Die Weichen werden gestellt
Angriff auf die ÖBB
Die ÖBB stehen seit einiger Zeit voll unter Beschuss der schwarz-blauen
Regierung. Die Bahn wäre zu teuer und hochverschuldet, weil sie viel zu
viele Beschäftigte hätte, die ohne etwas zu tun nur in den Bahnhöfen
herumlungern, bevor sie dann mit 45 Jahren in Pension gingen. Diesen angeblichen
Missständen soll abgeholfen werden.
Gestartet wird mit einem Generalangriff auf das Eisenbahner-Dienstrecht. Dabei
ist vorgesehen, den Kündigungsschutz zu lockern, den Versetzungsschutz
abzuschaffen, die Gehälter einzufrieren sowie die Entgeltfortzahlungen
im Krankheitsfall von einem Jahr auf sechs Wochen zu reduzieren. Also ein Angriff
auf die "Privilegien", die sich die Eisenbahner aufgrund ihrer starken
Gewerkschaftsorganisation erkämpfen konnten. Diese Rechte hätten für
alle Berufsgruppen erzwungen werden können, wenn die Gewerkschaftsführung
nicht die versöhnliche Sozialpartner-Linie verfolgt hätte.
Aufgrund der gefährlichen Arbeit gerade im Verschub gab es im Jahr 2002
bei der Bahn 2.237 Arbeitsunfälle. Dass Schwerarbeit bei jedem Wetter im
Freien längere Krankenstände als Büroarbeit verursacht, versteht
sich von selbst. Außerdem führt Schwerstarbeit bei der Bahn dazu,
dass die Lebenserwartung der EisenbahnerInnen zehn Jahre unter dem Durchschnitt
der österreichischen Bevölkerung liegt.
Es gibt genügend Fakten, die belegen, dass die EisenbahnerInnen keineswegs
die Privilegienritter der Nation sind: ÖBB-Beschäftigte zahlen fünf
Prozent mehr Pensionsbeitrag als ASVG-Versicherte und auch pensionierte EisenbahnerInnen
müssen einen monatlichen "Pensionssicherungsbeitrag" leisten.
Bei der Krankenversicherung ist ein Selbstbehalt von 14 Prozent zu berappen.
EisenbahnerInnen erhalten auch keine Abfertigung.
Zahlenspielerei
Neben den "zu teuren Beschäftigten" kritisieren Kukacka und
Grasser auch die "ungeheuren Milliardenschulden" der angeblich maroden
ÖBB. Diese Schulden, die die ÖBB angehäuft hätten, ergeben
sich aber aus der Art der Verrechnung. Die Regierung, die eigentlich verpflichtet
gewesen wäre, die laufenden Kosten der Infrastruktur zu bezahlen, ließ
die ÖBB dafür Kredite aufnehmen. Auch für den Ausbau von Bahnstrecken
ließ die Regierung die Schieneninfrastrukturfinanzierungsgesellschaft
(SchIG) Schulden machen, um somit - zur Erreichung der Maastricht-Kriterien
- nicht das Budgetdefizit des Bundes in die Höhe zu treiben.
Ähnlich verhält es sich mit den jährlichen Zuschüssen des
Bundes an die ÖBB in der Höhe von 4,4 Millionen Euro, die nun radikal
reduziert werden sollen. Diese Summe, mit der die Regierungsmitglieder immer
wieder argumentieren, besteht aus den Pensionszahlungen an pensionierte EisenbahnerInnen,
Zuschüssen zu den Schülerfreifahrten oder fließt in den Ausbau
von Bahnstrecken und der Infrastruktur.
Teure Bahn? Wenn man die Kosten für die Eisenbahn aber mit denen für
den Autoverkehr vergleicht, ergibt sich ein etwas anderes Bild: Für die
Schieneninfrastruktur werden 123 Euro pro ÖsterreicherIn pro Jahr ausgegeben,
für die Straßeninfrastruktur jedoch 520 Euro!
Ziel: Totale Privatisierung
Sparen, sparen, sparen. So sollen sechs der 17 Verteilzentren für den
Güterverkehr geschlossen werden. Damit wären aber die LKWs, die Güter
zu diesen Verteilzentren transportieren, wieder länger auf der Straße.
Werkstätten, die Wartungsbereiche, Reinigung und die EDV sollen ausgegliedert
werden.
Diese Ausgliederungen sind nur der erste Schritt, um in der Folge Schienennetz
und Bahnbetrieb betrieblich zu trennen und damit die Zerschlagung des Unternehmens
vorzubereiten. Für 2005 gibt es den Plan einer Holding, die in die Bereiche
Infrastruktur (Schienen, Bahnhöfe), Personenverkehr und Güterverkehr
geteilt werden soll. Diese drei Bereiche werden als Aktiengesellschaften geführt
und sollen sich selbst finanzieren. Ziel dieser Aufgliederung ist es, den Verkauf
profitträchtiger Teile der ÖBB an die Wirtschaft vorzubereiten. Welcher
Bereich imstande sein wird gewinnbringend zu wirtschaften, ist eine politische
Entscheidung. Fest steht bereits: Die Personen- sowie die GüterverkehrsAG
zahlen doppelt so viel Schienenbenützungsentgelt an den Infrastrukturbereich
als bisher verrechnet wurde. Damit ist absehbar, dass die Ticketpreise für
Fahrten mit der Eisenbahn kräftig steigen werden.
