„Jene, die dieses bürgerliche Parlament verteidigen, sind auf der Seite des US- Imperialismus“
Das nationale erweiterte Treffen des bolivianischen Gewerkschaftsbundes COB entschied am 22. Jänner in Cochabamba die Ausrufung eines unbegrenzten Generalstreiks mit Strassenblokaden innerhalb von 20 Tagen, falls die Regierung Mesa die Forderungen des Aufstandes im letzten Oktober nicht erfüllt und die angekündigten Sparmaßnahmen umsetzt werden. Die Konferenz „schloss mit der Entscheidung die Macht zu ergreifen, indem das Parlament geschlossen wird.“ Das Parlament soll durch eine Volksversammlung ersetzt werden. (El Diario, 23. Jänner 2004).
Mit dieser Entscheidung endet der Waffenstillstand, den die Führer der Arbeiter- und Bauernorganisationen der Regierung von Carlos Mesa gewährt hatten. Letztere war zur Macht gelangt, nachdem Sánchez de Losada vergangenen Oktober durch einen Generalstreik und aufstandsartigen Ereignissen gestürzt worden war. Wie wir damals bereits aufgezeigt hatten, war es das Ziel der Regierung Mesas, eine gewisse soziale Basis durch alle möglichen Versprechen für sich zu gewinnen. Aber zur gleichen Zeit warnten wir, dass sich diese Versprechung in Luft auflösen werden angesichts des völligen Bankrotts des bolivianischen Kapitalismus - dass es nicht möglich sei, die geringsten Zugeständnisse zu erlauben.
Gegen jene, die damals den Aufstand in einer Niederlage geendet sahen, argumentierten wir: Wenn auch die ArbeiterInnen und BäuerInnen wegen des Fehlens einer marxistischen Führung die Chance verpassten, die Macht zu übernehmen – die Menschen hätten noch keine entscheidende Niederlage erlitten und durch ihre eigenen Erfahrungen würden sie erneut in Konflikt mit der Bourgeoisie kommen, diesmal in Gestalt der Regierung von Carlos Mesa. Durch diese Erfahrungen sind die unterdrückten Massen nun in nur drei Monaten gegangen. In den Worten des Sekretärs der COB Jaime Solares: „Die Regierung Mesas ist nichts anderes als eine Fortsetzung der Politik des im vergangenen Oktober zurückgetretenen Präsidenten, sie hält weiter die Verbindungen zum IWF und der Weltbank aufrecht“ (El Diario, 23. Jänner 2004). Dem muss man hinzufügen: Diese Erkenntnis hätte man schneller erlangen können, wären da nicht die Unsicherheit und die Schwankungen der FührerInnen der Bewegung, die bereit gewesen waren, der bürgerlichen Regierung Mesas einen Vertrauensvorschuss zu geben. So schufen sie gewisse Illusionen und vergeudeten während des entscheidenden Augenblicks die Möglichkeit die Machtübernahme.
Nachdem er in den ersten paar Tagen buchstäblich allen alles versprochen hatte, enthüllte Mesa schnell sein wahres Gesicht. Was ist aus seinen Versprechungen geworden? Was den Anbau von Cocablättern betrifft hat er klar gemacht, dass er die Politik des ‚Gringo Goni' weiterführen werde, d.h. die Politik des US-Imperialismus: Die Zerstörung der Lebensgrundlage von zehntausenden ländlichen Familien, ohne irgendeine Alternative anzubieten. Bezüglich des Referendums über den Verkauf des Gases (der Funke, der den Aufstand im Oktober entzündete): Die Regierung hatte ein Datum für seine Abhaltung angesetzt, jetzt versteckt sie sich hinter allen möglichen Formalitäten. Sie entschied die Verschiebung des Datums um zumindest 90 Tage. Ebensowenig hat sie angekündigt, was die Frage des Referendums sein werde, womit sie sich ein Hintertürchen offen hält (z.B. könnte sie fragen, ob es in Ordnung ist, das Gas an die USA zu verkaufen – anstatt den Kern der Auseinandersetzung, die Wiederverstaatlichung, zu thematisieren. Was die Verfassungsgebende Versammlung betrifft, so scheint das Datum ihrer Einberufung immer weiter in die Ferne zu rücken. Nachdem sie ihre unmittelbare Einberufung angekündigt hatte, verschob sie die Regierung auf 2005, obwohl der Präsident auch angekündigt hat, dass er, in klarem Widerspruch zu diesem Datum, sein Amt bis zum Ende seiner Amtsperiode im August 2007 zu bekleiden gedenkt. Es ist offensichtlich, dass die herrschende Klasse die Karte der Verfassungsgebenden Versammlung nur ausspielt, wenn sie sich tatsächlich in Gefahr sieht – sie tut es, um die Aufmerksamkeit der Massen abzulenken. Wenn der Druck nachlässt, sind schnell alle Versprechungen vergessen.
Was die übrigen Forderungen der Bewegung der ArbeiterInnen und BäuerInnen betrifft, so sind sie nicht nur nicht umgesetzt worden, sondern Mesa hat in seiner Neujahrsansprache darüber hinaus ein neues Maßnahmenpaket auf Kosten der Arbeiterklasse angekündigt. Unter anderem umfasste es die Erhöhung der Steuern auf Gehälter (genau die gleiche Maßnahme, die durch den ersten Aufstand im Februar vergangenen Jahres bereits zurückgenommen wurde), die Streichung der Subventionierung von Gas für den Hausgebrauch und die Verteuerung von Benzin und Diesel. Bei der Ankündigung dieser Maßnahmen zeigte sich der Minister für wirtschaftlichen Fortschritt Xavier Nogales entschlossen, vom Volk „Blut, Schweiß und Tränen“ zu verlangen. Er hat hinzuzufügen vergessen: Blut, Schweiß und Tränen werden aus den ArbeiterInnen gepresst, um sie den Kapitalisten, Großgrundbesitzern und multinationalen Konzernen zu opfern.
