I. Bonapartismus und Faschismus
II. Bourgeoisie, Kleinbürgertum und Proletariat
III. Bündnis oder Kampf zwischen Sozialdemokratie
und Faschismus?
V. Die Stalin-Thälmann-Politik in der Praxis
VI. Was sagt man in Prag über die Einheitsfront?
VII. Der Klassenkampf im Lichte der Konjunktur
Der Niedergang des Kapitalismus verspricht, noch stürmischer, dramatischer und blutiger zu werden als sein Aufstieg. Der deutsche Kapitalismus wird darin jedenfalls keine Ausnahme bilden. Wenn sich seine Agonie gar zu sehr hinzieht, so liegt — man muss die Wahrheit sagen — die Schuld daran bei den Parteien des Proletariats.
Der deutsche Kapitalismus kam verspätet und sah sich der Vorrechte der Erstgeburt bar. Russlands Entwicklung gab ihm einen Platz irgendwo in der Mitte zwischen England und Indien; Deutschland hätte in diesem Schema den Platz zwischen England und Russland einnehmen müssen, — doch ohne die gewaltigen Überseekolonien Großbritanniens und ohne die inneren Kolonien des zaristischen Russlands. Das ins Herz Europas eingezwängte Deutschland stand — zu einer Zeit, da die ganze Welt bereits aufgeteilt war — vor der Notwendigkeit, fremde Märkte zu erobern und bereits verteilte Kolonien neu aufzuteilen.
Dem deutschen Kapitalismus war es nicht beschieden, mit dem Strome zu schwimmen, dem freien Spiel der Kräfte hingegeben. Diesen Luxus hatte sich nur Großbritannien leisten können und auch das nur während einer beschränkten geschichtlichen Periode, deren Abschluss sich kürzlich vor unseren Augen vollzogen hat. Der deutsche Kapitalismus konnte sich auch nicht jenen »Sinn für Mäßigkeit« leisten, der den französischen Kapitalismus kennzeichnet, der in seiner Beschränkung gefestigt und überdies mit reichem Kolonialbesitz als Reserve ausgerüstet ist.
Die auf dem Gebiete der inneren Politik durch und durch opportunistische deutsche Bourgeoisie musste sich auf dem Gebiete der Wirtschaft und der Weltpolitik zur Verwegenheit versteigen, vorauseilen, die Produktion maßlos erweitern, um die alten Nationen einzuholen, musste mit dem Säbel rasseln und sich in den Krieg stürzen. Die aufs äußerste gesteigerte Rationalisierung der deutschen Nachkriegsindustrie ergab sich aus der Notwendigkeit, die ungünstigen Bedingungen der historischen Verspätung, der geographischen Lage und der Kriegsniederlage zu überwinden.
Sind die wirtschaftlichen Übel unserer Epoche letzten Endes ein Ergebnis der Tatsache, dass die Produktivkräfte der Menschheit unvereinbar mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln wie mit den nationalen Grenzen sind, so unterliegt der deutsche Kapitalismus den heftigsten Konvulsionen gerade darum, weil er der modernste, fortgeschrittenste, dynamischste Kapitalismus auf dem europäischen Kontinent ist.
Die Ärzte des deutschen Kapitalismus scheiden sich in drei Schulen: Liberalismus, Planwirtschaft und Autarkie.
Der Liberalismus möchte »Natur«gesetze des Marktes wiederherstellen. Aber das klägliche politische Los des Liberalismus spiegelt nur das Faktum wider, dass der deutsche Kapitalismus niemals auf dem Manchestertum fußte: durch Protektionismus kam er zu Trusts und Monopolen. Man kann die deutsche Wirtschaft nicht zurückführen zu einer »gesunden« Vergangenheit, die es nie gegeben hat.
Der »Nationalsozialismus« verspricht, das Werk von Versailles auf seine Art zu revidieren, d. h. faktisch die Offensive des Hohenzollernschen Imperialismus weiterzuführen. Gleichzeitig will er Deutschland zur Autarkie führen, d. h. auf den Weg des Provinzialismus und der Selbstbeschränkung. Das Löwengebrüll verdeckt hier die Psychologie des verprügelten Hundes. Den deutschen Kapitalismus seinen nationalen Grenzen anpassen zu wollen, ist ungefähr das gleiche, als würde man einen Menschen kurieren, indem man ihm die rechte Hand, den linken Fuß und einen Teil des Schädels absägt.
Den Kapitalismus mit Hilfe der Planwirtschaft zu kurieren hieße: die Konkurrenz beseitigen. Beginnen müsste man in diesem Falle mit der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Die bürokratisch-professoralen Reformer wagen nicht einmal daran zu denken. Die deutsche Wirtschaft ist am allerwenigsten eine rein deutsche; sie ist ein integrierender Bestandteil der Weltwirtschaft. Ein deutscher Plan ist denkbar einzig in der Perspektive eines internationalen Wirtschaftsplanes. Eine national abgeriegelte Planung würde den Verzicht auf die Weltwirtschaft bedeuten, d. h. den Versuch eines Rückzugs auf das System der Autarkie.
Die drei einander befehdenden Schulen ähneln sich in Wirklichkeit darin, dass sie im Zauberkreis des reaktionären Utopismus eingeschlossen sind. Zu retten gilt es nicht den deutschen Kapitalismus, sondern Deutschland — vor seinem Kapitalismus.
In den Krisenjahren haben sich die deutschen Bourgeois, zumindest ihre Theoretiker, in Bußreden ergangen: sie hätten eine gar zu riskante Politik betrieben, allzu leicht ausländische Kredite in Anspruch genommen, die industrielle Ausrüstung maßlos überentwickelt usw. Künftig werde man vorsichtiger sein müssen! In Wirklichkeit neigen — wie das Papen-Programm und das Verhalten des Finanzkapitals dazu beweist — die Spitzen der deutschen Bourgeoisie heute mehr denn je zu Wirtschaftsabenteuern.
Bei den ersten Anzeichen der industriellen Wiederbelebung wird sich der deutsche Kapitalismus so zeigen, wie die historische Vergangenheit ihn geschaffen hat, und nicht so, wie die liberalen Moralisten ihn schaffen möchten. Die nach Profiten hungernden Unternehmer werden abermals den Dampfdruck steigern, ohne auf das Manometer zu achten. Die Jagd nach ausländischen Krediten wird wieder fieberhaften Charakter annehmen. Die Expansionsmöglichkeiten sind gering? Um so notwendiger, sie für sich zu monopolisieren. Die erschrockene Welt wird das Bild der vergangenen Periode sehen, nur in Form noch heftigerer Konvulsionen. Gleichzeitig damit wird die Wiederherstellung des deutschen Militarismus vonstatten gehen. Als hätte es die Jahre 1914—1918 nicht gegeben. Die deutsche Bourgeoisie stellt an die Spitze der Nation wieder ostelbische Barone. Im Zeichen des Bonapartismus sind diese noch geneigter, den Kopf der Nation zu riskieren, als im Zeichen der legitimen Monarchie.
In ihren klaren Minuten müssen sich die Führer der deutschen Sozialdemokratie selbst fragen: kraft welchen Wunders führt ihre Partei, nach allem, was sie angerichtet hat, weiterhin Millionen Arbeiter hinter sich? Von großer Bedeutung ist gewiss der jeder Massenorganisation innewohnende Konservatismus. Mehrere Generationen des Proletariats sind durch die Sozialdemokratie als durch eine politische Schule gegangen — das hat eine große Tradition geschaffen. Dennoch liegt die Hauptursache der Lebensfähigkeit des Reformismus nicht darin. Die Arbeiter können die Sozialdemokratie nicht einfach verlassen, trotz aller Verbrechen dieser Partei: sie müssen sie durch eine andere Partei ersetzen können. Indes tut die deutsche Kommunistische Partei in Gestalt ihrer Führung seit neun Jahren entschieden alles, was in ihren Kräften liegt, um die Massen von sich abzustoßen oder sie wenigstens daran zu hindern, sich um die Kommunistische Partei zu scharen.
Die Kapitulationspolitik Stalin—Brandlers im Jahre 1923; der ultralinke Zickzack Maslow—Ruth Fischer—Thälmann von 1924 bis 25; die opportunistische Kriecherei vor der Sozialdemokratie von 1926—28; die Abenteuer der »dritten Periode« von 1928 bis 30; die Theorie und Praxis des »Sozialfaschismus« und der »nationalen Befreiung« von 1930—32 — das sind die Posten der Rechnung. Ihre Summe lautet: Hindenburg—Papen—Schleicher & Co.
Auf kapitalistischem Wege gibt es keinen Ausweg für das deutsche Volk. Darin liegt die wichtigste Kraftquelle der Kommunistischen Partei.
Das Beispiel der Sowjetunion zeigt, dass ein Ausweg auf sozialistischem Wege möglich ist. Darin liegt die zweite Kraftquelle der Kommunistischen Partei.
Als Folge der Entwicklungsbedingungen des isolierten proletarischen Staates aber gelangte an die Spitze der Sowjetunion eine national-opportunistische Bürokratie, die an die Weltrevolution nicht glaubt, ihre Unabhängigkeit von dieser verficht und gleichzeitig eine ‘unbeschränkte Herrschaft über die Kommunistische Internationale aufrechterhält. Darin besteht gegenwärtig das größte Unglück für das deutsche und internationale Proletariat.
Die Lage in Deutschland ist wie eigens dazu geschaffen, es der Kommunistischen Partei zu ermöglichen, in kurzer Zeit die Mehrheit der Arbeiter zu erobern. Nur müsste die Kommunistische Partei begreifen, dass sie heute noch die Minderheit des Proletariats darstellt, und festen Schrittes den Weg der Einheitsfronttaktik betreten. Statt dessen hat sich die Kommunistische Partei eine Taktik zu eigen gemacht, die man in folgenden Worten ausdrücken könnte: den deutschen Arbeitern weder die Möglichkeit geben, Wirtschaftskämpfe zu führen, noch dem Faschismus Widerstand leisten, noch zur Waffe des Generalstreiks greifen, noch Sowjets schaffen — ehe nicht das gesamte Proletariat von vornherein die Führerschaft der Kommunistischen Partei anerkennt. Die politische Aufgabe wird so in ein Ultimatum verwandelt.
Wo kommt diese verderbliche Methode her? Die Antwort gibt die Politik der Stalinschen Fraktion in der Sowjetunion. Dort hat der Apparat die politische Führung in administratives Kommandieren verwandelt. Indem sie den Arbeitern weder zu diskutieren, noch zu kritisieren, noch zu wählen gestattet, redet die Stalinsche Bürokratie mit ihnen nicht anders als in der Sprache von Ultimatums. Die Thälmannsche Politik ist ein Versuch der Übersetzung des Stalinismus in schlechtes Deutsch. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die Bürokratie der UdSSR für ihre Kommandopolitik über die Staatsmacht verfügt, die sie aus den Händen der Oktoberrevolution erhalten hat. Thälmann hingegen besitzt zur Bekräftigung seiner Ultimatums lediglich die formale Autorität der Sowjetunion. Das ist eine große moralische Hilfsquelle, doch genügt sie unter den gegebenen Bedingungen nur dazu, den kommunistischen Arbeitern den Mund zu verschließen, nicht dazu, die sozialdemokratischen Arbeiter zu erobern. Von der Lösung dieser letzteren Aufgabe hängt jetzt aber das Schicksal der deutschen Revolution ab.
An die früheren, der Politik des deutschen Proletariats gewidmeten Arbeiten des Autors anknüpfend, wird in der vorliegenden Broschüre versucht, die Fragen der deutschen revolutionären Politik in einer neuen Phase zu untersuchen.
Prinkipo, den 13. September 1932
Versuchen wir, uns kurz zu vergegenwärtigen, was geschehen ist und wo wir stehen.
Dank der Sozialdemokratie verfügte die Brüning-Regierung über die Unterstützung des Parlaments, um mit Hilfe von Notverordnungen zu regieren. Die sozialdemokratischen Führer sagten: »Auf diese Weise werden wir dem Faschismus den Weg zur Macht versperren.« Die Stalinsche Bürokratie sagte: »Nein, der Faschismus hat bereits gesiegt, das Brüningregime ist eben Faschismus.« Das eine wie das andere war falsch. Die Sozialdemokraten gaben das passive Zurückweichen vor dem Faschismus als Kampf gegen den Faschismus aus. Die Stalinisten stellten die Sache so dar, als liege der Sieg des Faschismus bereits zurück. Die Kampfkraft des Proletariats wurde von beiden Seiten untergraben und der Sieg des Feindes erleichtert und nähergebracht.
Wir haben seinerzeit die Brüningregierung als Bonapartismus (»Karikatur auf den Bonapartismus«) bezeichnet, d. h. als ein Regime militärisch-polizeilicher Diktatur. Sobald der Kampf zweier sozialer Lager — der Besitzenden und Besitzlosen, der Ausbeuter und Ausgebeuteten — höchste Spannung erreicht, sind die Bedingungen für die Herrschaft von Bürokratie, Polizei, Soldateska gegeben. Die Regierung wird »unabhängig« von der Gesellschaft. Erinnern wir nochmals daran: steckt man zwei Gabeln symmetrisch in einen Kork, so kann er sich sogar auf einem Stecknadelkopf halten. Dies ist eben das Schema des Bonapartismus. Gewiss, eine solche Regierung hört nicht auf, Kommis der Eigentümer zu sein. Doch sitzt der Kommis dem Herrn auf dem Buckel, reibt ihm den Nacken wund und steht nicht an, seinem Herrn gegebenenfalls mit dem Stiefel über das Gesicht zu fahren.
Man konnte annehmen, Brüning werde sich bis zur endgültigen Lösung halten. Doch hat sich in den Gang der Ereignisse noch ein Glied eingefügt: die Papen-Regierung. Wollten wir genau sein, so müssten wir an unserer alten Bezeichnung eine Berichtigung vornehmen: die Brüning-Regierung war eine vorbonapartistische Regierung. Brüning war nur ein Vorläufer. In entwickelter Gestalt ist der Bonapartismus als Papen-Schleicher-Regierung auf die Bühne getreten.
Worin besteht der Unterschied? Brüning beteuerte, kein höheres Glück zu kennen, als Hindenburg und dem Paragraphen 48 zu »dienen«. Hitler »stützte« mit der Faust Brünings rechte Hüfte. Mit dem linken Ellbogen aber hielt Brüning sich an Wels‘ Schulter. Im Reichstag fand Brüning eine Mehrheit, die ihn der Notwendigkeit enthob, mit dem Reichstag zu rechnen.
Je mehr Brünings Unabhängigkeit vom Parlament wuchs, desto unabhängiger fühlte sich die Spitze der Bürokratie von Brüning und den hinter ihm stehenden politischen Gruppierungen. Es blieb nur übrig, endgültig die Bande mit dem Reichstag zu zerreißen. Die Regierung von Papens ging aus einer unbefleckten bürokratischen Empfängnis hervor. Mit dem rechten Ellbogen stützt sie sich auf Hitlers Schulter. Mit der Polizeifaust wehrt sie sich auf der linken gegen das Proletariat. Darin liegt das Geheimnis ihrer »Stabilität«, d. h. der Tatsache, dass sie im Moment ihrer Entstehung nicht zusammenbrach.
Die Brüningregierung hatte pfäffisch-bürokratisch-polizeilichen Charakter. Die Reichswehr blieb noch in Reserve. Als unmittelbare Ordnungsstütze diente neben der Polizei die »Eiserne Front«. In der Beseitigung der Abhängigkeit von der »Eisernen Front« bestand eben das Wesen des Hindenburg-Papenschen Staatsstreichs. Die Generalität rückte dabei automatisch an die erste Stelle.
Die sozialdemokratischen Führer erwiesen sich als vollkommen übertölpelt. So geziemt es sich auch für sie in Perioden sozialer Krisen. Diese kleinbürgerlichen Intriganten scheinen klug nur unter Bedingungen, wo Klugheit nicht nötig ist. Jetzt ziehen sie nachts die Decke über den Kopf, schwitzen und hoffen auf ein Wunder. Am Ende wird man vielleicht doch nicht nur den Kopf retten können, sondern auch die weichen Möbel und die kleinen, unschuldigen Ersparnisse. Doch Wunder wird es nicht geben...
Unglücklicherweise ist aber auch die Kommunistische Partei durch die Ereignisse vollkommen überrumpelt worden. Die Stalinsche Bürokratie hat nicht verstanden vorauszusehen. Heute sprechen Thälmann, Remmele u. a. bei jedem Anlass »vom Staatsstreich des 20. Juli«. Wie denn? Zuerst behaupteten sie, der Faschismus sei bereits da und nur die »konterrevolutionären Trotzkisten« könnten davon als von etwas Zukünftigem sprechen. Jetzt erweist es sich, dass für den Übergang von Brüning zu Papen — vorerst nicht zu Hitler, sondern lediglich zu Papen ein ganzer »Staatsstreich« nötig war. Doch der Klassencharakter Severings, Brünings und Hitlers, lehrten uns diese Weisen, ist »ein und derselbe«. Woher also und wozu der Staatsstreich?
Dabei ist aber die Verwirrung nicht zu Ende. Obgleich der Unterschied zwischen Bonapartismus und Faschismus nun deutlich genug zutage getreten ist, sprechen Thälmann, Remmele u. a. vom faschistischen Staatsstreich des 20. Juli. Gleichzeitig warnen sie die Arbeiter vor der nahenden Gefahr der Hitlerschen, d. h. gleichfalls faschistischen Umwälzung. Schließlich wird die Sozialdemokratie dabei nach wie vor als sozialfaschistisch bezeichnet. Die Bedeutung der einander folgenden Ereignisse besteht demnach darin, dass verschiedene Spielarten von Faschismus mit Hilfe »faschistischer« Staatsstreiche einander die Macht abnehmen. Ist es nicht klar, dass die ganze Stalinsche Theorie eigens dazu geschaffen ist, die menschlichen Gehirne zu verkleistern?
Je weniger vorbereitet die Arbeiter waren, um so mehr musste der Auftritt der Papenregierung auf der Bühne den Eindruck von Kraft erwecken: völliges Ignorieren der Parteien, neue Notverordnungen, Auflösung des Reichstags, Repressalien, Belagerungszustand in der Hauptstadt, Beseitigung der preußischen »Demokratie«. Und mit welcher Leichtigkeit! Einen Löwen tötet man mit Kugeln, den Floh zerdrückt man zwischen den Fingernägeln, sozialdemokratische Minister erledigt man mit einem Nasenstüber.
Doch die Papen-Regierung ist — trotz des Anscheins konzentrierter Kräfte — »an und für sich« noch schwächer als ihre Vorgängerin. Das bonapartistische Regime kann verhältnismäßig stabilen und dauerhaften Charakter nur dann erlangen, wenn es eine revolutionäre Epoche abschließt, wenn das Kräfteverhältnis bereits in Kämpfen erprobt wurde, wenn die revolutionären Klassen sich bereits verausgabt, die besitzenden Klassen sich aber noch nicht von der Furcht befreit haben, ob der morgige Tag nicht neue Erschütterungen bringen wird. Ohne diese Grundbedingung, d. h. ohne vorherige Erschöpfung der Massenenergien im Kampfe, ist das bonapartistische Regime außerstande, sich zu entfalten.
Durch die Papenregierung haben die Barone, Kapitalmagnaten und Bankiers den Versuch unternommen, ihre Sache durch Polizei und reguläre Armee zu sichern. Der Gedanke, die ganze Macht an Hitler abzutreten, der sich auf die gierigen und entfesselten Banden des Kleinbürgertums stützt, ist für sie durchaus nicht beglückend. Sie bezweifeln natürlich nicht, dass Hitler zu guter Letzt ein gefügiges Werkzeug ihrer Herrschaft sein würde. Doch das wäre verbunden mit Erschütterungen, mit dem Risiko eines langwierigen Bürgerkrieges und großer Unkosten. Allerdings führt der Faschismus, wie Italiens Beispiel zeigt, letzten Endes zur militärisch-bürokratischen Diktatur bonapartistischen Typs. Doch braucht er dazu, selbst im Falle eines vollständigen Sieges, eine Reihe von Jahren — in Deutschland länger als in Italien. Es ist klar, dass die besitzenden Klassen einen ökonomischeren Weg vorziehen würden, d. h. den Weg Schleichers und nicht den Hitlers, ganz davon abgesehen, dass Schleicher sich selbst den Vorzug gibt.
Die Tatsache, dass die Neutralisierung der unversöhnlichen Lager die Existenzbasis der Papen-Regierung ist, bedeutet natürlich keineswegs, dass die Kräfte des revolutionären Proletariats und der reaktionären Kleinbourgeoisie auf der Waage der Geschichte einander gleich sind. Die ganze Frage verschiebt sich hier auf das Gebiet der Politik. Durch den Mechanismus der »Eisernen Front« paralysiert die Sozialdemokratie das Proletariat. Mit der Politik des kopflosen Ultimatismus verlegt die Stalinsche Bürokratie den Arbeitern den revolutionären Ausweg. Bei richtiger Führung des Proletariats würde der Faschismus mühelos zunichte gemacht werden und für den Bonapartismus nicht eine Ritze offen bleiben. Unglücklicherweise ist es anders. Die paralysierte Kraft des Proletariats hat die trügerische Form einer »Kraft« der bonapartistischen Clique angenommen. Das ist die politische Formel des heutigen Tages.
