den Abwehrkampf der österreichischen ArbeiterInnen nicht gewollt hatten und versuchten, ihn sogar zu verhindern. Unter der Überschrift „Wie es gekommen ist“ erklärten sie:

„Seit dem 7.März 1933 hat die Regierung Dollfuß-Fey ein System des Verfassungsbruchs, der Recht- und Gesetzlosigkeit aufgerichtet. Sie hat alle Freiheitsrechte, die die Verfassung der Republik dem österreichischen Volke zugesichert hat, vernichtet, alle sozialen Errungenschaften der Arbeiter und Angestellten mit Füssen getreten.“

Anders ausgedrückt: die bürgerliche Demokratie wurde zuerst ausgehöhlt und dann zerstört. Aber für diesen Fall hatte doch Otto Bauer seit 1920 ununterbrochen angekündigt, dass die Sozialdemokratie die ArbeiterInnenklasse zum bewaffneten Kampf aufrufen würde, dass in diesem und nur in diesem Fall die austromarxistischen Führer die Diktatur des Proletariats für notwendig hielten und eine solche unter allen Umständen zur Verteidigung der Demokratie schaffen würden.

Als im März 1933 das Parlament als Institution für fast dreizehn Jahre verschwand, da war die Parteibasis und die Arbeiterschaft kampfbereit. Rechte wie linke Sozialdemokraten berichteten, dass Parteivorstand und Spitzenfunktionäre von den Vertrauensleuten und Betriebsräten bestürmt wurden, das Signal zum offenen Kampf und Generalstreik zu geben. Am 25.Februar 1934, nach der Niederlage, die die austromarxistische Führung mitverschuldet hatte, schrieben sie:

„Trotzdem hat die österreichische Sozialdemokratie dem österreichischen Volke den blutigen Bürgerkrieg ersparen wollen. Wir wollten kein Blut vergießen; 11 Monate haben wir das Unerträgliche ertragen. Elf Monate lang alles Menschenmögliche versucht, um zu einer friedlichen, verfassungsmäßigen Entwirrung der politischen Krise zu gelangen.“

Sie wollten „dem österreichischen Volke“ den Bürgerkrieg ersparen. Sie haben damit der österreichischen ArbeiterInnenklasse die Niederlage bereitet. Sie haben elf Monate lang „das Unerträgliche“ ertragen. In diesen 11 Monaten wurde die Kraft der ArbeiterInnenklasse zermürbt, die Wachsamkeit gelähmt, wurde der Gegner immer stärker und bereitete sich zum Kampf vor. Nach diesen 11 Monaten zerschoss er den Austromarxismus mit Kanonen. Die Parteibasis, die ihrer „Führung“ folgte, trug die Fesseln dieser Strategie hoffnungsloser Verfassungsgläubiger, um im Bürgerkrieg, unter schweren Opfern alles zu verlieren – während sie 11 Monate vorher alles zu gewinnen gehabt hätte.

Dass es zum Bürgerkrieg kommen musste, das war unter den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen der Ersten Republik unvermeidlich. Die österreichische Gesellschaft wurde durch eine sich immer mehr verschärfende Polarisierung zwischen den Klassen in diese Richtung getrieben. Rechter Putsch oder soziale Revolution – einen dritten Weg konnte es nicht geben!

Verzweiflungstat

In der „Arbeiter-Zeitung“ vom 25.Februar 1934 wird der Beginn der Kämpfe folgenderweise beschrieben: „Da riss den Linzer Schutzbündlern die Geduld. Sie wollten sich nicht mehr entwaffnen lassen. Als Montag den 12.Februar die Polizei das Linzer Arbeiterheim nach Waffen durchsuchen wollte, leisteten die Linzer Schutzbündler Widerstand. Der blutige Straßenkampf begann auf den Straßen von Linz. Wenige Stunden später wurden die Linzer Ereignisse in Wien, in Steyr, in der Steiermark bekannt. Überall fühlten die Arbeiter: die Stunde der Entscheidung ist da! Wir können die Linzer nicht allein lassen! Sonst sind wir verloren! Der Generalstreik brach aus. Die Schutzbündler griffen zu den Waffen.“