Das ist das Rezept für eine neue soziale Explosion, aber gleichzeitig ist die Politik Mesas die einzige mögliche vom Standpunkt der Klasse der KapitalistInnen. Die herrschende Klasse Boliviens kann nur durch weitere Angriffe auf den Lebensstandard der Mehrheit der Bolivianer und Bolivianerinnen die Finanzen eines bankrotten Staats (mit einem veranschlagten Defizit von 8,5% des BIP, d.h. 700 Millionen US-Dollar) in Ordnung bringen und die alten Profiteraten wiederherstellen. Deshalb ist es auch keine Überraschung, wenn die Weltbank (einer der Drahtzieher hinter solcher Politik) selbst in einem kürzlich erschienenen Bericht nach einer Untersuchung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Situation davor warnt, dass „weiter das Risko besteht, dass ein sozialer Konflikt ungefähr im Februar oder März 2004 von Neuem aufflammt.“ (zitiert in www.econoticiasbolivia.com , 7. Jänner 2004). Natürlich ist es die Politik der Weltbank, die der Mehrheit der Bolivianer und Bolivianerinnen keine andere Alternative lässt als zu kämpfen, aus diesem Grund kann diese Institution auch mit solcher Präzision solche Aufstände vorhersagen!
Dem ganzen ist die Niederlage der Delegation der Regierung Mesa hinzuzufügen, welche welche in Washington versuchen sollte, ein paar Brosamen von den imperialistischen Ländern zu erbitten. Das Treffen der sogenannten „Grupo de Apoyo“ (Gruppe von Unterstützern), organisiert von der EU aus Furcht vor einer neuen sozialen Explosion im Land, endete mit schönen Reden, aber ohne die Zusage einer einzigen der 105 Millionen US-Dollar, welche die bolivianische Regierung erbeten hatte. Es scheint, dass die internationalen Finanzinstitutionen Mesa nicht zutrauen, die Maßnahmen ohne eine soziale Erschütterung umzusetzen. Das bringt ihn in eine umso heiklere Lage, weil die ohnehin harten Maßnahmen allein nicht ausreichen werden, um den Bankrott der Staatsfinanzen zu verhindern. In den Worten des Präsidenten benötigt Bolivien in den nächsten Monaten zumindest 100 bis 120 Millionen US-Dollar. Der grundlegende Widerspruch ist, dass diese Maßnahmen unzureichend sind für die Oligarchie, jedoch inakzeptabel für die bolivanische Bevölkerung.
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass sich die Organisationen der ArbeiterInnen und BäuerInnen samt ihrer FührerInnen mit zunehmender Entschiedenheit und Klarheit für die Beendigung des ‚Waffenstillstandes' mit Mesa und für eine neue Offensive ausgesprochen haben. Schon am 30. Dezember hatte der Vorsitzende der COR von El Alto, Roberto de La Cruz die „Verlässlichkeit der aktuellen Regierung in Frage gestellt, die Forderungen des vergangenen Oktobers zu erfüllen und die Schließung des Parlaments gefordert.“ (Bolpress, 30. Dezember 2004).
Ebenso kündigte der Führer der COB, Jaime Solares in einer Rede auf dem Kongress der Arbeitergewerkschaft von Potosí der Regierung Mesas eine Kriegserklärung an. Vor den versammelten Delegierten forderte Solares „Streiks, Blockaden und andere Mittel, welche den Produktionsapparat lahmlegen, um die Regierung zu bekämpfen, die nur den wirtschaftlichen Direktiven der USA folgt“ und er fügte hinzu: „Die Theorie der Revolution wird in die Tat umgesetzt durch den Weg des Aufstandes.“ Laut demselben Zitat von www.econoticiasbolivia.com vom 15. Jänner erklärte Solares, dass „die Oligarchie fallen muss, aufdass das Volk an die Macht kommt.“
All diese Aussagen, welche ohne Zweifel den Druck und die steigende Ungeduld der ArbeiterInnen und BäuerInnen widerspiegeln, wiesen der nationalen Konferenz der COB vom 22. Jänner den Weg. In dieser Versammlung, die in den Räumlichkeiten der Föderation der städtischen LehrerInnen abgehalten wurde und über 10 Stunden dauerte, beschloss die COB „der Regierung den Krieg zu erklären.“ (Econoticiasbolivia, 23. Jänner 2004). Zu den Forderungen der Petition an die Regierung vom vergangenen Oktober kommt „die Neugründung der Comibol und der Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos [die ehemals verstaatlichten Bergwerks- und petrochemischen Unternehmen] unter Arbeiterkontrolle.“ (La Razón, 24. Jänner 2004).
Einer der wichtigsten Aspekte der Diskussionen der Versammlung der COB ist die Frage der Macht. Mehrmals bereits hatten sich die ArbeiterInnen und BäuerInnen gezwungen gesehen, die Frage der Machtergreifung zu diskutieren (besonders nach dem Aufstand im Februar 2003, auf dem nationalen Kongress der COB, und während bzw. nach dem Aufstand im Oktober 2003). Sie erwächst aus den unmittelbaren Erfahrungen des Kampfes, da in jenen Schlüsselmomenten im Februar und deutlicher noch im Oktober die unterdrückten Massen die Macht in ihren Händen spürten, aber ihre Führer über keine klare Strategie verfügten, die Revolution zu konsolidieren und die Demokratie der Oligarchie durch Arbeiterdemokratie zu ersetzen.