Die Papen-Regierung stellt den unpersönlichen Schnittpunkt großer historischer Kräfte dar. Ihr selbständiges Gewicht ist beinahe Null. Darum musste sie vor ihren eigenen Gesten erschrecken und schwindlig werden vor der rings um sie herum entstehenden Leere. Damit und nur damit ist es zu erklären, dass in den Handlungen der Regierung bisher auf ein Teil Verwegenheit zwei Teile Feigheit kamen. Preußen, d. h. der Sozialdemokratie gegenüber führte die Regierung ein sicheres Spiel; sie wusste, diese Herren würden keinerlei Widerstand leisten. Aber nachdem sie den Reichstag aufgelöst hatte, schrieb sie Neuwahlen aus und wagte es nicht, diese hinauszuschieben. Nach Verkündung des Belagerungszustandes eilte sie, zu erklären, dies solle nur den sozialdemokratischen Führern die kampflose Kapitulation erleichtern.
Aber es gibt doch eine Reichswehr? Wir werden sie nicht vergessen. Engels bezeichnete den Staat als bewaffnete Abteilungen von Menschen, die über materielle Hilfsmittel wie Gefängnisse usw. verfügen. In bezug auf die gegenwärtige Regierungsmacht kann man sogar sagen, dass nur die Reichswehr wirklich besteht. Doch die Reichswehr ist keineswegs ein gefügiges und sicheres Werkzeug in den Händen jener Gruppe von Leuten, an deren Spitze Papen steht. In Wirklichkeit ist die Regierung eher eine Art politische Kommission der Reichswehr.
Aber trotz all ihrem Übergewicht über die Regierung kann die Reichswehr nicht auf eine selbständige politische Rolle Anspruch erheben. Hunderttausend Soldaten, wie zusammengeschweißt und gestählt sie auch sein mögen (was noch zu erproben bleibt), können nicht eine von tiefsten sozialen Gegensätzen zerrissene Nation von 65 Millionen kommandieren. Die Reichswehr ist nur ein Element — nicht das entscheidende — im Kräftespiel.
Der neue Reichstag spiegelt in seiner Art nicht schlecht die politische Lage im Lande wider, die zum bonapartistischen Experiment geführt hat. Das Parlament ist ohne Mehrheit, mit unversöhnlichen Flügeln, ein anschauliches und unwiderlegbares Argument zugunsten der Diktatur. Nochmals treten mit aller Klarheit die Grenzen der Demokratie zutage. Wo es um die Grundlagen der Gesellschaft selbst geht, entscheidet nicht die parlamentarische Arithmetik. Da entscheidet der Kampf.
Wir werden es nicht versuchen, aus der Ferne zu erraten, auf welchen Wegen in den nächsten Tagen versucht werden wird, die Regierung zu bilden. Unsere Hypothesen kämen ohnehin verspätet, und überdies wird die Frage nicht durch die möglichen Übergangsformen und Kombinationen entschieden. Ein Block der Rechten mit dem Zentrum würde die »Legalisierung« der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bedeuten, d. h. die geeignetste Deckung für den faschistischen Staatsstreich bieten. Welches Verhältnis sich in der ersten Zeit zwischen Hitler, Schleicher und den Zentrumsführern herausbilden würde, ist wichtiger für sie selbst, als für das deutsche Volk. Politisch bedeuten alle denkbaren Kombinationen mit Hitler die Auflösung von Bürokratie, Gericht, Polizei und Armee im Faschismus.
Nimmt man an, das Zentrum werde nicht auf eine Koalition eingehen, in der es um den Preis des Bruchs mit den eigenen
Arbeitern die Rolle der Bremse in Hitlers Lokomotive übernimmt, so bleibt einzig der unverhüllte außerparlamentarische Weg offen. Eine Kombination ohne das Zentrum würde das Übergewicht der Nationalsozialisten noch leichter und rascher sichern. Sollten diese nicht sofort mit Papen einig werden und gleichzeitig nicht zu direktem Angriff übergehen, so wird der bonapartistische Charakter der Regierung noch deutlicher zum Vorschein kommen müssen; von Schleicher würde seine »hundert Tage« haben.., ohne die vorausgegangenen Napoleonschen Jahre.
Hundert Tage — nein, das ist zuviel. Die Reichswehr entscheidet nicht. Schleicher genügt nicht. Die außerparlamentarische Diktatur der Junker und der Magnaten des Finanzkapitals lässt sich nur durch die Methoden eines langwierigen und unbarmherzigen Bürgerkrieges sichern. Wird Hitler diese Aufgabe erfüllen können? Das hängt nicht nur vom bösen Willen des Faschismus, sondern auch vom revolutionären Willen des Proletariats ab.
Jede wirkliche Analyse der politischen Lage muss von den Beziehungen zwischen drei Klassen ausgehen: Bourgeoisie, Kleinbürgertum (samt Bauernschaft) und Proletariat.
Die wirtschaftlich mächtige Großbourgeoisie stellt an sich eine verschwindende Minderheit der Nation dar. Um ihre Herrschaft zu befestigen, muss sie bestimmte Beziehungen zum Kleinbürgertum sichern und — durch dessen Vermittlung — mit dem Proletariat.
Zum Verständnis der Dialektik dieser Verhältnisse muss man drei historische Etappen unterscheiden: den Anfang der kapitalistischen Entwicklung, als die Bourgeoisie zur Lösung ihrer Aufgaben revolutionäre Methoden benötigte; die Blüte- und Reifeperiode des kapitalistischen Regimes, wo die Bourgeoisie ihrer Herrschaft geordnete, friedliche, konservative, demokratische Formen verlieh; endlich den Niedergang des Kapitalismus, wo die Bourgeoisie gezwungen ist, zu Bürgerkriegsmethoden gegen das Proletariat zu greifen, um ihr Recht auf Ausbeutung zu wahren.
Die diese drei Etappen charakterisierenden politischen Programme: Jakobinertum, reformistische Demokratie (darunter auch: Sozialdemokratie) und Faschismus sind ihrem Wesen nach Programme kleinbürgerlicher Strömungen. Schon das beweist, welch große, richtiger, welch entscheidende Bedeutung die politische Selbstbestimmung der kleinbürgerlichen Volksmassen für das Schicksal der gesamten bürgerlichen Gesellschaft besitzt!
Aber die Wechselbeziehungen zwischen der Bourgeoisie und ihrer grundlegenden sozialen Stütze, dem Kleinbürgertum, beruhen keineswegs auf gegenseitigem Vertrauen und friedlicher Zusammenarbeit. In seiner Masse ist das Kleinbürgertum eine ausgebeutete und benachteiligte Klasse. Es steht der Großbourgeoisie mit Neid und oft mit Hass gegenüber. Die Bourgeoisie ihrerseits misstraut dem Kleinbürgertum, während sie sich seiner Unterstützung bedient, denn sie fürchtet ganz zu Recht, es sei stets geneigt, die ihm von oben gesetzten Schranken zu überschreiten.
Während die Jakobiner der bürgerlichen Entwicklung den Weg bahnten, gerieten sie bei jedem Schritt in heftige Zusammenstöße mit der Bourgeoisie. Sie dienten ihr in unversöhnlichem Kampfe gegen sie. Nachdem sie ihre begrenzte historische Rolle erfüllt hatten, wurden die Jakobiner gestürzt, denn die Herrschaft des Kapitals war vorherbestimmt.
Über mehrere Etappen hin festigte die Bourgeoisie ihre Macht unter der Form der parlamentarischen Demokratie. Wiederum weder friedlich noch freiwillig. Die Bourgeoisie hatte tödliche Furcht vor dem allgemeinen Wahlrecht. Letzten Endes aber gelang es ihr, sich durch eine Kombination von Gewaltmaßnahmen und Zugeständnissen, von Hungerpeitsche und Reformen, im Rahmen der formalen Demokratie nicht nur das alte Kleinbürgertum unterzuordnen, sondern in bedeutendem Maße auch das Proletariat, mit Hilfe des neuen Kleinbürgertums — der Arbeiterbürokratie. Im August 1914 war die imperialistische Bourgeoisie imstande, mittels der parlamentarischen Demokratie Dutzende von Millionen Arbeiter und Bauern in den Krieg zu führen.
Aber gerade mit dem Krieg beginnt der deutliche Niedergang des Kapitalismus, vor allem seiner demokratischen Herrschaftsform. Jetzt geht es schon nicht mehr um neue Reformen und Almosen, sondern um Schmälerung und Wegnahme der alten. Die politische Herrschaft der Bourgeoisie gerät damit in Widerspruch nicht nur zu den Einrichtungen der proletarischen Demokratie (Gewerkschaften und politische Parteien), sondern auch zur parlamentarischen Demokratie, in deren Rahmen die Arbeiterorganisationen entstanden sind. Daher der Feldzug gegen den »Marxismus« einerseits, gegen den demokratischen Parlamentarismus andererseits.
Wie aber die Spitzen der liberalen Bourgeoisie seinerzeit außerstande waren, aus eigener Kraft mit Monarchie, Feudalität und Kirche fertig zu werden, so sind die Magnaten des Finanzkapitals außerstande, aus eigener Kraft mit dem Proletariat fertig zu werden. Sie brauchen die Hilfe des Kleinbürgertums. Zu diesem Zweck muss es aufgepeitscht, auf die Beine gebracht, mobilisiert und bewaffnet werden. Doch diese Methode ist gefährlich. Während die Bourgeoisie sich des Faschismus bedient, fürchtet sie ihn. Pilsudski war im Mai 1926 gezwungen, die bürgerliche Gesellschaft durch einen gegen die herkömmlichen Parteien der polnischen Bourgeoisie gerichteten Staatsstreich zu retten. Es kam so weit, dass der offizielle Führer der polnischen Kommunistischen Partei, Warski, der von Rosa Luxemburg nicht zu Lenin, sondern zu Stalin übergegangen war, Pilsudskis Umsturz für den Weg zur »revolutionär-demokratischen Diktatur« hielt und die Arbeiter zur Unterstützung Pilsudskis aufrief.
In der Sitzung der polnischen Kommission des Exekutivkomitees der Komintern am z. Juli 1926 sagte der Verfasser dieser Zeilen anlässlich der Ereignisse in Polen:»In seiner Gesamtheit gesehen ist Pilsudskis Umsturz die kleinbürgerliche, plebejische< Art der Lösung der unaufschiebbaren Aufgaben der in Zersetzung und Niedergang befindlichen bürgerlichen Gesellschaft. Hier besteht bereits eine direkte Annäherung an den italienischen Faschismus.
Beide Strömungen haben unzweifelhaft gemeinsame Züge: ihre Stoßtruppen rekrutieren sich vor allem aus dem Kleinbürgertum; Pilsudski wie Mussolini arbeiteten mit außerparlamentarischen, offen gewalttätigen Mitteln, mit den Methoden des Bürgerkrieges; beide waren nicht um den Sturz, sondern um die Rettung der bürgerlichen Gesellschaft bemüht. Während sie das Kleinbürgertum auf die Beine gebracht hatten, vereinigten sie sich nach der Machteroberung offen mit der Großbourgeoisie. Hier drängt sich unwillkürlich eine historische Generalisierung auf, wenn man sich der von Marx gegebenen Einschätzung des Jakobinertums als der plebejischen Abrechnung mit den feudalen Feinden der Bourgeoisie erinnert. . . Das war in der Aufstiegsepoche der Bourgeoisie. Jetzt muss man sagen, dass in der Niedergangsepoche der bürgerlichen Gesellschaft die Bourgeoisie abermals einer >plebejischen< Lösung ihrer nun nicht mehr progressiven, sondern durch und durch reaktionären Aufgaben bedarf. In diesem Sinne ist der Faschismus eine reaktionäre Karikatur auf das Jakobinertum...
Die untergehende Bourgeoisie ist unfähig, sich mit den Methoden und Mitteln des von ihr selbst geschaffenen parlamentarischen Staates an der Macht zu halten. Sie braucht den Faschismus als Waffe der Selbstverteidigung, zumindest in den kritischsten Augenblicken. Doch die Bourgeoisie liebt die >plebejische< Lösung ihrer Aufgaben nicht. Sie blieb dem Jakobinertum gegenüber, das den Entwicklungsweg der bürgerlichen Gesellschaft mit Blut gesäubert hatte, durchweg feindlich. Die Faschisten sind der Verfallsbourgeoisie unermesslich näher als die Jakobiner der aufsteigenden. Doch die solide Bourgeoisie sieht auch die faschistische Lösung ihrer Aufgaben ungern, denn die Erschütterungen, die das mit sich bringt, sind für sie, obwohl sie im Interesse der bürgerlichen Gesellschaft liegen, mit Gefahren verbunden. Daher der Gegensatz zwischen dem Faschismus und den herkömmlichen bürgerlichen Parteien ...
Die Großbourgeoisie liebt den Faschismus ebenso wenig wie ein Mensch mit kranken Kiefern das Zahnziehen. Die besseren Kreise der bürgerlichen Gesellschaft verfolgten mit Widerwillen das Werk des Zahnarztes Pilsudski, letzten Endes aber fügten sie sich in das Unvermeidliche, wenn auch mit Drohungen, mit Handeln und Feilschen. So verwandelt sich der gestrige Abgott des Kleinbürgertums in den Gendarmen des Kapitals.«
Diesem Versuch, die historische Funktion des Faschismus als die politische Ablösung der Sozialdemokratie zu kennzeichnen, wurde die Theorie vom »Sozialfaschismus« gegenübergestellt. Anfangs konnte sie als anmaßende, marktschreierische, aber harmlose Dummheit erscheinen. Die weiteren Ereignisse haben gezeigt, welchen verderblichen Einfluss die Stalinsche Theorie auf die gesamte Entwicklung der Komintern ausübte."*
Ergibt sich aus der historischen Rolle von Jakobinertum, Demokratie und Faschismus, dass das Kleinbürgertum verdammt ist, bis ans Ende seiner Tage ein Werkzeug in den Händen des Kapitals zu bleiben? Stünden die Dinge so, so wäre die Diktatur des Proletariats in einer Reihe von Ländern, wo das Kleinbürgertum die Mehrheit der Nation bildet, ausgeschlossen und in anderen Ländern, wo das Kleinbürgertum eine bedeutende Minderheit darstellt, äußerst erschwert. Zum Glück stehen die Dinge nicht so. Schon die Erfahrung der Pariser Kommune hat zumindest in den Grenzen einer Stadt, wie nach ihr die Erfahrung der Oktoberrevolution in unvergleichlich größerem räumlichen und zeitlichen Maßstab gezeigt, dass das Bündnis von Groß- und Kleinbourgeoisie nicht unauflöslich ist. Ist das Kleinbürgertum unfähig zu selbständiger Politik (weshalb sich insbesondere auch die kleinbürgerliche »demokratische Diktatur« nicht verwirklichen lässt>, so bleibt ihm nur die Wahl zwischen Bourgeoisie und Proletariat.
In der Epoche von Aufstieg, Wachstum und Blüte des Kapitalismus ging das Kleinbürgertum trotz heftiger Ausbrüche von Unzufriedenheit im großen und ganzen gehorsam im kapitalistischen Gespann. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. Unter den Bedingungen der kapitalistischen Fäulnis und wirtschaftlichen Ausweglosigkeit aber versucht die Kleinbourgeoisie, sich den Fesseln der alten Herren und Meister der Gesellschaft zu entwinden. Sie ist durchaus fähig, ihr Schicksal mit dem des Proletariats zu verknüpfen. Hierzu ist nur eines erforderlich: Das Kleinbürgertum muss die Überzeugung gewinnen, dass das Proletariat fähig ist, die Gesellschaft auf einen neuen Weg zu führen. Ihm diesen Glauben einzuflößen, vermag das Proletariat nur durch seine Kraft, durch die Sicherheit seiner Handlungen, durch geschickten Angriff auf die Feinde, durch die Erfolge seiner revolutionären Politik.
Doch wehe, wenn die revolutionäre Partei sich als unfähig erweist! Der tägliche Kampf des Proletariats verschärft die Unbeständigkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Streiks und politische Unruhen verschlechtern die Wirtschaftslage des Landes. Das Kleinbürgertum wäre bereit, sich vorübergehend mit den wachsenden Entbehrungen abzufinden, wenn es durch die Erfahrung zur Überzeugung käme, dass das Proletariat imstande ist, es auf einen neuen Weg zu führen. Erweist sich aber die revolutionäre Partei trotz des ununterbrochen zunehmenden Klassenkampfs immer wieder von neuem als unfähig, die Arbeiterklasse um sich zu scharen, schwankt sie, ist sie verwirrt, widerspricht sie sich selbst, dann verliert das Kleinbürgertum die Geduld und beginnt in den revolutionären Arbeitern die Urheber seines eigenen Elends zu sehen. In diese Richtung drängen es alle bürgerlichen Parteien, darunter auch die Sozialdemokratie. Wird nun die soziale Krise unerträglich, so tritt eine besondere Partei auf, deren direktes Ziel es ist, das Kleinbürgertum bis zur Weißglut zu bringen und seinen Hass und seine Verzweiflung gegen das Proletariat zu richten. Diese historische Funktion erfüllt in Deutschland der Nationalsozialismus, eine breite Strömung, deren Ideologie sich aus allen Verwesungsgerüchen der verfallenden bürgerlichen Gesellschaft zusammensetzt.
Die politische Hauptverantwortung für das Wachstum des Faschismus liegt selbstverständlich bei der Sozialdemokratie. Seit dem imperialistischen Krieg läuft die Arbeit dieser Partei darauf hinaus, die Idee einer selbständigen Politik im Bewusstsein des Proletariats auszulöschen, ihm den Glauben an die Ewigkeit des Kapitalismus einzuflößen und es Mal um Mal vor der verfallenden Bourgeoisie auf die Knie zu zwingen. Das Kleinbürgertum kann dem Arbeiter folgen, wenn es in ihm den neuen Herrn erblickt. Die Sozialdemokratie lehrt den Arbeiter, Lakai zu sein. Einem Lakaien wird das Kleinbürgertum nicht folgen. Die Politik des Reformismus nimmt dem Proletariat die Möglichkeit, die plebejischen Massen des Kleinbürgertums zu führen, und verwandelt sie dadurch schon in Kanonenfutter für den Faschismus.
Politisch ist aber für uns die Frage nicht damit erledigt, dass die Sozialdemokratie die Verantwortung hat. Seit Kriegsbeginn haben wir diese Partei für eine Agentur der imperialistischen Bourgeoisie im Proletariat erklärt. Aus dieser Neuorientierung der revolutionären Marxisten erwuchs die Dritte Internationale, deren Aufgabe darin bestand, das Proletariat unter dem Banner der Revolution zu vereinigen und ihm dadurch die Möglichkeit des führenden Einflusses auf die unterdrückten Massen des Kleinbürgertums in Stadt und Land zu sichern.
Die Nachkriegsperiode war in Deutschland mehr als in anderen Ländern eine Zeit der wirtschaftlichen Ausweglosigkeit und des Bürgerkriegs. Internationale wie innere Bedingungen stießen das Land gebieterisch auf den Weg des Sozialismus. Jeder Schritt der Sozialdemokratie machte ihre Verkommenheit und Ohnmacht, das reaktionäre Wesen ihrer Politik, die Käuflichkeit ihrer Führer offenbar. Welche Bedingungen waren denn sonst noch nötig für die Entfaltung der Kommunistischen Partei? Doch der deutsche Kommunismus trat nach den ersten Jahren bedeutender Erfolge in eine Ära der Schwankungen, der Zickzacks, des Wechsels von Opportunismus und Abenteurertum ein. Die zentristische Bürokratie hat die proletarische Vorhut systematisch geschwächt und sie gehindert, die Klasse zu führen. Damit hat sie dem Proletariat als Ganzem die Möglichkeit geraubt, die unterdrückten Massen des Kleinbürgertums hinter sich herzuführen. In den Augen der proletarischen Avantgarde trägt die stalinistische Bürokratie die direkte und unmittelbare Verantwortung für das Wachstum des Faschismus.
Die Beziehungen zwischen den Klassen in Gestalt eines ein für allemal fixierten Schemas zu begreifen, ist verhältnismäßig einfach. Unendlich viel schwieriger ist es, von Fall zu Fall die konkreten Beziehungen der Klassen zu bestimmen.
Die deutsche Großbourgeoisie schwankt gegenwärtig — ein Zustand, den die Großbourgeoisie im allgemeinen selten erlebt. Der eine Teil ist endgültig zur Überzeugung von der Unvermeidlichkeit des faschistischen Weges gelangt und möchte die Operation beschleunigen. Der andere Teil hofft, die Lage mit Hilfe der bonapartistischen, militärisch-polizeilichen Diktatur meistern zu können. Eine Rückkehr zur Weimarer »Demokratie« wünscht in diesem Lager niemand.
