Ohne Politikwechsel im Interesse der arbeitenden Menschen drohen Niederlagen!
Wahl 2002: Stoiber gestoppt - Probleme bleiben!
SPD mit einem blauen Auge davongekommen

Eine erste Bewertung der Bundestagswahl.

 

Da hat sich der Stoiber Edmund zu früh gefreut. Eine halbe Stunde nach der Schließung der Wahllokale am 22. September erklärte er sich vor Anhängern in Berlin zum Wahlsieger und kündigte an, er werde bald “ein Glas Champagner öffnen”. Doch nach der Verkündung des Wahlergebnisses durch den Bundeswahlleiter in den frühen Morgenstunden stand fest: Die SPD ist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Sie bleibt stärkste Frakktion im Bundestag und liegt in absoluter Stimmenzahl nur noch ganz hauchdünn vor der CDU/CSU. Ihr Vorsprung vor der CDU, der 1998 noch bei über 2,8 Millionen (Zweit-)Stimmen gelegen hatte, ist am 22. September 2002 auf ganze 8.864 zusammengeschrumpft. Erst einmal ist die Mitglieds- und Anhängerschaft der SPD, sind viele Arbeitnehmer(innen) und Jugendliche erleichtert und froh darüber, daß uns eine Rechtswende unter einem Kanzler Stoiber erspart geblieben ist. Doch dieses Ergebnis ist kein Blankoscheck für Schröder, kein Auftrag zum “Weiter So”.

Bis wenige Wochen vor der Wahl hatten viele an der Basis wie auch die Meinungsforschungsinstitute mit einer klaren SPD-Niederlage gerechnet. Die Begeisterung und Aufbruchsstimmung, die der SPD noch 1998 einen klaren Wahlsieg gebracht hatte, war verflogen. Erst in den letzten Wochen und Tagen vor der Wahl hatten der drohende Wahlsieg Stoibers, die Angst vor einem Irak-Krieg und die neu aufkommende Diskussion über eine Klimakatastrophe den Ausschlag gegeben. Viele haben sich - trotz Enttäuschungen mit Rot-Grün in den letzten vier Jahren und mangels Alternative - noch einmal zähneknirschend aufgerafft und der Koalition zu einer Fortsetzung verholfen.

 Betrachten wir die Gewinne und Verluste der großen Parteien in absoluten Zahlen einmal näher:

 

Zweitstimmen 2002

Prozentsatz 2002

Veränderungen gegenüber 1998

Wahlbeteiligung

48.574.607

79,1

-1.372.480

 

 

 

 

SPD

18.484.560

38,5

-1.696.709

CDU/CSU

18.475.696

38,5

+1.146.308

Grüne

4.108.314

8,6

+ 806.690

F.D.P.

3.537.466

7,4

+ 456.511

PDS

1.915.797

4,0

-599.657

Hier wird deutlich: der Rückgang der Wahlbeteiligung ging zu Lasten von SPD und PDS. Insbesondere für die PDS ist der Absturz nach vier (in vieler Hinsicht enttäuschenden) Jahren Regierung Schröder-Fischer eine mittlere Katastrophe. Während sie im Westen kaum was zu verlieren hatte und von 1,2 auf 1,1 Prozent zurückging, ging ihr Anteil im Osten von 21,6 auf 16,9 Prozent zurück.

Der allgemeine Trend kam bundesweit unterschiedlich zum Tragen:

·       Im Wahlgebiet West (BRD alt plus West-Berlin) liegen CDU/CSU und FDP mit zusammen 48,4% knapp vor SPD und Grünen (zusammen 47,7%). Also wurde Stoiber maßgeblich im Osten gestoppt.

·       Die Zugewinne der CDU/CSU fanden fast ausschließlich im Süden (vor allem Bayern, aber auch Baden-Württemberg) statt. In Bayern hatte Stoiber ein Heimspiel: Von der Netto-Zunahme der CDU/CSU (1,15 Millionen Stimmen) entfielen allein 987.000, also fast eine Million, auf die bayerische CSU, deren Anteil landesweit 58,5% betrug. Bundesweit lag die CDU/CSU nur in vier von 16 Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Rheinland-Pfalz) vor der SPD. In mehreren Bundesländern im Norden und Osten verlor die CDU sogar absolut an Stimmen.