In den Worten Jaime Solares: „Die neuen sozialen Bewegungen verlangen die Schließung des Parlaments wegen seiner Unfähigkeit, im Dienste der Bolivianer zu arbeiten (...) Die bolivianische Bevölkerung verlangt die Schließung des Parlaments, und der COB bleibt keine andere Antwort als diese Forderung in die Tat umzusetzen.“ (Econoticiasbolivia, 23. Jänner 2004). Diese Worte spiegeln eindeutig die enorme Diskreditierung der bürgerlichen Demokratie in Bolivien wider. Eine wachsende Mehrheit der Massen haben verstanden, dass es sich dabei nur um eine Form der Demokratie im Interesse der Kapitalisten und multinationalen Konzerne handelt und dass sie durch eine andere Regierungsform ersetzt werden muss. Unter diesen Umständen greift die Bourgeoisie die Losung der Konstituierenden Versammlung auf (ursprünglich wurde er von Evo Morales und den Führern der MAS, der ‚Bewegung zum Sozialismus', in die Welt gesetzt). Sie bietet ihr die Möglichkeit, sich in neue Kleider zu hüllen. Allerdings waren im erweiterten, nationalen Treffen der COB während des Aufstandes im Oktober bereits laute Stimmen zu hören, die vor dieser Falle warnten. Auch Solares hatte damals bereits die Einberufung einer Volksversammlung als Alternative aufgezeigt. Jetzt wurde dieser Vorschlag konkretisiert. Die COB plant die Schließung des Parlaments und seine Ersetzung durch eine Volksversammlung.
Die Tradition der Volksversammlung geht auf das Jahr 1971 zurück. In einer Situation des revolutionären Aufschwungs des Kampfes der ArbeiterInnen und BäuerInnen rief die COB zur Bildung dieser Institution auf. Die Volksversammlung bestand aus VertreterInnen der Organisationen der ArbeiterInnen, der BäuerInnen, der StudentInnen, der Mittelklasse und der linken Parteien (die MNR blieb nach den Erfahrungen der Revolution von 1952 ausdrücklich von der Versammlung ausgeschlossen). Im Oktober 1970 hatte das Land einen Putschversuch gegen General Ovando erlebt, ein Militär nationalistischer Prägung, der nur ein einzige Maßnahme gegen den Imperialismus umsetzte: Die Verstaatlichung von Gulf Oil im Jahre 1969. Er repräsentierte alle Schranken des nationalistischen Militarismus, gleichzeitig hatte er sich zu weit von den Interessen der Bourgeoisie und des Imperialismus entfernt. Genauso wenig konnte er den Wünschen der ArbeiterInnen und BäuerInnen entgegenkommen. Der Versuch der reaktionärsten Schichten des militärischen Oberkommandos, ihn abzusetzen, traf im Oktober 1970 auf unerwartet harten Widerstand und provozierte eine Generalstreik der COB. Letztere hatte auf ihrem Kongress von 1970 entschieden, eine neutrale Haltung der Arbeiterklasse gegenüber Ovando einzunehmen. Aber aus einem gewissen Klasseninstinkt heraus stellte sie sich dann doch gegen den Militärputsch - gleich den russischen Bolschewiki von 1917, welche ohne den Deut einer Unterstützung für Kerensky eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Militärputsch Kornilovs gespielt hatten.
Der unvorhergesehene Ausgang des Putschversuchs brachte General Torres an die Macht. Einmal mehr zeigten sich die Unzulänglichkeiten des militärischen Nationalismus. Während General Torres sich halbherzig der Herrschaft der Oligarchie und des Imperialismus entgegenstellte, kämpfte er doch mit am Rücken zusammengebundenen Händen, weil immer im Rahmen des kapitalistischen Systems. So konnte er weder die Interessen der herrschenden Klasse vertreten, noch die Forderungen der Massen wirklich erfüllen. Es war eine schwache Regierung, mit dem Atem der Massen im Genick. Torres bot der COB eine Beteiligung an der Regierung an, sogar die Hälfte der Minister. Nach vielen Diskussionen in der Führung der COB wurde das Angebot angenommen - gegen die Beschlüsse des Kongresses vom vorangegangenen Jahr. Dieser Beschluß wurde allerdings nie in die Tat umgesetzt.
Am Ende bot die COB Torres ihre „kämpferische Unterstützung“ an und sprach vom „gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus überall, wo wir auf ihn treffen“. Aber sie warnte gleichzeitig: „Beim ersten Anzeichen eines Abweichens oder Rückzugs werden wir ArbeiterInnen die ersten sein, die ihn vor dem Volk anklagen und auf die Barrikaden gehen werden. Unabhängig vom Verhalten der Regierung begann die Arbeiterklasse die Initiative zu ergreifen – mit Besetzungen von Fabriken, Zeitungshäusern und Einrichtungen, die in Verbindung mit dem US-amerikanischen Imperialismus standen. Sie forderten die Ausgabe von Waffen an ArbeiterInnen und eine Arbeiter-Mehrheit an der Führung des Bergwerksunternehmens Comibol.