Das Kleinbürgertum ist zerspalten. Der Nationalsozialismus, der die erdrückende Mehrheit der Zwischenklassen unter seiner Flagge vereinigt hat, will die ganze Macht in seine Hände nehmen. Der demokratische Flügel des Kleinbürgertums, der noch immer Millionen Arbeiter hinter sich führt, wünscht die Rückkehr zur Demokratie Ebertschen Stils. Einstweilen ist er bereit, die bonapartistische Diktatur zumindest passiv zu stützen. Die Sozialdemokratie rechnet folgendermaßen: Unter dem Druck der Nazis wird die Papen-Schleicher-Regierung gezwungen sein, durch Verstärkung ihres linken Flügels ein Gleichgewicht herzustellen; unterdessen wird vielleicht eine Milderung der Krise erfolgen, im Kleinbürgertum vielleicht »Ernüchterung« eintreten; das Kapital wird vielleicht seinen maßlosen Druck gegen die Arbeiterschaft mindern, — und so mit Gottes Hilfe alles wieder in Ordnung kommen.
Die bonapartistische Clique wünscht tatsächlich nicht den vollständigen Sieg des Faschismus. Sie wäre durchaus nicht abgeneigt, in gewissen Grenzen die Unterstützung der Sozialdemokratie auszunützen. Zu diesem Zwecke müsste sie aber die Arbeiterorganisationen »tolerieren«, was nur dann zu verwirklichen wäre, wenn man wenigstens bis zu einem gewissen Grade das legale Bestehen der KPD zuließe. Überdies würde die Unterstützung der Militärdiktatur durch die Sozialdemokratie die Arbeiter unweigerlich in die Reihen des Kommunismus stoßen. Eine Stütze gegen den braunen Teufel suchend, würde die Regierung bald unter die Schläge des roten Beelzebubs geraten.
Die offizielle kommunistische Presse erklärt, die Tolerierung Brünings durch die Sozialdemokratie habe Papen den Weg gebahnt, und die halbe Duldung Papens werde Hitlers Machtantritt beschleunigen. Das ist vollkommen richtig. In dieser Frage gibt es zwischen uns und den Stalinisten keine Meinungsverschiedenheiten. Aber gerade das bedeutet, dass sich in Zeiten der sozialen Krise die Politik des Reformismus nicht mehr gegen die Massen allein, sondern auch gegen ihn selbst richtet. In diesem Prozess ist jetzt der kritische Moment eingetreten.
Hitler toleriert Schleicher. Die Sozialdemokratie widersetzt sich Papen nicht. Ließe sich diese Lage wirklich für lange Zeit sichern, so würde sich die Sozialdemokratie in den linken Flügel des Bonapartismus verwandeln und dem Faschismus die Rolle des rechten Flügels überlassen. Theoretisch ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass diejenige, beispiellos dastehende Krise des deutschen Kapitalismus zu keiner entscheidenden Lösung führt, d. h. weder mit dem Siege des Proletariats endet noch mit dem Triumph der faschistischen Konterrevolution.
Wenn die Kommunistische Partei ihre Politik des stumpfsinnigen Ultimatismus fortsetzt und so die Sozialdemokratie vor dem sonst unvermeidlichen Zerfall rettet; wenn sich Hitler in der nächsten Zeit nicht zum Umsturz entschließt und damit die unausbleibliche Zersetzung der eigenen Reihen provoziert; wenn die Wirtschaftskonjunktur aufwärts geht, ehe Schleicher fällt, — dann könnte die bonapartistische Kombination des Paragraphen 48 der Weimarer Verfassung, der Reichswehr, der halboppositionellen Sozialdemokratie und des halboppositionellen Faschismus sich vielleicht halten (bis zu einem neuen sozialen Anstoß, der jedenfalls bald zu erwarten wäre).
Doch einstweilen sind wir weit entfernt von einer solch glücklichen Fügung der Bedingungen, wie sie Gegenstand der sozialdemokratischen Träumereien ist. Sie ist keineswegs gesichert. An die Widerstandsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des Papen-Schleicher-Regimes glauben auch die Stalinisten kaum. Alles spricht dafür, dass ein Dreieck Wels-Schleicher-Hitler auseinander fiele, ehe es sich recht konstituiert hätte.
Vielleicht aber würde es durch die Kombination Hitler-Wels ersetzt? Nach Stalin sind sie »Zwillinge, nicht Antipoden«. Nehmen wir an, die Sozialdemokratie würde, ohne sich vor den sozialdemokratischen Arbeitern zu scheuen, von Hitler die Duldung der Sozialdemokratie erkaufen wollen. Aber — der Faschismus braucht diese Ware nicht; er braucht nicht Duldung, sondern Abschaffung der Sozialdemokratie. Die Hitlerregierung kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie den Widerstand des Proletariats gebrochen und alle potentiellen Organe eines solchen Widerstandes ausgeschaltet hat. Darin besteht eben die geschichtliche Rolle des Faschismus.
Die Stalinisten beschränken sich auf eine rein psychologische, genauer gesagt moralische Einschätzung jener feigen und habsüchtigen Kleinbürger, die die Sozialdemokratie leiten: Kann man denn wirklich annehmen, diese geeichten Verräter würden sich von der Bourgeoisie trennen und ihr entgegentreten? Eine solche idealistische Methode hat wenig mit dem Marxismus gemein, der nicht davon ausgeht, was die Menschen über sich denken und was sie wünschen, sondern vor allem davon, unter welche Bedingungen sie gestellt sind und wie sich diese Bedingungen verändern werden.
Die Sozialdemokratie unterstützt das bürgerliche Regime nicht wegen der Gewinne der Kohlen-, Stahl- etc. Magnaten, sondern um jener Gewinne willen, die sie selbst als Partei in Gestalt ihres vielköpfigen und mächtigen Apparats bezieht. Gewiss, der Faschismus bedroht in keiner Weise das bürgerliche Regime, für dessen Verteidigung die Sozialdemokratie da ist. Aber der Faschismus gefährdet die Rolle, die die Sozialdemokratie im bürgerlichen Regime spielt, und die Einkünfte, die die Sozialdemokratie für diese ihre Rolle bezieht. Wenn die Stalinisten diese Seite der Sache vergessen, so verliert die Sozialdemokratie selbst diese tödliche Gefahr für keinen Moment aus dem Auge, die ihr — nicht der Bourgeoisie, sondern gerade ihr, der Sozialdemokratie — durch den Sieg des Faschismus droht.
Als wir vor ungefähr drei Jahren darauf verwiesen, dass der Ausgangspunkt der kommenden politischen Krise in Österreich und in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach die Unvereinbarkeit von Sozialdemokratie und Faschismus sein werde, als wir, darauf gestützt, die Theorie des »Sozialfaschismus« verwarfen, die den nahenden Konflikt nicht aufdeckte, sondern vertuschte; als wir auf die Möglichkeit aufmerksam machten, dass ein bedeutender Teil des sozialdemokratischen Apparats durch den Gang der Ereignisse in einen Kampf mit dem Faschismus hineingezogen werde, was für die Kommunistische Partei einen günstigen Ausgangspunkt für den weiteren Angriff abgeben werde, beschuldigten uns sehr viele Kommunisten — nicht nur bezahlte Bürokraten, sondern auch ganz ehrliche Revolutionäre — der... »Idealisierung« der Sozialdemokratie. Man konnte nur mit den Achseln zucken. Schwer ist es, mit Leuten zu streiten, deren Gedanke dort Halt macht, wo für den Marxisten das Problem erst beginnt.
In Gesprächen brachte ich manchmal folgendes Beispiel: Die jüdische Bourgeoisie des zaristischen Russlands war ein äußerst eingeschüchterter und demoralisierter Teil der gesamten russischen Bourgeoisie. Und dennoch war sie gezwungen, soweit die Schwarzhundert-Pogrome, die sich hauptsächlich gegen die jüdische Armut richteten, auch die Bourgeoisie trafen, zur Selbstverteidigung zu greifen. Gewiss, sie bewies auch auf diesem Gebiet keine bemerkenswerte Tapferkeit. Doch angesichts der über ihren Köpfen hängenden Gefahr sammelten die liberalen jüdischen Bourgeois zum Beispiel beträchtliche Summen für die Bewaffnung revolutionärer Arbeiter und Studenten. Auf diese Weise kam eine zeitweilige praktische Verständigung zustande zwischen den revolutionärsten Arbeitern, die bereit waren, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen, und der erschrockensten Bourgeoisgruppe, die ins Gedränge geraten war.
Im vorigen Jahre schrieb ich, die Kommunisten seien im Kampf mit dem Faschismus verpflichtet, ein praktisches Abkommen nicht nur mit dem Teufel und seiner Großmutter, sondern sogar mit Grzesinski abzuschließen. Dieser Satz ging durch die ganze stalinistische Weltpresse — gab es einen besseren Beweis für den »Sozialfaschismus« der Linken Opposition? Manche Genossen hatten mich im voraus gewarnt: »Sie werden sich an diesen Satz klammern«. Ich antwortete ihnen: »Er ist auch dazu geschrieben, dass sie sich an ihn klammern. Mögen sie sich nur ans heiße Eisen klammern und sich die Finger verbrennen. Das wird den Dummköpfen eine Lehre sein«.
Der Verlauf des Kampfes hat dazu geführt, dass von Papen Grzesinski mit dem Gefängnis bekannt machte. Ergab sich diese Episode aus der Theorie des Sozialfaschismus und aus den Voraussagen der stalinistischen Bürokratie? Nein, sie widersprach ihnen vollständig. Unsere Einschätzung der Lage hatte indes eine solche Möglichkeit ins Auge gefasst und ihr einen bestimmten Platz zugewiesen.
Aber die Sozialdemokratie ist ja auch diesmal wieder dem Kampf ausgewichen, wird ein Stalinist einwenden. Ja, sie ist ausgewichen. Wer erwartet hatte, die Sozialdemokratie werde auf Betreiben ihrer Führer selbständig den Kampf aufnehmen, noch dazu unter Bedingungen, wo sich die Kommunistische Partei selbst als kampfunfähig erwies, der musste natürlich eine Enttäuschung erleben. Wir haben solche Wunder nicht erhofft. Deshalb können wir auch keiner »Enttäuschung« über die Sozialdemokratie ausgesetzt sein.
Grzesinski hat sich nicht in einen revolutionären Tiger verwandelt, das glauben wir gerne. Aber immerhin ist doch ein Unterschied zwischen der Situation, wo Grzesinski, in seiner Festung sitzend, Polizeiabteilungen zur Beschirmung der »Demokratie« gegen revolutionäre Arbeiter aussandte, und jener Situation, wo der bonapartistische Retter des Kapitalismus Herrn Grzesinski selbst ins Gefängnis setzte. Und müssen wir nicht diesem Unterschied politisch Rechnung tragen und ihn ausnützen?
Kehren wir zu dem oben angeführten Beispiel zurück: Es ist nicht schwer, den Unterschied zu erfassen zwischen einem jüdischen Fabrikanten, der den zaristischen Schutzleuten für die Niederschlagung der Streikenden in seiner Fabrik ein Trinkgeld gibt, und dem gleichen Fabrikanten, der den gestrigen Streikenden Geld gibt für die Beschaffung von Waffen gegen Pogromisten. Der Bourgeois bleibt derselbe. Aber aus der Verschiedenheit der Lage ergibt sich eine Verschiedenheit des Verhaltens. Die Bolschewiki führten den Streik gegen den Fabrikanten. Später nahmen sie vom gleichen Fabrikanten Geld für den Kampf gegen Pogrome. Das hinderte natürlich die Arbeiter nicht, als die Stunde dazu gekommen war, ihre Waffen gegen die Bourgeoisie zu richten.
Bedeutet all das Gesagte, dass die Sozialdemokratie als Ganzes gegen den Faschismus kämpfen wird? Darauf antworten wir:
ein Teil der sozialdemokratischen Funktionäre wird zweifellos zu den Faschisten überlaufen, ein beträchtlicher Teil wird sich in der Stunde der Gefahr unters Bett verkriechen. Auch die Arbeitermassen werden sich nicht in ihrer Gesamtheit schlagen. Im voraus zu erraten, welcher Teil der sozialdemokratischen Arbeiter in den Kampf hineingezogen werden wird und wann, welchen Teil des Apparats er mit sich reißen wird, ist vollkommen unmöglich. Das hängt von vielen Faktoren ab, auch von der Haltung der Kommunistischen Partei. Die Einheitsfrontpolitik hat zur Aufgabe, die, die kämpfen wollen, von denen, die es nicht wollen, abzusondern, die Schwankenden vorwärtszustoßen, schließlich: die kapitulantenhaften Führer vor den Augen der Arbeiter zu kompromittieren und so die Kampffähigkeit der Arbeiter zu stärken.
Wie viel Zeit hat man versäumt — zwecklos, sinnlos, schändlich! Wie viel wäre allein in den letzten zwei Jahren zu erreichen gewesen! War es doch von vornherein völlig klar, dass das Monopolkapital und seine faschistische Armee die Sozialdemokratie mit Fäusten und Knüppeln auf den Weg der Opposition und der Selbstverteidigung treiben würden. Man hätte diese Perspektive vor der gesamten Arbeiterklasse entwickeln müssen, selbst die Initiative zur Einheitsfront ergreifen und diese Initiative in jeder neuen Etappe fest durchhalten müssen. Man brauchte weder zu schreien noch‘ zu kreischen, hätte ruhig ein offenes Spiel führen können. Es hätte genügt, klipp und klar die Unvermeidlichkeit des jeweils nächsten Schrittes des Feindes auszusprechen und ein praktisches Programm der Einheitsfront, ohne Übertreibungen und Gefeilsche, aber auch ohne Schwäche und Nachgiebigkeit aufzustellen. Wie stünde jetzt die Kommunistische Partei da, hätte sie sich das Abc der leninistischen Politik angeeignet und es mit der nötigen Beharrlichkeit angewandt!
Mitte Juli erschien eine Broschüre mit Antworten Thälmanns auf 21 Fragen sozialdemokratischer Arbeiter darüber, wie man die »Rote Einheitsfront« schafft. Die Broschüre beginnt mit den Worten: »Machtvoll stürmt die Antifaschistische Einheitsfront vorwärts!« Am 20. Juli rief die Kommunistische Partei die Arbeiter zum politischen Streik auf. Der Appell fand keinerlei Widerhall. So offenbarte sich innerhalb von fünf Tagen der tragische Abgrund zwischen bürokratischer Schönrednerei und politischer Wirklichkeit.
Die Partei hat bei den Wahlen vom 31. Juli 5,3 Millionen Stimmen bekommen. Indem sie dies Ergebnis als einen gewaltigen Sieg feierte, bewies die Partei, wie sehr die Niederlage ihre Ansprüche und Hoffnungen herabgesetzt hat. Im ersten Wahlgang zu den Präsidentenwahlen, am 13. März, erhielt die Partei fast ~ Millionen Stimmen. Im Laufe von viereinhalb Monaten— und was für Monaten! — hat sie somit keine dreihunderttausend Stimmen gewonnen. Die kommunistische Presse wieder holte im März Hunderte Male, die Stimmenzahl wäre unvergleichlich größer gewesen, würde es sich um Reichstagswahlen gehandelt haben — bei den Präsidentenwahlen hielten es Hunderttausende von Sympathisierenden für überflüssig, wegen einer »platonischen« Demonstration Zeit zu verlieren. Zieht man diesen Märzkommentar in Betracht — und er verdient es —‚ so ergibt sich, dass die Partei in den letzten viereinhalb Monaten fast überhaupt nicht gewachsen ist.
Im April hat die Sozialdemokratie Hindenburg gewählt, der daraufhin einen unmittelbar gegen sie gerichteten Staatsstreich vollzog. Man sollte meinen, diese Tatsache allein hätte genügen müssen, das Gebäude des Reformismus bis in die Grundfesten zu erschüttern. Hinzu kommt die weitere Verschärfung der Krise mit all ihren furchtbaren Folgen. Endlich hat am 20. Juli, elf Tage vor den Wahlen, die Sozialdemokratie vor dem Staatsstreich des von ihr gewählten Reichspräsidenten kläglich den Schwanz eingezogen. In solchen Perioden wachsen revolutionäre Parteien fieberhaft. Was immer die Sozialdemokratie unternehmen mag, sie muss die Arbeiter von sich weg nach links stoßen. Statt aber mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts zu schreiten, tritt der Kommunismus auf der Stelle, schwankt, ist auf dem Rückzug und macht nach jedem Schritt vorwärts einen halben Schritt zurück. Ein Siegesgeschrei zu erheben, nur weil die Kommunistische Partei am 31. Juli keine Stimmen eingebüßt hat, heißt endgültig den Sinn für Wirklichkeit verlieren.
Um zu begreifen, warum und wieso sich die revolutionäre Partei bei ausnehmend günstigen politischen Bedingungen selbst zu erniedrigender Ohnmacht verurteilt, muss man Thälmanns Antworten an die sozialdemokratischen Arbeiter lesen. Eine langweilige und unangenehme Aufgabe, die aber darüber aufklären kann, was in den Köpfen der stalinistischen Führer vorgeht.
Auf die Frage: »Wie schätzen die Kommunisten den Charakter der Papenregierung ein?«, gibt Thälmann mehrere, einander widersprechende Antworten. Er beginnt mit dem Hinweis auf »die Gefahr der unmittelbaren Aufrichtung der faschistischen Diktatur«. Besteht sie also noch nicht? Er spricht vollkommen zutreffend von den Regierungsmitgliedern als »Vertretern des Trustkapitals, der Generalität und des Junkertums«. Einen Augenblick später sagt er über die gleiche Regierung: »dieses faschistische Kabinett« und schließt seine Antwort mit der Behauptung, dass »die Papenregierung... sich die unmittelbare Aufrichtung der faschistischen Diktatur zum Ziele gesetzt hat«.
Indem er die sozialen und politischen Unterschiede zwischen Bonapartismus, d. h. dem auf militärisch-polizeilicher Diktatur fußenden Regime des »Burgfriedens«, und Faschismus, d. h. dem Regime des offenen Bürgerkriegs gegen das Proletariat, außer acht lässt, nimmt sich Thälmann im voraus die Möglichkeit, zu verstehen, was vor seinen Augen geschieht. Ist Papens Kabinett ein faschistisches Kabinett, von welcher faschistischen »Gefahr« ist dann die Rede? Falls die Arbeiter Thälmann glauben, dass sich Papen die Aufrichtung der faschistischen Diktatur zum Ziele(!) setzt, wird der wahrscheinliche Konflikt zwischen Hitler und Papen-Schleicher die Partei ebenso überrumpeln wie seinerzeit der Konflikt zwischen Papen und Otto Braun.*
Auf die Frage »Meint die KPD die Einheitsfront ehrlich?«, antwortet Thälmann natürlich bejahend, und zum Beweis beruft er sich darauf, dass die Kommunisten keine Bittgänge zu Hindenburg und Papen unternehmen. »Nein, wir stellen die Frage des Kampfes, und zwar gegen das ganze System, gegen den Kapitalismus. Und hier liegt der Kernpunkt der Ehrlichkeit unserer Einheitsfront«.
Thälmann begreift offenbar nicht, wovon die Rede ist. Die sozialdemokratischen Arbeiter bleiben gerade deshalb Sozialdemokraten, weil sie noch immer an den allmählichen, reformistischen Weg der Umwandlung des Kapitalismus in Sozialismus glauben. Da sie wissen, dass die Kommunisten für den revolutionären Sturz des Kapitalismus sind, fragen die sozialdemokratischen Arbeiter: Schlagt Ihr uns die Einheitsfront ehrlich vor? Darauf erwidert Thälmann: Natürlich ehrlich, denn für uns geht es darum, das ganze kapitalistische System zu stürzen.
Selbstverständlich denken wir nicht daran, vor den sozialdemokratischen Arbeitern etwas zu verbergen. Doch man muss jedenfalls wissen, wie weit man gehen kann und die politischen Proportionen wahren. Jeder gewandte Propagandist hätte folgendermaßen geantwortet: »Ihr setzt auf die Demokratie — wir glauben, dass der Ausweg allein in der Revolution liegt. Doch können und wollen wir die Revolution nicht ohne Euch machen. Hitler ist jetzt der gemeinsame Feind. Nach dem Siege über ihn werden wir mit Euch zusammen Bilanz ziehen und sehen, wohin der weitere Weg tatsächlich führt.«
Die Zuhörer verhalten sich dem Redner gegenüber — so eigenartig das auf den ersten Blick auch erscheinen mag — nicht nur nachsichtig, sondern stimmen ihm auch manchmal zu. Das Geheimnis ihrer Nachsichtigkeit beruht jedoch darauf, dass Thälmanns Gesprächspartner nicht nur der Antifaschistischen Aktion angehören, sondern auch zur Stimmabgabe für die KPD auffordern. Es handelt sich um ehemalige Sozialdemokraten, die auf die Seite des Kommunismus übergegangen sind. Solche Rekruten kann man nur willkommen heißen. Doch das Betrügerische des ganzen Unternehmens besteht darin, dass eine Aussprache mit Arbeitern, die mit der Sozialdemokratie gebrochen haben, als Aussprache mit der sozialdemokratischen Masse deklariert wird. Diese billige Maskerade ist äußerst charakteristisch für die gesamte gegenwärtige Politik der Thälmann & Co!