·       Im Wahlgebiet Ost (Ex-DDR incl. Berlin-Ost) hatten CDU (28,3%) und FDP (6,4%) keine Chance. Hier kamen SPD und Grüne auf 39,7% bzw. 4,7%.

·       Bundesweit eroberte die SPD 171 Wahlkreise direkt, die CDU/CSU 125, die PDS 2 und die Grünen einen.

Auf den Punkt gebracht:

·       CDU und CSU hielten ihre Bastionen im Süden, konnten aber auch mit ihrem Kampagnethema “Arbeitslosigkeit” im von Arbeitslosigkeit stärker betroffenen Norden, im bevölkerungsreichen NRW und vor allem im Osten keine Mehrheiten gewinnen.

·       Oberflächliche Analysen, die noch vor wenigen Monaten von einem allgemeinen und unaufhaltsamen Rechtsruck in Europa gesprochen hatten, wurden widerlegt. Wie schon 1998, so ist es auch 2002 den klassischen bürgerlichen Parteien CDU/CSU/FDP nicht gelungen, die Mehrheit (wieder) zu erobern, die sie jahrzehntelang im Bundestag hatten. Und rechte Extremisten blieben bei dieser Wahl weit abgeschlagen: REP 1,3%, NPD 0,4% und Schill 0,8%. Selbst in Hamburg, wo Schill in der Bürgerschaftswahl vor einem Jahr fast 20% errang und seither Innensenator ist, kam seine Partei diesmal nur auf 4,2%.

·       Wer gedacht hatte, die SPD würde nach einer enttäuschenden Vorstellung seit der letzten Wahl sang- und klanglos abtreten, sah sich getäuscht. Angesichts der Alternative Stoiber war die Stimme für die SPD ein Ausdruck der Verteidigungshaltung. Dass der “Genosse der Bosse” im Wahlkampf plötzlich auf Anti-Kriegs-Haltung einschwenkte und wieder ausgesprochen “sozialdemokratisch” redete, weckte neue Hoffungen - aber auch Skepsis nach dem Motto: “Meint der es wirklich ernst damit?”. Die SPD schnitt in Ost und West etwa gleich gut ab. Abgesehen von den südlichen Ländern mit ihrer jahrzehntelangen konservativen Tradition wirkte sie wieder als Hoffnungsträger für die arbeitende Bevölkerung.

Die Zitterpartei am Wahlabend und der knappe Wahlausgang sind kein Grund zum Jubeln, sondern viel eher ein Warnschuss an die SPD-Führung. “Wir wählen Euch noch mal, aber jetzt müsst Ihr auch was in unserem Interesse tun”, ist die Stimmung vieler SPD-Wähler.

Die Erfahrung der letzten vier Jahre zeigt, dass solche Siege leicht wieder verspielt werden können: auf den glänzenden Wahlsieg bei der Bundestagswahl 1998 folgte eine Serie schwerer Wahlniederlagen der SPD bei Landtags- und Europawahlen 1999 bis 2002.

Vergessen wir auch eines nicht: 1980 wurde Stoibers Ziehvater Strauß als Kanzlerkandidat geschlagen, doch zwei Jahre später wurde SPD-Kanzler Schmidt gestürzt. Es folgte eine 16jährige konservative Regierungszeit unter Helmut Kohl.

Und die wirtschaftlichen Aussichten sind heute noch trüber als vor 20 Jahren. Die weltwirtschaftliche Krise und ihre Folgen für Deutschland lässt keinen Spielraum für eine Politik, die es den Bossen und den Massen gleichermaßen recht machen will. 

Warten wir nicht auf bessere Zeiten! Die (alte und neue) Regierung braucht Druck von unten. Gewerkschaften, Jugend, Anti-Kriegs-Bewegung, aber auch Jusos und linke Basis-Mitglieder der SPD und andere müssen sich selbstbewusst zu Wort melden und den Politikwechsel einfordern, der 1998 erhofft wurde, aber bisher weitgehend noch nicht stattgefunden hat.  

Die neue Regierung muss in der Kriegsfrage fest bleiben und sofort alle Truppen aus dem nahen und mittleren Osten zurückziehen.
Statt neuer Sparpakete und Privatisierungsrunden brauchen wir  eine grundlegend sozialistische Wende.

(weitere, nähere Analyse folgt.)

Hans-Gerd Öfinger

23.09.02