Ein äußerst plastisches Beispiel dieser Widersprüche sind die Ereignisse in den Tagen des Jänner 1971. Am 10. Jänner führte der Oberst Banzer einen Putsch gegen das Torres' Régime. Einmal mehr ließen die Massen den Putsch scheitern. Die Mobilisierung war sogar noch größer als im vorangegangen November beim Putsch gegen Ovando. Einmal mehr besetzten die Minenarbeiter, bewaffnet nur mit einigen alten Mauser-Gewehren und Dynamitstangen die Hauptstadt. In einem denkwürdigen Zusammentreffen hielt General Torres eine Rede zu den Massen, die sich auf dem Plaza Murillo zusammengedrängt hatten. Während der General von der „Vertiefung der nationalen Revolution“ sprach und von der „Verteilung von Waffen wenn man das Geld für ihre Anschaffung aufbringen können“ werde, wurde er von den Demonstranten unterbrochen: „Waffen für das Volk!“, „Die Mine Matilde dem Staat!“, „Erschießung der Faschisten!“, „Entwaffnet die Armee!“ und „Sozialistische Revolution!“ Um sich vor den versammelten Massen die Unterstützung zu sichern, bot Torres von Neuem die „Beteiligung des Volkes“ an der Regierung an, worauf die ArbeiterInnen antworteten, sie wollen „eine Regierung der ArbeiterInnen.“ Schließlich sah sich Torres gezwungen, unter dem Drängen der Massen auf eine sozialistische Revolution, zu verkünden: „Die nationalistische Revolution geht dorthin, wohin das Volk es wünscht.“
Es war in diesem Zusammenhang, als der ‚Comando Politico' der COB, bei einer riesigen Demonstration von 50.000 ArbeiterInnen am 1. Mai die Einberufung einer Volksversammlung für den 22. Juni ankündigte - als eine „Institution der Macht der ArbeiterInnen und des Volkes.“ Die organisierte Arbeiterschaft kündigte offen und mit einer Vorlaufzeit von zwei Monaten die Schaffung einer alternativen Macht zum Macht der Bourgeoisie, und die Regierung Torres' war unfähig einzuschreiten. Der ‚point of no return' war überschritten. Die “konstitutionellen Basis” der Versammlung, vorgeschlagen vom Comando Político und angenommen in ihrer ersten Sitzung, machten klar, dass sie „keine Form eines bürgerlichen Parlaments sein könne“ sondern „eine Einrichtung der Macht des Volkes“, welche „ihre Entscheidungen mit den Methoden des Kampfes der Arbeiterklasse umsetzen werde.“ Die Versammlung setzte sich aus 132 Delegierten der Gewerkschaftsorganisationen, 53 Delegierten der Organisationen der Mittelklasse (in erster Linie StudentInnen und Repräsentanten der Angestellten), 23 BäuerInnen und 13 Delegierten der Linksparteien zusammen.
Die Diskussionen der Versammlung, die sich über 10 Tage erstreckte, kreisten um zwei zentrale Punkte. Die erste Resolution erklärte, dass die Reaktion einen Putsch vorbereite, auf den die ArbeiterInnen mit revolutionärer Gewalt zu antworteten hätten und einen Generalstreik mit Fabriksbesetzungen ausrufen müssten. Sie kündigten weiters an, dass unter solchen Umständen die Versammlung die politische und militärische Führung übernehmen und Arbeitermilizen schaffen werde. Die zweite Debatte drehte sich um Comibol, ganz offensichtlich ein entscheidender Dreh- und Angelpunkt bei der Machtübernahme in einem Land wie Bolivien.
Die Versammlung schloss mit der Ankündigung einer neuen Sitzung im September und der Schaffung von gleich strukturierten Versammlungen auf regionaler Ebene. Die zwei großen Schwächen der Volksversammlung waren die Frage der Bewaffnung der ArbeiterInnen und ihre eigentlicher Ablauf selbst. Wenn auch Resolutionen im Sinne der Schaffung von Arbeitermilizen verabschiedet wurden, so unternahmen die Führer der Arbeiterorganisationen dennoch keine konkreten Schritte in diese Richtung. Viele von ihnen vertrauten noch immer auf Torres, der im Falle eines Militärputschs Waffen an die ArbeiterInnen ausgeben würde. Ebenso wenig verrichteten sie systematische Arbeit in den Reihen des Heers und riefen nicht zur Bildung von revolutionstreuen Soldatenräten auf - trotz sehr günstiger Bedingungen, wie die Veröffentlichung des Manifests einer unter den Soldaten tätigen, geheimen Organisation, der ‚Militärischen Avantgarde des Volks', vom Juli des Jahres zeigt.
Auf der anderen Seite entwickelte sich die Versammlung nicht zu einer Sovietorganisation (d.h. das wahre Organ der Macht der ArbeiterInnen und BäuerInnen), wenn sie auch gewisse Züge eines Rats angenommen hatte. So wurde etwa nie ein klarer Mechanismus der Wahl und Abwahl der Delegierten entwickelt, durch den sich der Wille des Volkes, der sich in einer revolutionären Bewegung schnell ändern kann, direkt in der Versammlung widerspiegeln hätte können. Bis zu einem gewissen Grad löste sich die Versammlung in Luft auf, ohne sich durch ein Netz von Versammlungen auf regionaler und lokaler Ebene, in den Wohnvierteln und den Fabriken zu organisieren – was ihr eine wirkliche, durchschlagende Macht und gleichzeitig eine direkte und demokratische Basis verliehen hätte. Die regionalen Versammlungen, welche bis zu einem gewissen Grad auf der Institution des cabildo abierto (Massenversammlungen aller BürgerInnen) basierten, wurden erst im Juli geschaffen. Wenn sie auch schnell einen radikaleren Charakter als die Volksversammlung selbst annahmen, so kam ihre Entwicklung doch sehr spät.
Für die Bourgeoisie war klar, dass die Situation für sie immer gefährlicher wurde. Wenn sie den Entwicklungen tatenlos zugesehen hätten, hätten sie den völligen Verlust der Macht riskiert. General Bethlehem warnte, dass „sich mit der Unterstützung der Regierung der erste Soviet des Kontinents konstituiert hätte.“ Eine Situation der Doppelmacht - und das Bolivien des Jahres 1971 zeigte unzweifelhaft Elemente der Doppelmacht – kann nicht unbegrenzt bestehen bleiben. Sie entscheidet sich entweder zugunsten der ArbeiterInnen oder der Bourgeoisie.