Wie dem auch sei — die ehemaligen Sozialdemokraten stellen Fragen, die tatsächlich die sozialdemokratische Masse bewegen. »Ob die Antifaschistische Aktion eine Filiale der Kommunistischen Partei ist«, fragen sie. Thälmann antwortet: »Nein!« Der Beweis? Die Antifaschistische Aktion »ist keine Organisation, sondern eine Massenbewegung«. Als wäre es nicht gerade die Aufgabe der Kommunistischen Partei, die Massenbewegung zu organisieren. Noch besser ist der zweite Beweisgrund: die Anti-faschistische Aktion sei überparteilich, denn(!) sie richte sich gegen den kapitalistischen Staat: »Bereits Karl Marx hat bei der Behandlung der Lehren der Pariser Kommune mit aller Schärfe als Aufgabe der Arbeiterklasse die Frage ‘der Zertrümmerung des bürgerlichen Staatsapparates in den Vordergrund gestellt«. O unglückselige Zitate! Doch die Sozialdemokraten wollen ja — trotz Marx — den bürgerlichen Staat vervollkommnen, nicht ihn zertrümmern. Sie sind nicht Kommunisten, sondern Reformisten. Entgegen seiner Absicht beweist Thälmann gerade das, was er widerlegen möchte — den Parteicharakter der »Antifaschistischen Aktion«.
Der offizielle Führer der Kommunistischen Partei begreift offensichtlich weder die Lage noch die politische Denkweise des sozialdemokratischen Arbeiters. Er begreift nicht, wozu die Einheitsfront da ist. Mit jedem seiner Sätze liefert er den reformistischen Führern Waffen und treibt ihnen die sozialdemokratischen Arbeiter zu.
Die Unmöglichkeit irgendeines gemeinsamen Schrittes mit der Sozialdemokratie weist Thälmann folgendermaßen nach:
»Dabei müssen wir (?) klar erkennen, dass die Sozialdemokratie, selbst wenn sie heute eine Scheinopposition mimt, in keinem Moment ihre eigentlichen Koalitionsgedanken und ihr Paktieren mit der faschistischen Bourgeoisie aufgeben wird«. Selbst wenn dies richtig wäre, bliebe nichtsdestoweniger die Aufgabe, es den sozialdemokratischen Arbeitern durch Erfahrung zu beweisen. Doch es stimmt nicht. Selbst wenn die sozialdemokratischen Führer nicht auf Pakte mit der Bourgeoisie verzichten wollen, verzichtet doch die faschistische Bourgeoisie auf das Paktieren mit der Sozialdemokratie. Diese Tatsache aber kann für das Schicksal der Sozialdemokratie entscheidend werden. Beim Übergang der Macht von Papen auf Hitler wird die Bourgeoisie die Sozialdemokratie in keiner Weise schonen können. Der Bürgerkrieg hat seine Gesetze. Die Herrschaft des faschistischen Terrors kann nur die Abschaffung der Sozialdemokratie bedeuten. Mussolini hat genau so angefangen, um die revolutionären Arbeiter ungehindert niederschlagen zu können. Jedenfalls ist dem »Sozialfaschisten« seine Haut teuer. Die kommunistische Einheitsfrontpolitik muss gegenwärtig ausgehen von der Sorge der Sozialdemokratie um die eigene Haut. Das ist die realistischste und in ihren Folgen zugleich revolutionärste Politik.
Wenn aber die Sozialdemokratie sich »in keinem Moment« von der faschistischen Bourgeoisie trennt (obwohl Matteotti sich von Mussolini »getrennt« hat), — müssen die sozialdemokratischen Arbeiter, die an der Antifaschistischen Aktion teilnehmen wollen, nicht aus ihrer Partei austreten? So lautet eine Frage. Darauf erwidert Thälmann: »Es ist für uns Kommunisten selbstverständlich, dass sozialdemokratische oder Reichsbannerarbeiter an der Antifaschistischen Aktion teilnehmen können, ohne dass sie aus ihrer Partei auszutreten brauchen«. Um zu zeigen, dass er frei ist von allem Sektierertum, fügt Thälmann hinzu: »Wenn ihr bloß in Millionen, in geschlossener Front hineinströmen würdet, wir würden es mit Freude begrüßen, selbst wenn über gewisse Fragen der Einschätzung der SPD nach unserer Meinung in Euren Köpfen noch Unklarheit besteht«. Goldene Worte! Wir halten Eure Partei für eine faschistische, Ihr haltet sie für demokratisch, aber streiten wir nicht über Kleinigkeiten! Es genügt, wenn Ihr »in Millionen« zu uns kommt, ohne Eure faschistische Partei zu verlassen. »Unklarheit über gewisse Fragen« kann kein Hindernis bilden. Aber ach, die Unklarheit in den Köpfen der allmächtigen Bürokraten wird bei jedem Schritt zum Hindernis.
Zur Vertiefung der Frage setzt Thälmann hinzu: »Wir stellen die Frage nicht von Partei zu Partei, sondern klassenmäßig.« Wie Seydewitz ist Thälmann bereit, auf das Parteiinteresse im Interesse der Klasse zu verzichten. Das Unglück besteht darin, dass es für einen Marxisten eine solche Gegenüberstellung gar nicht geben kann. Wäre ihr Programm nicht die wissenschaftliche Formulierung der Interessen der Arbeiterklasse, so wäre die Partei keinen Pfennig wert.
Aber abgesehen von dem groben prinzipiellen Fehler enthalten Thälmanns Worte auch eine praktische Absurdität. Wie kann man die Frage nicht »von Partei zu Partei« stellen, wenn das Wesen der Frage gerade darin besteht? Millionen Arbeiter folgen der Sozialdemokratie. Andere Millionen der Kommunistischen Partei. Auf die Frage der sozialdemokratischen Arbeiter: »Wie kommen wir heute zu gemeinsamen Aktionen zwischen Eurer und unserer Partei gegen den Faschismus?«, antwortet Thälmann »klassenmäßig und nicht parteimäßig«:
»Strömt in Millionen zu uns!« Ist das nicht klägliches Geschwätz?
»Wir Kommunisten«, fährt Thälmann fort, »wollen keine Einheit um jeden Preis. Wir können nicht im Interesse der Einheit mit der Sozialdemokratie den Klasseninhalt unserer Politik verleugnen.., und auf Streiks, Erwerbslosenkämpfe, auf Mieteraktionen und auf den revolutionären Massenschutz verzichten.« Anstelle der Verständigung über bestimmte praktische Aktionen setzt er hier die unsinnige Einheit mit der Sozialdemokratie. Aus der Notwendigkeit des morgigen revolutionären Sturmes wird die Unzulässigkeit gemeinsamer Streik- oder Selbstschutzaktionen heute abgeleitet. Wer Thälmanns Gedanken zusammenreimen kann, verdient einen Preis.
Die Zuhörer drängen: »Ist im Kampfe gegen die Papenregierung und gegen den Faschismus ein Bündnis der KPD und SPD möglich?« Thälmann erwähnt zwei, drei Tatsachen als Beweis, dass die Sozialdemokratie gegen den Faschismus nicht kämpft, und folgert: »Jeder (!!) SPD-Genosse wird uns recht geben (?)‚ wenn wir sagen, dass ein Bündnis zwischen KPD und SPD aufgrund dieser Tatsachen und auch (!> aus prinzipiellen Gründen (!) unmöglich ist.« Der Bürokrat setzt wieder als erwiesen voraus, was gerade bewiesen werden soll. Der Ultimatismus bekommt einen besonders lächerlichen Anstrich, wenn Thälmann auf die Frage nach der Einheitsfront mit Organisationen, die Millionen Arbeiter umfassen, antwortet: Die Sozialdemokraten müssen eben anerkennen, dass eine Verständigung mit ihrer Partei unmöglich ist, weil sie faschistisch ist. Kann man Wels und Leipart einen besseren Dienst erweisen?
»Wir Kommunisten, die wir mit den SPD-Führern jede Gemeinschaft ablehnen.., erklären immer wieder, dass wir mit den kampfgewillten sozialdemokratischen und Reichsbannergenossen und mit den unteren (?) kampfgewillten Organisationen jederzeit bereit sind zum antifaschistischen Kampf.« Wo enden die unteren Organisationen? Und was tun, wenn die unteren sich der Disziplin der oberen fügen und vorschlagen, mit diesen zuerst zu verhandeln? Schließlich gibt es zwischen den unteren und den oberen auch Zwischenstockwerke. Kann man denn im voraus sagen, wo die Scheidelinie zwischen denen, die kämpfen wollen, und denen, die dem Kampfe ausweichen, verlaufen wird? Das lässt sich nur in der Praxis, nicht a priori entscheiden. Welchen Sinn hat es, sich selbst an Händen und Füßen zu binden?
In der »Roten Fahne« vom 29. Juli werden in einem Bericht über Reichsbanner-Versammlungen die bemerkenswerten Worte eines sozialdemokratischen Abteilungsleiters erwähnt: »Der Wille zu einer antifaschistischen Einheitsfront ist in den Massen vorhanden. Wenn ihm von den Führern nicht Rechnung getragen wird, so werde ich über sie hinweg zur Einheitsfront gehen.« Das kommunistische Blatt bringt diese Worte ohne Kommentar. Aber sie geben den Schlüssel zur ganzen Einheitsfronttaktik. Der Sozialdemokrat will gemeinsam mit den Kommunisten gegen die Faschisten kämpfen. Er zweifelt bereits am guten Willen seiner Führer. Wenn die Führer sich weigern, sagt er, werde ich über sie hinweggehen. So gestimmte Sozialdemokraten gibt es zu Dutzenden, Hunderten, Tausenden, Millionen. Aufgabe der Kommunistischen Partei ist es, ihnen wirklich zu zeigen, ob die sozialdemokratischen Führer kämpfen wollen oder nicht. Beweisen lässt sich das allein durch Erfahrung, durch eine frische Erfahrung in einer neuen Lage. Diese Erfahrung bildet sich nicht auf einen Schlag. Man muss die sozialdemokratischen Führer einer Probe unterwerfen: in Betrieb und Werkstatt, in Stadt und Land, im ganzen Lande, heute und morgen. Man muss seinen Vorschlag wiederholen, ihn in neuer Form stellen, unter neuen Gesichtspunkten, der neuen Lage angepasst.
Aber Thälmann will nicht. Aufgrund der »aufgezeigten prinzipiellen Unterschiede zwischen der KPD und der SPD lehnen wir Spitzenverhandlungen mit der SPD ab«. Dieses bemerkenswerte Argument wird von Thälmann mehrfach wiederholt. Gäbe es aber nicht »prinzipielle Gegensätze«, dann gäbe es keine zwei Parteien. Und gäbe es nicht zwei Parteien, stellte sich nicht die Frage der Einheitsfront. Thälmann will zuviel beweisen. Weniger wäre besser.
Bedeutet die Gründung der RGO »nicht eine Spaltung der organisierten Arbeiterschaft?«, fragen die Arbeiter. Nein, erwidert Thälmann, und zum Beweis führt er Engels‘ Brief aus dem Jahre 1895 gegen die ästhetisch-sentimentalen Philanthropen an. Wer steckt Thälmann so listig Zitate zu? Die RGO sei im Geiste der Einheit und nicht der Spaltung geschaffen worden. Auch müsse ja der Arbeiter keineswegs seine Gewerkschaftsorganisation verlassen, um der RGO beizutreten. Im Gegenteil, es sei besser, wenn die RGO-Mitglieder in den Gewerkschaften blieben, um dort oppositionelle Arbeit zu leisten. Thälmanns Worte mögen überzeugend klingen für Kommunisten, die sich den Kampf gegen die sozialdemokratische Führung zur Aufgabe gemacht haben. Doch als Antwort an sozialdemokratische Arbeiter, die um die Gewerkschaftseinheit besorgt sind, klingen Thälmanns Worte wie Hohn. Warum habt Ihr unsere Gewerkschaften verlassen und Euch gesondert organisiert, fragen die sozialdemokratischen Arbeiter. Wenn Ihr in unsere Sonderorganisationen eintreten wollt, um gegen die sozialdemokratische Führung zu kämpfen, so verlangen wir nicht von Euch, die Gewerkschaften zu verlassen, antwortet ihnen Thälmann. Eine Antwort, die den Nagel auf den Kopf trifft.
»Gibt es innerhalb der KPD Demokratie?«, fragen die Arbeiter, auf ein anderes Thema übergehend. Thälmann antwortet bejahend. Und ob! Aber sogleich fügt er ganz unerwartet hinzu:
»In der Legalität sowohl wie in der Illegalität, in der letzteren ganz besonders, muss die Partei vor Spitzeln, Provokateuren und Polizeiagenten auf der Hut sein.« Diese Einschaltung ist kein Zufall. Die neueste, in der Broschüre eines geheimnisvollen Büchner der Welt verkündete Doktrin rechtfertigt die Abwürgung der Demokratie im Interesse des Kampfes gegen Spione. Wer gegen die Selbstherrlichkeit der Stalinschen Bürokratie protestiert, muss zumindest für verdächtig erklärt werden. Die Polizeiagenten und Provokateure aller Länder schwelgen in Begeisterung über diese Theorie. Sie werden lauter als alle gegen die Oppositionellen hetzen — das kann die Aufmerksamkeit von ihnen selbst ablenken und es ihnen ermöglichen, im Trüben zu fischen.
Das Gedeihen der Demokratie ist nach Thälmann auch dadurch erwiesen, dass »auf Weltkongressen und EKKI-Konferenzen die Probleme behandelt werden«. Der Redner versäumt mitzuteilen, wann der letzte Weltkongress stattgefunden hat. Wir wollen daran erinnern: im Juli 5928, vor mehr als vier Jahren! Offenbar sind seither keine beachtenswerten Fragen auf getaucht. Warum beruft, nebenbei gesagt, Thälmann nicht einen außerordentlichen deutschen Parteitag ein, um die Probleme zu lösen, von denen das Schicksal des deutschen Proletariats abhängt? Kaum aus Übermaß an Parteidemokratie, nicht wahr?
So folgt Seite auf Seite. Thälmann antwortet auf 21 Fragen. Jede Antwort — ein Fehler. In Summa — 21 Fehler, die kleinen und zweitrangigen nicht mitgerechnet. Und ihrer sind viele.
Thälmann erzählt, die Bolschewiki hätten mit den Menschewiki im Jahre 1903 gebrochen. In Wirklichkeit fand die Spaltung erst im Jahre 1912 statt. Aber auch das verhinderte nicht, dass die Februarrevolution von 1917 in einem großen Teil des Landes vereinigte bolschewistische und menschewistische Organisationen fand. Noch Anfang April trat Stalin für die Vereinigung der Bolschewiki mit der Partei Zeretellis ein — nicht für Einheitsfront, sondern für Parteiverschmelzung! Das wurde nur durch die Ankunft Lenins verhindert.
Thälmann sagt, die Bolschewiki hätten die Konstituierende Versammlung im Jahre 1917 auseinandergejagt. In Wirklichkeit geschah dies Anfang 1918. Mit der Geschichte der Russischen Revolution und der Bolschewistischen Partei ist Thälmann keineswegs vertraut.
Viel schlimmer ist aber, dass er die Grundlagen der bolschewistischen Taktik nicht begreift. In seinem »theoretischen« Artikel wagt er sogar, die Tatsache zu bestreiten, dass die Bolschewiki ein Abkommen mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären gegen Kornilow geschlossen haben. Als Beweis führt er ihm von irgendwem zugeschobene Zitate an, die mit der Sache nichts zu tun haben. Er vergisst aber auf die Fragen zu antworten: Gab es während des Kornilowputsches im ganzen Lande Komitees der Volksverteidigung? Haben sie den Kampf gegen Kornilow geleitet? Gehörten diesen Komitees Vertreter der Bolschewiki, Menschewiki und Sozialrevolutionäre an? Ja, ja, ja. Waren damals die Menschewiki und Sozialrevolutionäre an der Macht? Verfolgten sie die Bolschewiki als Agenten des deutschen Generalstabs? Saßen Tausende von Bolschewiki in den Gefängnissen? Verbarg sich Lenin in der Illegalität? Ja, ja, ja. Welche Zitate können diese geschichtlichen Tatsachen widerlegen?
Thälmann mag sich nach Belieben auf Manuilski, Losowski und Stalin berufen (falls der überhaupt den Mund auftut). Aber den Leninismus und die Geschichte der Oktoberrevolution soll er in Frieden lassen — das ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.
Abschließend muss man noch eine andere sehr wichtige Frage hervorheben, die Versailles betrifft. Die sozialdemokratischen Arbeiter fragen, ob die Kommunistische Partei nicht dem Nationalsozialismus politische Zugeständnisse mache? Thälmann verteidigt in seiner Antwort weiterhin die Losung der »nationalen Befreiung« und stellt sie auf eine Ebene mit der Losung der sozialen Befreiung. Die Reparationen — das, was jetzt von ihnen übrig ist — sind für Thälmann genau so wichtig wie das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Diese Politik ist wie eigens dazu ersonnen, die Aufmerksamkeit der Arbeiter von Grundproblemen abzulenken, den Kampf gegen den Kapitalismus zu schwächen und sie zu zwingen, den Hauptfeind und den Urheber des Elends jenseits der Grenzen zu suchen. Indessen steht jetzt mehr denn je »der Hauptfeind im eigenen Land«! Von Schleicher hat diesen Gedanken noch krasser ausgedrückt: vor allem, erklärte er am 26. Juli im Radio, muss man »mit dem inneren Schweinehund fertig werden«! Diese Soldatenformel ist sehr gut. Wir greifen gern darauf zurück. Alle Kommunisten müssten sie sich zu eigen machen. Während die Nazis die Aufmerksamkeit auf Versailles ablenken, müssen die revolutionären Arbeiter ihnen mit Schleichers Worten entgegnen: nein, vor allem muss man mit dem inneren Schweinehund fertig werden!
In kritischen Augenblicken, wenn Entscheidungen von größter Tragweite getroffen werden müssen, hat sich die Taktik zu bewähren. Die Stärke des Bolschewismus beruhte darauf, dass seine Losungen und Methoden sich als völlig richtig erwiesen, wenn die Ereignisse kühne Entscheidungen forderten. Was sind Grundsätze wert, von denen man sich lossagen muss, sobald es ernst wird?
Die realistische Politik stützt sich auf die natürliche Entwicklung des Klassenkampfes. Die Sektiererpolitik versucht, ihm künstliche Regeln vorzuschreiben. Die revolutionäre Situation bedeutet höchste Zuspitzung des Klassenkampfes. Gerade deshalb übt die realistische Politik des Marxismus in der revolutionären Situation eine mächtige Anziehungskraft auf die Massen aus. Umgekehrt wird die Sektiererpolitik um so schwächer, je machtvoller die Dynamik der Ereignisse ist. Die von der Bewegung der Pariser Kommune überraschten Blanquisten und Proudhonisten taten das Gegenteil dessen, was sie immer gepredigt hatten. Die Anarchisten sahen sich während der russischen Revolution immer gezwungen, die Sowjets als Machtorgane anzuerkennen. Und so weiter, und so weiter.
Die Komintern stützt sich auf Massen, die in der Vergangenheit für den Marxismus gewonnen und durch die Autorität der Oktoberrevolution zusammengeschweißt wurden. Aber die Politik der gegenwärtig führenden Stalin-Fraktion versucht, den Klassenkampf zu kommandieren, statt ihm politischen Ausdruck zu verleihen. Das ist das Wesen des Bürokratismus, und darin trifft er sich mit dem Sektierertum, von dem er sich durch andere Züge klar unterscheidet. Dank dem starken Apparat, den materiellen Mitteln des Sowjetstaates und der Autorität der Oktoberrevolution vermag es die stalinistische Bürokratie, der proletarischen Avantgarde in verhältnismäßig ruhigen Zeiten künstliche Verhaltensmaximen aufzuzwingen. Aber in dem Maße, wie sich der Klassenkampf zum Bürgerkrieg verdichtet, geraten die bürokratischen Vorschriften immer häufiger mit der unerbittlichen Wirklichkeit in Konflikt. Vor scharfen Wendungen der Entwicklung gerät die hochmütige und aufgeblasene Bürokratie leicht aus dem Konzept. Kann sie nicht kommandieren, so kapituliert sie. Die Politik des Thälmannschen Zentralkomitees in den letzten Monaten wird einst als ein Beispiel erbärmlichster und schmählichster Konfusion studiert werden.
Seit der »dritten Periode« galt es als unumstößlich, dass von Abkommen mit der Sozialdemokratie nicht die Rede sein könne. Es sei nicht nur unzulässig, selbst die Initiative zur Einheitsfront zu ergreifen, wie der III. und IV. Weltkongress gelehrt hatte, sondern man müsse auch jeden von der Sozialdemokratie ausgehenden Vorschlag für gemeinsame Aktionen zurückweisen. Die reformistischen Führer seien »genügend entlarvt«. Die vergangene Erfahrung sei ausreichend. Statt Politik zu machen, müsse man die Massen Geschichte lehren. Sich mit Vorschlägen an die Reformisten zu wenden, hieße zugeben, sie seien fähig zu kämpfen. Das allein schon wäre Sozialfaschismus usw. So tönte in den letzten drei bis vier Jahren die ohrenbetäubende Melodie des ultralinken Leierkastens. Und siehe da: Im preußischen Landtag schlug die kommunistische Fraktion am 22. Juni, unerwartet für alle und für sich selbst, ein Abkommen mit der Sozialdemokratie und sogar mit dem Zentrum vor. Das Gleiche wiederholte sich in Hessen. Angesichts der Gefahr, das Landtagspräsidium könnte in die Hände der Nazis geraten, gingen alle geheiligten Grundsätze zum Teufel. Ist das nicht erstaunlich? Und ist das nicht erniedrigend?