Die Führer der Austromarxisten wagten nicht einmal zu behaupten, dass sie das Signal zum Widerstand gegeben hätten: die ArbeiterInnen griffen zu den Waffen, die ArbeiterInnen begriffen, dass sie verloren wären, wenn sie die Linzer allein ließen. Hätten sie rechtzeitig begriffen, dass sie verloren sind, wenn sie der Sozialdemokratie folgen, so hätten sie siegen können. Denn Otto Bauer und die Parteiführung begriffen noch immer nicht, dass „die Stunde der Entscheidung“ da ist. Telegraphisch forderte Otto Bauer den Führer des Linzer Schutzbundes Richard Bernaschek auf, die Aktionen zu unterlassen. Am 12. Februar beschloss das Exekutivkomitee der Partei den Schutzbund lediglich unter Waffen zu stellen. Er solle nur eingreifen, wenn die Sozialdemokratie angegriffen würde. Körner intervenierte bei Bundespräsident Miklas und stimmte ihm sogar zu, dass der Generalstreik abgebrochen werden müsse. Doch alle Versuche waren vergeblich. Dollfuß ging nicht auf sie ein. Die ArbeiterInnen griffen gegen den Willen ihrer Partei und ihrer Organisation zu den Waffen, gegen den Willen der Bauer, Seitz, Renner, Danneberg und Deutsch, die „zu einer friedlichen, verfassungsmäßigen Entwirrung (!) der politischen Krise zu gelangen“ suchten.

Der gescheiterte Generalstreik

15 Jahre lang hatte die Führung der österreichischen Sozialdemokratie den ArbeiterInnen versprochen, in der Stunde der Gefahr, nämlich der „Bedrohung der Demokratie“ mit dem Generalstreik zu antworten. Sie hatten, ganz wie die Sozialdemokratie vor 1914, eine Generalstreikmystik gepflegt – und, nachdem die Linzer Schutzbündler, denen die Geduld gerissen war, zu den Waffen gegriffen hatten, funktionierte der Generalstreik nicht. Die Sozialdemokratie Österreichs mit ihren 650.000 Mitgliedern, mit den 600.000 Gewerkschaftsmitgliedern und mit mehr als 15 Jahren hohler Redensarten über den Generalstreik, den sie machen würde, konnte in einem Lande, in dem mehr als 41% der WählerInnen ihre Stimme der Sozialdemokratie gegeben hatten, nicht einmal diesen Generalstreik organisieren, von dem sie stets so geredet hatte, als sei er die einfachste und natürlichste Sache der Welt. Sie schrieben über diesen „Generalstreik“:

„Nicht alle haben mitgetan. Nach den Erfahrungen des viertägigen Kampfes können wir feststellen: hätten die Eisenbahner mitgestreikt, hätten auch manche anderen Arbeiter nicht weitergearbeitet, hätte sich der Schutzbund überall in ganz Österreich erhoben, so hätten wir siegen können.“

Diese Zeilen sind bemerkenswert. Die austromarxistischen Führer haben die 11 entscheidenden Monate hindurch alle ArbeiterInnen vom Kampf zurückgehalten. Sie haben 11 Monate hindurch den ArbeiterInnen zugemutet, „das Unerträgliche zu ertragen“. Sie haben länger als 15 Jahre hindurch mit dem Generalstreik in Worten gespielt, ohne auch nur ein einziges Mal zu sagen, wie ein Generalstreik organisiert wird. Als der Kampf ausbrach, weil die ArbeiterInnen das Unerträgliche nicht mehr tragen wollten, da haben sie – nichts getan. Sie wagten es nicht zu behaupten, dass sie die ArbeiterInnen zum Generalstreik aufgerufen haben; sie sagten nicht, dass sie die Schutzbündler zum bewaffneten Kampf aufgerufen haben. Wie lauteten ihre politischen Losungen? Welches waren ihre organisatorischen Maßnahmen für den Generalstreik? Welches waren die politischen Ziele, die durch den Kampf erreicht werden sollten? – Auf diese Fragen hatte die sozialdemokratischen Führer keine Antworten.

Und trotzdem wagten sie den ArbeiterInnen die Schuld zuzuschieben, die sie 11 Monate lang darauf vertröstet hatten, dass sie die Führer der relativ stärksten Arbeiterorganisation der Welt im geeigneten Augenblick rufen würden.