Die Vorbereitungen eines Militärputsches beschleunigten sich. Er fand schließlich am 18. Juli 1971 unter der Führung General Banzers statt. Im Heer gab es sehr wenig Widerstand; innerhalb von zwei Tagen fügte sich die Mehrheit der Einheiten dem Putsch. Torres, in typisch bonapartistischer Manier, verweigerte die Ausgabe von Waffen selbst als ihn nur mehr eine einzige Einheit des Heeres unterstützte. Das Comando Político rief einen Generalstreik und eine Mobilisierung des Volkes aus, doch leider hatten es keine ernsthaften Vorbereitungen getroffen und keine politische Arbeit unter den Soldaten organisiert. Die Illusionen der Führung waren groß. So kamen in der Nacht des 20. Juli die Führer des Comando, unter ihnen verschiedene Funktionäre der POR einschließlich Lora selbst zu Torres, um Waffen zu erbeten - sie wurden abgewiesen. Das Vertrauen, dass Torres Waffen ausgeben würde, machte sie zu einem linken Anhängsel, das Druck auf die Regierung auszuüben versuchte – trotz aller Aussagen der COB und der Volksversammlung bezüglich der Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Dies zog sich bis in die Reihen der POR, welche sich als trotzkistisch bezeichnete und besser eine leninstische Position gegenüber dem bolvianischen Kerensky hätte einnehmen sollen. Lora selbst gab zu: „Es war allgemeine Meinung - sie wurde selbst von uns Marxisten geteilt – dass vom herrschenden Militärkomando Waffen ausgegeben werden würden - in Anbetracht der Tatsache, dass es nur durch die Unterstützung der Massen und der Gewährung einer gewissen Feuerkraft an das Volk fähig sein würde, den rechten Flügel, der den Putsch organisierte, zumindest zu neutralisieren. Diese Schlussfolgerung war völlig falsch; es wurde nicht bedacht, dass Torres ein Abkommen mit seinen Militärkameraden und eine Kapitulation vor ihnen der Bewaffnung der Massen vorzog, welche sich ganz offensichtlich Richtung Sozialismus bewegten, und deren Mobilisierung ein Risiko für die Armee als Institution war.“ (G. Lora, Bolivia: De la Asamblea Popular al Golpe Fascista, p.97)
Hier sehen wir die Grenzen von zentristischen FührerInnen, dass heißt jene, die zwischen revolutionärem Marxismus und Reformismus schwanken. In einer Situation eines revolutionären Aufschwungs bemächtigt sich diese Art der ArbeiterführerInnen einer sehr radikalen, formell gesehen gar einer marxistischen Sprache, aber generell ist sie unfähig diesen Worten Taten folgen zu lassen und die notwendigen Massnahmen für die Machtübernahme zu treffen, um den Sieg zu erlangen. Es ist äußerst gefährlich und führt zur Niederlage, wenn man die Frage der Machtergreifung stellt ohne detailierte Vorbereitungen, ohne die Mehrheit der Arbeiterklasse davon überzeugt zu haben, und ohne die notwendigen militärischen Vorbereitungen (die Organisierung von Arbeitermilizen und von politischer Arbeit unter den Truppen). Ein klassisches Beispiel für einen solchen Führer ist Largo Caballero, der Führer der linken Sozialisten während der spanischen Revolution. Caballero sprach in sehr marxistischen Tönen: Er redete von der Diktatur des Proletariats und der sozialistischen Revolution. 1934 kündigte er einen Generalstreik mit Aufstandscharakter der UGT (welcher er vorstand) an, würde die CEDA (jene Partei, die den rechtesten Flügel der herrschenden Klasse repräsentierte) in die Regierung eintreten. Caballero war wahrscheinlich ein ehrlicher Führer, der seinen eigenen Worten glaubte, aber genau das ist die gefährlichste Form eines/einer zentristischen Führers/in. Als die CEDA im Oktober 1934 in die Regierung eintrat, war der Aufstand nicht vorbereitet worden und in den meisten industriellen Zentren wurde er schnell niedergeschlagen. Nur in der heldenhaften Asturischen Kommune konnten sich die ArbeiterInnen widersetzen, aber durch die Isoliertheit ihres Kampfes wurden sie schließlich auch geschlagen.
Auch im Bolivien des Jahres 1971 gab es viele Beispiele heroischen Widerstands der ArbeiterInnen und StudentInnen. Aber die Bewaffnung der ArbeiterInnen kann nicht einfach improvisiert werden, und so siegte Banzers Putsch am Ende durch seine massiven Unterdrückungsmaßnahmen. Die Niederlage der Revolution von 1970/71 bedeutete für die bolivianische Arbeiterklasse einen herben Rückschlag, den sie mit einer über zehn Jahre währenden Militärdiktatur zu bezahlen hatten.
Einmal mehr, wie 1952, hatten die ArbeiterInnen einen sehr entwickelten Klasseninstinkt und ein revolutionäres politisches Bewußtsein gezeigt. Allerdings hat auch einmal mehr eine echte revolutionäre Führung gefehlt, welche die Frage der Macht nicht nur zu stellen, sondern auch
durch die notwendigen Maßnahmen umzusetzen weiß – Arbeitermilizen, Soldatenkomitees, Vertiefung des Sovietcharakters der Volksversammlung. Es ist offensichtlich, dass diese Lehren, wenn auch unter anderen Gegebenheiten, auch auf die gegenwärtige Situation anwendbar sind.
Obwohl noch einige Verwirrung bezüglich der Losung der Konstituierenden Versammlung besteht, ist es doch klar, dass die Arbeiterorganisationen dieses Manöver der herrschenden Klasse klar verurteilen, wenn sie die Volksversammlung als eine Alternative präsentieren. Gleichzeitig hat der Ruf nach Schließung des Parlaments einen klaren Klassencharakter und antikapitalistischen Inhalt. So sagte etwa Solares: „Die Konstituierende Versammlung wird die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise nicht lösen, solange das gegenwärtige kapitalistische System besteht.“ Er fügte hinzu: „Der Kapitalismus kann sich nicht ohne Kriege, Korruption und Lügen an der Macht halten, während dieses Modell in Bolivien die nationale Wirtschaft zerstört hat.“ Und Roberto de la Cruz sagte: „Das Volk will eine gesetzgebende Gewalt, die aus einer wirklichen, partizipativen Demokratie hervorgeht, und die Schließung des gegenwärtigen bürgerlichen Parlaments, das keine wirklichen strukturellen Veränderungen bewirkt und eine fiktive Demokratie repräsentiert.“ (Bolpress, 26. Jänner 2004) „Wir wollen eine Volksversammlung, weil sie den Weg aus der Armut darstellt, weil wir die Struktur des Wirtschaft so ändern werden, auf dass sie humaner und sozialer wird – nicht so wie heute, wo das System ein Mörder ist.“, wie es der Sekretär für Sozialhilfe der COB, Crecencio Machaca, ausdrückte. (La Razón, 24. Jänner 2004).