Diesen Salto mortale zu erklären ist aber nicht schwer. Bekanntlich witzeln viele oberflächliche Liberale und Radikale ihr Leben lang über Religion und himmlische Mächte, um angesichts des Todes oder schwerer Krankheit den Geistlichen herbeizurufen. So auch in der Politik. Das Mark des Zentrismus ist der Opportunismus. Unter dem Einfluss äußerer Umstände (Tradition, Druck der Massen, politische Konkurrenz) ist der Zentrismus in bestimmten Phasen gezwungen, mit Radikalismus Staat zu machen. Dazu muss er sich selbst überwinden, seine politische Natur vergewaltigen. Indem er sich mit aller Kraft anspornt, gerät er nicht selten an die äußerste Grenze des formalen Radikalismus. Kaum aber schlägt die Stunde ernster Gefahr, kommt die wahre Natur des Zentrismus zum Vorschein. In einer so entscheidenden Frage wie der Verteidigung der Sowjetunion verließ sich die stalinistische Bürokratie immer sehr viel mehr auf die bürgerlichen Pazifisten, englischen Gewerkschaftsbürokraten und französischen Radikalen als auf die revolutionäre Bewegung des Proletariats. Kaum rückte eine äußere Gefahr heran, so opferten die Stalinisten unverzüglich nicht nur ihre ultralinken Phrasen, sondern auch die Lebensinteressen der internationalen Revolution — im Namen der Freundschaft mit unsicheren und falschen »Freunden« aus der Gattung der Advokaten, Schriftsteller und einfachen Salonhelden. Einheitsfront von oben? Auf keinen Fall! Gleichzeitig aber angelt der Oberkommissar für zweideutige Angelegenheiten, Münzenberg, nach den Rockschößen von allerhand liberalen Schwätzern und radikalen Schmierfinken »für die Verteidigung der UdSSR«.
Die stalinistische Bürokratie Deutschlands wie aller übrigen Länder — ausgenommen der UdSSR — ist äußerst unzufrieden mit der kompromittierenden Leitung der Angelegenheiten des Antikriegskongresses durch Barbusse. Auf diesem Gebiet würden Thälmann, Foster u. a. es vorziehen, radikal zu sein. Doch in den eigenen nationalen Angelegenheiten verfährt jeder von ihnen nach dem gleichen Muster wie die Moskauer Behörde: beim Nahen einer ernsten Gefahr werfen sie den aufgeblasenen, verfälschten Radikalismus ab und zeigen ihre wahre, opportunistische Natur.
War die Initiative der kommunistischen Landtagsfraktion an sich falsch und unzulässig? Wir glauben das nicht. Die Bolschewiki haben im Jahre i917 den Menschewiki und Sozialrevolutionären wiederholt vorgeschlagen: »Übernehmt die Macht, wir werden euch gegen die Bourgeoisie unterstützen, wenn sie Widerstand leisten sollte.« Kompromisse sind zulässig, unter gewissen Bedingungen — Pflicht. Es kommt darauf an, welchem Ziel der Kompromiss dienen soll, wie er sich den Massen darstellt, welches seine Grenzen sind. Den Kompromiss auf den Landtag oder den Reichstag zu beschränken, ein selbständiges Ziel darin zu sehen, dass ein Sozialdemokrat oder ein katholischer Demokrat anstelle eines Faschisten Präsident wird, heißt, gänzlich in parlamentarischen Kretinismus zu verfallen. Völlig anders ist die Lage, wenn die Partei sich den systematischen und planmäßigen Kampf um die sozialdemokratischen Arbeiter auf Grundlage der Einheitsfrontpolitik zur Aufgabe macht. Ein parlamentarisches Abkommen gegen die Eroberung der Präsidentschaft durch die Faschisten wäre in diesem Falle nur ein Bestandteil des außerparlamentarischen Kampfabkommens gegen den Faschismus. Selbstverständlich würde die Kommunistische Partei es vorziehen, die ganze Frage auf einen Schlag außerparlamentarisch zu lösen. Vorziehen allein genügt aber nicht, wo es an Kräften fehlt. Die sozialdemokratischen Arbeiter haben ihren Glauben an die magische Kraft der 31. Juli-Abstimmung bewiesen. Von dieser Tatsache muss man ausgehen. Die früheren Fehler der Kommunistischen Partei (Preußischer Volksentscheid usw.) haben den reformistischen Führern die Sabotage der Einheitsfront außerordentlich erleichtert. Ein technisches Parlamentsabkommen — oder sogar nur der Vorschlag zu einem solchen Abkommen — muss helfen, die Kommunistische Partei von der Anklage zu befreien, dass sie mit den Faschisten gegen die Sozialdemokratie zusammenarbeite. Das ist keine selbständige Aktion, sondern soll lediglich den Weg bahnen zu einem Kampfabkommen oder wenigstens für den Kampf um ein Kampfabkommen der Massenorganisationen.
Der Unterschied der beiden Linien ist völlig klar. Der gemeinsame Kampf mit den sozialdemokratischen Organisationen kann und muss bei seiner Entfaltung revolutionären Charakter annehmen. Die Möglichkeit der Annäherung an die sozialdemokratischen Massen kann und muss man unter bestimmten Umständen sogar mit parlamentarischen Spitzen-Abkommen bezahlen. Aber für einen Bolschewik ist das eben nur Eintrittsgeld. Die stalinistische Bürokratie handelt umgekehrt: sie lehnt nicht nur Kampfabkommen ab, sondern zerschlägt, was schlimmer ist, böswillig jene Vereinbarungen, die von unten entstehen. Gleichzeitig schlägt sie den sozialdemokratischen Abgeordneten ein parlamentarisches Bündnis vor! Das bedeutet, dass sie in der Minute der Gefahr ihre eigene ultralinke Theorie und Praxis für untauglich erklärt, sie aber nicht durch die Politik des revolutionären Marxismus ersetzt, sondern durch ein prinzipienloses parlamentarisches Bündnis im Geiste des »kleineren Übels«.
Man wird uns wohl sagen, bei der preußischen und hessischen Episode habe es sich um Fehler der Abgeordneten gehandelt, die das Zentralkomitee wieder gutgemacht habe. Erstens aber durfte eine so wichtige prinzipielle Entscheidung nicht ohne das Zentralkomitee getroffen werden — also fällt auch der Fehler vollständig auf das ZK zurück; zweitens: wie ist es zu erklären, dass die »stahlharte«, »folgerichtige«, »bolschewistische« Politik nach Monaten des Lärmens und Kreischens, der Polemik, der Beschimpfungen und der Ausschlüsse im kritischen Augenblick flugs einem opportunistischen »Fehler« Platz macht?
Aber die Sache beschränkt sich nicht auf den Landtag. Thälmann-Remmele haben sich in einer viel bedeutenderen und kritischeren Frage schlechterdings von sich selbst und der eigenen Schule losgesagt. Am Abend des 20. Juli fasste das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei folgenden Beschluss:
»Die Kommunistische Partei richtet vor der proletarischen Öffentlichkeit an die SPD, an den ADGB und an den Afa-Bund die Frage, ob sie bereit sind, gemeinsam mit der Kommunistischen Partei den Generalstreik für die proletarischen Forderungen durchzuführen.«
Diesen so wichtigen und unerwarteten Beschluss veröffentlichte das Zentralkomitee in seinem Rundschreiben vom 26. Juli ohne jeglichen Kommentar. Kann man ein vernichtenderes Urteil über seine gesamte bisherige Politik fällen? Noch tags zuvor war es für sozialfaschistisch und konterrevolutionär erklärt worden, sich mit dem Vorschlag gemeinsamer Aktionen an die reformistische Führung zu wenden. Wegen dieser Frage hatte man Kommunisten ausgeschlossen, auf dieser Grundlage den Kampf gegen den »Trotzkismus« geführt. Wie konnte dieses Zentralkomitee am Abend des 20. Juli mit einem Male das anbeten, was es tags zuvor verbrannt hatte? Und in welch traurige Lage hat die Bürokratie die Partei gebracht, wenn es das Zentralkomitee wagen durfte, mit seinem überraschenden Beschluss vor sie hinzutreten, ohne sich zu erklären oder zu rechtfertigen!
Solche Wendepunkte sind der Prüfstein einer Politik. Faktisch hat das Zentralkomitee der deutschen Kommunistischen Partei am Abend des 20. Juli der ganzen Welt dargetan: »Unsere bisherige Politik war untauglich.« Ein zwar unfreiwilliges, aber völlig richtiges Geständnis. Zum Unglück konnte auch der Antrag vom 20. Juli, der die vorangegangene Politik umstieß, auf gar keinen Fall ein positives Ergebnis haben. Ein Appell an die Führungsspitzen kann — ganz unabhängig von ihrer heutigen Antwort — nur dann revolutionäre Bedeutung haben, wenn er zuvor unten vorbereitet wurde, d. h. wenn er sich auf die allgemeine Politik stützt. Doch die stalinistische Bürokratie sagt den sozialdemokratischen Arbeitern tagaus tagein: »Wir Kommunisten lehnen mit den SPD-Führern jede Gemeinschaft ab« (siehe Thälmanns »Antwort…«). Der unvorbereitete, unerwartete, unmotivierte Antrag vom 20. Juli war nur dazu geeignet, die kommunistische Leitung bloßzustellen, indem er ihre Inkonsequenz, ihren Leichtsinn, ihre Neigung zur Panik und zu abenteuerlichen Sprüngen deutlich machte.
Die Politik der zentristischen Bürokratie hilft auf Schritt und Tritt den Gegnern und Feinden. Selbst wenn der machtvolle Druck der Ereignisse einige neue Hunderttausende von Arbeitern unter das kommunistische Banner treibt, geschieht das trotz der Stalin-Thälmann-Politik. Gerade deshalb ist die Partei ihres morgigen Tages nicht sicher.
»Als im Jahre 1926 die Kommunistische Internationale mit den sozialdemokratischen Führern eine Einheitsfront bildete, tat sie es, um sie vor den Massen der Anhänger zu entlarven, und damals war Trotzki schrecklich dagegen«, schrieb am 27. Februar dieses Jahres das Zentralorgan der tschechoslowakischen KP, »Rude Pravo«, im Namen eines angeblichen Arbeiterkorrespondenten »an der Werkbank«. »Jetzt, wo sich die Sozialdemokratie durch ihre zahllosen Verrätereien in den Arbeiterkämpfen so diskreditiert hat, schlägt Trotzki die Einheitsfront mit ihren Führern vor... Trotzki ist heute gegen das Anglorussische Komitee von 1926, aber für irgendein >Anglorussisches Komitee< von 1932.«
Diese Zeilen führen uns direkt zum Kern der Frage. Im Jahre 1926 suchte die Komintern die reformistischen Führer mit Hilfe der Einheitsfrontpolitik zu »entlarven«, und das war richtig. Seither aber hat sich die Sozialdemokratie »diskreditiert«. Vor wem? Es folgen ihr noch immer mehr Arbeiter als der Kommunistischen Partei. Das ist traurig, aber wahr. Die Aufgabe, die reformistischen Führer zu entlarven, ist also noch nicht gelöst. War die Methode der Einheitsfront im Jahre 1926 gut, warum soll sie 1932 schlecht sein?
»Trotzki ist für ein Anglorussisches Komitee von 1932, gegen das Anglorussische Komitee von 1926.« Im Jahre 1926 war die Einheitsfront nur von oben geschlossen worden, zwischen den Führern der Sowjetgewerkschaften und den britischen Tradeunionisten, nicht im Namen bestimmter praktischer Aktionen der voneinander durch Staatsgrenzen und soziale Bedingungen getrennten Massen, sondern auf Basis einer freundschaftlich-diplomatischen, pazifistischen, zweideutigen »Plattform«. Während des Bergarbeiterstreiks und des späteren Generalstreiks konnte das Anglorussische Komitee gar nicht zusammentreten, denn die »Verbündeten« zogen nach zwei entgegengesetzten Richtungen: die Sowjetgewerkschaften waren bestrebt, den Streikenden beizustehen, die britischen Tradeunionisten suchten den Streik zu brechen. Die von den russischen Arbeitern gesammelten, ansehnlichen Beträge wies der Generalrat als »verfluchtes Geld« zurück. Erst nachdem der Streik endgültig verraten und gebrochen war, traf sich das Anglorussische Komitee wieder zum fälligen Bankett, um nichtssagende Phrasen auszutauschen.
So diente die Politik des Anglorussischen Komitees dazu, die reformistischen Streikbrecher vor den Arbeitermassen zu decken.
Gegenwärtig handelt es sich um etwas ganz anderes. In Deutschland stehen die sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter auf gleichem Boden, vor der gleichen Gefahr. Sie sind in Betrieben, Gewerkschaftsverbänden, auf den Stempelstellen usw. untereinandergemischt. Es handelt sich hier nicht um eine verbale »Plattform« der Führer, sondern um ganz konkrete Aufgaben, deren Lösung die Massenorganisationen unmittelbar in den Kampf ziehen muss.
Es ist zehnmal so schwierig, die Einheitsfrontpolitik in nationalem, statt in lokalem Maßstab zu führen, hundertmal schwieriger, sie in internationalem statt in nationalem Maßstab zu führen. Sich mit britischen Reformisten für eine so allgemeine Losung wie »Verteidigung der UdSSR« oder »Verteidigung der chinesischen Revolution« vereinigen heißt, das Blaue vom Himmel herunterreden. In Deutschland dagegen besteht die unmittelbare Gefahr der Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen, die sozialdemokratischen inbegriffen. Es wäre illusionär, anzunehmen, die Sozialdemokratie werde gegen die deutsche Bourgeoisie für die Verteidigung der Sowjetunion kämpfen. Man kann aber sehr wohl erwarten, dass die Sozialdemokratie für die Verteidigung ihrer Mandate, ihrer Versammlungen, Zeitungen, Kassen und schließlich ihrer eigenen Köpfe kämpfen wird.
Aber auch in Deutschland empfehlen wir keineswegs, in Einheitsfront-Fetischismus zu verfallen. Ein Abkommen ist ein Abkommen. Es bleibt so lange bestehen, wie es dem praktischen Ziel dient, zu dessen Erreichung es beschlossen wurde. Beginnen die Reformisten, die Bewegung zu bremsen oder zu sabotieren, müssen sich die Kommunisten immer die Frage stellen: Ist es nicht Zeit, das Abkommen zu zerreißen und die Massen unter unserem eigenen Banner weiterzuführen? Eine solche Politik ist nicht einfach. Aber wer behauptet, das Proletariat zum Siege zu führen sei eine einfache Aufgabe? »Rude Pravo« beweist durch die Gegenüberstellung von 1926 und 1932 lediglich sein Unverständnis für das, was sich vor sechs Jahren ereignete, wie dafür, was heute geschieht.
Der »Arbeiterkorrespondent« von der imaginären Werkbank wendet seine Aufmerksamkeit auch dem von mir angeführten Beispiel des Abkommens der Bolschewiki mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären gegen Kornilow zu. »Damals«, schreibt er, »kämpfte Kerenski wirklich eine gewisse Zeit gegen Kornilow und half dem Proletariat zugleich, Kerenski niederzuschlagen. Dass die deutsche Sozialdemokratie heute gegen den Faschismus nicht kämpft, sieht jedes kleine Kind.«
Der einem »kleinen Kind« ganz unähnliche Thälmann behauptet, ein Abkommen der russischen Bolschewiki mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären gegen Kornilow habe überhaupt nie bestanden. »Rude Pravo« verfolgt, wie wir sehen, einen anderen Weg. Es leugnet das Abkommen nicht. Aber seiner Auffassung nach war das Abkommen dadurch gerechtfertigt, dass Kerenski wirklich gegen Kornilow kämpfte, während die Sozialdemokratie dem Faschismus den Weg zur Macht bereitet. Die Idealisierung Kerenskis ist hier völlig überraschend. Wann fing Kerenski an, gegen Kornilow zu kämpfen? Im selben Augenblick, als Kornilow den Kosakensäbel über Kerenskis eigenem Haupte schwang, d. h. am Abend des z6. August 1917. Noch am Tage zuvor stand Kerenski direkt mit Kornilow im Komplott, um gemeinschaftlich die Petrograder Arbeiter und Soldaten niederzuschlagen. Wenn Kerenski gegen Kornilow zu »kämpfen« begann oder, richtiger gesagt, eine Zeitlang dem Kampfe gegen Kornilow keinen Widerstand entgegensetzte, so nur, weil die Bolschewiki ihm keinen anderen Ausweg ließen. Dass die Verschwörer Kornilow und Kerenski miteinander brachen und in offenen Konflikt gerieten, war zu einem gewissen Grade eine Überraschung. Dass es zwischen dem deutschen Faschismus und der Sozialdemokratie zu einem Zusammenstoß kommt, konnte und musste man voraussehen, sei es auch nur auf Grund der italienischen und polnischen Erfahrung. Warum durfte man das Abkommen mit Kerenski gegen Kornilow schließen, und warum ist es unstatthaft, ein Abkommen mit den sozialdemokratischen Massenorganisationen zu predigen, zu verteidigen, zu unterstützen und vorzubereiten? Warum muss man solche Abkommen überall zerschlagen, wo sie zustande gekommen sind? Gerade das tun aber Thälmann und Co.
»Rude Pravo« hat sich natürlich mit Heißhunger auf meine Worte gestürzt, dass man ein Abkommen über Kampfaktionen auch mit dem Teufel, seiner Großmutter und selbst mit Noske und Grzesinski schließen könne. »Seht, kommunistische Arbeiter«, schreibt das Blatt, »Ihr müsst Euch also mit Grzesinski verständigen, der schon so viele Eurer Kampfgenossen erschossen hat. Verständigt Euch nur mit ihm darüber, wie er gemeinsam
mit Euch gegen die Faschisten kämpfen wird, mit denen zusammen er auf Banketten und in den Verwaltungsräten der Fabriken und Banken sitzt«. Die ganze Frage wird hier auf die Ebene einer falschen Sentimentalität verschoben. Ein solcher Einwand ist würdig eines Anarchisten, eines alten russischen linken Sozialrevolutionärs, eines »revolutionären Pazifisten« oder Münzenbergs selbst. Von Marxismus ist hier kein Schimmer.
Zuerst: ist es richtig, dass Grzesinski ein Arbeiterhenker ist? Unbedingt richtig. Aber war denn Kerenski nicht in viel größerem Maße als Grzesinski ein Henker der Arbeiter und Bauern? Dennoch billigt »Rude Pravo« nachträglich das Bündnis mit Kerenski.
Den Henker gegen die Arbeiter zu unterstützen, ist ein Verbrechen, wenn nicht Verrat; gerade darin bestand das Bündnis Stalins mit Tschiang Kai-schek. Würde sich aber der gleiche chinesische Henker morgen im Kriege mit den japanischen Imperialisten befinden, so wären praktische Kampfabkommen der chinesischen Arbeiter mit dem Henker Tschiang Kai-schek vollkommen zulässig und sogar eine Pflicht.
Saß Grzesinski gemeinsam mit den Faschisten bei Banketten? Ich weiß es nicht, aber es kann sein. Grzesinski musste nachher im Berliner Gefängnis sitzen, freilich nicht im Namen des Sozialismus, sondern nur, weil er nicht sehr geneigt war, sein warmes Plätzchen den Bonapartisten und Faschisten abzutreten. Hätte die Kommunistische Partei wenigstens vor einem Jahre offen erklärt: gegen die faschistischen Mordbuben sind wir bereit, sogar mit Grzesinski zusammen zu kämpfen; hätte sie dieser Formel kämpferischen Charakter verliehen, sie in Reden und Artikeln entwickelt, tief in die Massen hineingetragen, so hätte Grzesinski sich im Juli zur Verteidigung seiner Kapitulation vor den Arbeitern nicht auf die Sabotage der Kommunistischen Partei berufen können. Er hätte entweder auf den einen oder anderen aktiven Schritt eingehen oder sich vor den Augen der eigenen Arbeiter hoffnungslos kompromittieren müssen. Ist das nicht klar?
Gewiss, selbst wenn Grzesinski durch die Logik seiner Lage und den Druck der Massen in den Kampf hineingezogen würde, wäre er ein äußerst unzuverlässiger, durch und durch falscher Verbündeter. Sein Leitgedanke wäre, so rasch wie möglich vom Kampf oder vom halben Kampf zur Verständigung mit den Kapitalisten überzugehen. Doch in Bewegung gebrachte Massen, selbst die sozialdemokratischen, machen keineswegs so leicht halt wie gekränkte Polizeipräsidenten. Die Annäherung zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern im Kampf würde den kommunistischen Parteiführern eine viel breitere Einflussnahme auf die sozialdemokratischen Arbeiter gestatten, vor allem angesichts der gemeinsamen Gefahr. Und darin besteht ja gerade das Endziel der Einheitsfront.