Die Bahnhöfe, die der InfrastrukturAG zugeschlagen werden, gelten als besonders
profitabel, zählen doch Bahnhöfe zu den wichtigsten Immobilien in
jeder Stadt. Tausende PendlerInnen, die täglich an Shoppingmalls vorbei
geschleust werden, während Securities Obdachlose von diesen bald nicht
mehr öffentlichen Plätzen vertreiben, wie es in Deutschland und Italien
bereits seit Jahren passiert.
Das abschreckendste Beispiel für eine "erfolgreiche Privatisierung"
ist Großbritannien, wo dies zu verheerenden Konsequenzen führte.
Schienen und Signalanlagen wurden an die Firma Railtrack verkauft. Seither werden
die Züge von unterschiedlichen Gesellschaften geführt. Fehlende Investitionen
verursachen lange Verspätungen und immer wieder auch verheerende Zugsunglücke,
so wie 1999 in Paddington, wo 40 Menschen starben.
Angriffe auf die Beschäftigten
Um einzusparen, plant nun die Regierung bis 2010 die Reduktion um 12.000 Stellen,
was bedeutet, dass jeder vierte Beschäftigte abgebaut werden soll. 7.000
Posten davon sollen nicht nachbesetzt, 5.000 Beschäftigte in Frühpension
geschickt und gar zu junge in einer Personalfirma geparkt werden, um bei Bedarf
an die ÖBB oder andere Unternehmen verleast zu werden.
Gibt es so viel entbehrliches Personal? Die Zahlen behaupten anderes. Der Arbeitsdruck
ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Es gibt zwei Millionen Resturlaubstage,
die nicht konsumiert werden konnten, und pro Jahr fallen 6,3 Millionen neue
Überstunden an. Davon betroffen sind vor allem Lokführer, Fahrdienstleiter,
Verschieber und Zugbegleiter. Das sind ein Drittel der Beschäftigten.
Der Regierung geht es aber nicht nur um Einsparungen, sondern vor allem darum,
ein zentrales Vorhaben durchzusetzen: die Schwächung der Gewerkschaften.
In der ÖBB sind de facto alle Beschäftigten in der Gewerkschaft organisiert.
Ein absoluter Großteil davon ist Teil der "Fraktion sozialdemokratischer
GewerkschafterInnen" (FSG). Nach den Wahlerfolgen und dem Sieg in der Pensionsdebatte
haben die Bürgerlichen nun also offensichtlich genug Selbstvertrauen getankt
um Angriff auf die Bastionen der (roten) Gewerkschaften zu nehmen. Dieser Herbst
soll dazu verwendet werden, neben der Privatisierung der Gewerkschaftshochburg
VOEST auch die gewerkschaftlichen Rechte in einem der letzten großen durchorganisierten
Betriebe Österreichs massiv zu beschneiden: dem roten Koloss ÖBB.
Gewerkschaft im Schussfeld
Die geplanten Einschnitte in das Dienstrecht bringen nicht nur soziale Verschlechterungen
für die einzelnen ÖBB-Beschäftigten, sondern sollen auch die
Mitwirkungsrechte der Gewerkschaft bei Kündigungen, Dienst- und Stellenplänen
abschaffen.
Das Verkehrsministerium hat sich eine Studie erstellen lassen, die vorschlägt,
die ÖBB schlussendlich in 271 Einzelbetriebe aufzusplitten. Angenehmer
Nebeneffekt: Damit kann man die Zahl der Personalvertreter um ein Drittel reduzieren!
So könnten laut Kukacka jährlich 10,4 Millionen Euro eingespart werden.
Die Beschäftigten sind bereit, sich gegen diese Vorhaben zu wehren, was
sich bei der Konferenz der PersonalvertreterInnen Ende August deutlich gezeigt
hat. GdE-Chef Haberzettl hat bisher jedoch lediglich angekündigt, dass
keine Überstunden mehr geleistet werden sollen, womit der Betrieb in vielen
Bereichen zusammenbrechen werde.
Kampfmaßnahmen sind erforderlich. Aber was bedeutet diese Strategie konkret?
Mit einem Überstundenboykott wird die Verantwortung für die Durchführung
der Kampfmaßnahmen individualisiert. Jeder einzelne ÖBB-Beschäftigte
muss sich in seiner Dienststelle entscheiden, wie weit er/sie im Boykott gehen
will und kann, wobei viele auf das Überstundeneinkommen finanziell angewiesen
sind.
Vielmehr muss es jetzt darum gehen, mit effektiven Kampfmaßnahmen zu beginnen
- und den EisenbahnerInnen in ihrem Protest einen möglichst langen Atem
zu verschaffen. Stundenweise Streiks in einzelnen Bereichen wären der erste
Schritt in die richtige Richtung, den Protest auszuweiten die erfolgsversprechendste
Strategie. Die Eisenbahn muss in staatlicher Hand bleiben, um Verschlechterungen
für die Beschäftigten sowie die BahnbenützerInnen zu verhindern.
Wenn wir zulassen, dass die Regierung das Dienstrecht der ÖBB-Beschäftigten
ohne Gegenwehr restlos umkrempelt, ist die Bahn frei für massive Angriffe
auf alle österreichischen ArbeitnehmerInnen - da fährt die Eisenbahn
drüber.
Karin Jaschke, SJ Alsergrund (Wien)
aus: Funke Nr.52 (Oktober-Ausgabe)