Der Führer der Bauerngewerkschaft CSUTCB, „Mallku“ Felipe Quispe stärkte die Einheit zwischen der Bewegung der ArbeiterInnen und der BäuerInnen, welche vergangenen Oktober geschaffen worden war, als er das Programm der COB unterstützte: „Wenn die COB das Parlament schließen möchte, werden wir ein paar große Vorhängeschlösser kaufen oder es mit Gewalt schließen, das ist kein Problem. Aber dieser Vorschlag sollte von echten Männern kommen, nicht von hübschen Damen, die nur leere Drohungen aussprechen und dann in der Realität nichts tun – und dann die Unterstützung verlieren.“ (La Razón, 24. Jänner 2004)
Wie zu erwarten war, verurteilten alle parlamentarischen Parteien den „Ultra-Linksradikalismus“ von Solares und bezeichneten die Vorschläge der COB als umstürzlerisch. Dagegen erwiderte Solares ganz richtig: „Die ArbeiterInnen verteidigen die wirkliche Demokratie... die ArbeiterInnen haben die Demokratie zurückerobert, aber nicht auf eine solche Weise, dass wir verhungern.“ ( www.econoticiasbolivia.com , 23. Jänner 2004)
Die bedeutendste Reaktion war allerdings jene von Evo Morales und den übrigen Führern der MAS, die sich beeilten, den Plan des Kampfes der COB zu verurteilen. „Jene die daran denken das Parlament zu schließen, sind nicht auf der Seite der Demokratie und stimmen in den Chor der US-Botschaft gemeinsam mit den Parteien, welche im Oktober eine Niederlage erlitten haben, ein.“ Roberto de la Cruz antwortete: „Jene, die dieses bürgerliche Parlament verteidigen, sind auf der Seite des US-Imperialismus.“
Die Führung der MAS hat sich sich zur stärksten Verteidigerin der Regierung Mesas gewandelt. Ihre Strategie ist es, die Gemeinderatswahlen im nächsten Jahr und vielleicht die kommenden Parlamentswahlen zu gewinnen. Sie leiden an parlamentarischem Kretinismus, eine Krankheit, gegen die die bolivianischen ArbeiterInnen glücklicherweise bereits immunisiert sind. Als der MAS-Senator Filemon Escobar die Respektabilität des bürgerlichen Parlaments auf der erweiterten COB-Versammlung verteidigte, ebenso wie die Wahlen und das Kabinett Mesas, wurde seine Position entschieden abgelehnt und seine Rede wurde mit Buh-Rufen und Schimpfen aufgenommen. Solares forderte Evo Morales persönlich heraus: „Ist er auf der Seite des Volkes oder auf der der Regierung Mesas?“ ( www.econoticiasbolivia.com , 23. Jänner 2004). Es ist wichtig, dass diese öffentliche Kampfansage mit einem offenen Aufruf an die Basis der Bewegung und einer bewußten Orientierung auf dieselbe verbunden wird, wo doch unter den CocabäuerInnen eine Unzufriedenheit gegen die Politik ihrer Führung gärt, die eine Regierung in Schutz nehmen, die die gleiche Politik der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage wie ihre Vorgängerin verfolgt.
Morales Warnungen, dass der vorgeschlagene Streik in die Hände des Imperialismus und jener Teile der Armee, die einen Militärputsch vorbereiten, spiele, haben absolut keine reale Grundlage. Der Grund für den Imperialismus und die bolivianischen KapitalistInnen einen Putsch zu organisieren ist vielmehr die Tatsache, dass sie den Kampf des Volkes für seine gerechtfertigten Forderungen nicht länger mit „demokratischen“ Mitteln in Zaum halten können. Nach dieser Logik ist der einzige Weg einen Militärputsch zu verhindern das Volk zu demobilisieren und es seine Forderungen vergessen machen. Wenn die bolivianischen ArbeiterInnen und BäuerInnen nur so „vernünftig“ wären und passiv Hunger, Elend, Arbeitslosigkeit und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes ertrügen, dann würden sie keinen Putsch der Reaktion oder des Imperialismus provozieren. Genau das aber scheint Morales vorzuschlagen. Dem stellt er als „Alternative“ den „Kampf“ durch Wahlen entgegen. Das Problem allerdings ist, dass er im Falle eines Wahlsieges in Konflikt mit dem Imperialismus käme, würde er ein Programm im Interesse der Arbeiterklasse umsetzen - und er würde letzlich damit... einen Putsch der Reaktion provozieren! Das ist genau die Erfahrung des Allende Régimes in Chile: Die herrschende Klasse wird nie den Verlust ihrer Vormachtstellung durch Wahlen einfach so akzeptieren.
Ein Putschversuch würde zur Zeit desaströse Auswirkungen für die herrschende Klasse haben. Unter den Bedingunen einer revolutionären Mobilisierung der Massen wie momentan in Bolivien würde dies nur eine weitere Radikalisierung des Kampfes bedeuten, wie es nach dem ersten Putsch von Banzer 1971 geschehen ist, oder nach dem Putsch Carmonas in Venezuela im April 2002. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Pentagon und die bolivianische Armee nicht besorgt sind und bereits ihre Vorbereitungen treffen.