Nur rückgratlose Zentristen vom Schlage der SAP können die gesamte Politik des Proletariats auf Abkommen mit den reformistischen Organisationen oder schlimmer noch auf die abstrakte Losung der »Einheit« reduzieren. Für den Marxisten ist die Einheitsfrontpolitik nur eine der Methoden im Klassenkampf. Unter gewissen Umständen wird diese Methode vollständig unbrauchbar: es wäre unsinnig, mit den Reformisten ein Abkommen für die sozialistische Revolution schließen zu wollen. Es gibt aber Bedingungen, unter denen die Ablehnung der Einheitsfront die revolutionäre Partei auf viele Jahre hinaus zugrunde richten kann. So ist gegenwärtig die Lage in Deutschland.
Die größten Schwierigkeiten und Gefahren birgt, wie wir oben schon sagten, die Einheitsfront im internationalen Maßstab, wo die Formulierung der praktischen Aufgaben und die Organisierung der Massenkontrolle schwieriger ist. So stehen die Dinge vor allem in der Frage des Kampfes gegen den Krieg. Die Aussichten auf gemeinsame Aktionen sind hier weitaus geringer, die Möglichkeiten der Reformisten und Pazifisten, auszuweichen und zu betrügen, sind weitaus größer. Damit wollen wir natürlich nicht behaupten, die Einheitsfront sei auf diesem Gebiet ausgeschlossen. Im Gegenteil; wir haben gefordert, die Komintern möge sich sofort und direkt an die Zweite und die Amsterdamer Internationale wenden mit dem Vorschlag eines gemeinsamen Antikriegskongresses. Aufgabe der Komintern wäre dabei gewesen, möglichst konkrete Pflichten festzulegen, die in verschiedenen Ländern und unter verschiedenen Umständen erfüllt werden müssen. Hätte die Sozialdemokratie an einem Kongress teilnehmen müssen, so könnte die Frage des Krieges bei richtiger Politik unsererseits wie ein scharfer Keil in ihre Reihen hineingetrieben werden.
Die erste Vorbedingung dazu ist volle politische und organisatorische Klarheit. Es geht um ein Abkommen zwischen proletarischen Millionenorganisationen, die heute noch durch tiefe prinzipielle Gegensätze voneinander geschieden sind. Keinerlei zweideutige Mittler, keine diplomatischen Maskierungen und leeren pazifistischen Formeln!
Die Komintern hat aber auch diesmal für richtig befunden, dem Abc des Marxismus zuwiderzuhandeln: während sie es ablehnte, mit den reformistischen Internationalen in offene Unterhandlungen zu treten, begann sie hinter den Kulissen Verhandlungen mit Friedrich Adler durch... den pazifistischen Belletristen und Wirrkopf ersten Ranges Henri Barbusse. Als Ergebnis dieser Politik versammelte Barbusse in Amsterdam halbmaskierte kommunistische oder »verwandte«, »sympathisierende« Organisationen und Gruppen, dazu pazifistische Einzelgänger aller Länder. Die Ehrlichsten und Aufrichtigsten unter den letzteren — und das ist die Minderheit — können, jeder für sich, sagen: »Ich und meine Konfusion«. Wer brauchte dazu diese Maskerade, diesen Jahrmarkt von Intellektuelleneitelkeit, diese Münzenbergerei, die in politische Scharlatanerie übergeht?*
Kehren wir aber nach Prag zurück. Fünf Monate nach dem Erscheinen des oben besprochenen Artikels druckte die gleiche Zeitung den Artikel eines Parteiführers, Klement Gottwald, ab, der den Charakter eines Aufrufs zu Kampfabkommen an die tschechischen Arbeiter verschiedener Richtungen trägt. Die faschistische Gefahr bedrohe ganz Mitteleuropa; den Ansturm der Reaktion könne nur die Einigkeit des Proletariats abschlagen; man dürfe keine Zeit versäumen, es sei schon »fünf Minuten vor Zwölf«. Der Aufruf ist sehr leidenschaftlich geschrieben. Leider beteuert Gottwald aber im Gefolge von Seydewitz und Thälmann, er verfolge nicht Parteiinteressen, sondern Klasseninteressen; eine solche Gegenüberstellung gehört ganz und gar nicht in den Mund eines Marxisten. Gottwald brandmarkt die Sabotage der sozialdemokratischen Führer. Natürlich ist hier die Wahrheit ganz auf seiner Seite. Leider sagt der Autor nichts Direktes über die Politik des Zentralkomitees der deutschen Kommunistischen Partei: offenbar entschließt er sich nicht, sie zu verteidigen, wagt es aber auch nicht, sie zu kritisieren. Er selbst geht zwar unentschieden, aber doch ziemlich richtig an die peinliche Frage heran. Nachdem er die Arbeiter der verschiedenen Richtungen aufgefordert hat, sich in den Betrieben zu verständigen, schreibt Gottwald: »Viele von Euch werden vielleicht sagen: Einigt Euch dort >oben<, wir >unten< werden uns schon leicht verständigen.« »Wir glauben«, fährt der Autor fort, »das Wichtigste ist, dass sich die Arbeiter >unten< verständigen. Und was die Führer betrifft: wir haben bereits gesagt, dass wir uns sogar mit dem Teufel verbinden, wenn es nur gegen die Herrschenden und im Interesse der Arbeiter sein wird. Und wir sagen Euch offen: wenn Eure Führer auch nur für einen Augenblick ihr Bündnis mit der Bourgeoisie aufgeben, auch nur in einer Frage wirklich gegen die Herrschenden gehen sollten, — wir werden das begrüßen und sie in dieser Sache unterstützen.«
Hier ist fast alles Notwendige gesagt und beinahe so, wie es gesagt werden muss. Gottwald hat sogar die Erwähnung des Teufels nicht vergessen, dessen Name die Redaktion von »Rude Pravo« fünf Monate vorher in fromme Entrüstung brachte. Zwar hat Gottwald des Teufels Großmutter außer acht gelassen. Aber lassen wir sie in Frieden: um der Einheitsfront willen sind wir bereit, sie zu opfern. Vielleicht wäre Gottwald seinerseits bereit, die gekränkte Alte zu trösten, indem er ihr den Artikel aus »Rude Pravo« vom 27. Februar samt dem »Arbeiterkorrespondenten« aus dem Tintenfass zur freien Verfügung überlässt?
Gottwalds politische Erwägungen sind, so hoffen wir, nicht nur auf die Tschechoslowakei, sondern auch auf Deutschland anwendbar. Auch das hätte gesagt werden müssen. Andererseits kann sich weder in Berlin noch in Prag die Parteileitung auf die bloße Erklärung ihrer Bereitschaft zur Einheitsfront mit der Sozialdemokratie beschränken, sondern muss diese Bereitschaft tatkräftig, unternehmungslustig, bolschewistisch, durch ganz bestimmte praktische Vorschläge und Aktionen beweisen. Gerade das fordern wir.
Gottwalds Artikel fand, weil er realistisch und nicht ultimatistisch klingt, sogleich Widerhall bei sozialdemokratischen Arbeitern: Am 31. Juli erschien in »Rude Pravo« unter anderem der Brief eines arbeitslosen Buchdruckers, der unlängst aus Deutschland heimgekehrt war. Der Brief lässt einen Arbeiterdemokraten erkennen, der zweifellos reformistische Vorurteile hat. Um so wichtiger ist es, darauf zu achten, wie sich die Politik der deutschen Kommunistischen Partei in seinem Bewusstsein widerspiegelt. »Als im Herbst vorigen Jahres Genosse Breitscheid«, s schreibt der Drucker, »an die Kommunistische Partei die Auf Forderung richtete, gemeinsame Aktionen mit der Sozialdemokratie zu beginnen, rief er damit bei der >Roten Fahne< eine wahren Entrüstungssturm hervor. Da sagten sich die sozial demokratischen Arbeiter: >Jetzt wissen wir, wie ernst die An sichten der Kommunisten über die Einheitsfront sind<.«
Das ist wirklich die Stimme eines Arbeiters. Eine solche Stimme trägt zur Lösung der Frage mehr bei als Dutzende von Artikeln prinzipienloser Federfuchser. Breitscheid hatte in der Tat keinerlei Einheitsfront vorgeschlagen. Er schreckte nur die Bourgeoisie mit der Möglichkeit gemeinsamer Aktionen mit de Kommunisten. Hätte das Zentralkomitee der Kommunistische Partei die Frage sogleich auf des Messers Schneide gestellt, die sozialdemokratische Parteileitung wäre in eine schwierige Situation geraten. Doch eilte das ZK der Kommunistischen Partei wie immer, sich selbst in eine schwierige Lage zu bringen.
In der Broschüre »Was nun?« schrieb ich über Breitscheids Vorstoß: »Ist es nicht klar, dass man nach Breitscheids zweideutigem und diplomatischem Vorschlag unverzüglich mit bei den Händen hätte zugreifen müssen, um seinerseits ein konkretes, gut durchgearbeitetes Programm für den gemeinsame Kampf gegen den Faschismus aufzustellen und eine gemeinsam Sitzung beider Parteileitungen unter Teilnahme der Führung der Freien Gewerkschaften zu fordern? Gleichzeitig hätte man dieses Programm energisch nach unten tragen müssen, in all Stockwerke der beiden Parteien und in die Massen.«
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei verwandelte, indem es auf den Versuchsballon des reformistischen Führer mit einer Absage antwortete, Breitscheids zweideutige Phrase s Bewusstsein der Arbeiter in einen direkten Einheitsfrontvorschlag und gab den sozialdemokratischen Arbeitern die Schlussfolgerung ein: »Die Unsrigen wollen gemeinsame Aktionen aber die Kommunisten sabotieren.« Kann man sich eine verfehltere und dümmere Politik vorstellen? Konnte man Breitscheids Manöver besser unterstützen? Der Brief des Prager Druckers beweist mit bemerkenswerter Anschaulichkeit, dass Breitscheid mit Thälmanns Hilfe sein Ziel vollständig erreicht hat.
»Rude Pravo« versucht, uns Widersprüche und Verwirrung daran nachzuweisen, dass wir im einen Falle ein Abkommen zurückweisen, im anderen es aber zulassen und es für notwendig halten, jedes Mal von neuem Umfang, Losungen und Methoden des Abkommens je nach den konkreten Umständen zu bestimmen. »Rude Pravo« begreift nicht, dass man in der Politik, wie in allen anderen wichtigen Bereichen, genau wissen muss: was, wann, wo und wie. Auch kann es nicht schaden zu verstehen: warum.
In unserer Kritik des Programmentwurfs der Komintern haben wir vor vier Jahren einige Grundregeln der Einheitsfrontpolitik aufgestellt. Wir halten es nicht für nutzlos, sie hier in Erinnerung zu bringen:
»Die Möglichkeit des Verrats steckt immer im Reformismus. Aber das heißt nicht, dass Reformismus und Verrat jederzeit ein und dasselbe sind. Nicht ganz. Man kann sich mit den Reformisten zeitweilig verständigen, wenn sie einen Schritt vorwärts machen. Mit ihnen aber ein Bündnis aufrechterhalten, wenn sie, erschrocken über die Entwicklung der Bewegung, Verrat üben, bedeutet verbrecherische Toleranz gegenüber Verrätern und eine Verschleierung des Verrats.«
»Die allerwichtigste, feststehende und unabänderlichste Regel für jedes Manöver lautet: Du sollst niemals die eigene Parteiorganisation mit einer fremden vermischen, vereinigen oder verbinden, mag sie im Augenblick noch so >nahestehend< sein. Du sollst niemals Schritte unternehmen, die direkt oder indirekt zu einer Unterordnung Deiner Partei unter andere Parteien oder unter Organisationen anderer Klassen führen und damit die Freiheit der eigenen Agitation beschränken, oder durch die du, wenn auch nur teilweise, für die politische Linie der anderen Partei verantwortlich gemacht wirst. Du sollst nicht die Fahnen vermischen, geschweige denn vor einer fremden Fahne knien.«
Heute, nach der Erfahrung mit dem Barbusse-Kongress, fügen wir noch eine Regel hinzu:
»Abkommen zwischen Parteien und Organisationen darf man nur offen, vor den Augen der Massen abschließen. Du sollst Dich nie zweideutiger Makler bedienen. Du sollst nicht diplomatische Geschäfte mit bürgerlichen Pazifisten als proletarische Einheitsfront ausgeben.«
Wir haben keineswegs aus theoretischer Pedanterie nachdrücklich gefordert, zwischen Bonapartismus und Faschismus zu unterscheiden. Die verschiedenen Ausdrücke dienen der begrifflichen Unterscheidung, die in der Politik die Unterscheidung der realen Kräfte ermöglicht. Die Zertrümmerung des Faschismus würde für den Bonapartismus keinen Raum übrig lassen und, wie zu hoffen ist, die direkte Einleitung zur sozialistischen Revolution bedeuten. Aber das Proletariat ist für die Revolution nicht gerüstet. Von den Wechselbeziehungen zwischen Sozialdemokratie und bonapartistischer Regierung einerseits, zwischen Bonapartismus und Faschismus andererseits hängt es ab (ohne dass das Grundproblem dadurch verändert würde), auf welchem Wege und in welchem Tempo sich der Kampf zwischen dem Proletariat und der faschistischen Konterrevolution vorbereitet. Die Gegensätze zwischen Schleicher, Hitler und Wels erschweren unter den gegebenen Umständen den Sieg des Faschismus und eröffnen der Kommunistischen Partei neuen Kredit, den wertvollsten — einen Kredit an Zeit.
»Der Faschismus wird auf kaltem Wege zur Macht kommend, hörten wir mehr als einmal von Seiten der stalinistischen Theoretiker. Diese Formel sollte besagen, die Faschisten würden legal, friedlich, durch Koalition zur Macht gelangen — einen offenen Umsturz nicht brauchen. Die Ereignisse haben diese Prognose bereits widerlegt. Die Papenregierung ist durch einen Staatsstreich zur Macht gekommen, und sie ergänzte ihn durch den Staatsstreich in Preußen. Selbst wenn man annimmt, die Koalition zwischen Nazis und Zentrum werde die bonapartistische Papenregierung mit » verfassungsmäßigen « Methoden stürzen, so wird dadurch allein noch gar nichts entschieden. Zwischen der »friedlichen« Machtübernahme Hitlers und der Aufrichtung des faschistischen Regimes liegt noch ein weiter Weg. Die Koalition würde lediglich eine Erleichterung des Staatsstreichs bedeuten, ihn aber nicht ersetzen. Neben der endgültigen Beseitigung der Weimarer Verfassung bliebe die wichtigste Aufgabe noch übrig: die Unterdrückung der Organe der proletarischen Demokratie. Was bedeutet unter diesem Gesichtswinkel der »kalte Weg«? Nichts anderes als das Ausbleiben des Widerstandes von Seiten der Arbeiter. Papens bonapartistischer Staatsstreich hat tatsächlich keine Vergeltung gefunden. Wird nicht auch Hitlers faschistische Umwälzung ohne Vergeltung bleiben? Gerade um diese Frage dreht sich, bewusst oder unbewusst, das Raten über den »kalten Weg«.
Würde die Kommunistische Partei eine überwältigende Kraft darstellen und das Proletariat unmittelbar auf die Macht zuschreiten, so wären alle Gegensätze im Lager der Besitzenden vorübergehend verwischt: Faschisten, Bonapartisten und Demokraten ständen in einer Front gegen die proletarische Revolution. Dem ist aber nicht so. Die Schwäche der Kommunistischen Partei und die Zerstückelung des Proletariats gestatten den besitzenden Klassen und den ihnen dienenden Parteien, ihre Gegensätze nach außen zu tragen. Nur wenn sie sich auf diese Gegensätze stützt, wird die Kommunistische Partei erstarken können.
Vielleicht aber wird sich der Faschismus im hochindustrialisierten Deutschland überhaupt nicht entschließen, seine Ansprüche auf die ganze Macht geltend zu machen? Ohne Zweifel ist das deutsche Proletariat weitaus zahlreicher und potentiell stärker als das italienische. Obwohl der Faschismus in Deutschland stärker und besser organisiert ist als zur entsprechenden Zeit in Italien, muss den deutschen Faschisten gleichwohl die Aufgabe der Liquidierung des »Marxismus« schwierig und riskant erscheinen. Überdies ist es nicht ausgeschlossen, dass Hitlers politischer Kulminationspunkt bereits überschritten ist. Die allzu lange Periode des Abwartens und die neue Barriere in Gestalt des Bonapartismus schwächen unzweifelhaft den Faschismus, verstärken seine inneren Reibungen und können seinen Druck bedeutend herabmindern. Hier aber haben wir mit Tendenzen zu tun, die sich bis zur Stunde noch in keiner Weise vorausberechnen lassen. Nur der lebendige Kampf kann diese Fragen beantworten. Im vorhinein darauf zu bauen, der Nationalsozialismus werde unweigerlich auf halbem Wege stehen bleiben, wäre höchst leichtfertig.
Die Theorie des »kalten Weges« ist, zu Ende geführt, nicht besser, als die Theorie des »Sozialfaschismus«; richtiger gesagt: sie stellt nur deren Kehrseite dar. In beiden Fällen werden die Widersprüche zwischen den Hauptbestandteilen des feindlichen Lagers völlig vernachlässigt, die Abfolge der Etappen des Prozesses verwischt. Die Kommunistische Partei ist voll und ganz beiseite gelassen. Nicht umsonst war der Theoretiker des »kalten Weges«, Hirsch, zugleich Theoretiker des »Sozialfaschismus«.
Die politische Krise des Landes entwickelt sich auf der Grundlage der ökonomischen Krise. Aber die Ökonomie ist nicht unveränderlich. Waren wir gestern verpflichtet zu sagen, dass die Konjunkturkrise nur die grundlegende, organische Krise des kapitalistischen Systems verschärft, so müssen wir heute in Erinnerung bringen, dass der allgemeine Niedergang des Kapitalismus Konjunkturschwankungen nicht ausschließt. Die gegenwärtige Krise wird nicht ewig dauern. Die Hoffnungen der kapitalistischen Welt auf einen Umschwung der Konjunktur sind äußerst übertrieben, aber nicht unbegründet. Die Frage des Kampfes der politischen Kräfte muss man der ökonomischen Perspektive integrieren. Papens Programm macht dies um so dringlicher, weil er von einer nahen ansteigenden Konjunktur ausgeht.
Der industrielle Aufschwung wird für jedermann sichtbar in Gestalt wachsender Warenumsätze, erhöhter Produktion, vergrößerter Zahl der beschäftigten Arbeiter. Die Sache fängt aber nicht damit an. Dem Aufschwung gehen vorbereitende Prozesse auf dem Gebiet des Geldumlaufs und des Kredits voraus. Die in unrentablen Unternehmen und Wirtschaftszweigen stechenden Kapitalien müssen sich freimachen und die Form flüssigen Geldes erhalten, das Anlage sucht. Der von seinen Fettablagerungen, Geschwülsten und Beulen befreite Markt muss reale Nachfrage zeigen. Die Unternehmen müssen »Vertrauen« zum Markt und zueinander gewinnen. Andererseits muss das »Vertrauen«, von dem die Weltpresse so viel redet, einen Ansporn erhalten, nicht nur durch ökonomische, sondern auch durch politische Faktoren (Reparationen, Kriegsschulden, Abrüstung — Aufrüstung usw.).
Eine Steigerung des Warenumsatzes, der Produktion, der Zahl der beschäftigten Arbeiter ist noch nirgends zu verzeichnen; im Gegenteil, der Niedergang schreitet fort. Was die den Konjunkturumschwung vorbereitenden Prozesse betrifft, so haben sie offenbar den Hauptteil ihrer Aufgaben erfüllt. Viele Anzeichen gestatten wirklich anzunehmen, dass sich der Augenblick des Konjunkturumschwungs genähert hat, wenn er nicht unmittelbar bevorsteht. Das ist die Einschätzung im Weltmaßstabe gesehen.
Doch muss man einen Unterschied zwischen den Gläubigerländern (Vereinigte Staaten, England, Frankreich) und den Schuldnerländern, genauer gesagt, den bankrotten Ländern machen; den ersten Platz in der zweiten Gruppe nimmt Deutschland ein. Deutschland besitzt kein flüssiges Kapital. Seine Wirtschaft kann einen Anstoß nur durch Kapitalzufluss von außen erhalten. Aber ein Land, das außerstande ist, seine alten Schulden zu begleichen, erhält keine Darlehen. Jedenfalls müssen sich die Gläubiger, ehe sie ihre Säckel öffnen, überzeugen, dass Deutschland wieder in der Lage ist, für eine größere Summe aus— zuführen als einzuführen — der Unterschied muss zur Deckung der Schulden dienen. Nachfrage nach deutschen Waren ist vor allem von den Agrarländern, vor allem von Südeuropa zu erwarten. Die Agrarländer hängen aber ihrerseits von der Nachfrage der industriellen Länder nach Rohstoffen und Lebensmitteln ab. Deutschland wird folglich genötigt sein, abzuwarten; der Lebensstrom wird erst die Reihe seiner kapitalistischen Konkurrenten und agrarischen Gegenspieler durchfließen müssen, ehe er Deutschland erreicht.
Doch die deutsche Bourgeoisie kann nicht warten. Noch weniger vermag die bonapartistische Clique zu warten. Während sie verspricht, die Stabilität der Währung nicht anzutasten, beginnt die Papenregierung mit einer großartigen Inflation. Unter Reden über die Wiedergeburt des Wirtschaftsliberalismus zieht sie die administrative Verfügung über den Wirtschaftszyklus an sich, im Namen der Freiheit der Privatinitiative unterwirft sie die Steuerzahler unmittelbar den kapitalistischen Privatunternehmern.