„Der Feind hat uns nur die Wahl gelassen zwischen schimpflicher Kapitulation und einem Verzweiflungskampf unter ungleichen Bedingungen. Die Schutzbündler haben den Verzweiflungskampf vorgezogen.“

Der Feind hatte der Sozialdemokratie eine ganz andere Wahl gelassen: im März 1933 hatte sie die Wahl zu kämpfen um zu siegen – oder zu kapitulieren. Sie hat kapituliert.

Geschlagene Armeen lernen gut und eine Lehre aus den Februarkämpfen ist, dass es sehr wohl möglich ist, zu siegen, aber nur, wenn wir den geschichtlichen Augenblick dazu nicht versäumen, wenn wir richtig erfassen, wann wir zum Angriff übergehen müssen, nicht um „zu einer friedlichen, verfassungsmäßigen Entwirrung einer politischen Krise zu gelangen“, sondern um den Gegner dauerhaft zu entmachten.

Geschlagene Armeen lernen gut – … und heute

Unsere gegenwärtige Gewerkschaftsführung um Fritz Verzetnitsch hat diese zentrale Lehre der Ereignisse vor 70 Jahren nicht verarbeitet. Betrachten wir nur den Kampf um die ÖBB. Die EisenbahnerInnen kämpften großartig, drängten mit Fortdauer ihres Streikes die Bürgerblockregierung immer mehr an die Wand und hätten sich eigentlich – wie es ein Eisenbahner treffend ausdrückte – nur mehr den Sieg abholen müssen. Voraussetzung dafür wäre die Fortsetzung des Streiks über das Wochenende hinaus und die Verbreiterung der Streikfront gewesen. Beides zu bewerkstelligen wäre kein wirklich großes Problem gewesen. Die ÖGB-Führung um Fritz Verzetnitsch tat aber alles, um den Streik noch vor dem Wochenende zum Abbruch zu bringen und eine drohende Eskalation mit Regierung und Kapitalseite zu vermeiden.

Die sozialpartnerschaftlichen Sonderinteressen der ÖGB-Führung wurden über die Interessen Zehntausender EisenbahnerInnen gestellt. Den EisenbahnerInnen ist so eine schmerzliche Niederlage zugefügt worden, die das Kräfteverhältnis nicht unwesentlich zu Gunsten der Bürgerlichen verändern wird. Die Zerschlagung der ÖBB ist damit erst ermöglicht worden und die Verhandlungen über das Dienstrecht müssen vor dem Hintergrund einer äußerst ungünstigen Kräftekonstellation geführt werden. Fritz Verzetnitsch – sich dieser Problematik offensichtlich sehr wohl bewusst – droht nun wiederum mit Streik, sollte die Regierung ihren, durch die Hilfe des ÖGB gewonnenen zusätzlichen Verhandlungsspielraum, missbrauchen. Die Streikdrohung soll die Krise, in der die Sozialpartnerschaft gegenwärtig steckt, „entwirren“; sie soll ein partnerschaftliches Verhalten des Kapitals und Bürgertums gegenüber der Arbeit wieder herstellen. Eine gefährliche Illusion, wie die Jahre der Bürgerblockregierung eindringlich beweisen!

Vielleicht müssen die EisenbahnerInnen demnächst tatsächlich wieder streiken, um doch noch zu ihrem Recht zu kommen, aber ihre Ausgangslage hat sich bedeutend verschlechtert und ihr Vertrauen in die Macht und den Kampfeswillen der Gewerkschaften ist bereits erschüttert, denn: Die EisenbahnerInnen wurden bereits einmal daran gehindert, einen günstigen Augenblick für ihren Sieg ungenützt verstreichen zu lassen, weil sie diszipliniert ihrer Gewerkschaftsführung, die dabei ist die austromarxistischen Fehler der Ersten Republik zu wiederholen, gefolgt sind. Es gibt nun zwei mögliche Varianten, um sich aus der lähmenden austromarxistischen Umklammerung befreien zu können: Entweder die Gewerkschaftsführung sagt sich von der austromarxistischen Kapitulationspolitik los, oder die Gewerkschaftsbasis wählt einen, der rechten Offensive eine kämpferische Alternative entgegenzustellen!

Peter Haumer