Anfang Jänner kamen die Armeechefs von Argentinien, Brasilien und Chile in Buenos Aires zusammen, aus Angst vor einer Ausweitung des bolivianischen Aufstands auf ihre Länder. Laut einem Bericht in der argentinischen Zeitung La Nación befindet sich „unter den ernsthaft diskutierten Möglichkeiten, wenn die Situation einen gewissen Punkt überschreitet, das Szenario der Intervention einer regionalen Stabilisierungsmacht“ (La Nación, 9. Jänner 2004). In gemeinverständliche Sprache übersetzt heißt das: Wenn die bolivianischen ArbeiterInnen und BäuerInnen die Macht ergreifen werden die Armeen von Argentinien, Brasilien und Chile unter irgendeinem Vorwand das Land angreifen. Wegen der enormen Rückwirkungen eines solchen Plans (inklusive in ihren eigenen Ländern) ist es dieses Szenario kurzfristig unwahrscheinlich. Allerdings zeigen diese Diskussionen, wie sehr sie über die Entwicklungen der bolivianischen Revolution besorgt sind.
Kurzfristig wird die bolivianische herrschende Klasse einen anderen Trumpf auszuspielen vorziehen – das Aufwiegeln nationalistischer Gefühle in Bezug auf einen Zugang zum Meer für Bolivien, um die Aufmerksamkeit des Volkes von seinem unmittelbaren Feind (der bolivianischen Oligarchie, die sich den multinationalen Konzernen verkauft hat) auf den äußeren Feind (Chile) abzulenken. Es gab eine ganze Reihe von Aussagen, die in eine solche Richtung gingen und diese Frage war auch auf dem Gipfel von Monterrey prominent vertreten. Das „Angebot“ Argentiniens ist die Einrichtung eines einen Kilometer breiten Korridors von Bolivien zum Meer, auf dem eine Bahnstrecke und eine Strasse errichtet würde, mit einem bolivianischen Hafen. Dieser für sich genommen schon lachhafte Vorschlag enthält eine Falle: Der Korridor würde von Mercosur verwaltet werden! Es scheint, dass Argentinien einen Zugang zum Pazifik für sich selbst sucht. In jedem Fall ist es unwahrscheinlich, dass Chile und Peru einem solchen Abkommen zustimmen und Gebiet für den vorgeschlagenen Korridor abtreten werden. Peru hat bereits klargemacht, dass es schon genug Territorium im Krieg gegen Chile verloren hat.
Die ArbeiterInnen und BäuerInnen dieser Länder, die diesen Konflikt provozieren wollen, müssen einen internationalistischen Klassenstandpunkt einnehmen, um die Gefahr eines regionalen Krieges zu verhindern, welcher völlig reaktionär wäre. Die Hauptfeinde der ArbeiterInnen und BäuerInnen von Bolivien, Peru und Chile sind die KapitalistInnen in ihren eigenen Ländern, welche wiederum nur die Rolle lokaler Statthalter des US-Imperialismus spielen. Wenn die Arbeiterklasse in diesen Ländern die Macht übernommen hat, wird sie die Grenzkonflikte im Rahmen einer Föderation sozialistischer Republiken leicht lösen können. Die verschiedenen nationalen Bourgeoisien haben zusammen mit dem Imperialismus immer die Völker gespalten und sie in Kriege geschickt, in denen sie sie für die Kontrolle von natürlichen Ressourcen geopfert haben (wie zum Beispiel im Chaco Krieg).
Wir dürfen nicht vergessen, dass die wirtschaftliche Rückständigkeit Boliviens nicht eine Folge des Mangels einer Küste ist, sondern vom reaktionären, parasitären Charakter der Allianz von Minen- und Großgrundbesitzern, die das Land an den Imperialismus verkauft haben und die Republik seit ihrer Gründung regieren. Das benachbarte Peru hat Zugang zum Meer im Überfluss. Dennoch sind die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und BäuerInnen jenen ihrer bolivianischen KollegInnen sehr ähnlich. Alle Bedingungen sind in Bolivien gegeben, das kapitalistische Régime ein für alle Mal zu stürzen, was ihnen nur Hunger, Elend, Armut und Arbeitslosigkeit gebracht hat, und es durch eine echte Arbeiter- und Bauerndemokratie zu ersetzen, welche die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen des Landes übernehmen und sie unter einem demokratischen Plan im Interesse der unterdrückten Mehrheit verwenden.
Es ist notwendig, die Lehren aus der reichen Geschichte des revolutionären Kampfes des Proletariats und der indigenen Völker des Hochplateaus zu ziehen. Um das kapitalistische Régime zu stürzen, reicht es nicht, die Frage der Macht nur zu stellen (wie es im Oktober der Fall war). Genaue Vorbereitungen müssen getroffen werden, um die Frage im Interesse der ArbeiterInnen und BäuerInnen zu lösen. Um dies zu tun, muss sich die Bewegung demokratische Strukturen der Arbeitermacht und der Macht des Volkes geben, welche den Willen der mobilisierten Massen am besten widerspiegeln. Die Delegierten der Volksversammlung müssen in cabildos abiertos gewählt werden, in allen Städten, in den Fabriken und Minen und in den ländlichen Dörfern. Sie müssen ein klares Mandat von den Menschen bekommen, die sie gewählt haben, und jederzeit wieder abgewählt werden können. Die nationale Volksversammlung muss mit dem Inhalt erfüllt werden, ebensolche Versammlungen auf Bezirks-, Regional-, Lokal- und Stadtviertelebene zu schaffen, und diese dazu aufrufen sich auf nationaler Ebene zu vernetzen – was sich dann zu einer alternativen Machtform gegenüber der Macht der Oligarchie entwickeln kann.
Aber damit diese neue Macht ihren Sieg behaupten kann, ist es notwendig, Arbeiter- und Bauernmilizen unter der Kontrolle der Versammlung und ihren Organisationen zu bilden. Gleichzeitig müssen die Soldaten, revolutionären Polizisten und selbst die revolutionären Teile der hohen Offiziere an die Versammlung gebunden werden – durch die Bildung von Komitees und Versammlungen in der Armee, welche wiederum ihre eigenen Delegierten entsenden würden. Auf diese Weise würde die Armee, ein Werkzeug der Unterdrückung, teilweise neutralisiert und Situationen wie das Massaker von El Alto, als das Volk der Armee schutzlos gegenüberstand, könnten vermieden werden. Die unterdrückten Massen des Hochplateaus haben bei vielen Gelegenheiten gezeigt, dass das möglich ist. Im April 1952, und noch einmal im Jänner 1971, waren die ArbeiterInnen mit einem Militärputsch konfrontiert und haben selbst, wie Fall von 1952, die Armee entwaffnet und Arbeitermilizen gegründet. Das ist der Weg, der eingeschlagen werden muss; das sind die Traditionen, die wiederbelebt werden müssen.