Die Achse, um die sich das Regierungsprogramm dreht, ist die Hoffnung auf eine nahe Konjunkturwende. Verwirklicht sie sich nicht rechtzeitig, so werden die zwei Milliarden wie zwei Wassertropfen auf einer glühenden Herdplatte verdampfen. Papens Plan ist bei weitem riskanter und spekulativer als das jetzt beginnende Haussespiel auf der New Yorker Börse. Die Folgen beim Zusammenbruch des bonapartistischen Spiels werden jedenfalls weitaus katastrophaler sein.
Das nächste und fühlbarste Ergebnis der Diskrepanz zwischen den Plänen der Regierung und der tatsächlichen Marktbewegung wird der Fall der Mark sein. Die um die Inflation vermehrten sozialen Übel werden unerträglich werden. Der Bankrott des Papenschen Wirtschaftsprogramms wird ein anderes, wirksameres Programm erheischen. Was für eins? Offenbar das des Faschismus. Ist es einmal misslungen, der Konjunktur durch die bonapartistische Therapie aufzuhelfen, muss man's mit der faschistischen Chirurgie probieren. Die Sozialdemokratie wird sich inzwischen »links« gebärden und zerfallen. Die Kommunistische Partei, wenn sie sich nicht selbst daran hindert, wachsen. Alles in allem wird das eine revolutionäre Situation bedeuten. Die Siegesaussichten hängen unter diesen Bedingungen zu drei Vierteln von der kommunistischen Strategie ab.
Die revolutionäre Partei muss jedoch auch für eine andere Perspektive gerüstet sein, nämlich die des rascheren Eintretens des Konjunkturumschwungs. Nehmen wir an, der Schleicher-Papen-Regierung gelänge es, sich bis zum Beginn der Handels- und Industriebelebung zu halten. Wäre sie damit gerettet? Nein, der Beginn einer aufsteigenden Konjunktur würde das sichere Ende des Bonapartismus und vielleicht nicht nur des Bonapartismus bedeuten.
Die Kräfte des deutschen Proletariats sind nicht erschöpft. Aber sie sind unterhöhlt: durch Opfer, Niederlagen, Enttäuschungen seit 1914; durch den systematischen Treubruch der Sozialdemokratie; durch die Selbstdiskreditierung der Kommunistischen Partei. Sechs, sieben Millionen Arbeitslose hängen als schwere Last an den Füßen des Proletariats. Brünings und Papens Notverordnungen haben keinen Widerstand gefunden. Der Staatsstreich vom 20. Juli ist ohne Vergeltung geblieben.
Man kann mit völliger Gewissheit vorhersagen, dass der Konjunkturumschwung der augenblicklich geminderten Aktivität des Proletariats kräftigen Auftrieb geben würde. In dem Augenblick, wo der Betrieb aufhört, die Arbeiter zu entlassen, und neue aufnimmt, festigt sich die Selbstsicherheit der Arbeiter: man braucht sie wieder. Die zusammengedrückte Spirale beginnt, sich wieder auszudehnen. Die Arbeiter kämpfen stets eher um die Wiedererringung verlorener Positionen als um die Eroberung neuer. Und die deutschen Arbeiter haben zu viel verloren. Weder durch Notverordnungen, noch durch den Einsatz der Reichswehr wird man Massenstreiks liquidieren können, die sich auf der Woge des Aufstiegs entwickeln. Das bonapartistische Regime, das sich nur durch »Burgfrieden« zu halten vermag, wird als erstes Opfer des Konjunkturumschwungs fallen.
Ein Wachsen des Streikkampfes ist schon jetzt in verschiedenen Ländern zu beobachten (Belgien, England, Polen, z. T. Vereinigte Staaten, aber nicht Deutschland). Eine Einschätzung der gegenwärtig sich entfaltenden Massenstreiks im Lichte der Wirtschaftskonjunktur ist nicht einfach. Die Statistik stellt Konjunkturschwankungen mit unvermeidlicher Verspätung fest. Die Belebung muss zu einem Faktum geworden sein, ehe man sie registrieren kann. Die Arbeiter spüren gewöhnlich den Konjunkturwechsel eher als die Statistiker. Neue Aufträge oder selbst die Erwartung neuer Aufträge, Umstellung der Unternehmen auf Erweiterung der Produktion oder wenigstens Unterbrechung der Entlassungen steigern unverzüglich die Widerstandskraft und die Ansprüche der Arbeiter. Der Verteidigungsstreik der Textilarbeiter in Lancashire ist zweifellos durch einen gewissen Umschwung in der Textilindustrie hervorgerufen worden. Der belgische Streik spielt sich offenbar auf der Grundlage der sich noch immer vertiefenden Krise des Kohlenbergbaus ab. Dem Umschwungcharakter der gegenwärtigen Phase der Weltkonjunktur entspricht die Verschiedenartigkeit der ökonomischen Erschütterungen, die den letzten Streiks zugrunde liegen. Im allgemeinen aber deutet das Anwachsen der Massenbewegung eher auf eine spürbar werdende Konjunkturwende hin. Jedenfalls wird die wirkliche Konjunkturbelebung schon bei ihren ersten Schritten einen großen Aufschwung des Massenkampfes hervorrufen.
Die herrschenden Klassen aller. Länder erwarten vom industriellen Aufschwung Wunder, davon zeugt die bereits entfachte Börsenspekulation. Würde der Kapitalismus wirklich in die Phase einer neuen Prosperität oder auch nur eines langsamen, aber langdauernden Aufstiegs eintreten, so würde das selbstverständlich die Stabilisierung des Kapitalismus, Stärkung der bürgerlichen Positionen und gleichzeitige Schwächung des Faschismus und Stärkung des Reformismus nach sich ziehen. Es besteht aber nicht der geringste Anlass zur Hoffnung oder Befürchtung, die an sich unvermeidliche neue Konjunkturbelebung werde die allgemeinen Verfallstendenzen der Weltwirtschaft und insbesondere der europäischen Wirtschaft überwinden können. Entwickelte sich der Vorkriegskapitalismus nach der Formel der erweiterten Warenproduktion, so stellt der gegenwärtige Kapitalismus mit allen seinen Konjunkturschwankungen eine erweiterte Produktion des Elends und der Katastrophen dar. Der neue Konjunkturzyklus wird die unvermeidliche Kräfteumgruppierung innerhalb der einzelnen Länder sowie innerhalb des kapitalistischen Lagers im ganzen vollziehen, vor allem zwischen Europa und Amerika. Aber schon in sehr kurzer Zeit wird er die kapitalistische Welt vor unlösbare Widersprüche stellen und sie zu neuen, noch furchtbareren Zuckungen verdammen.
Ohne einen Irrtum zu riskieren, kann man folgende Voraussage machen: Die wirtschaftliche Belebung wird ausreichen, die Selbstsicherheit der Arbeiter zu festigen und ihrem Kampf neuen Auftrieb zu geben, sie wird aber in keiner Weise ausreichen, dem Kapitalismus, besonders dem europäischen, die Möglichkeit einer Wiedergeburt zu eröffnen.
Die praktischen Eroberungen, die der neue Konjunkturaufstieg des Verfallskapitalismus der Arbeiterbewegung ermöglichen wird, werden notgedrungen äußerst beschränkt sein. Wird der deutsche Kapitalismus auf dem Gipfel der neuen Wirtschaftsbelebung jene Bedingungen für die Arbeiter wiederherstellen können, die vor der jetzigen Krise bestanden? Alles zwingt dazu, diese Frage im voraus verneinend zu beantworten. Um so rascher wird die erwachte Massenbewegung den politischen Weg einschlagen müssen.
Schon die erste Etappe der industriellen Belebung wird für die Sozialdemokratie äußerst gefährlich sein. Die Arbeiter werden sich in den Kampf stürzen, um zurückzugewinnen, was sie verloren haben. Die Führungsspitzen der Sozialdemokratie werden neuerlich auf eine Wiederherstellung der »normalen« Ordnung hoffen. Ihre Hauptsorge wird die Wiederherstellung ihrer Koalitionsfähigkeit sein. Führer und Massen werden nach entgegengesetzten Seiten ziehen. Um die neue Krise des Reformismus restlos auszunutzen, brauchen die Kommunisten eine richtige Orientierung in den Konjunkturveränderungen und die rechtzeitige Ausarbeitung eines praktischen Aktionsprogramms, das vor allem von den in den Krisenjahren erlittenen Verlusten der Arbeiter ausgeht. Der Übergang von Wirtschaftskämpfen zu politischen wird ein besonders geeigneter Augenblick zur Festigung von Kraft und Einfluss der revolutionären proletarischen Partei sein.
Doch ist ein Erfolg auf diesem wie auch auf anderen Wegen nur unter einer Bedingung zu erzielen: bei richtiger Anwendung der Einheitsfrontpolitik. Für die deutsche Kommunistische Partei heißt das vor allem: Schluss mit dem jetzigen Zwischen-zwei-Stühlen-Sitzen im Bereich der Gewerkschaftsbewegung; fester Kurs auf die freien Gewerkschaften; Einbeziehung der gegenwärtigen Kader der RGO in deren Bestand; Einleitung eines systematischen Kampfes um den Einfluss auf die Betriebsräte mittels der Gewerkschaften; Vorbereitung einer breiten Kampagne unter der Losung der Arbeiterkontrolle über die Produktion.
Kautsky, Hilferding u. a. haben in den letzten Jahren mehr als einmal erklärt, sie seien niemals Anhänger der Zusammenbruchstheorie gewesen, die die Revisionisten einst den Marxisten zuschrieben, und die die Kautskyaner selber jetzt häufig den Kommunisten unterschieben.
Die Bernsteinianer zeichneten zwei Perspektiven: eine irreale, angeblich orthodox-»marxistische«, derzufolge letzten Endes unter dem Einfluss der inneren Gegensätze im Kapitalismus dessen mechanischer Zusammenbruch eintreten sollte und eine zweite, »reale«, nach der sich eine allmähliche Evolution vom Kapitalismus zum Sozialismus vollziehen sollte. So entgegengesetzt diese beiden Schemata auf den ersten Blick sind, es eint sie dennoch ein gemeinsamer Zug — das Fehlen des revolutionären Faktors. Während sie die ihnen untergeschobene Karikatur des automatischen Zusammenbruchs des Kapitalismus ablehnten, wiesen die Marxisten nach, dass unter dem Einfluss des sich verschärfenden Klassenkampfes das Proletariat die Revolution viel früher vollziehen werde als die objektiven Widersprüche des Kapitalismus zu dessen automatischem Zusammenbruch führen könnten.
Dieser Meinungsstreit spielte sich noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ab. Man muss aber anerkennen, dass sich die kapitalistische Wirklichkeit seit dem Kriege in gewisser Beziehung der bernsteinianischen Karikatur auf den Marxismus mehr genähert hat, als irgendwer vermuten konnte, vor allem die Revisionisten selbst; hatten sie doch das Gespenst des Zusammenbruchs nur gemalt, um dessen Irrealität vorzuführen. Inzwischen erweist sich der Kapitalismus tatsächlich dem automatischen Zerfall um so näher, je mehr sich der revolutionäre Eingriff des Proletariats in die Geschicke der Gesellschaft verzögert.
Den wichtigsten Bestandteil der Theorie vom Zusammenbruch bildete die Verelendungstheorie. Die Marxisten sagten — vorsichtig —‚ die Verschärfung der sozialen Gegensätze müsse nicht unbedingt einer absoluten Senkung der Lebenshaltung der Massen gleichkommen. In Wirklichkeit geschieht gerade das letztere. Worin könnte sich der Zusammenbruch des Kapitalismus brutaler äußern als in chronischer Arbeitslosigkeit und Zerstörung der Sozialversicherung, d. h. in der Weigerung der Gesellschaft, die eigenen Sklaven zu ernähren?
Die opportunistischen Bremsen in der Arbeiterklasse haben sich als mächtig genug erwiesen, um den elementaren Kräften des überlebten Kapitalismus weitere Jahrzehnte Frist einzuräumen. Das Resultat war nicht die Idylle der friedlichen Umwandlung des Kapitalismus in Sozialismus, sondern ein Zustand, der dem sozialen Zerfall durchaus nahe kommt.
Die Reformisten versuchten lange Zeit, die Verantwortung für den jetzigen Zustand der Gesellschaft dem Kriege zuzuschieben. Aber erstens hat der Krieg die Zerstörungstendenzen des Kapitalismus nicht geschaffen, sondern sie nur nach außen getragen und beschleunigt; zweitens hätte der Krieg ohne die politische Unterstützung des Reformismus sein Zerstörungswerk nicht verrichten können; drittens bereiten die ausweglosen Widersprüche des Kapitalismus von verschiedenen Seiten her neue Kriege vor. Die historische Verantwortung wird der Reformismus nicht von sich abwälzen können. Indem sie die revolutionäre Energie des Proletariats paralysiert und bremst, verleiht die internationale Sozialdemokratie dem Prozess des kapitalistischen Zusammenbruchs die blindesten, zügellosesten, katastrophalsten und blutigsten Formen.
Selbstverständlich lässt sich von einer Verwirklichung der revisionistischen Karikatur auf den Marxismus nur bedingt, nur im Hinblick auf eine bestimmte geschichtliche Periode sprechen. Der Ausweg aus dem Verfallskapitalismus wird dennoch, wenn auch mit großer Verspätung, nicht der Weg des automatischen Zusammenbruchs, sondern der revolutionäre Weg sein.
Die jetzige Krise hat mit einem letzten Besenstrich die Überreste der reformistischen Utopien fortgefegt. Die opportunistische Praxis hat gegenwärtig keinerlei theoretische Deckung. Den Wels, Hilferding, Grzesinski, Noske ist es schließlich recht gleichgültig, welche Katastrophen noch über die Volksmassen hereinbrechen werden, wenn nur ihre eigenen Interessen nicht verletzt werden. Aber es ist eben so, dass die Krise des bürgerlichen Regimes auch die reformistischen Führer trifft.
»Staat, greif ein!«, rief kürzlich noch die Sozialdemokratie, während sie vor dem Faschismus zurückwich. Und der Staat griff ein: Otto Braun und Severing flogen aufs Pflaster. — Jetzt, schrieb der »Vorwärts«, müssen alle die Vorzüge der Demokratie gegenüber dem Diktaturregime anerkennen. — Ja, die Demokratie hatte bedeutende Vorzüge, dachte Grzesinski, während er mit dem Gefängnis von innen Bekanntschaft machte.
Aus dieser Erfahrung ergab sich die Schlussfolgerung: »Es ist Zeit, an die Sozialisierung zu gehen!« Tarnow, gestern noch Arzt des Kapitalismus, beschloss plötzlich, zu dessen Totengräber zu werden. Jetzt, wo der Kapitalismus die reformistischen Minister, Polizei- und Oberpräsidenten in Arbeitslose verwandelte, hatte er sich offensichtlich erschöpft. Wels schrieb einen Programmartikel: Die Stunde des Sozialismus hat geschlagen! Es fehlt noch, dass Schleicher die Abgeordneten um ihr Gehalt bringt und die ehemaligen Minister um ihre Pensionen, — und Hilferding wird eine Studie über die geschichtliche Funktion des Generalstreiks schreiben.
Die »linke« Wendung der sozialdemokratischen Führer verblüfft durch ihre Plumpheit und Falschheit. Das bedeutet aber keineswegs, das Manöver sei im voraus zum Scheitern verurteilt. Diese mit Verbrechen beladene Partei steht noch immer an der Spitze von Millionen. Von selbst wird sie nicht zu Fall kommen. Man muss sie zu stürzen verstehen.
Die Kommunistische Partei wird erklären, der Wels-Tarnow-Kurs auf den Sozialismus sei eine neue Form des Massenbetrugs, und das ist richtig. Sie wird die Geschichte der sozialdemokratischen »Sozialisierungen« der letzten 54 Jahre erzählen. Das ist nützlich. Aber das genügt nicht: die Geschichte, auch die jüngste, kann nicht die aktive Politik ersetzen.
Die Frage des revolutionären oder reformistischen Weges zum Sozialismus versucht Tarnow auf die simple Frage des »Tempos« der Umwandlungen zu reduzieren. Tiefer kann man als Theoretiker nicht sinken. Das Tempo der sozialistischen Umwandlungen hängt in Wirklichkeit ab vom Stand der Produktivkräfte des Landes, seiner Kultur, vom Ausmaß der ihm aufgezwungenen Unkosten für die Verteidigung usw. Aber sozialistische Umwandlungen, rasche wie langsame, sind nur dann möglich, wenn an der Spitze der Gesellschaft eine am Sozialismus interessierte Klasse und an der Spitze dieser Klasse eine Partei steht, die nicht imstande ist, die Ausgebeuteten zu betrügen, und die stets bereit ist, den Widerstand der Ausbeuter zu unterdrücken. Man muss den Arbeitern erklären, dass darin eben das Regime der Diktatur des Proletariats besteht.
Aber auch das genügt nicht. Man darf, geht es einmal um die brennenden Probleme des Weltproletariats, nicht — wie die Komintern es tut — die Tatsache der Existenz der Sowjetunion vergessen. Was Deutschland angeht, so liegt die Aufgabe heute nicht darin, zum ersten Mal einen sozialistischen Aufbau zu beginnen, sondern darin, Deutschlands Produktivkräfte, seine Kultur, sein technisches und organisatorisches Genie mit dem schon vor sich gehenden sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion zu verknüpfen.
Die deutsche Kommunistische Partei beschränkt sich auf die bloße Lobpreisung der Sowjetunion, wobei sie in dieser Beziehung grobe und gefährliche Übertreibungen begeht. Sie ist aber vollständig unfähig, den sozialistischen Aufbau in der UdSSR, seine gewaltigen Erfahrungen und wertvollen Errungenschaften mit den Aufgaben der proletarischen Revolution in Deutschland zu verbinden. Die stalinistische Bürokratie ist ihrerseits am allerwenigsten imstande, der deutschen Kommunistischen Partei in dieser höchst wichtigen Frage beizustehen — ihre Perspektiven sind auf ein einzelnes Land beschränkt.
Den zusammenhanglosen und feigen staatskapitalistischen Projekten der Sozialdemokratie muss man einen allgemeinen Plan zum gemeinsamen sozialistischen Aufbau der UdSSR und Deutschlands entgegenstellen. Niemand verlangt, sogleich einen detaillierten Plan auszuarbeiten. Es genügt ein erster Rohentwurf, Grundpfeiler sind notwendig. Dieser Plan muss so rasch wie möglich in allen Organisationen der deutschen Arbeiterklasse diskutiert werden, vor allem in den Gewerkschaftsverbänden.
Man muss zu diesen Diskussionen die fortschrittlichen Kräfte unter den deutschen Technikern, Statistikern und Volkswirtschaftlern heranziehen. Die in Deutschland so verbreiteten Auseinandersetzungen über Planwirtschaft, die die Ausweglosigkeit des deutschen Kapitalismus widerspiegeln, bleiben rein akademisch, bürokratisch, leblos und pedantisch. Die Kommunistische Partei allein kann die Diskussion dieser Frage aus dem Circulus vitiosus herausführen.
Der sozialistische Aufbau ist bereits im Gange — man muss eine Brücke über die Staatsgrenzen hinweg schlagen. Hier der erste Plan: studiert ihn, verbessert ihn, präzisiert ihn! Arbeiter, wählt besondere Plankommissionen, beauftragt sie, mit den Gewerkschaftsverbänden und Wirtschaftsorganen der Sowjets in Verbindung zu treten! Schafft auf der Basis der deutschen Gewerkschaften, der Betriebsräte und anderer Arbeiterorganisationen eine zentrale Plankommission, die mit dem Gosplan der UdSSR in Verbindung treten muss. Zieht zu dieser Arbeit deutsche Ingenieure, Organisatoren, Volkswirtschaftler heran!
Das ist die einzig richtige Art, an die Frage der Planwirtschaft heranzugehen — heute, im Jahre 1932, nach fünfzehn Jahren Sowjetmacht und vierzehnjährigen Konvulsionen der deutschen kapitalistischen Republik.
Nichts ist leichter als die sozialdemokratische Bürokratie zu verspotten, angefangen mit Wels, der ein Hohelied auf den Sozialismus angestimmt hat. Doch darf man nicht vergessen, dass die reformistischen Arbeiter die Frage des Sozialismus ganz ernst nehmen. Man muss sich den reformistischen Arbeitern gegenüber ernsthaft verhalten. Hier erhebt sich wiederum in vollem Umfang das Problem der Einheitsfront.
Stellt sich die Sozialdemokratie die Aufgabe (wir wissen, was davon zu halten ist!), nicht den Kapitalismus zu retten, sondern den Sozialismus zu bauen, so muss sie eine Verständigung, nicht mit dem Zentrum, sondern mit den Kommunisten suchen. Wird die Kommunistische Partei eine solche Verständigung ablehnen? Keineswegs. Sie wird vielmehr selbst eine Verständigung vorschlagen, sie vor den Massen als Einlösung des eben erst ausgestellten sozialistischen Wechsels fordern.
Der Angriff der Kommunistischen Partei auf die Sozialdemokratie muss gegenwärtig auf drei Linien vor sich gehen. Die Aufgabe, den Faschismus zu zertrümmern, behält ihre ganze Dringlichkeit. Die Entscheidungsschlacht des Proletariats mit dem Faschismus wird gleichzeitig den Zusammenstoß mit dem bonapartistischen Staatsapparat bedeuten. Das macht den Generalstreik zur unentbehrlichen Kampfwaffe. Man muss ihn vorbereiten. Man muss einen besonderen Generalstreikplan ausarbeiten, d. h. einen Plan der Kräftemobilisierung zu seiner Durchführung; von diesem Plan ausgehend eine Massenkampagne entwickeln; aufgrund dieser Kampagne der Sozialdemokratie ein Abkommen zur Durchführung des Generalstreiks unter bestimmten politischen Bedingungen vorschlagen. Auf jeder neuen Etappe wiederholt und konkretisiert, wird dieser Vorschlag in seiner Entwicklung zur Schaffung der Sowjets als höchsten Organen der Einheitsfront führen.
Dass Papens nunmehr Gesetz gewordener Wirtschaftsplan dem deutschen Proletariat nie dagewesenes Elend bringt, erkennen in Worten auch die Führer der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften an. In der Presse drücken sie sich so energisch aus, wie man es von ihnen schon lange nicht mehr zu hören bekommen hat. Zwischen ihren Worten und ihren Taten liegt ein Abgrund, wir wissen das, — man muss es aber verstehen, sie beim Wort zu nehmen. Man muss ein System von gemeinsamen Kampf Maßnahmen gegen das Regime der Notverordnungen und des Bonapartismus ausarbeiten. Dieser dem Proletariat durch die ganze Situation aufgezwungene Kampf lässt sich seinem Wesen nach nicht im Rahmen der Demokratie führen. Hitler hat eine Armee von 400 000 Mann, Papen-Schleicher neben der Reichswehr die halbprivate »Stahlhelm«-Armee von 200 000 Mann, die bürgerliche Demokratie die halbtolerierte Reichsbanner-Armee, die Kommunistische Partei die verbotene Rotfront-Armee — diese Situation zeigt, dass das Problem des Staates eine Machtfrage ist. Eine bessere revolutionäre Schule kann man sich nicht vorstellen!
Die Kommunistische Partei muss der Arbeiterklasse sagen: Durch Parlamentsspiel ist Schleicher nicht zu stürzen. Will die Sozialdemokratie darangehen, die bonapartistische Regierung mit anderen Mitteln zu stürzen, so ist die KPD bereit, der Sozialdemokratie aus ganzer Kraft zu helfen. Die Kommunisten verpflichten sich hierbei im voraus, gegen eine sozialdemokratische Regierung keinerlei Gewaltmittel anzuwenden, sofern sie sich auf die Mehrheit der Arbeiterklasse stützt und sofern sie der Kommunistischen Partei Agitations- und Organisationsfreiheit garantiert. Diese Art der Fragestellung wird jedem sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter verständlich sein.
Die dritte Linie schließlich ist der Kampf um den Sozialismus. Auch hier muss man das Eisen schmieden, solange es heiß ist, und die Sozialdemokratie durch einen konkreten Plan zur Zusammenarbeit mit der UdSSR an die Wand drücken. Das Notwendige darüber ist bereits oben gesagt.
Selbstverständlich sind diese Kampfbereiche, die in der strategischen Gesamtperspektive von verschiedener Bedeutung sind, voneinander nicht zu trennen, sondern gehen ineinander über. Die politische Krise der Gesellschaft erheischt die Verbindung der Teilfragen mit den Gesamtfragen, darin eben liegt das Wesen der revolutionären Situation.
Kann man erwarten, dass das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei selbständig auf den richtigen Weg einschwenkt? Seine gesamte Vergangenheit zeigt, dass es dazu nicht fähig ist.
Kaum hatte er angefangen, sich zu korrigieren, da sah sich der Apparat vor der Perspektive des »Trotzkismus«. Wenn Thälmann selbst es nicht gleich begriffen hat, hat man es ihm aus Moskau erklärt, dass man den »Teil« um des »Ganzen« willen opfern muss, d. h. die Interessen der deutschen Revolution für die Interessen des Stalinschen Apparats. Die schüchternen Versuche einer Revision der Politik wurden wieder zurückgenommen. Die bürokratische Reaktion triumphiert von neuem auf der ganzen Linie.
Das liegt natürlich nicht an Thälmann. Gäbe die heutige Komintern ihren Sektionen die Möglichkeit, zu leben, zu denken und sich zu entwickeln, so hätten sie in den letzten fünfzehn Jahren längst ihre eigenen Führungskader auswählen können. Doch die Bürokratie hat ein System der Führerernennung und der Unterstützung der Ernannten durch künstliche Reklame errichtet. Thälmann ist ein Produkt dieses Systems und zugleich sein Opfer.
Die in ihrer Entwicklung paralysierten Kader schwächen die Partei. Ihre Unzulänglichkeit ergänzen sie durch Repressalien. Die Schwankungen und die Unsicherheit der Partei gehen unvermeidlich auf die gesamte Klasse über. Man kann die Massen nicht zu kühnen Aktionen aufrufen, während die Partei selbst der revolutionären Entscheidungsfähigkeit beraubt ist.
Selbst wenn Thälmann morgen ein Telegramm Manuilskis über die Notwendigkeit einer Wendung zur Einheitsfrontpolitik erhielte, würde der neue Zickzack der Führung wenig Nutzen bringen. Die Führung ist zu sehr kompromittiert. Eine richtige Politik verlangt ein gesundes Regime. Die Parteidemokratie, gegenwärtig ein Spielzeug der Bürokratie, muss wieder Wirklichkeit werden. Die Partei muss eine Partei werden, dann werden ihr die Massen glauben. Praktisch heißt das, einen außerordentlichen Parteitag und einen außerordentlichen Kongress der Komintern auf die Tagesordnung zu stellen.
Dem Parteitag muss selbstverständlich eine allgemeine Diskussion vorausgehen. Alle Apparatschranken müssen beseitigt werden. Jede Parteiorganisation, jede Zelle hat das Recht, jeden Kommunisten, sei er Mitglied der Partei oder ausgeschlossen, in ihre Versammlungen zu berufen und anzuhören, wenn sie dies zur Ausarbeitung ihrer Meinung für notwendig hält. Die Presse muss in den Dienst der Diskussion gestellt, in jedem Parteiblatt täglich genügend Raum für kritische Artikel geboten werden.
Eigene Pressekommissionen, auf Massenversammlungen der Parteimitglieder gewählt, müssen überwachen, dass die Zeitungen der Partei dienen und nicht der Bürokratie.
Die Diskussion wird freilich nicht wenig Zeit und Kraft erfordern. Der Apparat wird sich darauf berufen, in einer so kritischen Periode könne sich die Partei doch nicht den »Luxus der Diskussion« erlauben. Die bürokratischen Retter meinen, in schwierigen Bedingungen habe die Partei zu schweigen. Die Marxisten hingegen glauben, dass, je schwieriger die Lage, desto wichtiger die selbständige Rolle der Partei ist.
Die Führung der bolschewistischen Partei genoss im Jahre 1917 sehr großes Ansehen. Und trotzdem gab es während des ganzen Jahres 1917 eine Reihe tiefgehender Parteidiskussionen. Am Vorabend der Oktoberumwälzung debattierte die gesamte Partei leidenschaftlich, welcher der beiden Teile des Zentralkomitees recht habe: die Mehrheit, die für den Aufstand, oder die Minderheit, die gegen den Aufstand war. Ausschlüsse oder Repressalien gab es nirgends, trotz der Tiefe der Meinungsverschiedenheiten. In diese Diskussionen wurden die parteilosen Massen hineingezogen. In Petrograd entsandte eine Tagung parteiloser Arbeiterfrauen eine Abordnung in das Zentralkomitee, um dessen Mehrheit zu unterstützen. Gewiss, die Diskussion erforderte Zeit. Dafür aber erwuchs aus der offenen Diskussion ohne Drohungen, Lügen und Fälschungen die allgemeine, unerschütterliche Gewissheit von der Richtigkeit der Politik, eben das, was allein den Sieg möglich machte.
Wie wird sich die Situation in Deutschland entwickeln? Wird es dem kleinen Rad der Opposition gelingen, rechtzeitig das große Rad der Partei in Bewegung zu bringen? So steht jetzt die Frage. Oft ertönen pessimistische Stimmen. In den verschiedenen kommunistischen Gruppierungen, in der Partei selbst wie an ihrer Peripherie gibt es nicht wenige, die sich sagen: in allen wichtigen Fragen hat die Linke Opposition eine richtige Stellung. Aber sie ist schwach. Ihre Kader sind gering an Zahl und politisch unerfahren. Kann sich denn eine solche Organisation mit einem kleinen Wochenblatt (»Permanente Revolution«) erfolgreich dem mächtigen Komintern-Apparat entgegenstellen?
Die Lehren der Ereignisse sind stärker als die Stalinsche Bürokratie. Wir wollen vor den Augen der kommunistischen Massen die Interpreten dieser Erfahrungen sein. Darin liegt unsere historische Rolle als Fraktion. Wir verlangen nicht wie Seydewitz & Co., das revolutionäre Proletariat möge uns auf Kredit glauben. Wir weisen uns eine bescheidenere Rolle zu: wir schlagen der kommunistischen Avantgarde unsere Hilfe vor bei der Ausarbeitung der richtigen Linie. Für diese Arbeit sammeln und erziehen wir eigene Kader. Dieses Vorbereitungsstadium lässt sich nicht überspringen. Jede neue Kampfetappe wird die Nachdenklichsten und Kritischsten im Proletariat auf unsere Seite stoßen.
Die revolutionäre Partei beginnt mit einer Idee, einem Programm, das sich gegen die mächtigsten Apparate der Klassengesellschaft richtet. Nicht Kader schaffen die Idee, sondern die Idee schafft die Kader. Die Furcht vor der Macht des Apparats ist einer der hervorstechendsten Züge jenes besonderen Opportunismus, den die Stalinbürokratie hochzüchtet. Die marxistische Kritik ist stärker als jeder Apparat.
Welche organisatorischen Formen die weitere Entwicklung der Linken Opposition annehmen wird, hängt von vielen Umständen ab: von der Wucht der historischen Schläge, dem Grade der Widerstandskraft der Stalinschen Bürokratie, von der Aktivität der einfachen Kommunisten, von der Energie der Opposition selbst. Doch die Prinzipien und Methoden, die wir verfechten, haben sich in den größten Ereignissen der Weltgeschichte bewährt, in Sieg und Niederlage. Sie werden sich Bahn brechen.
Die Erfolge der Opposition in allen Ländern, auch in Deutschland, sind offenkundig. Aber sie treten langsamer ein, als es viele unter uns erwarteten. Man kann das bedauern, darf sich aber darüber nicht wundern. Jeden Kommunisten, der auf die Linke Opposition zu hören beginnt, stellt die Bürokratie zynisch vor die Wahl, entweder die Hetze gegen den »Trotzkismus« mitzumachen oder aber aus den Reihen der Komintern hinauszufliegen. Für die Parteifunktionäre geht es um Posten und Gehalt — auf diesen Tasten weiß der Stalinsche Apparat meisterlich zu spielen. Doch unermesslich wichtiger sind die Tausende einfacher Kommunisten, die sich zwischen ihrer Ergebenheit für die Ideen des Kommunismus und dem drohenden Ausschluss aus den Reihen der Komintern zerreißen. Daher gibt es in den Reihen der offiziellen Kommunistischen Partei sehr viele unfertige, eingeschüchterte oder versteckte Oppositionelle.
Diese außergewöhnliche Verquickung der historischen Bedingungen erklärt zur Genüge das langsame organisatorische Wachstum der Linken Opposition. Gleichzeitig dreht sich, trotz dieser Langsamkeit, heute mehr denn je das geistige Leben der Komintern um den Kampf gegen den »Trotzkismus«. Die theoretischen Zeitschriften und theoretischen Zeitungsartikel der russischen KP, wie auch der anderen Sektionen der Komintern, sind hauptsächlich dem Kampf gegen die Linke Opposition gewidmet, bald offen, bald maskiert. Noch symptomatischere Bedeutung besitzt jene rasende organisatorische Hetze, die der Apparat gegen die Opposition betreibt: Sprengung ihrer Versammlungen mit Knüppelmethoden; Anwendung jeder Art physischer Gewalt; Kulissenvereinbarungen mit bürgerlichen Pazifisten, französischen Radikalen und Freimaurern gegen die »Trotzkisten«; Ausstreuung giftiger Verleumdungen durch das Stalinsche Zentrum usw.
Die Stalinisten spüren viel unmittelbarer und wissen besser als die Oppositionellen, in welchem Maße unsere Ideen die Pfeiler ihres Apparats untergraben. Die Selbstverteidigungsmethoden der Stalinschen Fraktion haben jedoch zweischneidigen Charakter. Bis zu einem gewissen Moment wirken sie einschüchternd. Aber sie bereiten zugleich eine Massenreaktion gegen das System der Fälschung und Gewalt vor.
Als im Juli 1917 die Regierung der Menschewiki und Sozialrevolutionäre die Bolschewiki zu Agenten des deutschen Generalstabs stempelte, konnte diese niederträchtige Maßnahme in der ersten Zeit eine starke Wirkung auf die Soldaten, die Bauern und die zurückgebliebenen Arbeiterschichten ausüben. Als aber alle weiteren Ereignisse den Bolschewiki eindeutig recht gaben, begannen die Massen sich zu sagen: man hat also die Leninisten bewusst verleumdet, hat also gegen sie so gemein gehetzt, nur weil sie recht hatten? Und die Gefühle des Verdachts gegenüber den Bolschewiki verwandelten sich in Gefühle heißer Ergebenheit und Liebe für sie. Unter anderen Bedingungen vollzieht sich ein solcher Prozess auch jetzt. Durch die ungeheuerliche Anhäufung von Verleumdungen und Repressalien vermag die Stalinsche Bürokratie unleugbar die einfachen Parteimitglieder für eine Zeitspanne einzuschüchtern; gleichzeitig aber bereitet sie eine gewaltige Rehabilitierung für die Bolschewiki-Leninisten in den Augen der revolutionären Massen vor. Gegenwärtig kann es darüber keinen Zweifel mehr geben.
Ja, wir sind heute noch sehr schwach. Die Kommunistische Partei hat noch Massen, aber bereits weder Doktrin noch strategische Orientierung. Die Linke Opposition hat bereits ihre marxistische Orientierung ausgearbeitet, aber noch keine Massen.
Die übrigen Gruppen des »linken« Lagers haben weder das eine noch das andere. Hoffnungslos siecht der Leninbund dahin, der eine ernsthafte, an Prinzipien orientierte Politik durch die individuellen Phantasien und Launen Urbahns zu ersetzen versuchte. Die Brandlerianer steigen trotz ihrer Apparat-Kader von Stufe zu Stufe hinab; kleine taktische Rezepte können eine revolutionär-strategische Stellungnahme nicht ersetzen. Die SAP hat ihre Kandidatur auf die revolutionäre Führung des Proletariats angemeldet. Ein unbegründeter Anspruch! Selbst die ernstesten Vertreter dieser »Partei« überschreiten, wie Fritz Sternbergs letztes Buch beweist, nicht die Grenzen des Linkszentrismus. Je beflissener sie eine »selbständige« Doktrin zu schaffen suchen, desto mehr erweisen sie sich als Schüler Thalheimers. Diese Schule aber ist so hoffnungslos wie ein Leichnam.
Eine neue historische Partei kann nicht einfach deshalb entstehen, weil sich eine Anzahl alter Sozialdemokraten mit großer Verspätung vom konterrevolutionären Charakter der Ebert-Wels-Politik überzeugt haben. Ebenso wenig lässt sich eine neue Partei von einer Gruppe enttäuschter Kommunisten improvisieren, die noch durch nichts ihre Anrechte auf die Führung des Proletariats bewiesen haben. Zur Entstehung einer neuen Partei bedarf es einerseits großer historischer Ereignisse, die den alten Parteien das Rückgrat brechen, andererseits einer auf der Grundlage der geschichtlichen Erfahrung und erprobter Kader ausgearbeiteten prinzipiellen Stellung.
Während wir mit aller Kraft für die Wiedergeburt der Komintern und die Kontinuität ihrer weiteren Entwicklung kämpfen, neigen wir in gar keiner Weise zu einem rein formalen Fetischismus. Das Geschick der proletarischen Weltrevolution steht für uns über dem organisatorischen Schicksal der Komintern. Sollte sich die schlimmere Variante verwirklichen, sollten, allen unseren Bemühungen zum Trotz, die heutigen offiziellen Parteien durch die stalinistische Bürokratie zum Zusammenbruch geführt werden, müsste man in gewissem Sinne wieder von vorn anfangen, dann wird die neue Internationale ihren Stammbaum von den Ideen und Kadern der Linken Kommunistischen Opposition ableiten.
Und darum sind unzureichende Kriterien wie »Pessimismus« und »Optimismus« nicht auf unsere politische Arbeit anwendbar. Sie steht über den einzelnen Etappen, den Niederlagen und Siegen. Unsere Politik ist eine Politik auf weite Sicht.
Nachwort
Die vorliegende Broschüre, deren verschiedene Teile zu verschiedenen Zeitpunkten niedergeschrieben wurden, war bereits abgeschlossen, als ein Berliner Telegramm die Nachricht vorn Zusammenstoß der überwältigenden Mehrheit des Reichstages mit der Papenregierung und folglich mit dem Reichspräsidenten brachte. Die konkrete Entwicklung der weiteren Ereignisse werden wir in den Spalten der »Permanenten Revolution« aufmerksam verfolgen. Hier wollen wir nur einige allgemeine Schlussfolgerungen unterstreichen, die anfechtbar erschienen, als wir die Broschüre begannen, und seither dank dem Zeugnis der Tatsachen unanfechtbar geworden sind.
1. Der bonapartistiscbe Charakter der Schleicher-Papen-Regierung ist durch deren isolierte Lage im Reichstag vollständig aufgedeckt. Die unmittelbar hinter der Präsidialregierung stehenden agrarisch-kapitalistischen Kreise machen einen unvergleichlich geringeren Prozentsatz der deutschen Nation aus, als der Prozentanteil von Reichstagsstimmen, die für Papen abgegeben wurden, vorspiegelt.
2. Der Antagonismus zwischen Papen und Hitler ist der Antagonismus zwischen den agrarisch-kapitalistischen Spitzen und dem reaktionären Kleinbürgertum. So wie sich einst die liberale Bourgeoisie der revolutionären Bewegung des Kleinbürgertums bediente, es aber mit allen Mitteln hinderte, die Macht zu ergreifen, ist die Monopolbourgeoisie bereit, Hitler als Lakaien anzustellen, nicht aber als Herren. Ohne zwingende Notwendigkeit will sie dem Faschismus nicht die volle Macht aushändigen.
3. Die Tatsache, dass die verschiedenen Fraktionen der Groß-, Mittel- und Kleinbourgeoisie einen offenen Kampf um die Macht führen, ohne einen äußerst riskanten Konflikt zu scheuen, beweist, dass sich die Bourgeoisie durch das Proletariat nicht unmittelbar bedroht sieht. Nicht nur die Nationalsozialisten und das Zentrum, sondern auch die Führungsspitzen der Sozialdemokratie haben den Verfassungskonflikt nur in der festen Zuversicht riskiert, dass er nicht in einen revolutionären umschlägt.
4. Die einzige Partei, deren Abstimmung gegen Papen von revolutionären Absichten diktiert war, ist die Kommunistische Partei. Aber von revolutionären Absichten bis zu revolutionären Errungenschaften ist noch ein weiter Weg.
5. Die Logik der Ereignisse ist derart, dass der Kampf um das »Parlament« und die »Demokratie« für jeden sozialdemokratischen Arbeiter zu einer Machtfrage wird. Darin liegt der Hauptinhalt des ganzen Konfliktes vom Standpunkt der Revolution. Die Machtfrage ist die Frage der revolutionären Aktionseinheit des Proletariats. Die Einheitsfrontpolitik gegenüber der Sozialdemokratie muss darauf gerichtet sein, schon in nächster Zukunft in einer Zusammensetzung, die der Arbeiterdemokratie entspricht — die Schaffung von Kampforganen der Klasse, d. h. Arbeiterräte zu ermöglichen.
6. Angesichts der Geschenke an die Kapitalisten und des unerhörten Angriffs auf die Lebenshaltung des Proletariats muss die Kommunistische Partei die Losung der Arbeiterkontrolle über die Produktion aufstellen.
7. Die Fraktionen der besitzenden Klassen können sich nur deshalb untereinander raufen, weil die revolutionäre Partei schwach ist. Die revolutionäre Partei könnte unermesslich stärker werden, wenn sie die Rauferei zwischen den besitzenden Klassen richtig ausnutzen würde. Dazu muss man die verschiedenen Fraktionen nach ihrem sozialen Bestand und ihren politischen Methoden unterscheiden können, nicht aber alles in einen Topf werfen. Die Theorie des »Sozialfaschismus«, die vollständig und endgültig Bankrott gemacht hat, muss man endlich als untauglichen Plunder fortwerfen.