Zudem zeigt die Erfahrung von verschiedenen revolutionären Situationen in Bolivien - 1952, 1970/71, und die revolutionären Entwicklungen 1982 und 1985 – die Notwendigkeit einer revolutionären Führung mit einem klaren Programm; ein Führung, die nicht im entscheidenden Moment zu schwanken beginnt, die einen unabhängigen Klassenstandpunkt verficht und den Sieg der ArbeiterInnen und BäuerInnen ermöglicht. Letztere haben seit dem „Wasserkrieg“ in Cochabamba, und insbesonders im letzten Jahr einen klaren Klasseninstinkt bewiesen und sind weitergegangen als ihre Führung. Mit einer marxistischen Führung wären sie unschlagbar. Die Bestandteile, um eine solche Führung zu bilden, sind bereits in Bolivien vorhanden. Hunderte von ArbeiterInnen an der Basis, Bauern- und ArbeiterführerInnen bewegen sich instinktiv Richtung sozialistischer Revolution und kennen bereits einen großen Teil der notwendigen Maßnahmen. Sie müssen in einer marxistischen Organisation vereint werden und an jedem Punkt die richtige Losung parat haben, um am Bewußtsein der Massen anzusetzen und sie mit den Notwendigkeiten des revolutionären Prozesses abzustimmen.
Es darüber hinaus für eine solche Partei notwendig, eine internationalistische Position einzunehmen, um die Gefahr eines reaktionären Krieges in der Region zu verhindern. Sie müsste einen internationalistischen Appell an die ArbeiterInnen und BäuerInnen von Peru, Chile, Ecuador und vom ganz Lateinamerika richten, sich ebenfalls zu erheben. Das wäre der einzige effektive Weg, um eine ausländische Intervention und eine internationale Blockade gegen eine siegreiche Revolution zu verhindern.
Es ist schwierig zu sagen, was das Ergebnis des Generalstreiks der COB sein wird. Es besteht eine gewisse Gefahr, die Frage der Macht zu stellen ohne die notwndigen Maßnahmen getroffen zu haben. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die ArbeiterInnen und BäuerInnen positiv auf den Aufruf reagieren. Laut einem Bericht von Econoticias Bolivia verlangte der Führer der Arbeitergewerkschaft von Cochabamba, dass „die nationale Führung das Datum des Generalstreiks und der Strassenblokaden bekannt [gebe], um Mesas Absichten, den Gaspreis zu erhöhen, Einhalt zu gebieten.“ Die gleiche Quelle berichtete, dass Miguel Zubieta, der wichtigste Führer der Bergarbeiter, die Entscheidungen des erweiterten nationalen Treffens der Bergarbeitergewerkschaft FSTMB folgendermaßen erklärte: „Wir haben uns entschieden, die Einheit der ArbeiterInnen rund um die programmatischen und revolutionären Dokumente der Bergarbeiter zu organisieren, das bürgerliche Parlament durch eine Volksversammlung bestehend aus ArbeiterInnen, BäuerInnen und der Mittelklasse zu ersetzen und gegen die wirtschaftlichen Maßnahmen zu mobilisieren.“ Der Unmut der Bevölkerung gegen die von der Regierung angekündigten Maßnahmen wächst zu einer unaufhaltsamen Flutwelle.
Es ist auch möglich, dass die Regierung, aus Angst vor einer siegreichen Revolution Zugeständnisse machen wird, um der Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Allerdings würde das nichts lösen. Auf der einen Seite würde dies das Vertrauen der Massen in ihre eigenen Kräfte stärken, weil es als Sieg angesehen werden würde. Andererseits würde die wirtschaftliche Situation die Regierung früher oder später dazu zwingen, die selben Angriffe erneut zu starten. Die entscheidende Auseinandersetzung würde nur verschoben. Eine andere Möglichkeit ist, dass die herrschende Klasse Wahlen einberuft, um die Massen zu demobilisieren; entweder vorgezogene Neuwahlen oder Wahlen zu einer Konstituierenden Versammlung. Eine solche Wahl könnte von Evo Morales' MAS gewonnen werden, aber diese MAS Regierung würde sehr bald vor dem Dilemma stehen, entweder unter dem Druck der Massen entschieden der Bourgeoisie und dem Imperialismus entgegenzutreten, oder ein Sparprogramm durchzuziehen – in diesem Fall würde sie einer neuen Bewegung des Volkes gegenüberstehen.
Die Alternativen, die sich in den kommenden Monaten in Bolivien bieten, sind ganz klar gesteckt: Entweder nehmen die ArbeiterInnen und BäuerInnen die Macht, was den Beginn der sozialistischen Revolution in Lateinamerika bedeuten würde, oder die Bourgeoisie wird früher oder später die revolutionäre Bewegung zerschlagen und eine blutige Diktatur errichten.
Es lebe die bolivianische Revolution!
Für eine Regierung der ArbeiterInnen und BäuerInnen!
Alle Macht der Volksversammlung!
Gewählte und jederzeit abwählbare Delegierte!
Schaffung von Arbeitermilizen!
Wiederverstaatlichung der privatisierten Unternehmen unter Arbeiterkontrolle!
Verstaatlichung der Banken und Kreditinstitutionen!
Enteignung des Bodens und Aufteilung auf die Landbevölkerung!
Keine Zahlung der Staatsschulden!
Enteignung der multinationalen Unternehmen unter Arbeiterkontrolle!
Für ein sozialistisches Bolivien im Rahmen einer Sozialistischen Föderation von Lateinamerika!
von Jorge Martín